Montag 3.3.25 – El Chaltén – Tagestour von El Calafate

Zeit in Bewegung war 3:38:59 und 4,3 km/h Geschwindigkeit

Da alle Tagestouranbieter für das Wanderparadies El Chaltén die Touren mit mehr als 1,5 Stunden-Wanderung nur für Personen zwischen 14 und 50 Jahren anbieten (aus Versicherungsgründen, wir fühlen uns diskriminiert und gemobbt 😉 ), haben wir beschlossen, auf eigene Faust loszuwandern. So benötigen wir auch nur das Busticket!

Da wir um 7:45 am Busbahnhof sein müssen, um den 8-Uhr-Bus nach El Chaltén zu nehmen, frühstücken wir mal wieder um 6:30 Uhr, nehmen wieder eine Lunch-Tüte mit und machen uns um 7:15 auf den zwei Kilometer Fußmarsch zum Busbahnhof. Nachdem wir die zusätzlichen 2.000 Pesos pro Nase Busbahnhof-Steuer bezahlt haben, können wir an Bord gehen. Die vorderen Plätze im oberen Stock sind schon besetzt, also bleiben wir unten. Wir haben einen sehr modernen Bus mit funktionierendem Wifi und leider auch sehr gut funktionierender Heizung. Gegen Ende der ansonsten ereignisarmen Fahrt durch die patagonische Steppe zeigt die elektronische Anzeige eine Innentemperatur von 33 Grad Celsius an. Die Fahrt geht lange Zeit über die Ruta 40, die in El Calafate beginnt bzw. endet, bevor wir an einem Unterstand links auf eine Regionalstraße Richtung El Chaltén abbiegen. In dem Unterstand sehen wir einen Bikepacker (mit Hund und Hundeanhänger) sein Zelt zusammenpacken. Auch hier sind die Orte und Unterkünfte so rar gesät, dass es nur mit wildem Zelten an solchen Unterständen möglich ist, längere Strecken mit dem Rad zu überwinden. Das ist Nichts für uns, wie wir auf dieser Tour gelernt haben. Auf der Rückfahrt sehen wir am Abend, dass der Unterstand gut mit Bikepackern gefüllt ist. Um diese Jahreszeit sind hier einfach zu viele von uns unterwegs.

Wir kommen in El Chaltén sogar 10 Minuten vor der geplanten Zeit an und machen uns auf den Weg quer durch den Ort, der 12 Blöcke lang sein soll und an dessen anderem Ende der Wanderweg zum Fitz Roy beginnt, den wir bis zur Laguna Capri hinaufwandern wollen. Da die Navigatorin in unserem Team heute mal frei hat, weist Viktor den Weg und prompt laufen wir eine Extraschleife durch den Ort, die uns aber an einem netten Café vorbeiführt, wo wir einen Milchkaffee trinken. Die vorgetäuschte Absicht des kleinen Umweges zum Café wird aber leider nicht anerkannt. Gegenüber des Cafés – wir haben nur draußen einen Sitzplatz – läuft ein Fuchs herum, erst im Garten, dann kommt er auf die Straße.

An der Pforte zum Nationalpark direkt hinter dem großen Parkplatz müssen wir unsere bereits gekauften Nationalpark-Tickets vorweisen, stellen uns unnötigerweise an der Schlange für den Ticketkauf an und können dort beobachten, wie vor uns ein junges Paar – nach zwei erfolglosen Bezahlversuchen mit ihren Kreditkarten – kostenlos eingelassen wird, da hier nicht mit Bargeld bezahlt werden kann.

Nach drei Tagen mit mäßigem Wind bläst er heute wieder „normal stark“. Deshalb sind wir ziemlich eingepackt mit langer Unterhose oder Regenhose unter oder über der Hose, und zu mehreren Oberteilen (immer schön in Schichten kleiden – die klassische Zwiebelmethode) auch noch mit Mütze und Handschuhen. So machen wir uns mit vielen anderen auf den Weg. Der ist heute wesentlich trockener als der zur Lagune Esmeralda bei Ushuaia, dafür aber zum Teil steiler, näher am Abhang (nichts für Viktor) und eben auch viel bevölkerter. Irgendwo liegt ein Kopfhörer-Paar in einer Leopardenmuster-Hülle auf dem Boden. Viktor nimmt es mit, fragt einige andere Wanderer, ob sie es verloren hätten, und legt es letztendlich gut sichtbar auf einen Baumstumpf (auf dem Rückweg ist es später weg). Außerdem überholt uns ein Jogger – und kommt uns später wieder entgegen – in Shorts uns T-Shirt – das muss ein Patagonier sein – nicht wegen seiner Füße (die sind normalgroß), sondern wegen seiner augenscheinlichen Kälte-Unempfindlichkeit.
„Wegen seiner Füße?“ … ja genau … wie wir soeben bei Wikipedia gelernt haben, bedeutet „Patagon“ auf Spanisch „Großfuß“ … Viktor schlägt sich im Geiste vor die Stirn … stimmt ja … „Pata“ bedeutet „Fuß“.

Um circa halb zwei gelangen wir an einen Campingplatz, der an der zu erwandernden Lagune Capri liegt. Hier hat man einen guten Blick über die Lagune und auf den legendären Berg Fitz Roy, der aber ziemlich im Nebel liegt. Die Ureinwohner hatten den Berg seinerzeit Chaltén genannt, was in ihrer Sprache „der Rauchende“ bedeutet, eben weil die Spitze so gut wie immer in den Wolken liegt. Den heutigen Namen hat er erst 1877 von Perito Moreno bekommen…

Wir suchen vergeblich nach einem Picknikplatz im Windschatten, verzehren unser Lunchpaket dann auf einem windigen, kalten Baumstamm. Die Mayonnaise und das Öl sind natürlich dieselben Chargen wie gestern. So schnell kann ja auch nichts Frisches aus der Hauptstadtregion hier nach Patagonien transportiert worden sein!

Dann laufen wir nicht denselben Weg zurück, denn es gibt eine kleine Runde über einen weiteren Aussichtspunkt, die wir gehen wollen, und die dann wieder auf den Hauptweg trifft. Hier ist der Weg nicht immer gut zu erkennen, und irgendwann denken wir, wir wären wohl schon im Kreis gelaufen, aber schließlich landen wir (ohne falsch gegangen zu sein) an der richtigen Stelle, von der wir wieder runter nach El Chaltén kommen. Um halb vier verlassen wir den Nationalpark und kommen in den Ort.

Es sind noch gute zwei Stunden Zeit, bis wir wieder am Busterminal sein müssen, eine weitere Wanderung schließen wir aus. Schließlich sind wir hier heute schon 15 km mit über 400 Höhenmetern gewandert, und dazu kommen die zweimal zwei – ebenfalls mit Steigungen – in El Calafate, das reicht uns. Also setzen wir uns in eine Microbrauerei (mit den deutschen Bezeichnungen „Biergarten“ und „Hausbrauerei“), die auch Cafébetrieb anbietet. Hier nutzen wir bei kostenfreiem Popcorn (mit Nachschlag) beide Angebote und Viktor guckt sich auch noch die Braustube an.

Nachdem wir während der Wanderung das Hotel Patagonia Eco Domes aus der Ferne gesehen haben, schauen wir zum Preisvergleich auch noch nach den auf Plakaten angepriesenen „Eiern“ – Ovos -, die mit Blick auf den Fitz Roy am Felsen hängen und nichts für Menschen mit Höhenangst oder Schwindel sind. Ganz ähnliche haben wir ja auch schon in Peru nahe Machu Picchu gesehen.

Pünktlich gelangen wir zum Terminal, müssen auch hier wieder die Terminalsteuer zahlen (hier sogar 3.000 Pesos pro Nase – zur Instandhaltung und den Betrieb des Gebäudes), bevor wir in einen fast leeren Bus einsteigen. Überpünktlich fahren wir los. Auf der Fahrt sehen wir viele tote Tiere (Schafe) im Zaun hängen, Skelette auf dem Boden liegen, ein totes Stinktier auf der Mittellinie, aber auch sehr, sehr viele lebendige Guanakos.

Außerdem überholen wir trotz der fortgeschrittenen Zeit noch drei Bikepacker, die anscheinend ihr heutiges Ziel noch nicht erreicht haben.

Der Busfahrer ist schnell, und so kommen wir ganze 35 Minuten vor der geplanten Zeit in El Calafate an, laufen die zwei Kilometer zurück (Juttas Schrittzähler zeigt für heute 31.548 Schritte an!) und gehen ohne Abenessen ins Hotelzimmer. Zum Glück ist das Frühstücksbuffet hier gut, da müssen wir morgen einfach ein wenig mehr frühstücken.

Dienstag 4.3.25 – El Calafate – Fahrradtour

Der zehntletzte vollständige Tag in Südamerika! Wir wollen noch einmal Radfahren, heute auf geliehenen Individualrädern. Die bekommen wir ab halb neun Uhr beim BAFT Reisebüro (backpacking free travel). Die äußere Türklinke ist noch abmontiert (das Büro ist noch geschlossen), aber man öffnet uns (der Fahrradverleih öffnet früher), und nachdem wir digital einige Angaben gemacht und Bedingungen akzeptiert haben, bekommt Viktor ein XL Specialized Rad und Jutta ein Raleigh. Die Wetterprognose ist gut, es soll erst nachmittags windig werden und nicht regnen.

Wir fahren direkt zur Küstenstraße und biegen zuerst einmal nach links ab – Richtung Westen, um am Lago Argentino den „Buchtradweg“ von Anfang bis Ende abzufahren. Vorher halten wir an den Calafate-Buchstaben, wo gerade eine Reisegruppe aus Deutschland fotografiert. Anschließend macht ein Teilnehmer Bilder von uns, und wir tauschen uns ein wenig aus. Die deutschsprachige Guide gibt uns noch Tipps für heute mit dem Rad.

Der Radweg beginnt aus dem Nichts! Kein abgesenkter Bordstein, man muss sein Rad zum toll gemalten „Anfang/Ende“ tragen. Aber dann kann man sehr schön am Wasser auf dem Zweirichtungsradweg entlang fahren und die Aussicht genießen. Nach ca. fünf Kilometern endet er in einem Wendekreis. Wir schieben die Räder auf die nahegelegene Straße und fahren noch ein ganzes Stück weiter, auch noch, nachdem die befestigte Straße sich in Schotter wandelt. Erst, als es nur noch Sand wird, drehen wir um.

Der Himmel sieht plötzlich sehr dunkel aus. Jutta zieht die Regenjacke an, und als sie weiterfahren will, springt die Kette ab. Mit ölbeschmierten Fingern holt sie Viktor wieder ein, und dann beginnt es auch schon zu regnen. Dabei ist keiner angesagt, und angeblich regnet es hier doch nur max. 250 mm im Jahr! Wir fahren Richtung Ort und werden ziemlich nass und auch kalt. Die Möglichkeiten an der Küstenstraße, eventuell ein Heißgetränk zu bekommen, sind alle noch geschlossen, also biegen wir in den Ort ab und landen im Mabra-Café, wo die Bedienung Jutta sofort mit ihren verschmierten Fingern zur Toilette lotst. Mit unseren nassen Hosen trauen wir uns gar nicht, auf die mit Stoff bezogenen Stühle zu setzen, also nehmen wir nebeneinander auf der Bank aus Kunstleder Platz. Inzwischen scheint die Sonne schon wieder, die Fenster des Cafés werden geputzt, die Tische und Stühle draußen abgewischt, als wäre nichts gewesen.

Wir wärmen uns etwas auf, trocknen aber nicht komplett – das muss jetzt der Fahrtwind machen. Es geht zurück zur Küstenstraße, und diesmal biegen wir nach rechts (Osten) ab. Unser nächstes Ziel ist das Open-Air-Museum Punta Walichu. Dafür verlassen wir am Ende der Küstenstraße jegliche befestigte Straße – es geht über sehr groben Schotter, abwechselnd mit tiefem Sand – mehrere Kilometer bis zur archeologischen Stätte. Zu Beginn sind wir noch genauso schnell wir ein Touristenvan (der hier wegen der riesigen Steine nicht wirklich gut fahren kann), aber irgendwann müssen wir schieben und fallen zurück.

Nach einer sehr netten Begrüßung und Erklärung neben der Bezahlung bekommen wir jeder einen Audioguide in Form eines Handys und per Blootooth verbundene Kopfhörer. Per VLC-Player können wir an 27 Stationen die Erklärungen zu den Steinen und den über 4.000 Jahre alten Höhlenmalereien anhören und uns in die damalige Zeit zurück versetzen.

Nach einem Kaffee wollen wir aufbrechen. Caesar (rechts auf dem Bild) „autorisiert“ uns, an einem Verbotsschild vorbeizufahren, weil der Weg direkt an der Küste besser sein soll als der, über den wir gekommen sind. Weil gerade wieder dunkle Regenwolken einen Guss vorhersehen lassen, zieht Jutta ihre Regenhose über, und wir machen uns auf den Weg. Den beschriebenen Weg an der Küste verpassen wir anscheinend ungesehen, denn wir landen doch wieder irgendwie weiter oben am offiziellen Ausgang. Und so fahren wir auch auf dem Rückweg etliche Kilometer über Schotter.

Eine lange Straße in Richtung Stadt sieht aus, als sollte hier schon vor längerer Zeit eine Siedlung entstanden sein: älter aussehende Masten für Straßenlaternen alle paar Meter und Stromkabel gibt es, aber weder Häuser noch eine befestigte Straße. Es zieht sich, bis wir endlich wieder im Ort ankommen, aber auch hier bestehen die Straßen noch aus Schotter, bis wir endlich eine Hauptstraße erreichen.

Gegen vier Uhr geben wir die Räder wieder ab, auch, wenn wir sie bis abends behalten dürften – wir haben keine Idee und auch keine wirkliche Lust auf noch eine andere Tour. Nach einem Eis auf die Hand (Jutta probiert Calafate-Eis) geht es ins Hotel. Viktor will/muss auch noch einmal zum Friseur.

Im Barber-Shop gegenüber gibt es einen Haarschnitt und eine Rasur für 10.000 Pesos. Der junge Friseur aus Buenos Aires, der nur die Sommersaison hier arbeitet, hat gerade Ärger mit einer Mutter, deren Sohn er einen schlechten Haarschnitt verpasst hat. Und das, wo doch nächste Woche Einschulung ist. Der Kleine hat aber auch hinten ein Menge Haare abstehen, während der Rest des Kopfes ziemlich kurz geschoren ist. Der Vater war vorher mit dem Sohn hier und hat vermutlich eine heftige Standpauke zu hören bekommen, als er nach Hause kam.
Auch Viktors Anweisung „überall mit der Maschine, 4 mm“ wird nicht eingehalten. Oben muss Viktor mehrfach nachfordern, dass es bitte noch kürzer geschnitten werde, obwohl da ja eigentlich kaum noch Haare vorhanden sind. Die Hoffnung auf eine tolle Nassrasur wird brutal enttäuscht, als plotzlich ein elektrischer Rasierapparat in Viktors Gesicht gedrückt wird … oha ! … na gut, jetzt ist es eh zu spät.

Beim Apotheker unseres Vertrauens – direkt gegenüber vom Hotel – kauft Viktor noch eine Clotrimazol-Salbe gegen eine kleine juckende Hautstelle an der Hüfte. Als der Apotheker erfährt, dass die Gattin Apothekerin ist, bestellt er „Grüße an die Kollegin“ und spart sich jegliche Anwendungshinweise. Und hier in Argentinien ist Clotrimazol verschreibungspflichtig, wie wir dann auf der Verpackung lesen, das hat ihn auch gar nicht gekümmert.

Zum Abendessen gehen wir ins Nativa, die ebenfalls selbstgebrautes Bier anbieten. An der Tafel über der Theke werden acht Biere angepriesen, von denen genau eines tatsächlich gerade verfübar ist. Das Stout-Fass wird für Viktor zwar noch angeschlossen, aber das Bier ist noch zu warm und schäumt am Zapfhahn noch viel zu stark. Jutta geht es bei den vegetarischen Optionen ähnlich. Auch da gibt es heute eigentlich nur eine der Optionen aus der Speisekarte. Das Essen ist nicht schlecht und auch das IPA schmeckt gut, aber Viktor erklärt zum Abschied der freundlichen Bedienung, was man unter „Management of Expectations“ versteht. Denn während wir auf die Rechnung warten, beobachten wir einen neuen Gast dabei, wie er sich die Tafel über der Theke genau anschaut und dazu sogar mehrfach von seinem Tisch aufsteht. Die Bedienung hält es nicht für nötig, ihm einen kurzen Hinweis zu geben, dass es heute nur eine der Biersorten gibt.

Dann geht es durch stürmische Straßen zurück ins Hotel. Der Mond steht am Himmel und hat seit gestern zugenommen, jedenfalls erscheint uns die Sichel breiter als gestern. Aber gestern waren wir uns sicher, dass die Form der Sichel unserer Eselsbrücke für ein „a“ (also abnehmend) entspricht, und nicht dem altdeutschen „z“ (also zunehmend). Und wie schon in Costa Rica bei der Sonnenuhr, lernen wir auch heute wieder etwas Überraschendes dazu (Reisen bildet!). Auf der Südhalbkugel sehen wir zwar die gleiche Mondphase (logisch, denn es geht ja um den Schatten der Erde auf der Mondoberfläche), aber die Mondsichel ist spiegelverkehrt, weil wir sie aus einer anderen Perspektive sehen. Eine gute Erklärung zu dem Thema findet man hier.

Mittwoch 5.3.25 – El Calafate

Der neuntletzte vollständige Tag in Südamerika!

Wir schlafen aus, frühstücken gemütlich und gehen dann erst einmal in den Park an der nahegelegenen Touristen-Information vom Gletscher-Nationalpark, in dem kurioserweise alte Motoren, Zapfsäulen etc. ausgestellt sind. Aber auch mehrfach Charles Darwin und Perito Moreno. Außerdem gibt es dort Birken, europäische Eichen, Douglasien und viele andere autochtone und allochtone Pflanzen der Region.

Anschließend gehen wir ein zweites Mal zum Naturreservat der Lagune Nimez. Mit unserem Ticket vom letzten Mal kommen wir kostenlos hinein, leihen heute aber ein Fernglas zum besseren Beobachten der Vögel. Es ist schön sonnig, aber sehr, sehr windig, und viele Vögel sind wohl entweder ausgeflogen oder haben sich im Windschatten des Schilfs versteckt. Was wir sehen, sind hauptsächlich verschiedene Entenarten – eine davon taucht richtig lange und über weite Strecken – und Blesshühner. Außerdem ein Gänsepaar und einen Ibis jeweils ganz aus der Nähe, aber leider keine Flamingos, die es hier ab und zu auch zu sehen gibt, aber eher in der Dämmerung.

Heute gehen wir auch durch das originelle selbstschließende Tor an den Lago Argentino, wo man bei weniger Wind einen Strandspaziergang hätte machen können.

Um die Mittagszeit verlassen wir ziemlich durchgefroren das Reservat und gehen gleich gegenüber im La Cantina Kaffee trinken. Hier im Haus hinter einer großen Glasscheibe in der Sonne ist es fast schon wieder zu warm, es ist also nur der Wind, der alle frösteln lässt. Sie sammeln hier im Restaurant anscheinend gerne, es hängen etliche Bierkrüge aus deutschen Städten an der Decke, aber es gibt auch mehrere Gitarren, Getränkedosen und Einiges mehr verteilt im Raum.

Nach einem „Umweg“ über die Hauptstraße hin und her (auf der Suche nach einem Nackenkissen für unsere Flüge) gehen wir ins Hotel, wo wir beginnen, die Tage in Buenos Aires zu planen. Gegen vier brechen wir noch einmal auf zum „Centro de Interpretación Histórica Calafate„, einem Museum zur Naturgeschichte Südpatagoniens mit Dinosaurierfossilien bis hin zu menschlichen Artefakten. Es gibt einen Audioguide (mit eigenem Handy und eigentlich Kopfhörern) in verschiedenen Sprachen. An einigen Stellen spricht die künstliche Stimme des Sprechers den deutschen Text US-amerikanisch-englisch aus (bei 0:36 kommt der erste so ausgesprochene Text – wir glauben „hieraus erlernen“, „Vergangenheit“ und „Gegenwart“ zu verstehen), was dann immer etwas schwer zu verstehen ist, besonders weil der deutsche Text offenbar eine Goole-Übersetzung des spanischen Textes ist. Der gesprochene Audioguide ist auch nur ein Überblick – die Details stehen auf etlichen Tafeln, die leider nur auf spanisch sind. Aber die Ausstellung behandelt die gesamte Zeitspanne seit dem Urkontinent Gondwana bis heute und setzt sich auch sehr kritisch mit der Behandlung der Indigenen Bevölkerung Patagoniens auseinander. Es wird unverblümt von Genoziden gesprochen, die hier stattfanden. Und auch Deutsche haben sich hier an Genoziden, Entführungen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt, u.a. wurden in Hagenbecks Völkerschau entführte Menschen aus Patagonien in Berlin und München „zur Schau gestellt“.

Als wir das Museum verlassen, ist es schon fast Abendessenszeit, also gehen wir direkt ins Restaurant „Mako“ – eigentlich vor allem aufgrund des Namens und der Ähnlichkeit mit unserem Nachnamen. Viktor bestellt eine „Promo“ mit Guanaco-Burger und einem inkludierten kleinen Porter-Bier, das sich aber als nicht so leckeres geräuchertes Bier (Smoked Porter) herausstellt. Im Fleisch findet er Knorpelteile und hat ordentlich daran zu kauen. Da Juttas Ravioli sehr übersichtlich sind, wollen wir uns noch einen Nachtisch teilen. Die erste Wahl, Mousse au Chocolat, gibt es heute nicht, die zweite – Tiramisu – auch nicht. Das kennen wir ja schon – wir sind schließlich ziemlich nah am Ende der Welt.
Wir zahlen – nicht ohne dass Viktor noch einen freundlichen Gruß an die Küche ausrichtet und dringend empfiehlt, den Fleischwolf etwas feiner einzustellen, wenn schon der ganze Knorpel mit in den Burger kommt – und gehen statt dessen noch in einer Chocolateria eine heiße Schokolade trinken.

Aus dem Hotelzimmer hören wir abends sehr lange Automotorenlärm vor dem Fenster. Die drinnensitzende Familie scheint mehrere Panchos nacheinander zu bestellen und zu essen – bei laufendem Motor. Viktor versucht es erst rufend, dann geht er nach draußen und bittet darum, dass sie den Motor ausmachen. Statt dessen fahren sie um die Ecke. Kurz danach erklingt erneut Motorenlärm. Als Viktor aus dem Fenster nach unten ruft, lässt der Fahrer den Motor extra ein paar Mal laut aufheulen.

Donnerstag 6.3.25 – El Calafate – Buenos Aires

Der achtletzte vollständige Tag in Südamerika!

Wir stehen um sieben Uhr auf und packen dann alle unsere wenigen Sachen ein, da wir nach dem Frühstück auschecken müssen. Gegen neun Uhr werden wir mit einem PKW zu einer letzten Tour abgeholt: wir reisen in eine unwirkliche Welt – einen versteinerten Wald.

Bis zur Parada La Leona sind wir alleine mit dem Guide Pablo, genannt Pol, und dem Fahrer, dort treffen wir auf vier Kanadier aus Toronto, die mit einem Leihwagen unterwegs sind, und nach einer kurzen Pause fahren wir zunächst über sehr viel Schotter und danach die letzten Kilometer hinter einem verschlossenen Tor auf einem Privatgrundstück bis zum Startpunkt der Wanderung.

Wir blicken uns um. Und sehen „fifty shades of grey“, eine an die Mondoberfläche erinnerde graue, hügelige Wüste. Zu sechst – ein Kanadier fühlt sich nicht wohl (zittert als hätte er Schüttelfrost) und bleibt im Auto – machen wir uns auf den Weg.

Schon bald bekommen wir den ersten Dinosaurierknochen zu sehen, einen Femur (Oberschenkelknochen) im Vergleich zu einem darauf abgelegten Rinder-Femur.

Rinderknochen auf versteinertem (und zersprungenem) Dinosaurierknochen

Pol ist total begeistert vom Wunder der Versteinerung, das uns eine 100%ige Kopie des Ausgangsmaterials liefert, aber eben als Stein. Die Versteinerung beginnt immer von außen und geht nach innen weiter, manchmal mit unterschiedlichen Mineralien, meist Silikat, aber auch Eisen, Kohlenstoff oder Quarz. Alle Formen und Strukturen werden so eins zu eins abgebildet, bei Baumstämmen kann man die Jahresringe zählen, bei Knochen kann man die feinen Trabekel im Inneren erkennen. Selbst die kleinsten Fossilien haben schon ein hohes Gewicht, weil sie eben versteinert sind.

Für eine Mittagspause halten wir an einer Stelle mit „Tisch und Stühlen“ in Form von versteinerten Baumteilen und machen ein Picknik. Ab dort liegen die Bäume nun gehäuft herum. Der letzte Anstieg zum Parkplatz hat es in sich, in Serpentinen geht es steil hinauf. Nach etwa drei Stunden sind wir wieder an den Autos und fahren noch einmal gemeinsam zur Parada La Leona. Dort tauschen wir Telefonnummern, Bilder und Videos mit den Kanadiern, bevor wir in unterschiedliche Richtungen weiterfahren, nicht ohne uns gegenseitig nach Berlin und Toronto einzuladen.

Auf der Rückfahrt überholen wir richtig viele Bikepacker, die heute alle noch lange fahren müssen, bis sie irgendwo eine Übernachtungsmöglichkeit finden werden. Pol bietet in seiner Wohnung und seinem Wohnwagen in El Calafate auch vielen Radfahrenden Unterschlupf (über Air B&B), wird heute sogar noch zwei Pärchen beherbergen. Außerdem sehen wir drei Nandus recht nah und dürfen sie kurz filmen.

Wir werden direkt zum Flughafen gefahren, wo wir um halb fünf ankommen für unseren für 20:25 Uhr geplanten Flug nach Buenos Aires. Die Anzeigetafel zeigt leider schon eine Verspätung an. Wir setzen uns ins Café „Coffee is in the air“ und warten… Um 19 Uhr heißt es, wir fliegen um 21:45, mal schauen. Außerdem investieren wir in einem Souvenirshop am Flughafen doch noch in ein Nackenkissen für den Flug, da mit Juttas Nacken nicht zu spaßen ist. Viktor lädt die Bilder und Videos des Tages auf den WordPress-Server und auf YouTube hoch. Jutta beginnt schon mal mit dem heutigen Blog-Beitrag.

Irgendwann erledigen wir unseren Check-In und bestellen uns Burger, mittlerweile zeigt die Anzeigetafel für unseren Abflug eine Zeit nach 22:00 Uhr. Da wir den Securityleuten nicht den Feierabend vermiesen wollen, gehen wir schon einmal durch die Sicherheitskontrolle und setzen uns in den Abflugbereich. Dort finden wir eine Steckdose, in die unsere Ladegerät mit europäischem Stecker passt, laden Viktors Mobiltelefone und schreiben weiter am Blogbeitrag.

Es wird spät … um 22:00 Uhr hängen wir immernoch am Flughafen El Calafate fest. Um etwa 20 nach zehn landet unsere Maschine, bis wir wieder abfliegen, ist es fast 23 Uhr. Um zehn vor zwei landen wir am EZE an einer Außenposition, haben zum Glück nur unser Handgepäck und können gleich zum Taxistand. Beim Bestellen eines offiziellen Taxis wird hier am Flughafen im Vorraus ein fester Preis – egal, wohin in der Stadt – bezahlt, und auch hier werden 10% aufgeschlagen, wenn man mit Karte zahlt.

Um drei Uhr werden wir an der Adresse abgesetzt, finden schnell den an einem Mülleimer am Straßenrand befestigten Schlüsseltresor und gelangen problemlos in das Apartment im vierten Stock. Noch schnell eine Nachricht an die Vermieterin, dass der Techniker für die defekte Klimaanlage bitte noch nicht um neun Uhr kommt, wie vorgeschlagen, und dann schnell ins Bett.

Freitag 7.3.25 – Buenos Aires

Der siebtletzte vollständige Tag in Südamerika!

Um acht Uhr morgens kommt eine laut trommelnde und grölende Demonstration durch unsere Straße und weckt uns. Jutta steht auf, Viktor dreht sich noch einmal um und schläft noch eine ganze Weile weiter.

Wir haben heute erst für nachmittags unsere erste Free Walking Tour gebucht. Der Techniker für die Klimaanlage soll zwischen 12:00 und 12:30 Uhr kommen. Also geht Jutta erst ziemlich spät zum Dia-Markt und besorgt ein paar Dinge zum Frühstück, wir frühstücken und warten auf den Handwerker. Hierbei erfahren wir, dass es in der letzten Nacht nur auf 27°C abgekühlt ist, es die weiteren Nächte aber besser werden soll. Der Unterschied zwischen der Kälte Patagoniens und hier hätte also kaum größer sein können.

Als um 12:45 Uhr immer noch niemand gekommen ist, schreiben wir der Vermieterin, dass wir nicht länger warten und den Schlüssel in den Tresor legen. Dann fahren wir mit der U-Bahn (Subté = Subterráneos) schon einmal in die Nähe des Nationalkongresses, wo die Tour losgehen soll, laufen ein wenig durch die Straßen, immer auf der Schattenseite, gehen ins Café Martinez, laufen weiter, bis es kurz vor drei ist.

Die beiden Guides schicken alle ankommenden Touris um die Ecke in den Schatten – selbst sie sagen, dass es ungewöhnlich heiß ist. Dann wird eine kleine spanischsprachige und eine sehr große englischsprachige Gruppe gebildet. Unser Guide ist Martin (Wasserman mit Nachnamen), ist in Buenos Aires geboren und hat offenbar deutsche Vorfahren. Wir bekommen eine sehr engagierte und in Teilen auch emotionale und humorvolle Führung durch das Stadtzentrum.

Er geht besonders auf den Palacio Barolo, den Denker und die Madres de la Plaza de Mayo ein. Besonders emotional wird es, als er erzählt, dass die Abuelas de la Plaza de Mayo es geschafft haben, über 100 während der Militärdiktatur von 1976–1983 zwangsadoptierte Kinder wieder in Kontakt mit ihren leiblichen Großmüttern zu bringen. Dazu wurde eines der besten DNA-Labore der Welt in Buenos Aires aufgebaut und zweifelnden Kindern aus Militär- und Polizeifamilien (die damals in der Regel die Adoptiveltern wurden) die Möglichkeit gegeben, ihre DNA mit der von „Großmüttern“ abzugleichen, deren schwangere Töchter damals spurlos verschwanden. Diese wurden nach der Geburt ihrer Kinder von der Militärdiktatur exektuiert und die Kinder zwangsadoptiert.

Auch den Peronismus erklärt uns der studierte Soziologe Martin auf unnachahmliche, wenn auch extrem vereinfachende Art, besonders die Tatsache, dass der Peronismus sowohl von der extremen Linken als auch von der extremen Rechten abgelehnt wurde. Die extremen Linken wollten eine marxistische Revolution mit Produktionsmitteln in Arbeiterhand statt im Privateigentum, die extremen Rechten wollten keinerlei staatliche Interventionen und ein freies Aushandeln der Arbeitsbedingungen ohne Streikrecht und Gewerkschaften, die unter Peron legalisiert wurden (allerdings erst nach der Verhaftung einiger Gewerkschaftsführer).

Ebenfalls erwähnt werden auf der Tour die Todesflüge während der letzten Militärdiktatur, bei denen politische Gegner nach Erhalt einer Betäubungsspritze aus großer Höhe über dem Rio de la Plata abgeworfen und so ermordert wurden. Der „Erfinder“ dieser Flüge, Adolfo Scilingo, sitzt in Spanien in Haft.

Am Emotionalsten wird Martin, als es um den Obelisken geht: Auf dem Platz am Obelisken treffen sich spontan die Menschen, wenn es etwas zu feiern gibt, und 2022 nach der Fußball-Weltmeisterschaft waren es 5 Millionen, die den neuen Weltmeister feierten. Und dann erzählt er, wie wichtig der Fußball in diesem Land ist, mit einer wahnsinnigen Inbrunst. Er ist Anhänger das Fußballvereins River Plate, einem der beiden beliebtesten Vereine Argentiniens, zusammen mit den Boca Junios. Beide Vereine sind aus Buenos Aires und die Rivalität zwischen ihnen ist enorm. Die Spiele zwischen den beiden werden Superclasico genannt und sind das bekannteste Stadtderby der Welt. Martin erzählt von dem wichtigsten Derby, bei dem es 2018 sogar um die Copa Libertadores ging, also den Südamerika-Pokal, der vergleichbar mit der Champions League in Europa ist. Das Rückspiel des Finales musste in Madrid ausgetragen werden, weil die Sicherheit in Buenos Aires nicht gewährleistet werden konnte. Er erzählt mit besonderem Grinsen von den „toten Augen“ der Boca Fans, die er nach dem Sieg seiner River Plate Mannschaft so sehr genossen habe.

Zu guter Letzt empfiehlt uns Martin noch den Film „Argentinien, 1985 – Nie wieder“ und sein eigenes Videoprojekt „La Biografia de Dios“ über das alte Testament und wer es geschrieben haben könnte.

Abendessen gehen wir in der Panera Rosa, die „Rosa Brotkammer“ (nicht zu verwechseln mit Pantera Rosa = rosaroter Panter), wie sich herausstellt eine Restaurant-Kette, die es auch in Spanien, Uruguay, Chile und Paraguay gibt.

Samstag 8.3.25 – Buenos Aires

Der sechstletzte vollständige Tag in Südamerika!

Die Nacht ist ziemlich unruhig, denn draußen scheint es richtig heftig zu regnen und zu stürmen. Wie wir später während der ersten Tour des Tages erfahren, waren die letzten 14 Tage in der Region Buenos Aires von großen Temperturschwankungen, Starkregen und Sturm geprägt. Überall liegen abgerissene Äste herum und einige Parks sind gesperrt, weil Aufräumarbeiten erforderlich sind. In der Hafenstadt Bahia Blanca (ca. 600 km südlich) gab es bei Überschwemmungen sogar Todesopfer.

Die Wetter-App schreibt, dass es heute zehn Grad Celsius kälter als gestern ist und wird. Kalt es es trotzdem nicht – wir nehmen nur vorsichtshalber die Regenjacken und langen Hosenbeine unserer multifunktionalen Hosen mit. Da die Free Walking-Tour in den Vierteln Recoleta & Retiro erst um halb elf statt wie (von Jutta) vermutet um zehn beginnt, sind wir schon etwas früh am Treffpunkt, dem Teatro Colón, weshalb wir die Zeit nutzen, im nahegelegenen Café Petit Colón einen schnellen Kaffee zu trinken. Man kommt sich ein wenig wie in Paris vor, allerdings ist der Kaffee hier wieder einmal so stark geröstet, dass Viktor nach dem Süßen (was er sonst nie benötigt) ein noch nie dagewesenes Geschmackserlebnis hat: viel zu bitter und gleichzeitig viel zu süß.

Nahuel ist der Guide für die wieder sehr viel gößere englischsprachige Gruppe. Wegen seines „schwierigen“ indigenen Namens hört er auf mehrere andere Namen, unter anderem Jenny, wie er sich heute mehrfach auch selber nennen wird. Die erste Erklärung gibt es zum Teatro Colón, einem Theater und Opernhaus mit einer der besten Akustiken der Welt. Plácido Domingo, Luciano Pavarotti und andere haben dieses bestätigt. Fast nebenan befindet sich das Teatro Cervantes, nur ein weiteres der sehr vielen Theater hier in der Stadt.

Dann bekommen wir etwas über die Geschichte des Landes zu hören. Es gab eine Zeit, als innerhalb von nur 20 Jahren die Bevölkerung der Stadt Buenos Aires von 200.000 Menschen auf 1,5 Millionen Menschen gestiegen ist – durch Einwanderer aus vielen Europäischen Ländern, vor allem Italien und Spanien. Und da alle Einwanderer ihre Architektur und Kultur (besonders die Musik) mitbrachten, hat Argentinien heute eine so vielfältige Kultur.

Aus der Kolonialzeit findet man hier nur noch vereinzelte Gebäude. Statt dessen finden sich hier in Recoleta eher prunkvolle Villen im Pariser Stil, weshalb es auch das Paris Argentiniens genannt wird. Als die Patrizierfamilien die Häuser während der Weltwirtschaftskrise nicht halten konnten, wurden viele von Staaten gekauft. Heute sind in diesem Viertel die Botschaften vieler Länder.

Wir gehen weiter ins Viertel Retiro. Dieses heißt so, weil es zunächst die Ruhestends – oder Urlaubsresidenzen der Reichen waren – es lag damals noch auf der anderen Flussseite. Während der Gelbfieberepedemie wollte man der engen Innenstadt entkommen und zog permanent dorthin – damals war es eine große Entfernung, von der man dachte, dass die Mücken sie nicht zurücklegen. Es wurde immer mehr Land dem Fluss abgewonnen. Ein Block macht über die gesamte Strecke eine Steigung nach unten – hier war vor der Landgewinnung das Ufer.

Die Tour endet an einem Platz vor dem Recoleta-Friedhof, wo der älteste Baum der Stadt steht (bzw. botanisch gesehen ist es ein australischer Busch – die Gomera de la Recoleta). Die Äste werden teilweise von Metallstützen getragen, an einem Ast schultert eine Atlas-Skulptur einen dicken Ast – oder die ganze Erde.

Atlas

Um halb zwei endet die Tour. Wir wollen mit dem Bus in die Nähe des Hafens fahren, wo um drei die Nachmittagstour beginnt. Immerhin gibt es Bushaltestellen mit angeschlagenen Linien in der Stadt, das wollen wir ausnutzen. Nach etwas Suchen finden wir die richtige Station und winken auch brav zwei passenden Bussen, die leider nicht anhalten, aus welchem Grund auch immer. Erst der dritte lässt uns einsteigen. Langsam wird die Zeit knapp!

Nach relativ kurzer Fahrt sind wir da und gehen dorthin, wo es mehrere Cafés geben soll. Die ersten scheinen nur wochentags geöffnet zu haben, aber immerhin gibt es ein geöffnetes Starbucks, das uns eine kurze Stärkungspause ermöglicht.

Um 15 Uhr treffen wir vor dem Kulturzentrum Kirchner auf die Guide Paloma und eine relativ kleine Gruppe. Diese Tour durch den Puerto Madero gibt es nur in spanischer Sprache. Dieser Hafen wurde in den 1880-er Jahren gebaut, weil der erste, weiter südlich liegende Hafen (Boca), zu klein für den wachsenden Schiffsverkehr geworden war. Eduardo Madero, der keinerlei Erfahrung mitbrachte, aber wohl der Schwiegersohn des Präsidenten war, durfte ihn bauen – und nach ihm ist er benannt. Schon 40 Jahre später waren die Schiffe zu groß für die engen Einfahrten, und weiter im Norden wurde ein größerer, neuer Hafen gebaut, diesmal von dem Mann, der Madero seinerzeit im Wettbewerb unterlegen war (Luis Huergo). Dieser kammförmige Hafen erfüllt auch heute noch zuverlässig seinen Dienst.

Wir gehen über die Puente de la Mujer und bekommen den Drehmechanismus erklärt (wie bei der Kaiser-Wilhelm-Brücke in Wilhelmshaven ;-)). Santiago Calatrava, der die Brücke entworfen hat, stammt aus Valencia und hat unter anderem erklärt, dass sie ein tango-tanzendes Paar darstellen soll. Unsere Guide gibt sich alle Mühe, die Linien der Brücke mit Tangopositionen darzustellen, aber so ganz klar wird es uns nicht.

Jetzt sind wir im neuesten Wohnviertel von Buenos Aires mit lauter luxuriösen Hochhäusern und bekommen zum Beispiel das gezeigt, in dem das Penthouse keinem Geringeren als Messi gehört. Auf der Promenade gab es Skulpuren von ihm und anderen Berühmtheiten, aber nachdem sie in Teilen oder ganz geklaut wurden, hat man sie abgebaut, und es gibt nur in den Boden eingelassene Erinnerungssteine – eine Art Walk of Fame.

Wir machen eine kleinen Zwischenstopp an einem Denkmal für den Tango, dessen wichtigstes Instrument das Bandoneon ist, das in Deutschland erfunden wurde, und in dem Denkmal dargestellt wird. Der Tango ist im Großraum „Rio de la Plata“ in Buenos Aires und Montevideo entstanden. Er ist aus einer Mischung sehr vieler unterschiedlicher Tanz- und Musikrichtungen enstanden und ist damit ein typisches Multi-Kulti-Produkt der Einwandergeschichte von Buenos Aires.

Wir schließen gegenüber der Reserva Ecológica de Buenos Aires. Hier befand sich bis 1960 eine große Badeanstalt, die dann aufgrund der starken Kontamination des Flusses geschlossen werden musste. Der Bauschutt besonders des Autobahnbaus von Buenos Aires wurde im Fluss versenkt, um dort ein neues Regierungsviertel bauen zu können. Dieses Projekt wurde 1984 fallengelassen, da der Boden nicht ausreichend stabil war. Seitdem hat sich die Natur dieses gewonnene Land erobert, und heutzutage findet man dort eine vielfältige Flora und Fauna. Nur ist der Eintritt gerade heute wegen des nächtlichen Unwetters verboten – vielleicht kommen wir an einem anderen Tag noch einmal wieder.

Wir laufen zur Enthaltestelle unserer Metro und fahren zu unserer Station „Dorrego“. Dort gehen wir im Condarco essen, auch wenn es die eigentlich von Viktor avisierten Gerichte um diese Zeit nicht gibt, sondern nur Kleinigkeiten, denn die online gefundene Abendkarte ist erst ab 20 Uhr gültig. Wir teilen uns eine spanische Tortilla und ein Sandwich mit Kimchi, müssen relativ lange darauf warten und sind aber überraschend zufrieden damit.

Im Appartment schaffen wir heute nicht mehr viel.

Sonntag 9.3.25 – Buenos Aires

Der fünftletzte vollständige Tag in Südamerika!

Nach einer ruhigeren Nacht frühstücken wir in aller Ruhe, denn wir haben erst für 11 Uhr eine Free Walking Tour im Viertel San Telmo reserviert. Wir entdecken auf dem Milch-Tetrapack den argentinischen Impfkalender und sind überrascht, was man so alles auf Tetrapacks unterbringen kann.

Impfkalender auf Milchtüte

Gegen 10 Uhr machen wir uns auf den Weg, und es wird fast ein wenig knapp, denn sonntags fährt „unsere“ U-Bahn-Linie scheinbar nur alle 10 Minuten. Der Fahrpreis, der von unser SUBE-Karte abgebucht wird, ist schon wieder höher als in den vergangenen Tagen. Heute sind es 1.500 Pesos. So ein Land mit galoppierender Inflation bietet schon ganz besondere Erfahrungen. Dabei war die Inflation im vergangenen Jahr schon deutlich niedriger, z.B. nur noch 84,5% (Februar 2025 gegenüber Februar 2024) im Vergleich zu zeitweise über 200% in den Jahren davor.

Die U-Bahn ist hier in Buenos Aires schon ziemlich in die Jahre gekommen. Während der Fahrt hat man das Gefühl, dass sie beim Anfahren und Abbremsen nur die Zustände „An“ und „Aus“ kennt. Es ist ein ständiges Rucken, das uns im Stehen immer wieder vor- und zurückschwanken lässt. Sanftes Beschleunigen und Abbremsen scheint hier völlig unmöglich, vermutlich gibt es die Technik einfach nicht her. Viktor wird daran erinnert, dass die zeitliche Ableitung des „Weges“ (m) die „Geschwindigkeit“ (m/s) ist, die zeitliche Ableitung der „Geschwindigkeit“ (m/s) die „Beschleunigung“ (m/s²), und die zeitliche Ableitung der „Beschleunigung“ (m/s²) der „Ruck“ (m/s³). Jede Änderung der Beschleunigung erzeugt also immer einen Ruck. Die zeitliche Ableitung des „Rucks“ ist übrigens der „Knall“.

Die Walking Tour beginnt am Rande des Viertels San Telmo an der Kirche San Ignacio de Loyola, die als eine der ersten Kirchen von Buenos Aires von den Jesuiten erbaut wurde. Unter uns befindet sich noch das Tunnelsystem, dass in der Kolonialzeit von den Spaniern errichtet wurde. Man sagt, dass die Schüler des Collegs nebenan „die Ratte gemacht“ haben, wenn sie schwänzen wollten, weil sie sich – wie die Ratten – in die Tunnel statt in die Schule begeben haben.

In San Telmo sind die Straßen am Sonntag ziemlich voll und wir wundern uns, dass diese Tour nur einmal in der Woche und dann gerade am Sonntag angeboten wird. Am Ende ist es auch gar keine Free Walking Tour, denn wir zahlen jeder 10 US-$ und nicht – wie bei einer Free Walking Tour üblich – einen selbst gewählten Betrag, der bei uns meist höher als diese 10 US-$ ausfällt. Unser Guide ist Juan, der uns sehr engagiert durch das Viertel führt und sogar die Stimmen von Comic-Figuren imitiert, die hier an vielen Stellen am Straßenrand stehen. Die wichtigste davon ist Mafalda, die in der ganzen spanischsprachigen Welt sehr bekannt ist und hier in Buneos Aires „geboren“ wurde. Ihre Figur am Straßenrand ist jedoch sonntags so belagert, dass wir nicht mal nah genug herankommen, um sie zu sehen.

Mafalda

Unsere Tour endet auf der sonntäglichen Feria de San Telmo, einem Antiquitätenmarkt auf der Plaza Dorrego, der es mit seiner Einführung 1957 geschafft hat, den Abriss des gesamten Stadtviertels zu verhindern, weil es durch den Markt neuen touristischen Zulauf gab. Heute ist es eines der beliebtesten Stadtviertel mit hohen Immobilienpreisen.

Schon heute morgen hatten wir uns vorgenommen, wenigstens eine der beiden Eis-Einladungen „abzuarbeiten“, die wir noch in „Reserve“ haben. Hier in Buenos Aires ist es wenigstens wieder warm genug, so dass wir auch Appetit auf Eis haben. Allerdings ist ja Argentinien das Land, in dem sie zwar die Eissorte „Banana Split“ kennen, aber nicht unbedingt den Banana Split, der aus drei Kugeln Eis auf einer der Länge nach geteilten Banane besteht. Während der Walking Tour ist Viktor schon in einige Eisläden gesprungen und hat vergeblich nach „Copas de Helado“ und Banana Split gefragt. Überall wird das Eis nur in Wegwerfbechern oder Waffeln serviert, aber nicht im Glasbecher. Bei Google finden wir La Veneciana am Puerto Madero, und auf den Fotos sind Eisbecher in Glasschalen zu sehen. Und tatsächlich erhalten wir dort sogar Banana Split, es gibt sogar zwei Varianten mit gleichem Namen. Wir bedanken uns herzlich bei den treuen Lesern und Spendern – Familie Rühle aus Hohen Neuendorf.

Mit herzlichem Dank an Familie Rühle

Viktor hat schon den ganzen Tag über Kopfschmerzen und es kommen links am Nachmmittag auch noch Ohrenschmerzen hinzu. Die Schluckbeschwerden der letzten Tage scheinen nun doch langsam dorthin zu wandern, wo es ungemütlich wird. Also machen wir uns nach dem Banana Split auf den Rückweg in unsere Wohnung, wo er eine Ibuprofen einehmen und sich für zwei Stunden hinlegen kann, während Jutta an den Blog-Beiträgen der letzten Tage arbeitet, die noch nicht ergänzt und korrigiert waren.

Für das Abendessen finden wir nur ein geöffnetes Restaurant in der Gegend, das La Farola de Dorrego. Für die Speisekarte müssen wir – wie so oft – einen QR-Code einscannen. Gedruckte Speisekarten ergeben in einem Land mit hoher Inflation auch wenig Sinn, hier müssen die Preise schließlich wöchentlich erhöht werden.
Da wir nur ein Telefon ohne Internetzugang dabei haben, benötigen wir das Passwort für das WIFI im Lokal, um die Speisekarte aufzurufen. Die Bedienung wiederholt mehrfach für Viktor das Passwort „Corriente 6196 – todo minuscula“, also „Corriente 6196 – alles in Kleinbuchstaben“, aber es will auch nach mehrmaligem Nachfragen und Eintippen nicht funktionieren. Beim allerletzen Nachfragen steht zum Glück ein Kollege unserer Bedienung in der Nähe und sagt „Corrientes – no te trages la ‚S‘ !“ , also „Corrientes – verschluck doch nicht das ‚S‘ !“. 😉 Ja so ist das hier in Argentinien und besonders in Buenos Aires. Das Spanisch, das hier gesprochen wird, erinnert stark an Südspanien, wo das „S“ am Ende der Worte auch oft weggelassen wird, z.B. „Vamo!“, statt „Vamos!“. Jedenfalls funktioniert das Passowrt „corrientes6196“ natürlich auf Anhieb. Wir bestellen uns zwei Pizzen, die fett mit Käse belegt sind und auf jeden Fall gut sättigen.

Bei der Rückkehr in die AirBnB-Wohnung dokumentieren wir noch unser Eintreten am Hauseingang. Das Sicherheitssystem ist so geschaltet, dass man nur circa 3 Sekunden Zeit hat, um die Tür wieder zu schließen, bevor ein ohrenbetäubender Alarmton losgeht. Wir schaffen es nur jedes zweite Mal, schnell genug zu sein, aber diesmal gelingt es.

Der abendliche Versuch, auf Amazon Prime den Film „Argentinien 1985 – Nie wieder“ anzuschauen schlägt fehl. Die Amazon Prime App behauptet, der Film sei „derzeit nicht verfügbar“ … was auch immer das genau bedeuten mag. Später (also jetzt beim Schreiben dieser Zeile) bemerken wir, dass wir den Film auf dem Laptop problemlos anschauen könnten, aber da stecken wir schon mitten im Blog-Schreiben.