Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 25 (16.9.24 – 22.9.24 Pasto – Quito

Montag 16.9.24 – Pasto – Ipiales (Busfahrt) (2.950 m ü. d. M.)

Im Bus

Als morgens der Wecker klingelt, schlägt Viktor vor, hier und heute einen Bus nach Ipiales zu nehmen, statt noch einen Tag mit 700 Höhenmetern zu fahren, zumal das Wetter kalt und nass ist. Jutta stimmt sofort zu. Wir packen alles ein, frühstücken in einer Mais-Panaderia um die Ecke und fahren dann zum Busterminal, zu dem wir wieder einmal hinter einem Moped her fahren dürfen, weil Google uns durch eine gefährliche Gegend schicken würde und ein hilfreicher Kolumbianer uns rechtzeitig abfängt.

An den Ticketschaltern kann man uns nicht helfen, wir sollen bei den von weiter her kommenden Bussen (Cali, Medellin) warten und fragen, wer uns mitnimmt. In einer Wartehalle machen wir das Tandem transportbereit (also kleiner) und uns bereit zum Warten. Um acht waren wir am Terminal, ab 20 nach warten wir auf den passenden Bus. Eine Terminalmitarbeiterin will sich für uns darum kümmern. Der erste Fahrer, den sie fragt, lehnt ab, der zweite schlägt vor, das Tandem hinten in seinen kleinen Bus unter die Sitze zu legen, was wir ablehnen, und um kurz nach neun gibt es einen Bus mit nur 18 Sitzplätzen, aber einem Gang dazwischen, in den wir das Rad stellen dürfen.

Und so fahren wir für ein kleines Geld um halb zehn los nach Ipiales. Beim Aufstieg überholen wir einen Bikepacker, der sich bei dem nassen, kalten und sehr stürmischen Wetter dort hochkämpft (aber gerade pausiert). Wir sind froh, dass wir die Entscheidung mit dem Bus getroffen haben. Und schon um viertel nach elf machen wir das Tandem in Ipiales wieder fahrbereit. Leider ist die Steckverbindung für die Lichtkabel, die immer getrennt werden muss, wenn Juttas Sitz abmontiert wird, heute kaputt gegangen, und wir haben kein Licht mehr.

Mit warmen und wasserdichten Jacken fahren (und schieben) wir zum Hotel, das wir unterwegs aus dem Bus reserviert haben, und beginnen zu lachen, als wir dort ankommen. Vor dem Hotel steht ein Motorrad, dass wir gestern abend und heute morgen schon auf dem Parkplatz des Hotels in Pasto gesehen haben, ohne dass wir die dazugehörigen reisenden Neuseeländer gesehen haben. Diese sind aber soeben auch angekommen und erkennen das Tandem natürlich auch. Per Zufall sind wir wieder im selben Hotel untergekommen. Sie sind mit dem Motorrad hier hochgefahren und sagen, solch einen schlechten Tag (wettermäßig) hatten sie noch nicht auf der ganzen Tour (unterwegs seit Juli). Sie fragen uns noch, wann wir denn in Pasto losgeradelt wären und wir klären den Irrtum auf, auch wenn einer von uns kurz mit dem Gedanken spielt, sie in dem Glauben zu lassen, wir hätten diese schwierige Strecke an einem einzigen Vormittag (statt geplanter drei Tage) geschafft.

Wir checken um 12 Uhr ein und machen erst einmal eine Mittagsruhe. Schließlich müssen wir uns an die knapp 3.000 Meter Höhe gewöhnen und die heftigen Bergetappen stecken uns auch noch in den Knochen. Jutta schreibt schon mal ein wenig weiter am Blog, denn wir haben einiges aufzuholen.

Kurz nach 15 Uhr machen wir den ersten Spatiergang durch den Ort, besichtigen kurz die Kathedrale „San Pedro Martir“ und gehen einen Kaffee trinken. Das „Coffee Muna“ liegt in einer kleinen Shopping Mall und hat beim „corporate identity“ voll auf das Thema Katzen gesetzt. Wir entdecken dort im Spiele-Regal ein Spiel aus 2015/2019, bei dem man die schönsten Verschwörungstheorien entwickeln könnte.

Besondere Dose für das Trinkgeld

In einer Ferreteria kaufen wir Steckverbinder (Flachstecker) für die Reparatur des Lichtes, in einem „Hyper“markt Getränke, Müsliriegel und andere Verpflegung für die nächsten Etappen. Und in einem Kleintier-Zubehörgeschäft erhalten wir auch endlich eine dieser Ultraschall-Pfeifen, mit denen wir in Ecuador und Peru versuchen wollen, die Hunde abzuschrecken, die dort besonders lange bellend und nach Unterschenkeln schnappend hinter Radfahrenden herlaufen sollen, so berichten es jedenfalls andere Radreisende in der Südamerika-WhatsApp-Gruppe „Cycling South America“.

Apropos Whats-App: Heute erreicht uns noch die Nachricht, dass das Facebook-Video mit dem kurzen Interview an der Panamericana schon über Ecuadoriansche Geflüchtete eine Erstaufnahme-Einrichtung in Deutschland erreicht hat.

Wir bringen die Einkäufe ins Hotel zurück, Viktor repariert noch schnell im Hellen das Licht am Tandem und nach einer kurzen Verschnaufpause geht es los zum Abendessen. „Verschnaufpause“? – ja, man merkt die knapp 3.000 Meter doch ein wenig. Die könnten übrigens auch der Auslöser für den leicht erhöhten systolischen Blutdruck sein, den Viktors Smartwatch neuerdings feststellt.

Dienstag 17.9.24 – Ipiales & Las Lajas (Ruhetag)

Nach einer ziemlich kühlen Nacht im Hotelzimmer ohne Heizung (aber mit drei Decken), wir schätzen circa 16 °C Zimmertemperatur, haben wir uns heute einen Besuch des Marienwallfahrtsortes „Las Lajas“ vorgenommen, der ganz in der Nähe liegt und mit dem Sammeltaxi gut erreichbar ist. Die Nacht ist nicht nur kühl, sie scheint auch irgendwie sauerstoffarm. Viktor wacht immer mal wieder auf und muss ein paar tiefe Atemzüge machen, bevor er wieder einschlafen kann. Keine Ahnung, ob das von der Höhenluft oder eventuell doch vom Schnarchen kommt, das aber auf dieser Tour dank des Gewichtsverlustes eigentlich nachgelassen hat.

Jutta hat zum Frühstück eine kleine Mais-Panadería mit Café ausgesucht, die sich als als nettes kleines Lokal entpuppt. Viktor verzichtet heute mal auf den Kaffee und trinkt Kakao (von wegen Butdruck und so). Wir essen dazu leckere Maisbrötchen.

Nach kurzem Aufenthalt im Hotel (am Toilettenspülkasten ist etwas kaputt und wir geben das weiter) geht es zu Fuß zur Abfahrstation der Sammeltaxis nach Las Lajas. In der beschriebenen Straße werden wir sofort angesprochen und mit uns ist der Minibus dann auch voll. Die Fahrt dauert keine Viertelstunde.

Wir werden entgegen der Aussage des Hotelbetreibers nicht an der Gondelstation, sondern direkt in Las Lajas ‚rausgelassen. Zur Basilika geht es an vielen Souvenirgeschäften vorbei über sehr viele Stufen und Rampen abwärts. Erst als wir fast dort sind, erblicken wir diese an einem Fels gebaute Kirche. Innen findet wohl auch hier ein Gottesdienst nach dem anderen statt, so dass wir nur von hinten einen Blick auf die Felswand mit der Maria werfen können. Auf dem Gelände gibt es aber mehrere Wege, die wir nutzen: zum Wasserfall, unten am Fluss entlang, zu Aussichtspunkten. Außerdem gehen wir in das Museum, dass unter dem als Kirche genutzen Teil liegt, und schauen uns etwas über die Geschichte dieser neugotischen Basilika an. Anschließend sparen wir uns die Fahrt mit der Seilbahn, weil wir meinen, schon alles gesehen zu haben.

Nach dem Aufstieg in den Ort finden wir ein Café mit Espresso-Maschine und trinken noch einen Kaffee in Las Lajas, dann fahren wir mit dem Sammeltaxi zurück nach Ipiales. Der Fahrer hat seinen kleinen Sohn auf dem Beifahrersitz und guckt immer wieder auf das ihm hingehaltene Handy, und das auf der kurvigen Straße. Wir kommen trotzdem heil wieder an. Puh!

Im immer noch kalten Hotelzimmer arbeiten wir am Blog-Update, updaten die Google-MyMaps Karte, suchen und buchen (auch in Ecuador anscheinend üblich per WhatsApp) für morgen in San Gabriel, unserem ersten Zielort in Ecuador, ein Zimmer. Das Zahlungsmittel in Ecuador ist seit dem Jahr 2000 der U.S.Dollar, und wahrscheinlich hat das preiswerte Leben jetzt erst einmal wieder ein Ende. Das Zimmer (im Hostal) kostet uns soviel wie zwei Nächte hier in Kolumbien.

Wir haben noch einige Kolumbianische Pesos und wollen sie möglichst noch ausgeben, also gehen wir noch einmal los, kaufen allerdings nur noch Wasser und trinken einen heißen Kakao. Zum Abendessen haben wir gestern einem Jungen in der Parallelstraße zugesagt, dass wir heute in dem Burgerladen seines Vaters essen werden. Als wir allerdings dort ankommen, sind alle Rolläden heruntergefahren. Im Laden gegenüber sagt man uns, dass er eigentlich geöffnet sein müsste, aber an manchen Tagen einfach geschlossen bleibt. Viktor versucht noch, per WhatsApp dort nachzufragen, aber letztendlich gehen wir in ein Restaurant, das einem Türken gehört (aber keinerlei Türkisches Essen auf der Karte hat). Es stehen Wasserpfeifen in einer Vitrine und hängen Arabische Schriftzüge an den Wänden, weshalb wir uns überhaupt erkundigen, woher der Besitzer kommt.

Mittwoch 18.9.24 – (097) – Ipiales – San Gabriel (2.860 m ü. d. M.)

1.066m bergauf

Gesamt: 5.869,23 km

Sobald der Hotelbetreiber gegen sieben Uhr ins Haus kommt, holen wir das Tandem vom Parkplatz vor die Hoteltür und bepacken es. Mit langen, mehrschichtigen Klamotten, Mütze und Handschuhen verlassen wir Ipiales, die gut drei Kilometer bis zur Grenze geht es bergab, und wir frieren trotz der vielen Kleidung.

Vor der Grenze lassen wir das Tandem bei Security-Männern stehen und gehen in einem Hotel frühstücken. Noch nie war es so gut, heißes Rührei mit Reis und Banane zu frühstücken – wenn es draußen 4 bis 5°C ist, wie wir erfahren, schmeckt das einfach besser. Garmin zeigt am Abend für den Zeitpunkt unserer Abfahrt in Ipiales sogar 2,8 °C an.

Unsere letzten Pesos tauschen wir vor der Grenze in U.S.Dollar, denn wir brauchen sie ja nicht aufzubewahren. Der Grenzübergang mit beiden Migrationsbüros dauert etwa 45 Minuten. Für die Einreise nach Ecuador haben wir extra unsere Führungszeugnisse mit Apostille dabei, sie sind aber (schon seit einigen Monaten) nicht mehr nötig. Völlig umsonst für teures Geld in Deutschland beantragt…

Am Einreiseschalter von Ecuador hinterlassen wir an einer Scheibe mit sehr vielen Aufklebern auch unseren – neben dem von den Neuseeländern, die wir in Pasto und Ipiales getroffen haben. Hier stehen auch Schautafeln für Geflüchtete mit Routen durch Ecuador und den drei unterschiedlichen Klimazonen hier: Amazonas, Sierra und Costa. Wir sind zunächst in der Sierra unterwegs, wo es am kältesten ist.

Um zwanzig vor zehn Uhr steigen wir im zehnten von uns bereisten Land auf’s Rad, und natürlich geht es bergauf. Wir haben uns eine Strecke auf einer Fahrradstraße ausgesucht, die „Via del Ciclista“, die auf 5,8 km von einer Höhe von ~3000m auf 3330m ansteigt, und an der immer wieder Schilder von Ecuadorianischen Radfahrgrößen mit ihren Erfolgen hängen. Es ist zwar ziemlich steil und anstrengend, wieder müssen wir an zwei Stellen schieben, aber es ist so toll, nach langer Zeit wieder einmal zu fahren, ohne die Straße mit PKW, Bussen und LKW teilen zu müssen. Kurz vor dem Pass gibt es einen Aussichtspunkt mit Radfahrerstatue (Mirador del Ciclista), wo wir eine Pause machen.

Als es wieder bergab geht, will Komoot uns wieder mal irgendwo links ab schicken, wo es nicht einmal einen Weg gibt – wir bleiben auf der Straße, kommen dann zwar schneller auf die Hauptstraße zurück, haben dafür aber Asphalt. Und eine sehr lange Abfahrt.

In Julio Andrade halten wir an einer kleinen Panaderia, bei der wir klingeln müssen, damit uns geöffnet wird. Wir unterhalten uns mit der Bedienung, die sich sehr viel über Anne Frank angelesen hat. Bevor wir weiterfahren, laden wir sie zu uns nach Hause ein, falls sie einmal nach Deutschland reisen sollte.

Im nächsten Ort, San Pedro de Huaca, fahren wir von der Panamericana ab, um uns die Wallfahrtskirche dort anzuschauen, die uns in der Panaderia ans Herz gelegt wurde. Leider ist sie gerade eingerüstet und verschlossen, aber wir können durch Gitter hineinschauen.

Weiter geht es bis San Gabriel, und wieder haben wir die Steigungen am Ende nicht vorher im Blick gehabt, weil sie im Höhenprofil des Tages einfach untergegangen sind. Um viertel nach zwei checken wir im Black House Hostal ein, zu dem es innerhalb des Ortes auch noch gut bergauf geht. Viktor hatte zwar vorgehabt, das Tandem in den Graben zu werfen, wenn es auf den letzten Kilometern noch einmal bergauf geht, glücklicherweise kommen wir (aufgrund fehlender Gräben) heile an.

Nach einer heißen Dusche und längerer Pause mit Planung des morgigen Tages gehen wir in den Ort, suchen erst ein Restaurant auf, in dem es Meerschweinchen (Cui asado) gibt (Viktor ist interessiert), befinden das Lokal aber als nicht sehr einladend. Also gehen wir noch ein wenig herum und landen dann in einem Café, in dem wir Sandwiches zu Abend essen. Am Nachbartisch sitzt ein Mann der auflacht, als Viktor nach einem Bier fragt. Nach einem kurzen Gespräch über ein mit „Club Colombia“ vergleichbares Ecuadorianisches Bier, springt Viktor nochmal rüber in den Supermarkt (wo wir gerade erst Wasser und Gatorade gekauft haben) und kauft eine Dose „Club Verde“, ein doppelt gehopftes (doble Lupulo) Pils, dass ganz gut zum Sandwich passt.

An einem der Geldautomaten am Ort erhalten wir immerhin 200 Dollar. Das scheint die maximale Summe zu sein, die ma abheben kann und für die man knapp über vier Dollar Gebühren zahlt. Mal schauen, ob in der Hauptstadt Quito mehr drin ist. Jedenfalls werden Kreditkarten hier wohl auch nicht so gerne akzeptiert. Die Zahlung per App scheint hier – ähnlich wie in Kolumbien – weit verbreitet. Für uns ist das eine unüberwindbare Hürde, denn man braucht dazu ein nationales Bankkonto.

Donnerstag 19.9.24 – (098) – San Gabriel – Ibarra (2.225 m ü. d. M.)

1.425 m bergauf

Gesamt: 5.954,31 km

Das Black House Hostal bietet Frühstück an, und so sitzen wir pünktlich um sieben mit den Betreibern und Mitarbeitenden zusammen im Frühstücksraum. Als wir um viertel vor acht losfahren, ist es ca. 10°C warm und so nebelig, dass wir kurz überlegen, ob wir uns Regensachen anziehen sollten. Die Straße durch San Gabriel bis zur Panamericana ist zwar nicht besonders bergig, aber sehr schlecht gepflastert. Wir kommen trotzdem ohne größere Probleme auf die Hauptstraße.

Es geht 40 Kilometer mehr oder weniger bergab, allerdings in Wellen. Bei manchen Abfahrten reicht der Schwung bis (fast) oben in der nachfolgenden Steigung, das sind uns die liebsten :-). Manchmal sind auf der Abfahrt Bodenwellen und wir müssen abbremsen, oder unten ist eine Ampel oder es stehen dort Busse/LKW, dann haben wir auch auf diesem Teil schon zu kämpfen. Die Nässe, die auch von unten kommt und Dreck hochschleudert, tut ihr Übriges.

Die letzten ca. 10 Kilometer unserer langen Bergabstrecke, bevor wir aus der Provinz Carchi in die Provinz Imbabura hinüberfahren, sind nochmal ordentlich steil mit einigen langgezogenen Kurven, aber auch mit etwas engeren Serpentinen. Irgenwo auf den letzten zehn Kilometern überholt uns trotz unserer relativ hohen Geschwindigkeit ein Rennradfahrer, der auch bergab weiterhin ordentlich in die Pedale tritt. Wir sind beeindruckt von seinen Fahrkünsten, besonders in den Kurven, die wir eher vorsichtig angehen. Circa eine Viertelstunde später kommen wir am Ende der Abfahrt mit hoher Geschwindigkeit an einer Unfallstelle vorbei, die bereits von der Polizei abgesichert ist. An einer Linksabbiegestelle (in unserer Fahrtrichtung) sind ein Rennrad und ein Pickup scheinbar frontal zusammengestoßen. Der Pickup hat heftige Schäden an der Front, das Rennrad liegt in mehreren Einzelteilen vor, unter und neben dem Truck. Wir sind uns relativ sicher, dass das nur der Rennradler gewesen sein kann, der uns überholt hat, denn aus unserer Richtung war sonst kaum jemand auf einem Rad unterwegs. Im Vorbeifahren sehen wir keine Verletzten, vermutlich werden die schon versorgt. Weil die Polizei schon da ist und wir auch keine „Gaffer“ sein wollen, fahren wir weiter ohne anzuhalten. Hätten wir halten müssen oder sollen?

Wir können uns eigentlich nicht erklären, wie es an der Stelle zu einem Frontalzusammenstoß kommen kann. Entweder waren beide der Meinung, noch vor dem Anderen abbiegen zu können, oder bei dem Rennrad haben die Bremsen versagt. Die Rennräder sind ja meist mit Felgenbremsen unterwegs, und das war wirklich eine verdammt lange Abfahrt, auf der wir immer wieder durch Intervallbremsen und Langsamfahren (und eine Pause in der Abfahrt) auf ausreichende Abkühlung unserer Scheibenbremsen achten mussten. Aber wir sind natürlich auch mit viel mehr Gewicht unterwegs als so ein Rennradler.

Die Unfallstelle

Unseren neuen Geschwindigkeitsrekord von 68,3 km/h erreichen wir erst einige Kilometer weiter auf einer schnurgeraden Strecke hinter Ambuqui.

Nach und nach hat sich der Nebel auch gelichtet, und wir erblicken auch wieder die umliegenden Berge. Die Temperatur ist allmählich angestiegen, so dass wir, als wir nach zwei Stunden und 40 Kilometern an einer Terpel-Tankstelle Pause machen, die ersten Schichten Kleidung ausziehen können. Hier lernen wir, dass man in dieser Gegend eine Tasse Milch bekommt, in die man am Tisch Nescafé-Pulver einrührt, wenn man „Café con leche“ bestellt. Wenn man echten „Tinto“ mit Milch haben möchte, muss man das auch so bestellen. Das Servierte wird uns aber sofort umgetauscht und erklärt, als wir fragend die Milchtassen anschauen, die uns aufgetischt werden.

Unsere Routenplanung sieht eigentlich vor, schon kurz nach der Pause an der Terpel-Tankstelle in Ambuqui zu übernachten. Es ist aber noch so früh am Tag – was sollen wir den ganzen restlichen Tag in dieser – wieder sehr kargen und verschlafenen – Gegend machen? Also hängen wir den Aufstieg nach Ibarra, dem morgigen Etappenziel und einer größeren Stadt, heute noch dran, auch wenn das ein sehr langer Tag werden wird. Scheinbar geht es uns zu gut! Aber wir können dann ja morgen einen Ruhetag in Ibarra einlegen und mal wieder unsere durchgeschwitzten Klamotten in einer Waschmaschine durchwaschen, statt sie immer nur im Waschbecken oder unter der Dusche durchzuspülen.

Zunächst geht es etwas durch das Tal, es wird immer wärmer – wir ziehen uns weiter aus – (aber lassen schon auch noch einiges an 😉 ) – und wir fahren wieder einmal durch riesige Zuckerrohrplantagen. Nur hier „unten“ im Tal ist es grün, die Hänge hoch stehen noch Kakteen, aber nach oben hört die Vegetation mehr oder weniger auf. Vor einer Polizeikontrolle an der Provinzgrenze gibt es noch einmal die Möglichkeit, etwas Kaltes zu trinken, die wir sofort nutzen, denn die letzen 30 Kilometer wird es nichts Weiteres mehr geben, und es sind 30 Bergauf-Kilometer. Die Möglichkeit zur Nutzung der Toiletten (Baños) lässt Jutta ungenutzt verstreichen, die sehen aber auch wirklich nicht besonders einladend aus. Trotzdem ist das eine Entscheidung, die sich später noch als Fehler erweisen soll.

Die Kilometer 55 bis 85 werden richtig hart. Wir können zwar überall fahren, ohne absteigen und schieben zu müssen, aber es geht wirklich stetig aufwärts, und es ist trocken und heiß. Der Seitenstreifen der E35 ist erst noch sehr breit, wird aber schmaler, nachdem die Straße eine Weile zweispurig ist, was das Fahren auch noch schwieriger macht. Auf diesem Teil machen wir die Pausen nicht, um die Bremsen abkühlen zu lassen, sondern um unsere Körper regenerieren zu lassen.

Nach etwa der Hälfte der 30 Kilometer (aber beileibe noch nicht der Hälfte der zu bewältigenden Höhenmeter :-/ ) braucht der Captain schon wieder eine (Trink-)Pause. Da er weiß, dass die Stokerin eine „gegenteilige“ Pause benötigt und noch mindestens eine weitere Stunde keine „Baños“ zu erwarten sind, sucht er für die Pause auf dem Seitenstreifen eine perfekte schattige Stelle unter einem Baum mit breitem Baumstamm aus, hinter dem man verschwinden kann, ohne von der Straße aus sichtbar zu sein.

Als die Stokerin wieder hinter dem Baum hervorkommt, ist sie an Socken und Hosenbeinen übersät mit kleinen, stechenden Ähren, die sich mit ihren Widerhaken bei jeder Berührung noch tiefer in den Stoff der Kleidung bohren. Die Hilfe des Captains wird schon bei der ersten Berührung abgelehnt, denn es sticht nur noch heftiger. Man kann sich vermutlich vorstellen, dass dieses Zeug nicht nur außen an der Keidung haftet, sondern auch an Stellen, an denen es besonders unangenehm ist. Dem Captain scheint ein kompletter Kleidungswechsel am Straßenrand die einzige Option, aber mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl (oder besser Fingernagelgefühl) bringt sich die Stokerin nach einiger Zeit wieder in einen halbwegs fahrfähigen Zustand. Die Schreckenspflanze können wir trotz KI-Einsatz später nicht näher eingrenzen, ist es Festuca, Stipa oder Agrostis („Agro“ hört sich jedenfalls passend an)? Dazu kommt, dass wir beide an dieser Stelle von kleinen, bremsenartigen Insekten angefallen und blutig gebissen werden – wie auch schon bei einigen langsamen Anstiegen während der Fahrt – diese Viecher riechen den Schweiß und sind bei langsamer Fahrt gnadenlos zielsicher. Und wer brauchte jetzt nochmal unbedingt eine Pause an dieser „perfekten“ Stelle? 😉

Reste der Schreckens-Ähren in der Unterwäsche

Noch ein wenig mehr zu diesen bremsenartigen Insekten, Sandmücken, „Purrujas“ und anderen Ceratopogonidae: Die Viecher sind sogenannte Pool-Trinker, das heißt sie ritzen die Haut an, warten auf das austretende Blut und trinken es (natürlich auch hier nur die Weibchen, die Männchen sind harmlose Blütenbestäuber). Den kleinen Ritz merkt man zunächst gar nicht. Erst, wenn man über die Stelle wischt, sieht man einen kleinen blutigen Streifen. Das Jucken beginnt erst mehrere Minuten nach dem Biss, manchmal auch erst am nächsten Tag. Und – verdammt nochmal – das juckt, als gäbe es kein Morgen. Zum Glück kommt und geht das Jucken irgendwie in Schüben, es ist also kein Dauerzustand. Einige von denen vermehren sich offenbar im feucht-warmen Boden, wie er auf gut bewässerten Zuckerrohrplantagen in warmen Tälern wie dem „Valle de Cauca“ in Kolumbien oder jetzt eben hier im Tal der Flüsse Ambi, Tahuando und Chota in Ecuador zu finden ist.

Acht Kilometer vor dem Ziel, die besiedelte Gegend beginnt hier wieder, halten wir noch einmal an einem Restaurant und gönnen uns jeder eines der hiesigen „Eis am Stiel“ mit schrägstehendem dicken Holzstiel, die wohl in den Lokalen selbst hergestellt werden.

Eis am schrägstehenden Holzstiel

Auf der Reststrecke passieren wir die hiesige Lagune (die wir eventuell morgen an unserem Pausentag besuchen) und fahren noch sehr lange durch die Stadt. Es ist nach vier, als wir am Zielpunkt ankommen, allerdings ist weit und breit nicht das ausgesuchte Hotel zu sehen. Immer gerade nach solchen langen Tagen hat Komoot Probleme, obwohl sowohl der Hotelname (Plaza Victoria) als auch die Adresse im System bekannt waren. Das Handy ist offline, wir können also auch Google nicht befragen, aber ein Neustart hilft, und immerhin ist das Hotel so nah, dass wir dorthin schieben können.

Auch nach mehrfachem Klingeln an der Rezeption erscheint niemand. Wir bringen abwechselnd die Taschen einfach schon hoch, und irgendwann, als Jutta oben ist, ist eine Mitarbeiterin da, und wir können einchecken. Das Hotel hat einen Parkplatz (haben wir extra so ausgesucht), aber der ist um die Ecke und nur von 18 Uhr bis 9 Uhr für Hotelgäste verfügbar. Es ist jetzt halb fünf nachmittags, und wir wollen zwei Nächte bleiben – Viktor schiebt das Tandem dorthin und muss der Betreiberin drei Dollar zahlen, damit es bis übermorgen früh dort stehen darf, ohne tagsüber herausgeholt zu werden.

Nach dem heißen Duschen wollen wir erst einmal Essen gehen, ein avisiertes vegetarisches Restaurant gibt es nicht mehr, das Arabische Restaurant hat kein Falafel (nur Fleisch … und Huhn 😉 ), und so landen wir schon wieder in einem Café, das Sandwiches und Pizza ohne Fleisch anbietet. Die Kaffeekarte ist auch sehr gut und wir beschließen quasi, morgen auf einen Kaffee wiederzukommen.

Es ist nicht einmal halb acht, als wir zurück im Hotel sind, aber wir sind zu erschöpft, noch den Tag im Blog zu rekapitulieren. Da der Fernseher auch kein Smart-TV ist (sonst würden wir eventuell noch Nachrichten o.a. schauen) gehen wir tatsächlich sofort schlafen – so früh waren wir noch nie im Bett.

Freitag 20.9.24 – Ibarra (Ruhetag)

Morgens vor Öffnung der Frühstückscafés beginnen wir mit dem Blog von gestern. Außerdem suchen wir mit der vollgepackten Ortlieb-Tasche den nächstgelegenen Waschsalon auf, um die Waschzeit zum Frühstücken zu nutzen. Allerdings müssen wir die Wäsche dort nur abgeben und können sie nachmittags wieder abholen – also nicht selber waschen. Umso besser!

Als wir um halb neun am ausgesuchten Café ankommen, sind die Rolläden noch unten, obwohl es seit acht geöffnet haben soll. Der Security-Mann im Nachbargeschäft sagt, sie würden so um halb neun/neun öffnen. Wir wollen die Zeit zum Getränkekaufen nutzen, sehen aber gerade zwei junge Damen die Rolläden hochziehen. Auf Nachfrage erklären sie, dass sie heute verspätet sind, eigentlich öffnen sie um acht. Wir besorgen trotzdem noch die Getränke und gehen anschließend sehr nett frühstücken – Viktor bekommt auf Wunsch sogar zu seinem Amerikanischen Frühstück noch zwei Pancakes dazu.

Nach kurzen Zwischenstopp im Hotel (Viktor versucht, seine Smartwatch zu retten, die er mit der Installation einer Altimeter-App zerschossen hat) gehen wir zu Fuß zum Mirador San Miguel Arcangel. Das ist schon eher eine kleine Wanderung als ein Spaziergang, denn es geht steil bergab und bergauf. Ibarra bezeichnet sich selbst nicht nur als „Weiße Stadt“ – wieder einmal – sondern auch als Touristenstadt. Zu Fuß zu diesem Aussichtspunkt gehen aber wohl nicht sehr viele Menschen, denn fußgängerfreundlich ist die Strecke nicht.

Oben angekommen gibt es mehrere kleine Verkaufshütten, und es sind tatsächlich auch einige wenige andere Menschen dort (per Auto, Taxi, Bus). Man hat einen tollen Blick auf die Lagune, den nahegelegenen Vulkan Cotacachi und einen noch höheren Berg Taita Imbabura, dessen Gipfel aber in Wolken verborgen ist.

Als wir auf einer Bank sitzend die Reste der Pizza von gestern Abend essen, sitzt die ganze Zeit ein Hund bei uns. Und als wir den Abstieg beginnen, kommt dieser mit uns mit – er läuft eine volle Dreiviertelstunde vor uns her, bleibt stehen, dreht sich um, läuft weiter. Mit anderen Hunden an der Strecke scheint er sich nicht zu verstehen. Wenn wir die Straßenseite wechseln, wechselt er sie auch. Einmal biegt er schon rechts ab, wir müssen links, aber er kommt uns weiter hinterher. Erst als wir eine lange, steile Treppe hochgehen müssen, bekommt er das nicht rechtzeitig mit, und wir sind ihn los. Viktor erinnert sich an ein Video der Podtschis, die auch in Ecuador plötzlich für mehrere Tage Begleitung hatten.

Ziemlich zu Anfang am Abstieg, auch später war der Hund noch unser Begleiter

In Ibarra gehen wir noch einen Frappucino (wir sind in einer Großstadt 😉 ) in dem Café von gestern Abend trinken und verbringen dann den Nachmittag im Hotel (Blog, Planung Tour), holen die saubere Wäsche ab und kümmern uns darum, wie wir morgen früh um 6 Uhr ans Tandem kommen. Der Parkplatz öffnet nämlich erst um acht/halb neun … ein paar einzelne Dollar „Propina“ (Trinkgeld) stellen dann sicher, dass das Tandem sicher steht (auf dem Nachbarparkplatz) und wir morgen früh auch rankommen.

Gestern gab es in der Ecuadorianischen WhatsApp-Gruppe zur Unterstützung der Radreisenden eigenartige Informationen aus Quito über flächendeckende Stromausfälle. Die Radreisenden informierten sich danach gegenseitig darüber, ob es bei ihnen gerade Strom gab oder nicht. Heute lesen wir dann auch die E-Mail vom Auswärtigen Amt:

Hört sich nicht so richtig gut an, was die Sicherheitslage in Ecuador betrifft.

Abends gehen wir in einem guten Mexikanischen Restaurant in Ibarra essen. Luxuriöses Ambiente, individuelle Bedienung mit Empfehlungen per iPad (Fotos und sogar ein Video des Nachtisches), in unserem Raum eine Wandmalerei, die wir über die Google-Bildersuche als Cantinflas identifizieren, den „Mexikanischen Charlie Chaplin“. Dank der überzeugenden Präsentation bestellen wir sogar eine halbe Portion des Nachtisches, nämlich die „Churros“. Das ganze Abendessen ist sogar günstiger als die gestrige Pizza und Hähnchenschenkel. So ganz haben wir das Preisgefüge hier in Ecuador noch nicht verstanden.

Samstag 21.9.24 – (099) – Ibarra – Tabacundo (2.877 m ü. d. M.)

1166 m bergauf

Gesamt: 6.010,66 km

Viktor holt das Tandem vom Parkplatz, Jutta trägt währenddessen alle Taschen und Sonstiges die Treppen herunter. Als Viktor an der Rezeption fragt, ob alles „listo“ – fertig – wäre, kommt keine Reaktion, erst, als er sich dann auf den Weg macht, sagt die Mitarbeiterin, dass wir noch zahlen müssen. Wieder einmal ein Fall von Nichtverstehen…

Die ersten Kilometer raus aus Ibarra sind auf gepflasterter Straße. Wir kommen an einem Bahnhof vorbei und passieren zweimal die Bahngleise. Das ist eine Seltenheit, die meisten Länder auf unserer Reise haben gar keine Bahn, hier gibt es immerhin einige wenige Gleise für touristische Fahrten: https://www.reisen-nach-ecuador.ch/bahnreisen-ecuador/

Nach einigen Kilometern, in San Antonio de Ibarra, wollen wir frühstücken. An der Hauptstraße, auf der wir fahren, gibt es rein gar nichts, deshalb müssen wir in den Ortskern und landen in einer kleinen Panaderia „Arte Pan“, die uns vom Namen her an das „Arte del Pan“ in Panamá Stadt erinnert. Leider gibt es keine Heißgetränke, aber wir frühstücken hinreichend und mit frischen Broten. Da sich andere Kunden für uns interessieren, beginnt auch die Verkäuferin zu fragen. Sie rät uns auch, nicht an die Küste und immer nur tagsüber zu fahren. Sie erzählt uns einige Schauergeschichten von wahllos Ermordeten, die einem schon ein wenig Angst machen können. Und wie schon in den meisten Ländern vorher, geht die Kriminalität angeblich von den Einwanderern aus dem Nachbarland aus. Waren es in Kolumbien noch die Venezuelaner, so sind es jetzt hier die Kolumbianer, die Ecuador so unsicher machen. Wenn man das hört, kann man kaum glauben, dass Kolumbien, Ecuador, Venezuela und Panama in der Vergangenheit mal ein gemeinsames Land waren. Aber es ist wohl wie überall auf der Welt: Das Fremde ist immer das Gefährliche. Vermutlich rücken wir auf dieser blauen Erdkugel erst dann enger zusammen, wenn irgendeine „noch fremdere“ Spezies uns besuchen kommen sollte.

Die Bedienung gibt uns außerdem den Tipp, nachher in Cajas bei der „Keksfabrik“ an der Straße unbedingt Bizcochos con Chocolate zu verzehren.

Bis dorthin ist es für uns noch ein langer Weg. Es geht heute praktisch 45 Kilometer aufwärts, und davon sind knapp 40 durch ein nicht enden wollendes Industriegebiet aus aneinandergereihten Städten. Wir fahren auf dreispuriger Straße mit nicht immer nutzbaren Seitenstreifen, haben keine wirkliche Aussicht rechts und links, und es gibt nicht einmal Stellen zum Pausieren. Es ist teilweise so nebelig, dass es sich wie Regen anfühlt, und alle umliegenden Berge verschwinden im Nebel. Diese Wolken bewirken wohl auch, dass heute die Luft sehr stark nach Abgasen riecht, obwohl sich der Verkehr in Grenzen hält.

Weil wir es ohne Pause nicht schaffen, halten wir schließlich an einem Hähnchenstand, der außen auch Buñuelos anpreist. Auf Nachfrage schaut der Betreiber in den Kühlschrank und findet noch zwei, die Viktor also bestellt, zusammen mit Milchkaffee. Was wir bekommen, sind zwei Becher Milch und ein Beutel Don Café-Pulver zum Teilen und zwei Yuca-Buñuelos, die nicht im Entferntesten so aussehen wie auf dem Bild außen, aber schmecken. Am Nachbarstand gibt es Bananen, und das Erstehen zweier davon ist gar nicht so einfach, weil sich lange Zeit niemand findet, der dort arbeitet (man könnte sich einfach welche nehmen, aber das machen wir nicht!). Als sich endlich eine Frau verantwortlich zeigt, kann sie kein Geld wechseln. Während Jutta von Viktor passende 25 ct holt, ist die Frau schon wieder verschwunden. Aber Jutta drückt einer anderen das Geld in die Hand und nimmt die zwei bereitliegenden Bananen.

Auch hier sind heute am Samstag viele andere Radfahrende unterwegs. Man grüßt sich, mehr aber nicht. Dafür bietet uns ein langsam neben uns her fahrender Autofahrer durch’s Fenster Wasser an. Er fährt vor und erwartet uns nach einer Steigung, in der Hand schon zwei Wasserflaschen. Wir halten dankbar und bekommen sogar noch zwei kleine Corona-Flaschen dazu geschenkt. Javier unterhält sich mit uns und gibt auch noch Tipps für Ecuador. Vielen Dank für die Getränke – diese netten Gesten der Einheimischen machen uns immer wieder Freude!

Als wir um die Mittagszeit oben und bei den Keksfabriken ankommen, fehlen uns noch zwei Kilometer bis zu unserer 6.000 – Kilometer – Marke. Wir halten trotzdem und bestellen uns – wie empfohlen – jeder Bizcochos mit Kakao und Käse. Diese Art Mozzarella-Käse kann man zu den Keksen essen, aber auch in heiße oder kalte Getränke (den Kakao, Kaffee oder z.B. auch Cola) einrühren, bekommen wir erklärt. Hier pausierend gratulieren wir auch per Videoanruf zum 84. Geburtstag von Viktors Mutter, die sich natürlich freut.

Dann ziehen wir uns warme, winddichte Jacken über, fahren noch wenige Meter hoch und erreichen schnell den höchsten Punkt (….m), noch bevor unsere 6000 km voll sind. Beim Abfahren müssen wir zuerst bremsbereit starten, kurz nach der ersten Kurve kommen wir bei km 45,69 zum Stand: genau 6000! Nicht die beste Stelle, aber wir machen Fotos und versuchen auch Videos, denn wir haben gestern beim Mexikaner ein kleines Feuerwerk geschenkt bekommen, das zum Einsatz kommen soll:

Die letzten zehn Kilometer geht es jetzt ziemlich schnell bergab, und in Tabacundo (der Welthauptstadt der Rosen) finden wir schnell die Hosteria Rancho Manabita, auch weil an der Straße ein Mann eine riesige gelbe Fahne schwenkt, um Übernachtungsgäste anzuwerben.

Das Tandem können wir hinten unter die Treppe stellen, und unser Zimmer ist eine richtige Suite mit drei Betten in zwei Räumen. Nach heißen Duschen gehen wir im Vorderhaus im Restaurant Kaffee trinken, anschließend resettet Viktor seine Smartwatch (Sohn Julius hat dankenswerter Weise den Samsung-Support kontaktiert) und wir arbeiten am Blog.

Beim Abendessen im Hotelrestaurant bestellen wir beide typische Gerichte. Der weiße Mais, der wie gekochtes Popcorn aussieht, hat besonders wenig Geschmack. Kann man mal probieren, muss man aber nicht regelmäßig essen, auch wenn er hier typisch ist. Die einzigen anderen Gäste im Restaurant, die auch hier übernachten, sind ebenfalls Deutsche, die hier mit dem Auto unterwegs sind.

Wir trinken das von den Betreibern kaltgestellte, von Javier geschenkte Corona-Bier und sagen Danke:

Gracias Javier!

Im Restaurant läuft ununterbrochen „Coffee Music“ auf einem Bildschirm:

Die Mautstationen in Ecuador sind für Fahrräder etwas schwieriger zu befahren als in Kolumbien:

Sonntag 22.9.24 – (100) – Tabacundo – Quito (2.850 m ü. d. M.)

1.563 Höhenmeter – neuer Rekord

Gesamt: 6.076,73 km

An unserem 100. Radfahrtag radeln wir um halb neun bei Regen los, nachdem wir das Hotelfrühstück mitgenommen haben. Es ist so frisch, dass wir jeder zwei Jacken, eine Mütze und Handschuhe anziehen. Heute steht nach etwa 16 Kilometern die Überquerung des Äquators (und somit der Übergang vom gerade begonnenen Herbst zum gerade beginnenden Frühling 😉 ) an.

In Tabacundo und auch noch danach kommen uns einige bunt geschmückte Umzugswagen entgegen. Anscheinend verpassen wir heute einen Umzug, wir finden aber nicht heraus, was gefeiert wird.

Ab kurz vor 16 gefahrenen Kilometern fahren wir extra langsam (den Berg herunter!), gucken irgendwann bei Maps, sind noch nicht weit genug, fahren also weiter ganz langsam. Dann wird der Mirador El Pisque sichtbar, was bedeutet, dass wir die Nulllinie schon passiert haben müssen. Wir lassen das Tandem am Aussichtspunkt stehen und gehen offenen Auges zurück. Und entdecken am Bordstein eine winzig kleine Markierung. So können wir wenigstens Bilder am Äquator machen.

Wir fahren noch einige Kilometer weiter bergab, können aber kaum einmal schnell fahren, es ist viel zu kurvig. Mehrmals halten wir an: in Etappen ziehen wir beide Jacken, Mütze und Handschuhe aus, aber auch zum Abkühlen der Bremsen und heute wohl auch erstmalig des Hydrauliköls der Bremsen. Es scheinen sich bei der Abfahrt erste Dampfbläschen in der Bremsleitung der Vorderradbremse gebildet zu haben, denn der Bremshebelweg hat sich deutlich verlängert und die Bremsleistung hat nachgelassen. Nach dem Abkühlpause ist aber wieder alles normal.

Und dann beginnt der Wiederaufstieg! Und der hat es in sich! Auch andere Radfahrer ohne Gepäck müssen immer wieder am Straßenrand pausieren. Wir nutzen ein Café für eine Einkehrpause mit Kaffee (und einem Crèpe), werden dort aber wieder sofort von stechenden Viechern angegriffen.

Die Straße ist heute am Sonntag nicht besonders voll und auch in gutem Zustand. Dafür ist es oft ziemlich steil, auch über längere Abschnitte, und von der (kargen) Natur sehen wir immer nur zwischendurch etwas: an vielen Stellen sind die Hänge zubetoniert, und wir sehen nur grau. So besiedelt gestern die Strecke war, so unbesiedelt ist sie heute.

Inzwischen ist es auch richtig warm und trocken, wenn auch der Himmel bedeckt bleibt. Wir kämpfen uns hoch. Ab kurz hinter dem Abzweig zum Flughafen Quito fahren zwei Radfahrer vor uns mehr oder weniger im selben Tempo wie wir – und das ohne Gepäck. An einer Mautstation will Jutta die Toilette nutzen, und dort haben die beiden ebenfalls gehalten, so dass wir ins Gespräch kommen. Sie können uns sagen, dass bis Calderon, wo wir ein Hotel anvisiert haben, noch steile Stellen kommen, es dann aber flacher wird. Und sie geben uns Tipps, welche Straße(n) wir in Quito sicher fahren können, ob nun heute – falls wir doch noch in die Stadt weiterfahren – oder sonst übermorgen, wenn wir sie wieder verlassen wollen. Obwohl es nur noch fünf Kilometer bis Calderon sind, will einer von uns hier noch nicht entscheiden, was wir machen, denn so langsam kommt er an seine Leistungsgrenze.

Auf diesem Stück hält ein Autofahrer vor uns und winkt uns anzuhalten. Beim Sprechen rutschen ihm ein paar Deutsche Worte raus, und er erzählt, dass er vor 50 Jahren in Göttingen an der Uni war, sein Deutsch aber ziemlich vergessen hat. Wir unterhalten uns und machen Bilder.

Die Stunde, die wir bis zu dem (Zwischen-)Ziel in Calderon brauchen, ist wie erwartet noch hart. Es ist nach zwei, als wir dort sind, und diese Vorstadt von Quito lädt uns nicht gerade zum Verweilen ein. Wir wollen eine Pause machen und dann entscheiden, ob wir uns ein Weiterfahren noch zutrauen. In einer Querstraße soll es einige Eiscafés geben – wir biegen dorthin ab. Das erste existiert nicht mehr, das zweite ist ein Stand in einem Supermarkt, da können wir das Tandem nicht abstellen. Letztendlich gehen wir in ein KFC und bestellen am Terminal zwei Sundae-Eis. Die Kreditkarte wird belastet, es kommt aber kein Bon. Erst, als Viktor noch einmal bar bezahlt, bekommen wir unsere Stärkung ausgehändigt. Mal schauen, ob das Geld wirklich wieder zurückgebucht wird, wie behauptet.

Jedenfalls sind wir uns jetzt einig, dass wir noch ins Zentrum weiterfahren, wo wir für morgen früh schon eine Tour gebucht haben. Das Hotel hier in Calderon scheint sowieso eher ein Stundenhotel zu sein, und dieser Ort ist so wenig einladend.

Wir reservieren vom KFC aus ein Hotel in der Nähe des Ausgangspunktes unserer morgigen Tour und machen uns auf den Weg:

Quito will bei der Stadteinfahrt offensichtlich unseren Willen brechen.

Diese erste große (blaue = sehr langsam gefahrene) Schleife umfährt noch einen Berg, und es geht weiterhin stramm bergauf. Zum Glück ist Sonntag und nicht viel Verkehr. Die Straße ist teilweise vierspurig und wenig befahren, aber einige Busse überholen uns trotzdem auf der ganz rechten Spur mit gefühlten 20 Centimetern Abstand, oft mit offener Einstiegstüre, die nochmal ein paar Zentimerter näher an uns heranreicht. Bei einer besonders engen Situation entfährt Viktor trotz akuter Atemlosigkeit ein gebrülltes „Arschloch“, das natürlich außer weiterer Atemloskeit keinen Effekt haben kann, es sei denn der Fahrer hat zufällig in Göttingen studiert.

Die genannten Busse tragen übrigens häufig das „EURO4“-Siegel am Heck, also genau dort, wo sie auch die riesigen schwarzen Dieselrußwolken in unser Gesicht blasen. Seitdem wir im Großraum Quito unterwegs sind, riecht es eigentlich ständig sehr stark nach Autoabgasen und Dieselruß. Wir vermuten irgendeine Inversionswetterlage, die den Großstadt-Abgas-Duft einfach nicht abziehen lässt.

Die letzte (blaue, also langsam gefahrene) Gerade nach Quito hinauf zieht sich nochmal ewig hin. Am Ende der schnurgerade Strecke sieht man am Horizont …. NICHTS … nur den bedeckten Himmel … keine Häuser, keine weiteren Berge, rein Garnichts. Es sieht aus als müssten wir einfach ewig weiter direkt in die Wolken fahren, um dort dann unserem Schöpfer zu begegenen. Zum Glück beginnt dann hinter der letzten Kuppe aber doch die lange, leicht abschüssige Einfahrt nach Quito (rot-orange = schnell gefahren).

Für die gut 16 km von der letzten Pause in Calderon bis zum Hotel brauchen wir noch einmal zwei Stunden und kommen erst um halb sechs am Hotel an. Dabei ist die Nord-Süd-Strecke dann wirklich überraschend angenehm, auf der „Rio Amazonas“-Straße gibt es die ganze Zeit einen abgetrennten Radweg, es ist flach und sogar begrünt. Wir werden auf dem letzten Teil der Strecke von einem älteren Radfahrer begleitet, der auch schon in Peru und Kolumbien unterwegs war. Es scheint so als wolle er sicherstellen, dass wir auch gut ankommen, bevor es dunkel wird. Als wir am Hotel unser Tandem ins Parkhaus stellen können, verabschiedet er sich auch recht schnell und ohne dass wir seinen Namen erfahren.

Das Hotel David ist von der Straße erst kaum zu sehen, es liegt weiter hinten und ist nur über viele Stufen erreichbar. Das Tandem kann aber unten in die Garage, und wir müssen dann sogar im Hotel noch in den vierten Stock. Da es schon nach halb sechs ist und die wenigen Restaurants hier schon um sechs oder sieben zu schließen scheinen, wollen wir das Abendessen noch vor dem Duschen erledigen, und stehen trotzdem vor verschlossenen Türen. Die Nachfrage in einem Supermarkt ergibt eine geöffnete Churrasquería in der Nähe, und so landen wir zwischen Einheimischen und bekommen zeitlich sehr stark versetzt unser Essen. Jutta hat aber auch eine Spanische Tortilla bestellt, die den neuen Koch zunächst überfordert. Stunden später gelingt sie dann doch und schmeckt auch :-).

Im Hotel wird noch geduscht, aber nach kurzer Zeit am Laptop geht es ins Bett, zumal Quito angekündigt hat, dass von 22 bis 6 Uhr der Strom abgeschaltet wird, so erzählten es uns jedenfalls die beiden Radfahrer and der Mautstation.

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  1. Schwester

    „Es ist hier soooo steil“ ist eine herrliche Aussage. Ich hätte euch gerne laufen gesehen…

    • Der Typ in der gelben Regenjacke im YouTube-Video, der da so breitbeinig bergab läuft, das ist Viktor. Für ein Selfie-Video zu Zweit war es an der Stelle einfach zu steil. 🙂

      • Aileen

        Liebe Jutta, lieber Viktor,
        ich habe schon immer gerne Reiseberichte gelesen, auch in Buchform. Aber mit euch zwei sympathischen Protagonisten, die ihr so positiv, erfrischend, informativ und selbstironisch („Viktor jammert nicht“ 🤣) von euren Erlebnissen und Begegnungen berichtet, macht es gleich noch fünffach so viel Spaß!
        Dank einer Woche Krankseins im Bett hatte ich nun endlich genug Zeit, die letzten Wochen nachzulesen und bin wieder auf dem aktuellen Stand. Herzlichen Dank für die hervorragende Unterhaltung 😊
        Ich freue mich auf eure nächsten Etappen und wünsche weiterhin viel Kraft in den Beinen für die anstrengenden Steigungen auf der E35!

        • Vielen Dank für den netten Kommentar und die Einladung zum Eis (oder Rührei). Wir wünschen gute Besserung und/oder viel Spaß beim Weiterlesen.

          Lieben Gruß Viktor & Jutta

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