Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Monat: Januar 2025

Woche 44 (27.1.25 – 2.2.25) – Puerto Montt – Puerto Cárdenas

Montag 27.1.25 – Puerto Montt

Wir frühstücken um acht und gehen danach gleich los in Richtung der ersten Western Union – Stelle. Der Plan ist, die verschiedenen Niederlassungen zu bitten, uns zu kontaktieren, wenn jemand Geld eingezahlt hat und es ihnen möglich ist, uns auszuzahlen. Das „Chilexpress“ in unserer Straße liegt am nächsten. Und sie haben trotz der frühen Stunde Geld da! Nur der Server funktioniert nicht, das sollte aber bald behoben sein. Damit hätten wir gar nicht gerechnet – gleich der erste Versuch! Wir setzen uns also in den Wartebereich, bis es irgendwann dann doch Zeit ist, weiterzugehen, obwohl wir das Geld noch nicht haben. Für 10 Uhr haben wir uns nämlich für eine Walking Tour angemeldet und müssen bis zum Startpunkt noch einige Zeit laufen. Der Mitarbeiter notiert sich noch unsere Telefonnummer, um und gegebenenfalls kontaktieren zu können, und wir beeilen uns, zum Treffpunkt zu gehen.

Am hohen Fahnenmast an der Uferpromenade werden wir erwartet von Bernhard und sind die Einzigen. Heute liegt kein Kreuzfahrtschiff im Hafen, von denen sonst häufiger die Touristen kommen. Bernhard stammt aus Simbach am Inn in Bayern (direkt gegenüber von Braunau in Österreich), ist vor sieben Jahren als Deutschlehrer hierher gekommen, hat Walking Touren vermisst und das kurzerhand selbst in die Hand genommen. Inzwischen arbeitet er freiberuflich (als Online-Lehrer – Sitz seiner Firma ist in Deutschland) und bietet diese Walking-Tour an, manchmal gemeinsam mit einem Mapuche-Freund, der heute aber nicht kommt.

Die nächsten gut zwei Stunden erfahren wir von Bernhard etwas über die Denkmäler und Kunstwerke der Stadt (die vier Hügel, Deutsche Einwanderer, wichtige Persönlichkeiten) und über die Proteste 2019, während derer z.B. die Bänke aus der Kathedrale auf dem Kirchenvorplatz von Protestierenden verbrannt wurden, unter anderem auch aus Wut über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche von Puerto Montt – die Fassade ist noch immer provisorisch verrammelt, weil die Fenster ebenfalls zerstört wurden. Außerdem zeigt er uns das Diego Rivera Theater: der Eintritt kostet umgerechnet einen Euro, egal ob für einen Kinofilm oder eine Theatervorstellung, die einmal monatlich gezeigten Filme in Deutscher Sprache mit Spanischen Untertiteln sind sogar kostenlos. Wir sehen die Casa Pauly und die Jesuitenkirche mit dem Glockenturm dahinter. Im Pueblito Melipulli bekommen wir hiesige Spezialitäten gezeigt, unter anderem den Curanto-Eintopf, ein Fleisch-Fisch-Gericht, das schon vor 6.000 Jahren in dieser Region um die Insel Chiloé in Erdlöchern zubereitet wurde. Während der ganzen Zeit tauschen wir uns – alle drei in ihrer Muttersprache – sehr viel aus.

Im Anschluss an die Tour machen wir „unten“ noch eine Kaffeepause in einem Café mit lauter riesigen Teddybären an den Tischen, bevor es die Terrassen wieder nach „oben“ geht und wir beim Western Union/Chilexpress wieder vorstellig werden. Das Personal hat inzwischen gewechselt, Jutta zieht eine Wartenummer, kommt sofort dran und erhält ganz schnell und ohne viele Worte neues Bargeld. Geht doch!

Im Hostal machen wir die Planung der kommenden Tage, bis wir uns zeitig von einem Uber-Taxi zum Restaurant „Kiel“ bringen lassen, das montags nur bis 18 Uhr geöffnet hat. Hier geniessen wir ein frühes und sehr gutes Abendessen – typische überbackene Suppen (Chupes de Pulpo und Camaron) und Viktor einen tollen Nachtisch mit Eis, Maronen und einem Schuss Whisky (Copa Kiel), einen Nachtisch den die Gründerin des 1973 eröffneten Lokals erfunden hat.

Von der Restaurant-Gründerin erfundener Nachtisch

Per Uber fahren wir wieder zurück und beschäftigen uns weiter mit der Planung der Tage bis zu unserer Fähr-Kreuzfahrt von Puerto Montt nach Puerto Natales am 8. Februar. Am Ende kommt eine machbare Rundtour dabei heraus, die aber einige Tage mit bis zu 1.000 Höhenmetern zu bieten hat. Wenn uns da noch heftiger Wind in die Quere kommt, was hier nicht selten der Fall ist, könnte das schwierig werden, aber wir sind ganz zuversichtlich und wollen die schöne Landschaft und die wunderbaren Ausblicke möglichst genießen.

Plan für die „Chiloé – Austral“ Runde

Dienstag 28.1.25 – (172) – Puerto Montt – Chacao

Gesamt: 10.933,86 km

Heute, am dritten Morgen im selben Hostal, sind die Brötchen inzwischen ziemlich trocken – wahrscheinlich noch dieselbe Charge wie vorgestern. Frühestmöglich um halb acht sind wir im Frühstücksraum (der mit dem piependen Rauchmelder – häufiger als einmal in der Minute), um 8:45 Uhr fahren wir los. Es geht über einen Halt im Supermarkt direkt zur RN-5, denn das ist der einzig für uns mögliche Weg zur Fähre auf die Insel Chiloé.

Auf dem dauerhaft guten Seitenstreifen begegnen wir heute recht vielen anderen Radfahrenden, zwei kommen uns sogar auf unserer Seite entgegen. Nach nur 20 Kilometern halten wir am südlichst gelegenen Pronto (Raststätte der COPEC-Tankstellen), wie wir dort erfahren, und trinken schon mal einen Kaffee.

An der Straße stehen heute alle paar Kilometer interessante Schilder von gefährdeten Tierarten, die dazu aufrufen, keinen Müll aus dem Fenster zu schmeißen.

Vielleicht hätte es einen noch größeren Effekt, wenn auf den Bildern süße Katzen, Hunde, Seehunde oder so zu sehen wären… (sie sind weder gefährdet noch leben sie hier in der Wildnis, aber mehr Mitleid würden sie wohl hervorrufen).

Kurz vor Pargua müssen wir von der Ruta 5 abfahren zur Fähre. Schon seit 1967 gibt es Bemühungen, eine Brücke über den „Kanal“ zu bauen, nach mehreren Rückschlägen steht die Eröffnung wohl demnächst bevor, so zumindest noch 2017 – inzwischen heisst es 2028 bis 2030.

Am Fährhafen können wir als Radfahrer praktisch sofort auf eine der Fähren. Diese fahren so häufig, dass selbst Kraftfahrzeuge nie lange warten müssen.

Nach 20-minütiger Fahrt landen wir in Chacao an. Im Ort machen wir noch eine Kaffeepause mit Apfel-Empanada und Orangen-Marmorkuchen, weil unsere Unterkunft sehr einsam und etwas außerhalb liegt. Wir besorgen uns sogar schon die Getränke für morgen, bevor wir die verbliebenen zwei Kilometer mit sehr starker Steigung in Angriff nehmen. Am Platz gucken wir noch die Holzkirche an, die aber nicht zum Weltkulturerbe gehört wie einige andere der über 150 auf dieser Insel.

Unsere Cabaña hat wie die ganze Nachbarschaft gerade weder Strom noch Wasser. Wir haben die dafür verantwortlichen Arbeiter überholt: sie arbeiten an der Stromleitung, also ist der Strom seit 11 Uhr abgeschaltet. Und ohne Strom kann kein Wasser in den Wasserturm gepumpt werden, der alle hier oben versorgt und mitttlerweile leergelaufen ist. Ab 17 Uhr soll beides wiederkommen, das ist noch etwa eine Stunde, also kein Problem.

Plötzlich startet die Waschmaschine in unserer Cabaña von ganz alleine, um Einiges früher als 17 Uhr. Scheinbar ist sie so eingestellt, dass sie sofort einen Waschvorgang startet, wenn sie mit Strom versorgt wird. Nur das Wasser braucht länger, bis es wieder fließt.

Bevor Viktor überhaupt duschen kann, klingelt sein Handy und das Café aus Chacao ist am Apparat: er hat etwas im Café vegessen! Sie haben vorher schon über den Facebook-Messenger eine Nachricht geschrieben. Viktor bietet an, das Vergessene (wir wissen noch nicht, was es ist) abzuholen, aber der Anrufer sagt, er bringe es vorbei und wäre in fünf Minuten da.

Es ist das Portemonnaie inklusive dem Führerschein, über den dann der Facebook-Account gefunden wurde. Und der Mann (Axel) lehnt jeglichen Finderlohn ab, obwohl er mit einem Freund sogar noch im Auto den Ort abgefahren ist, um uns eventuell auf dem Fahrrad zu sichten! Das war wohl der richtige Ort, um seine Geldbörse liegenzulassen! Was wäre passiert, wenn es irgendwo mitten auf der Strecke passiert wäre, womöglich bei jemandem, der Facebook gar nicht kennt oder nutzt? Gar nicht auszudenken!

Unsere Cabaña hat zwar eine Küchenzeile, aber wir können abends ein Essen von der Betreiberfamilie bekommen, was wir neben dem Frühstück morgen auch gerne annehmen. Auf der einen Seite der Gebäude weidet eine Kuh, auf der anderen Seite ein Pferd, wir sind richtig auf dem Land.

Das Abendessen ist ein riesiges Stück gebratener Lachs aus der Region mit gekochten Kartoffeln, Brot und Salat. Gekochte Kartoffeln! Keine Pommes! Wann konnten wir eigentlich das letzte Mal gekochte Kartoffeln essen? Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an.

Beim Abendessen unterhalten wir uns kurz mit einem anderen Gast am Nachbartisch, dessen Tochter an der Deutschen Schule in Temuco war und nun als Krankenpflegerin in Düsseldorf arbeitet. Sie hat gerade vor ein paar Tagen ihre erste eigene Wohnung bezogen und 1.500 Euro Abstand für die Küche an den Vormieter gezahlt. Wir reden kurz über den Fachkräftemangel in Deutschland und darüber, wie sehr unsere „Boomer“- Generation im hohen Alter darauf angewiesen sein wird, solche Menschen aus anderen Ländern für das Leben und Arbeiten in Deutschland zu begeistern.

Da wir morgen sehr früh aufbrechen wollen, bringt uns die Betreiberin der Cabañas um kurz vor 21:00 Uhr sogar noch das gesamte Frühstück vorbei, damit wir es morgen auch schon in aller Frühe einnehmen können. Wir sind ziemlich begeistert von der Freundlichkeit und Flexibilität.

Mittwoch 29.1.25 – (173) – Chacao – Dalcahue

1438 m Gesamtanstieg

Gesamt: 11.037,73 km

Der Wecker klingelt um sechs Uhr. Es ist ziemlich abgekühlt in der Cabaña und wir versuchen vergeblich, den kleinen Heizbrenner ans Laufen zu bekommen (er arbeitet wahrscheinlich mit Kerosin). Statt dessen ziehen wir uns etwas dicker an – schließlich müssen wir noch frühstücken. Beim Aufbacken der Brötchen im Miniofen verkohlt die Unterseite etwas, richtig gut dagegen ist der Kuchen, den wir auch noch bekommen haben.

Um acht Uhr kommen wir los. Gleich nach einigen Kilometern ist die Straße unbefestigt – das versuchen wir eigentlich immer zu vermeiden, aber gestern Abend nach der letzten Änderung der Strecke hat es wohl keiner von uns mehr kontrolliert. Umdrehen und noch einmal durch den Ort fahren wollen wir aber auch nicht, das wären noch einige Höhenmeter mehr, und die Strecke heute hat es schon in sich.

Nach dem Überqueren der RN-5 ist die Straße asphaltiert. Es ist wenig Verkehr, aber es geht den ganzen langen Tag auf und ab – mit sehr schönen Abfahrten zwischendurch.

Nach etwa 25 Kilometern wollen wir beim Café Cakes and Cream eine Pause machen, laut google maps hat es ab neun Uhr geöffnet und liegt direkt an unserer W-15. Da scheint wieder einmal ein Pin falsch gesetzt worden zu sein, dieses Café liegt nirgendwo auch nur dort in der Nähe. Also halten wir ein paar Kilometer weiter an einer Aussichtsplattform.

Kurz bevor wir weiterfahren wollen, überholen uns zwei Bikepacker, die wir auf den folgenden etwa 15 Kilometern bis Quemchi die ganze Zeit uneinholbar vor uns fahren sehen. Kurz vor diesem Ort bleiben die zwei stehen, und im Überholen „verabreden“ wir uns im ersten Café in Quemchi. Und das klappt in der Cafeteria Mi Barrio am Platz. Josefine und Lancelot aus Brüssel sind in Temuco losgefahren und haben vier Monate Zeit, Ende April fliegen sie zurück.

Kurz nach dem Weiterfahren haben wir erst die halbe Strecke, und es kommt eine so steile Steigung, dass wir schieben müssen. Beziehungsweise schieben und ziehen: Jutta läuft vorne und zieht mit der „Schiebehilfe“ von Carlos. Das funktioniert prima, es ist für beide weniger anstrengend als vorher.

Und nach 66,14 Kilometern haben wir dann die 11.000 Kilometer geknackt, gerade nach einer schnellen Abfahrt und bevor es wieder steil hoch geht – das passt gut.

Bei genau 70 Kilometern geht eine Schotterstraße zu den Cascadas de Tocoihue. Wir lassen das Tandem einfach an der Grenze von Asphalt zu Schotter stehen und laufen die Strecke zum Eingang, wo wir nur gegen Eintrittszahlung die Stufen zum Aussichtspunkt hochgehen dürfen. Den Weg nach unten sparen wir uns aus Zeit- und Energiegründen.

Kurz nach dem Besuch der Wasserfälle haben wir zunächst wieder eine lange Steigung zu bewältigen und danach fahren wir ein ziemlich steile, sehr gerade Abfahrt mit fast perfektem Straßenbelag hinunter. Vor ein paar Tagen haben wir den Reifendruck kontrolliert und wieder auf 3,2 bar aufgepumpt. Wir haben ideale Bedingungen und überbieten mit 73,7 km/h unseren bisherigen Geschwindigkeitsrekord.

Bei der Beschreibung der Bedingungen für unseren Rekord muss Viktor an seinen Vater und unseren alten Volkswagen K70 denken. „Watt macht der Spitze?“ war so eine typische Frage im Ruhrpott. Vater Günter hat dann immer mit der Phrase „Bergab, mit Sonne und Wind im Rücken, da schafft’er…“ geantwortet. Wir hatten heute bergab zumindest auch die Sonne im Rücken … beim Wind sind wir uns nicht ganz sicher.

Da fällt mir (Viktor) ein, dass die ganzen Schreine am Wegesrand auf einem lateinamerikanischen Volksglauben basieren. Solange sich noch ein Mensch an einen Verstorbenen erinnert, ist derjenige nicht ganz tot. Manche der Schreine am Wegesrand sind ganze Kapellen mit Stegen, Plattformen und Sitzbänken, auf denen man sich zum stillen Gedenken niedersetzen kann. Ich stelle mir die „ewige Ruhe“ ja immer als ultra-langen Schlaf vor und hoffe mal, dass nicht jedes Mal der Wecker klingelt, wenn jemand an den Verstorbenen denkt. Falls doch: Sorry Papa!

Als wir ein am Rand stehendes Auto überholen, aus dem die Familie gerade Wassermelonenpause macht, ruft Viktor im Vorbeifahren dem Sohn im Real-Madrid-Shirt ein „ViscaBarca“ zu. Als sie uns kurz darauf mir dem Auto überholen, ruft der Junge aus dem geöffneten Fenter ein „Real Madrid“ zurück.

Auf halber Strecke vom Wasserfall bis zum Ziel findet sich leider nur eine Bushaltestelle zum nochmaligen Anhalten. Noch etwas später können wir aber wenigstens in einem Minimercado noch einmal kalte Getränke kaufen – sie haben sogar gekühltes Clausthaler Lemon :-).

Um halb sieben nach einem langen Tag kommen wir an der Plaza de Dalcahue an, wo wir erst abendessen wollen, bevor wir mit einem noch verbleibenden langen Anstieg zum Hostal die heutige Tour endgültig beenden. Eventuell wollen die Kinder von Claudio und Rosana auch noch mit uns hochfahren. Auf dem Platz hören wir wieder einen „Real Madrid“-Ruf, der Junge hat uns wiedererkannt. Und wir treffen ein Deutsches Paar, dessen Sohn schon mit dem Rad von Ecuador nach Ushuaia und das selber schon einige Male mit dem Rad in Asien unterwegs war. Hier sind sie jetzt mit dem Auto.

Im Refugio de Navigantes essen wir leckere Mangold-Lasagne bzw. Mangold-Quiche und dürfen uns noch eine Vorspeise (Suppe oder Salat) auswählen. Beide nehmen den Salat, und dann kommt Juttas Quiche noch einmal mit Salat. Das kommt nämlich immer zusammen… das hätte die Bedienung ja eventuell bei der Salatbestellung klären können, aber egal! Viktor schafft im Anschluss noch eine großes Stück Tiramisu.

Die Radfahrfamilie ist noch unterwegs, also machen wir uns ohne jugendliche Begleitung auf die letzten drei Kilometer bergauf zum Hostal Casa del Bosque, das Claudio für uns zu einem reduzierten Preis reserviert hat. Um halb neun erst kommen wir dort an, und Viktor bekommt „wegen der Anstrengung“ sogar noch eine Dose Bier ohne Berechnung auf’s Haus.

Der Abend wird nicht mehr sehr lang, und zu unserem „Glück“ kommt die ganz in der Nähe wohnende Familie von Claudio und Rosana nicht mehr vorbei (auch wenn es eigentlich schade ist;-) ) – wir sind wirklich sehr müde!

Donnerstag 30.1.25 – (174) – Dalcahue – El Pulputo (Lago Natri)

1004 m Gesamtanstieg

Gesamt: 11.111,07 km

Im netten Hostal Casa del Bosque frühstücken wir um acht und sind um neun fertig zur Abfahrt. Leider hat es nicht geklappt mit einem Treffen mit denen, die uns dieses Hostal reserviert haben (Claudio, Rosana, Vicente, Cristobal) – wir lassen wenigstens unsere Aufkleber für sie da, denn sie wohnen ganz nah und kommen eventuell später vorbei. Aber wir müssen wirklich pünktlich los, sonst schaffen wir den heutigen Tag nicht, besonders wenn noch schlechtes Wetter oder Gegenwind aufkommen sollte. Abends haben wir ein total liebes Dankesvideo von ihnen.

Wir fahren aus Dalcahue in Richtung Norden heraus, ohne noch einmal herunter in den Ort zu fahren, sondern gleich in Richtung der R-5, die hier auf der Insel wenigstens keine Autobahn mehr ist, sondern nur einspurig mit Seitenstreifen. Nur in den Steigungen gibt es bei Bedarf eine zweite Spur, und das ist heute mehrfach der Fall.

Die R-5 geht mitten durchs Landesinnere, bis sie in Castro zur Küste führt. Dort wollen wir eine Pause machen, halten an einem nach „Café“ aussehenden Laden, dessen Verkäuferin uns aber den Weg zum Café Blanco erklärt. Dort im WIFI kümmert sich Viktor um eine Übernachtungsmöglichkeit für heute, Jutta soll die Tickets für die Fährfahrt nach Chaitén buchen. Kurz nachdem dieses beim dritten Bezahlversuch endlich geklappt hat, entdeckt Viktor im Spam-Ordner seiner Mails, dass er vor drei Tagen schon Tickets gekauft hatte. Die Pause wird also noch etwas länger, da wir versuchen, die gerade getätigte Buchung wieder zu stornieren. Das ist ohne Chilenische Kontonummer nicht so leicht. Wir sollen es per E-Mail an die Buchhaltung versuchen, aber vermutlich müssen wir später die Kreditkartenabbuchung für die doppelten Tickets stornieren. An einem Nachbartisch sitzt eine Katalanin aus dem Empordà, mit der Viktor sich austauscht. Außerdem entdeckt uns der Junge mit dem Real Madrid-Trikot auch hier am Platz wieder und ruft grüßend zu uns rüber, die Familie ist mit dem Auto auch nicht schneller unterwegs als wir.

Für eine zweite Pause fahren wir nach Chonchi rein. Die lange Straße in den Ort ist eine tolle Allee. Wir suchen den Hauptplatz, zu dem es ziemlich abwärts geht und in dessen Nähe rein gar nichts zum Einkehren ist. Eine Passantin rät uns zum wohl einzigen „Restaurant“ (in der Hauptstraße), also setzen wir uns dort und Viktor kann einen weiteren Completo essen.

Als wir weiterfahren, hören wir ein neues Geräusch am Hinterrad. Hängt da eventuell ein Gurt in den Speichen? Wir halten an, und es ist „nur“ ein überfahrenes Kaugummi, dass bei jeder Umdrehung ans Schutzblech stößt.

Am Ende einer Steigung wartet ein Auto auf uns, die Beifahrerin ist ausgestiegen und winkt uns zu warten. Sie haben uns gestern auch schon gesehen und wollen uns heute eine Übernachtung oder ein „Descanso“ bei ihnen zu Hause anbieten. Der Ort Compu liegt zehn Kilometer hinter dem Lago Natri, wo wir erst heute mittag eine Cabaña reserviert haben, und wir lehnen dankend dieses nette Angebot ab.

Um halb sechs sind wir an der Abfahrt zu den Cabañas San Nicolas, schieben nach unten an den See und bekommen die Cabaña Canela, in der auf zwei Etagen sechs Schlafplätze sind – eigentlich viel zu groß. Oben an der Straße gibt es ein Restaurant „Casa del Lago“ nur 650 m entfernt, dass bald schließt, also gehen wir zunächst dort essen. Die Nichte der Betreiberin bedient uns, und der frische Lachs mit Rosmarin (hier ist einfach absolute Lachsregion) ist sehr lecker, kann man sich merken.

Auf dem Rückweg nehmen wir die „Abkürzung“ am Strand (ein Mann bestätigte uns, dass der See öffentlich sei und es keine Zäune gäbe) und müssen halb durch das Wasser über große Kiesel laufen. Währenddessen kommt immer mehr Wind auf, und kurz bevor wir am Haus sind beginnt der Regen. Drinnen befeuern wir den Ofen und gucken dem richtig starken Regen zu. Hoffentlich reicht die Ofenwärme, unsere Kleidung zu trocknen, inklusive der Handtücher (wir müssen unsere eigenen nutzen).

Freitag 31.1.25 – (175) – El Pulputo (Lago Natri) – Quellón

Gesamt: 11.168,46 km

Leider hat der Ofen nicht die ganze Nacht durchgehalten und die Hütte ist morgens ziemlich kalt und die Klamotten kalt bzw. noch klamm. Wir nutzen deshalb die Küche, um vor dem Verlassen schon ein paar Tassen Bünting-Ostfriesentee zu trinken – so sind wir wenigstens von innen warm. Über dem See wabert dert Nebel, es sieht richtig mystisch aus, trotzdem sehen wir keinen der in dieser Gegend lebenden Gnome ;-). Um kurz nach acht fahren wir zur Casa del Lago (von gestern abend), da es dort auch Frühstück gibt.

Die Fahrt auf der R-5 ähnelt der gestern, auch wenn wir nur zwei größere, steile Anstiege neben dem ganz normalen „Grundrauschen“ zu bewältigen haben, und heute können wir alles fahren.

Da die Strecke nicht so lang ist, gucken wir ab der Hälfte nach einer Pausenmöglichkeit. Die Auswahl ist gering, und das, was wir sehen, ist geschlossen. An einer geöffneten Einfahrt mit vielen wehenden Fahnen verschiedener Lebensmittelhersteller finden wir den entsprechenden Laden nicht, ein angesprochener Herr druckst ein wenig herum, ruft dann eine Frau, die uns fragt, was wir den bräuchten. Bei ihr kann man wohl Grundnahrungsmittel kaufen, heißes Wasser für Tee oder Kaffee aber nicht. Aber zwei Kilometer weiter wäre ein Autoservicio, da könnten wir etwas finden.

Auf dieser ja kurzen Strecke überholt uns ein Auto und fährt rechts ran. Der Fahrer (Matías) holt etwas aus dem Kofferraum und macht Handzeichen, damit wir anhalten. Er schenkt uns einen ganzen Karton mit Sushi (Lachs, Thunfisch und Huhn). Wir nehmen dankend an, er wendet und fährt zurück. Matías muss also extra hinter uns her gefahren sein – er hat bestimmt geahnt, dass wir gerade Pause machen wollen.

Tatsächlich finden wir bald eine Art kleines Einkaufszentrum: ein Klamottenladen, eine Ferreteria, ein Supermarkt und ein Restaurant, wo wir draußen sitzend Pause machen können. Viktor (der die Sushi leider allein essen muss) beginnt mit dem Verzehr, der Rest wird eingepackt.

Dann sind es noch weniger als 15 Kilometer bis Quellón, und als die zweite harte Steigung überwunden ist, geht es recht zügig.

Im Ort wollen wir erst einmal einchecken, über booking.com ist ein Zimmer gebucht. Im entsprechenden Gebäude in der Hauptstraße ist ein dunkles, dreckiges Treppenhaus, wir denken schon, wir wären falsch. Unter der Telefonnummer meldet sich zunächst niemand. Viktor bekommt dann aber einen Anruf, und die Tochter der Vermieterin soll das Zimmer fertig machen. Es scheint sich um ein Zimmer der Wohnung zu handeln, in dem die Familie lebt, und dieses Zimmer liegt hinter einem Vorhang. Jutta geht parallel auf die Suche nach einer anderen Unterkunft.

Das nahegelegene Hotel Rincon del Sur hätte ein Zimmer für uns, und die Vermieterin des „Zimmers“ verzichtet ungefragt auf das Geld, das wir eigentlich hätten zahlen sollen, und so lassen wir der Familie ihr Zimmer und wechseln zum Hotel.

Gegenüber im Café wollen wir vor dem Duschen noch Kaffee trinken (und weitere Sushi bzw. eine Waffel essen). Mit der betreibenden Venezuelanerin (Horexi) und einem ihrer Söhne (Horacio, 15-jähriger Zwilling, der ihr hilft) unterhalten wir uns nett. Der Sohn würde gerne Deutsch lernen, und wir vermitteln ihm den Kontakt zu Bernhard in Puerto Montt, der ja Deutsch im Online-Unterricht lehrt. Außerdem erfahren wir, dass nur gut sechs Kilometer von hier die Panamericana beginnt bzw. endet, je nach Blickrichtung. Gut, dass wir noch nicht geduscht haben! Das können wir uns doch nicht entgehen lassen, wo wir doch unsere ganze Reise „Panamericana“ nennen und schon auf weiten Strecken darauf gefahren sind.

Also fahren wir – mit stark reduziertem Gepäck – noch einmal los. Zuerst am Büro der Naviera Austral vorbei, um zu erfahren, wo heute Nacht unsere Fähre ablegt und wann wir da sein müssen. Und dann über die immer schlechter werdende R-5 bis zum Ende.

Zurück im Hotel wird geduscht, gebloggt, ein wenig ausgeruht. Abendessen gibt es im Hotelrestaurant (Bandnudeln Pomodoro und Bolognese). Die Bedienung hat gerade ihren dritten Arbeitstag, kennt die Speisekarte noch nicht und die „Limonada Menta-Gengibre“ (Limonade Minze-Ingwer) wird ein bisschen stärker als sonst üblich … aber Jutta schmeckt es.

Gegen 23 Uhr brechen wir zum Anleger von Naviera Austral auf, denn wir sollen nach den Autos, die um elf boarden sollen, auf die Fähre. Allerdings ist noch kein Schiff in Sicht, statt dessen sammeln sich in den drei Straßen der T-Kreuzung nicht nur PKW, sondern auch LKW und ein Bus, die alle warten müssen und die Straßen verstopfen. Wir brauchen also Geduld, und es ist ziemlich kalt, so um die 10 Grad Celsius. Einige der Rucksack-Touristen sind barfuß und in Shorts, die müssen noch mehr frieren als wir.

Um kurz vor Mitternacht legt die Fähre an, alle Fahrzeuge und anschließend die Personen müssen von Board, die Kontrollcrew muss kontrollieren, ob desinfiziert werden muss, die Cafeteria wird aufgefüllt, und dann erst wird mit dem Beladen begonnen.

Samstag 1.2.25 – Quellón – Chaitén

Es ist inzwischen Samstag, als erst die Lastwagen rückwärts über den langen Anleger hinunter zur Fähre fahren müssen (die Fahrer müssen das wirklich beherrschen!). Wir sind letztendlich mit den zu Fuß Gehenden die Letzten und dürfen unser Tandem in einem Gepäckraum unterstellen, der heute nicht anderweitig gebraucht wird. Im Salon ist es relativ leer, man kann sich auf nebeneinander liegenden Plätzen hinlegen. Bis auf einige laute Schnarcher ist es auch recht leise. Aber es ist kalt! Wieder einmal! Trotz mehrerer Lagen Kleidung übereinander!

Um 4:30 Uhr ertönt eine laute Ansage, dass wir in 15 Minuten in Chaitén anlegen. Es ist noch stockduster. Wir sind zwar wieder bei den Letzten, die an Land gehen, aber es ist trotzdem erst viertel nach fünf in der Früh. Hinter anderen her gehen wir erst in ein Wartegebäude. Dort ist es einigermaßen warm, es gibt Sitzplätze und sowohl einen Automaten mit drei Heißgetränken (der nur Münzen nimmt), als auch einen mit Snacks (der auch Scheine nimmt). Unter den dort Wartenden sind mehrere andere Deutsche, und fast jede(r) muss sich erst einen Snack ziehen, um an Münzen zu kommen, um danach etwas Heißes trinken zu können. Manch einer legt sich mit Schlafsack noch schlafen – oder auch auf Styroporplatten, die herumstehen, in einem Plastiksack. Wir warten mehr oder weniger einfach darauf, dass es hell wird. Unser Hostal hat angeboten, dass wir schon früh kommen dürfen, und das nehmen wir an.

Gegen sieben sind wir am Hostal, der Schlüssel steckt und wir kommen rein, und bald darauf begrüßt uns der Betreiber. Das Zimmer ist schon bereit, wir bekommen aber sogar erst noch ein Frühstück und können unsere Wäsche abgeben, bevor wir uns gegen acht Uhr ins Bett begeben. Im Frühstückraum ist eine größere Runde Väter mit Kindern, die zum Lachs- und Forellenfischen an einen See wollen. Der eine Sohn ist in San Francisco geboren, wo die Chilenischen Eltern seinerzeit lebten – wir haben jedenfalls Gesprächsthemen…

Unsere nachgeholte Nachtruhe beenden wir um halb zwölf. Die Wäsche ist wie von Zauberhand schon fertig gewaschen und getrocknet. Im Café Buen Sabor machen wir auch ohne vorherige Radtour eine Kaffeepause, gleichzeitig mit einem Deutschen Rentnerpaar, dass gerade aus dem Süden kommt (mit dem Auto) und noch bis Ende März unterwegs sein wird (Atacama-Wüste und Bolivien). Im Supermarkt gegenüber decken sich in der Zwischenzeit fünf Bikepacker ein, und die beiden sagen, dass sie unheimlich vielen Radfahrenden begegnet sind.

Den weiteren Nachmittag arbeiten wir den Blog auf und versuchen die nächsten Tage zu planen. Die Fähren, die auf dem Weg nach Norden liegen, sind dummerweise nicht so verfügbar, wie wir sie bräuchten. Jetzt können wir noch einen Tag Richtung Süden fahren, dort umkehren, und dann kommen wir gerade so rechtzeitig in Puerto Montt an, um unsere lange gebuchte Fähre nach Puerto Natales zu bekommen. Auch beim Unterkunft-Buchen gibt es Probleme – hier ist absolute Hochsaison und wir können nicht dort übernachten, wo es für die Fährfahrten eigentlich ideal wäre.

Zur Erläuterung: Die Carretera Austral („Austral“ ist spanisch für Südlich, aus dem Lateinischen „Australis“), auch „Ruta Nacional 7“, war zwar ein Prestige-Projekt des Militärdiktators Pinochet, sie ist aber nicht komplett durchgängig ausgebaut. Wir werden in den nächsten Tagen mehrere kurze und längere Fährfahrten (bis zu 5 Stunden) unternehmen. An einer Stelle müssen wir eine circa 10 Kilometer lange Strecker über Land fahren, die gerade in 2024 asphaltiert wurde (davor war es eine schlimme Schotterstrecke), und diese möglichst schnell durchradeln, damit wir eine Anschlussfähre erreichen, die nicht besonders lange auf Radfahrer wartet. Hier sind schon oft Radfahrende gestrandet und erst sechs Stunden später in der Dunkelheit weitergekommen oder sie mussten sogar wild zelten (teilweise ohne genug Verpflegung), wenn die nächste Anschluss-Fähre ausgebucht war und es erst am nächsten Morgen für sie weitergehen konnte.

Zum Abendessen geht es in das Restaurant „El Volcan„, wo Viktor einen Meer-Aal probiert, ein weißer Fisch, der insgesamt etwas langweilig schmeckt, aber trotzdem überraschend gut ist.

Sonntag 2.2.25 – (176) – Chaitén – Puerto Cárdenas

Gesamt: 11.214,14 km

Schon während der Nacht hören wir es draußen ordentlich regnen und stürmen. Als der Wecker um sieben Uhr klingelt und wir aus dem Fenster sehen, bestätigen sich unsere Befürchtungen. Wir werden es heute (und vermutlich auch in den kommenden Tagen) mit dem typischen Wetter Patagoniens zu tun bekommen: Regen und Wind.

Wir legen uns also vor dem Frühstück schon alle Regensachen (Regenhose, Neopren-Überzieher für die Schuhe) bereit, die wir tief unten in unseren kleinen grünen Packtaschen monatelang mit uns herumgefahren haben. Benötigt haben wir sie eigentlich nie, denn in Mittelamerika war der Regen so warm und meist auch nur so kurz, dass wir keine Regensachen anziehen wollten. Danach hatten wir monatelang keinen Regen oder nur ganz kurze Schauer hier und da, die man in Unterständen locker abwarten konnte.

Wir ziehen das Frühstück ab 8 Uhr ein wenig in die Länge, immer mit dem Blick aus dem Fenster und auf das Regenradar, auf dem es zeitweise so aussieht, als müsste der Regen bald nachlassen. Als der Regen um 9 Uhr eher stärker wird, ziehen wir die Regensachen an und machen uns auf den Weg. Hilft ja alles nix!

Die Carretera Austral (oder Ruta National 7) geht mitten durch den Ort Chaitén, wir müssen also nur der Hauptstraße folgen und sind schnell aus dem Ort heraus und auf der berühmten Straße Richtung Süden unterwegs. Die Landschaft rechts und links der Strecke ist wirklich atemberaubend schön. Wie wir gestern in Chaitén gelernt haben, ist das der einzige Regenwald gemäßigter Zonen in Südamerika. „50 Shades of Green“ ist hier vermutlich noch untertrieben. Und natürlich braucht es dazu ausreichenden Regen, wie wir ihn heute genießen dürfen.
Rechts und links der Straße erheben sich majestätische Berge mit schneebedeckten Gipfeln, die aber gar nicht mal so hoch sind, wie wir es erwartet hatten. In diesen südlichen Breitengraden bleiben auch Gipfel mit 1.800 m Höhe den Sommer über schneebedeckt, vermutlich auch Dank der kalten Humboldt-Meeresströmung (im Gegensatz zum warmen Golfstrom, der in Europa für das Gegenteil sorgt).
An der Strecke sehen wir rechts und links immer wieder kleine Wasserfälle an den Berghängen. Den ersten filmen wir noch, den zweiten fotografieren wir, ab dem dritten Wasserfall genießen wir einfach nur noch die Aussichten (trotz des Regens). Was haben wir auf dieser Tour schon für Wanderungen unternommen, um einen Wasserfall zu sehen … hier lauern sie gefühlt hinter jeder Bergkuppe oder Kurve.

Wir fahren 20 Kilometer durch den … nennen wir ihn mal „halb-starken“ … Regen. Es gibt schlimmeren Regen, aber es ist auch kein leichtes Nieseln mehr. Jedenfalls ist er stark genug, um seinen Weg durch die Wind- und Regenjacken zu finden, die wir nach dem letzten Waschen nicht noch einmal imprägniert haben. Bei Jutta findet das Wasser auch seinen Weg in die Regenhose, so dass sie in dem „ach-so-gemütlichen“ vorderen Sitz irgendwann ziemlich feucht sitzt. Zum Glück haben wir uns nur etwas über 40 Kilometer vorgenommen, mit der Option am Zielort noch eine lange Steigung hinaufzuradeln, um einen schönen Aussichtspunkt (Mirador) auf den Lago Yelcho zu erreichen. Beim heutigen Regen, Nebel und den Wolken entscheiden wir uns schnell, dass wir uns die anstrengende Steigung sparen werden. Außerdem haben wir zum Doppelglück auch noch Rückenwind, was das Ganze auch nochmal deutlich erträglicher macht, als wenn uns der Regen vom Gegenwind ins Gesicht gepeitscht würde. Letzteres blüht uns aber vermutlich ab morgen, denn dann geht es Richtung Norden über die Carretera Austral zurück nach Chaitén und dann weiter bis nach Puerto Montt.

Nach gut 20 Kilometern in Amarillo sind wir gegen 11.15 Uhr trotz der körperlichen Anstrengung ein klein wenig angefroren (es herrschen circa 14 Grad Celsius). Wir nutzen also die einzige Gegelegenheit auf der heutigen Strecke, einen kleinen Supermarkt mit danebenliegendem Restaurant (Supermercado, Restaurant y Cabañas Panchito), betrieben von einer Familie (Vater und Tochter), für die einzig mögliche Pause. Im Supermarkt trinken wir jeder zwei heiße Automaten-Cappuccino, denn das Restaurant öffnet erst in ca. einer Stunde (am Ende sind es sogar fast 1,5 Stunden), wärmen uns auf und unterhalten uns mit dem Besitzer, der behauptet, das sei gar kein Regen sondern nur ein leichtes Nieseln.

Nachdem die Tochter dann die Reinigung der Cabañas beendet hat, öffnet sie um fast halb eins das Restaurant (dranstehen tut als Öffnungszeit täglich 9 – 21 Uhr) und kann uns entgegen der Aussage ihres Vaters sowohl Tee als auch Kaffee anbieten. Wir trinken Tee und essen sogar etwas, sind danach endlich richtig warm und können um viertel nach eins (zwei Stunden Pause nach zwei Stunden Fahrt haben wir sonst noch nicht gemacht) weiterfahren.

Wir verabschieden uns mit „Hasta Mañana“, denn wir werden hier morgen sicherlich wieder eine Pause einlegen. Als wir weiterfahren, hört es tatsächlich auf zu regnen. Ab und zu kommt nochmal ein kurzer Schauer auf, aber zwischendurch zeigt sich auch mal kurz die Sonne, was sofort die Temperaturen und die Stimmung hebt.

Nach 45 Kilometern erreichen wir Puerto Cárdenas am Lago Yelcho und fahren links in eine kleine Straße ab, an der unsere Cabaña der Villa Gesell liegen soll. Leider ist die entscheidende WhatsApp, in der uns der Weg unten am See entlang beschrieben wird, nicht mehr bei uns angekommen, da wir unterwegs mit unserer MAYA eSIM kein Internet mehr hatten. Auch unsere Pausenlokalität bietet kein kostenloses WIFI an, was wir sonst unterwegs oft nutzen. Wir folgen also aus Sicht der Vermieterin fälschlicherweise den Schildern vor Ort, die aber für die mit dem Auto anreisenden Gäste aufgestellt wurden. Dazu müssen wir die bisher steilste Stelle unserer ganzen Tour überwinden. Viktor hat bereits entschieden, das Tandem abzupacken und die Taschen einzeln hochzutragen, als Jutta nochmal eine letzte Anstrengung bis zur nächsten Kurve vorschlägt. Und tatsächlich wird es dort zur Glück flacher. Als wir beim Spaziergang später den angeblich richtigen, einfacheren Weg für Fahrräder entlanggehen, stellen wir fest, dass dieser für uns unbenutzbar ist – wir haben also nichts falsch gemacht und werden morgen genauso wieder zurückfahren auf die Austral.

Wir haben die Cabaña Martin Pescador mit wahrscheinlich besserem Blick auf den See als vom nicht angefahrenen Aussichtspunkt. Sie ist eigentlich für vier Personen, richtig nett eingerichtet, und die Vermieterin heizt uns vor dem Eintreten den Ofen an – hier ist wohlgemerkt Hochsommer! Auf der Terrassenbrüstung sitzt lange ein junger Greifvogel, der wohl noch nicht gut fliegen kann.

Obwohl es jetzt trocken bleibt und die Sonne auch länger mal rauskommt, sind wir froh, sofort hierher gefahren zu sein. So können wir die ganzen feuchten Sachen ausreichend trocknen lassen und nutzen dieses schöne Häuschen auch hinreichend, nicht nur zum Schlafen. Dummerweise ist das WIFI hier „unten“ so instabil, dass das ganze Bilder- und Videohochladen sehr lange dauert, immer wieder muss man „hoch“ in die Nähe des Haupthauses gehen. So vergeht dann der restliche Nachmittag und Abend damit. Nur zwischendurch machen wir den Spaziergang zum See, der uns (wie schon geschrieben) bestätigt, dass wir doch den für uns richtigen Weg hierher genommen haben – unser Tandem ist halt das Wohnmobil unter den Fahrrädern.

Uns fällt auf, dass in dieser schönen Cabaña kein Fernseher vorhanden ist. Nicht, dass wir diesen nutzen würden – äußerst selten kommen wir dazu, mit Smart-TVs mal Nachrichten zu schauen – aber allermeistens, selbst in den einfachsten Unterkünften, gibt es einen Fernseher im Zimmer. Schon so oft haben wir den aus dem Nachbarzimmer sehr laut hören müssen…

Woche 43 (20.1.25 – 26.1.25) – Panguipulli – Puerto Montt

Montag 20.1.25 – (167) – Panguipulli – Los Lagos

Gesamt: 10.554,73 km

Ein gestern Abend lange Zeit heulender Hund in der Nachbarschaft hat dann doch irgendwann Ruhe gegeben. Wir sind pünktlich um acht beim sehr netten Frühstück an einem Tisch mit SINGER-Nähmaschinen-Unterbau. Unser Hotel war hier in Panguipulli die erste Schneiderei. Der Frühstücksraum ist unter anderem mit einem alten, kohlebetriebenen Bügeleisen dekoriert. Um neun fahren wir los.

Die ersten 3,7 Kilometer gehen ziemlich steil bergauf, da ist uns trotz der morgendlichen Kühle schon sehr warm. Ab dort fahren wir durch schöne Natur auf der T-39, die vollständig asphaltiert ist, auch wenn uns die Damen in Lican Ray etwas anderes erzählt haben. Wir sind sehr froh, dass wir diesmal nicht auf „lokale Experten“ gehört haben und diese Route fahren, und nicht den über 100 Kilometer langen Umweg mit einem Teil auf der Ruta 5 Autobahn.

Da auf Schildern am Straßenrand immer wieder Verkaufsstände angekündigt werden, von denen kein einziger existiert, machen wir eine Pause in einem Bushaltestellenhäuschen. Dort vertilgen wir die letzten Weihnachtsschokoladenkugeln und Marzipankartoffeln. Nochmal lieben Gruß und Dank an die Weihnsachtsfrauen aus Deutschland!

Eine weitere steile Stelle müssen wir noch erklimmen, nachdem wir den Rio San Pedro überquert und an der Brücke am wirklich schönen Aussichtspunkt angehalten haben. Wir kommen am Parkplatz mit einer Familie ins Gespräch und wieder mal wird ein kleines Mädchen auf Juttas Stoker-Sitz fotografiert.

Nur ein paar Kilometer vor Los Lagos liegt das geöffnete SKPE (sprich: escape) an der Straße, wo es zwar keinen Kaffee, aber wenigstens ein kaltes Getränk für uns gibt.

Um kurz vor zwei kommen wir am „Hospedaje Dulce Amanecer“ (Süßes Erwachen) an, das anscheinend von Zeugen Jehovas betrieben wird, jedenfalls hängen entsprechende Flyer an der Fassade. Das war die einzige Unterkunft, die auf WhatsApp-Anfragen reagiert hat. Wir bekommen immerhin ein Zimmer mit privatem Bad. Der Boden ist ziemlich abschüssig – hoffentlich stürzt das Haus nicht in den kommenden Stunden ein. Das WIFI-Password kennt die Dame, die uns einlässt, nicht, aber später kommt die Besitzerin und wir haben tatsächlich ein funktionierndes WIFI, mit dem wir in dieser Hütte nicht gerechnet haben.

Wir gehen zuerst einmal zur Plaza de Armas, weil es dort angeblich ein Café und – laut Aussage der Hausdame – sogar „Einfach Alles“ („Hay de todo“) geben soll. Das Café gibt es zwar, aber die Kaffeemaschine funktioniert nicht. Wir werden ein paar hundert Meter weiter geschickt, zum Café Laguino. Dort funktioniert alles und sie haben sogar Banana-Split im Angebot – hier mit zwei Bananen! Das wird heute unser Mittagessen, zusammen mit einem Milchkaffee. Und da es hier sehr nett ist, sie ein funktionierendes WIFI haben und man auch noch Abendessen kann, planen wir, später noch einmal wiederzukommen.

Da unser Ständer am Tandem seit Kurzem muckt, kriecht Viktor vor dem Duschen noch unter das Rad und guckt sich den nicht mehr richtig durchgesteckten Stift an. Das Gegenstück – falls es eine gab – müssen wir wohl verloren haben, es ist auch nicht von der „Windel“ um den Ständer aufgefangen worden. Vielleicht muss der Stift aber auch nur zurück in eine Passung gedrückt werden. Das werden wir demnächst mal mit einem Hammer probieren.

Nach langer Zeit müssen wir mal wieder unsere eigenen Handtücher benutzen, denn in diesem Hospedaje erhalten wir keine, wir können unsere aber im Anschluss an einer Wäscheleine im Hinterhof aufhängen. Nach ein weinig Ruhezeit gehen wir noch einmal los. Los Lagos geht auf der anderen Flussseite noch weiter, das wollen wir erkunden. Richtig lohnenswert ist es hier ebenfalls nicht, aber in der Cervecero de Garage (Bier-Garage) setzen wir uns auf ein Getränk (dunkles Stout oder Apfelschorle). Weil uns hier die Musik zu laut ist, gehen wir zum Essen dann wirklich zum Café von heute Mittag zurück. Auf dem Weg sehen wir einen der kräftigsten Regenbögen, die wir je gesehen haben.

Kräftiger Regenbogen in Los Lagos

Im Café beginnen wir schon vor dem Essen mit dem Blogschreiben. Die Musik ist wirklich sehr dezent, dafür ist es gerade ziemlich voll, und wegen der vielen anwesenden, teilweise laut heulenden Kinder (es gibt eine Spielecke mit Bällebad) ist es auch hier nichts mit Ruhe, nur eben anders als in der Bier-Garage. Das Essen ist ganz o.K. aber Viktors „papas fritas“ sind schon kalt und die Limo (Bier gibt es hier nicht) kommt mit großer Verspätung. Als Entschuldigung gibt es einen Alfajor geschenkt, ein typisch lateinamerikanisches Gebäck mit spanisch-maurischen Wurzeln.

Und da wir in der Hauptstraße hier im Ort ein eigenartiges Schild gesehen haben, geben wir heute nach langer Zeit wieder ein Rätsel auf:

Was gibt es hier wohl zu kaufen? Wir nehmen Ideen in den Kommentaren entgegen! Auflösung morgen.

Dienstag 21.1.25 – (168) – Los Lagos – Valdivia

Gesamt: 10.605,46 km

Das Haus ist heute Nacht stehen geblieben und wir bekommen um acht Uhr ein Frühstück serviert. Auf dem Bürgersteig bepacken wir das Tandem, gegenüber im Trebol kauft Jutta schnell die Getränke, und um kurz nach neun begeben wir uns auf die Straße nach Valdivia. Auch heute beginnt der Weg erst einmal mit einem steilen Aufstieg – die Muskeln haben keine Chance, sich vorher aufzuwärmen, und die Oberschenkel brennen schon nach weniger als 5 Kilometern.

Und wie die Betreiberin der Hospedaje schon meinte: die Straße nach Valdivia hat viele Steigungen. Sie sind bis auf ein, zwei Ausnahmen alle kurz, aber steil. Wir fahren mehr oder weniger parallel zum Rio San Pedro, und die Ufer sind ziemlich hügelig.

Landschaftlich sind es heute so wie wir es mögen: grün, grüner, am grünsten, sozusagen „Fifty shades of green“, dazu noch Schweine, Rinder, Pferde, hoch über uns kreisende Geier (Condore oder nicht können wir nicht genau sagen) und immer wieder Blicke auf den Fluss.

Nach nur 16 Kilometern in Antihue ist uns schon nach einer Pause. An einem Haus mit großen Nescafé-Bannern halten wir, und obwohl der Laden noch geschlossen ist, ist die Frau bereit, uns heißes Wasser und Nescafé-Pulver zu servieren. Im Inneren entdecken wir verschiedene handwerklich hergestellte Dinge, z.B. Lampen aus Fahrradfelgen oder Spiegel in Baumscheiben. Die macht die Wirtin alle selber und ist stolz auf ihr „Recycling“, wie sie sagt.

Wir halten an einem Mirador, von dem man aber kaum etwas sehen kann, weil alles zugewachsen ist. Da war der Blick ein paar hundert Meter vorher wesentlich besser. Jutta läuft ein wenig zurück, um überhaupt ein Bild machen zu können.

Um kurz nach ein Uhr sind wir im Zentrum von Valdivia und trinken noch eine Malteada (Milchshake mit Vanilleeiskugel), bevor wir um etwa zwei Uhr zu Carlos fahren, der uns zwei Nächte bei sich aufnehmen wird (ein ehemaliger Arbeitskollege von Juttas Schwester Barbara). Bei ihm trinken wir gemeinsam Kaffee (deshalb vorher die Malteada).

Carlos ist Schiffbau-Ingenieur und hat in der Garage eine sehr gut ausgestatette Werkstatt. Viktor und er reparieren den Ständer des Tandems, während Jutta duscht. Entscheidend für den Erfolg der Reparatur ist das „Auf-die-Seite-Legen“ des Tandems und die Entdeckung zweier versteckter Madenschrauben. Carlos sei Dank! Ab heute sind Viktors zweitliebste Ingenieure nicht mehr die Agrar-Ingenieure, sondern die Schiffbau-Ingenieure 😉
Als Viktor dann ebenfalls geduscht hat, fährt Carlos mit uns (im Auto) eine große Runde mit mehreren Halten an der Küste entlang. Wir sehen Festungen der Spanier (eine können wir besichtigen), die größte komplett auf Flüssen umschiffbare Insel Südamerikas, wir machen einen Strandspaziergang und können dabei Carlos‘ Freund Martin beim Paragliding zusehen. Ein perfekter Spätnachmittag und Abend!

Nachdem Martin wieder am Boden ist, stehen wir eine ganze Zeit zu viert beisammen und unterhalten uns – wohlgemerkt auf Deutsch – und Martin spendiert ein kühles Bier. Danke Martin!

Carlos, Martin und Viktor

Als die Sonne fast schon untergeht, fahren wir die Runde weiter bzw. über einen anderen Weg zurück. Carlos bekocht uns (mit ein wenig Schnippel-Unterstützung von Jutta) Chinesisch, denn er hat für die Reederei Döhle (in Hamburg) auch dreieinhalb Jahre in China gelebt. Es wird ein für uns langer Abend, und wir kommen erst ab 23 Uhr dazu, unserer Schreibroutine nachzukommen.

Und hier noch die Auflösung von gestern:

Die Autowaschanlage war nahe dran, aber es ist eine Tankstelle 🙂

Heute haben wir wieder ein neues Verkehrsschild gesehen und fragen wieder in die Runde, was es bedeutet:

Mittwoch 22.1.25 – Valdivia

heute mal Kanu statt Fahrrad

Um halb neun sind wir bei Carlos‘ Mutter Helga zum Frühstücken eingeladen. Es gibt neben den Chilenischen Marraquetas und Hallulla – Brötchen auch Dinkelbrot aus der Panaderia „Bäckerei“ aus der Nachbarschaft sowie Eier, deren Schale bläulich-grünlich aussieht. Gentests haben ergeben, dass die Hühner, die diese Eier legen, ursprünglich aus China kommen und offenbar schon vor den Spaniern hier in Chile lebten (Gallina Mapuche oder Gallina Araucana).

Aus dem Carport laden wir ein Zweierkayak auf den Dachgepäckträger von Carlos‘ Auto, fahren zu ihm zurück und laden ein Einzelkayak dazu, packen weiteres Zubehör in den Kofferraum und fahren zu einem Anlegesteg in der Nähe (am Grundstück einer Art Studentenverbindung).

Und dann verbringen wir gute zwei/zweieinhalb Stunden auf dem Wasser, Viktor im Einzel, Jutta zusammen mit Carlos, der sich heute das erste Mal seit seinen Rippenbrüchen Ende Dezember (beim Karate) wieder traut zu paddeln. Wir fahren einmal um die Insel Teja herum, durch den Rio Valdivia, den Rio Cau-Cau und den Rio Cruces. Ein Versuch, durch die Binsen zu fahren, klappt nicht – es ist zu wenig Wasser da. Auf dem Weg, den wir statt dessen nehmen müssen, kommt ziemlicher Gegenwind auf, aber zum Glück fahren wir mit der Strömung, was beim Vorwärtskommen hilft.

Das „Tsunami“ und das „Passat“ von Carlos sind die bislang besten Kayaks, mit denen wir je gefahren sind. Wir sitzen relativ wasserdicht mit Spritzdecken, auch wenn Viktor am Ende der Tour doch so viel Wasser auf die Spritzdecke geschaufelt hat, dass sein T-Shirt und die Hose ordentlich durchnässt sind.

Nach der Tour trinken wir bei Carlos einen Kaffee, nachdem wir das erste Kayak (Tsunami) wieder in der Garage verstaut haben. Dank jahrelanger Optimierung der Logistik geht das extrem zügig und wir haben noch den ganzen Nachmittag, um Valdivia zu erkunden.

Wir machen uns zu Fuß auf den Weg in die Altstadt, besuchen den Fischmarkt und das Foucault’sche Pendel am Pier, gehen eine kleine Brauerei besuchen (nicht Kunstmann sondern El Regreso) und zum Schluß durch die historischen Straßen von Valdivia, „Gral Lagos“ und „Yungay“, wo die ältesten Häuser Valdivias stehen, die von deutschen Einwanderern gebaut wurden.

Als wir zurückkehren hat Carlos eine kleine ergonomische Hilfe produziert, mit der wir vielleicht das Schieben unseres Tandems in den extremen Steigungen optimieren können. Der Prozess-Optimierer in Carlos hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Wir probieren es ohne Gepäck in der recht steilen Garagenauffahrt und es hat tatsächlich Potential, denn es hält das Tandem beim Schieben in gerader Fahrtrichtung, ohne kraftraubende Lenkbewegungen zu erfordern. Gleichzeitig muss Viktor seinen Arm zum Schieben nicht mehr extrem weit strecken, um den rechten Handgriff am Lenker zu erreichen, sondern kann den Fahrradsattel zur Krafteinleitung nutzen. In der nächsten schweren Steigung wird das Ganze einem Praxistest unterzogen.

Wir beschließen den Tag gemeinsam mit Carlos zunächst bei einem Abendessen im Cafe Haussmann gegenüber der deutschen Schule von Valdivia und später noch bei Carlos mit einem liebevoll zubereiteten „Piscola“ auf sphärischen Eiswürfeln (also eigentlich Eiskugeln). Wir unterhalten uns den ganzen Abend intensiv über alles mögliche, tauschen Erinnerungen und Erfahrungen aus und die Gespräche sind fast so, als würden wir uns schon seit ewigen Zeiten kennen.

Irgendwann zwischen 23 Uhr und Mitternacht müssen wir diesen genialen Tag dann aber doch beschließen und in die Federn, denn für morgem haben wir über 80 Kilometer geplant.

Schon auf dem Rückweg vom Resutaurant fing es an zu nieseln und es roch sehr schön nach Sommerregen. Als wir ins Bett gehen hören wir, dass es draußen mittlerweile stärker regnet. „In Valdivia regnet es immer“ hatte Felipe uns noch erzählt. Das stimmte zum Glück nicht für unsere Tage hier in Valdivia, aber heute Nacht dann doch.

Donnerstag 23.1.25 – (169) – Valdivia – Rio Bueno

10.691,70 km

Wir packen das Tandem in der Garage fertig und fahren dann zu acht Uhr noch einmal zu Carlos‘ Mutter Helga, die uns auch heute zum Frühstück eingeladen hat. Es gibt diesmal noch Kürbisbrot, und für uns beiden zaubert sie Glückskekse auf den Tisch (Jutta wird viel Geld gewinnen, Viktor wird gut aus Verhandlungen herauskommen 🙂 ). Außerdem bekommen wir geschälte Möhren und Sandwiches von Helga und Bananen von Carlos als Proviant mit, weil es auf der Strecke nicht viel geben wird. So nett!

Schnell vorbei ist solch nettes Frühstück nicht, und so ist es fast 10 Uhr, als wir nach dem Starten noch unsere Getränke gekauft und vergeblich in einem Western Union nach Bargeld gefragt haben (morgens haben sie noch gar kein Geld).

Wir werden auf der 206 bis Paillaco und von dort auf der RN-5 bis Rio Bueno fahren. Zu Beginn ist es recht flach, aber von ungefähr Kilometer 20 bis 29 müssen wir eine lange Steigung hoch, die auf den ersten und letzen Kilometern am steilsten ist. Mit einer Bananenpause zwischendurch schaffen wir alles fahrend, was bedeutet, dass wir heute die „Schiebehilfe“ von Carlos noch nicht ausprobieren konnten bzw. mussten.

Ziemlich am höchsten Punkt gibt es eine kleine Hütte mit Gastronomie, die „La Clavela“. Wir halten für löslichen Tüten-Cappucino und Käse-Empanada, unterhalten uns nett mit der Frau (Dina Guadalupe/Arriagada Flores steht auf dem Kassenbon?), dürfen uns in ihrem Gästebuch verewigen und einen Sticker aufkleben. Sie sagt wir sollen „Memorias“, „Recuerdos“ und „Saludos“ (Erinnerungen und Grüße) hineinschreiben und fügt scherzhalber noch hinzu „y Herencias“ (und Erbschaften), damit sie sich erinnert, wen sie später beerben will ;-). Das erinnert uns plötzlich wieder einmal daran, wem wir dieses Sabattjahr eigentlich zu verdanken haben.
Unser Dank geht hinaus an Eltern und Schwiegereltern, Großeltern, Geschwister, Cousins & Cousinen, Onkel & Tanten, Kinder & Neffen und überhaupt … an die ganze Verwandschaft & Mischpoke und unseren Freundes- und Kollegenkreis, auf deren Fundament und Unterstützung wir unsere unvergessliche Reise aufbauen konnten.

Kurz nach der Weiterfahrt winken wir uns mit einem entgegenkommenden Bikepacker zu – beide Seiten fahren weiter – es ist wohl gerade zu bergig um anzuhalten und zu schwätzen.

In Paillaco fahren wir in den Ort und landen in einem Café „Nueva Estacion“. Dort verzehren wir unsere Sandwiches und Möhren zu bestellten Milchkaffees. Als wir weiterfahren ist es schon 15 Uhr, und wir haben noch 35 Kilometer Autobahn vor uns.

Der Seitenstreifen reicht heute von ganz neu und sauber über alt und holperig bis hin zu „gar nicht vorhanden“. Die Strecke führt nämlich über viele Brücken, an denen wir nach intensiven Blicken in den Rückspiegel immer wieder gefahrvoll auf die Fahrbahn wechseln müssen. Meistens haben wir das Glück, dass uns in dieser Zeit gerade keine Lastwagen oder Busse überholen, obwohl die Straße eigentlich nicht gerade leer ist. Am nervigsten sind die unerklärlichen diagonalen Asphaltstreifen die streckenweise alle 40 bis 50 Meter den Seitenstreifen „zieren“. Einen richtigen Grund (irgendwelche Leitungen?) lässt sich nicht erkennen. Sie sind aber immer höher oder niedriger als der übrige Asphalt und wir rattern mit „Tatam-tatam!“ darüber hinweg. Irgendwann flucht Viktor: „Wer auch immer für diese Dinger verantwortlich ist, der soll in der Hölle schmoren!“

Gegen 16:45 Uhr kommen wir am Hostal Caulle an. Die Rezeptionistin sagt uns, dass einige der bei GoogleMaps angezeigten Restaurants schon seit der Pandemie nicht mehr geöffnet sind, so auch das von uns anvisierte im „Club Aleman“. Dort stehen und hängen draußen sogar noch die Schilder, aber es gibt hier wohl nicht einmal mehr den Club, geschweige denn das Restaurant.

Dafür ist die Feuerwehr hier sehr Deutsch. Alles ist auf Deutsch beschriftet, sogar „Feuerwehr Stadt Rio Bueno“ und die Wehr ist Mitglied im Deutschen Feuerwehrverband. Das ist im Süden Chiles keine Seltenheit, und auch schon in Valparaiso gibt es ja von deutschen Einwanderern aufgebaute Deutsche Feuerwehren, die auch heute noch so heißen.

Wir landen am Ende am zentralen Platz im netten Café und Restaurant Murta del Dia, das auch regionale Spezialitäten anbietet. Viktor probiert den „Chupe de Jaiba„, einen Auflauf mit dem Fleisch der Blaukrabbe, und der ist wirklich gut.

Danach geht es sofort zurück ins Hostel zum Blog-Schreiben und mal wieder deutsche Nachrichten schauen – wir haben ein Smart-TV mit Youtube-Funktion im Zimmer und wollen mal schauen, was der neue U.S.-Präsident und der Bundestags-Wahlkampf in Deutschland so für Überraschungen parat haben.

Und hier kommt noch die Auflösung zu dem Verkehrsschild von vorgestern. Es zeigt an, dass über der Straße Hochspannungsleitungen verlaufen. Meist folgt kurz danach ein Schild mit einer Höhenangabe.

Freitag 24.1.25 – (170) – Rio Bueno – Puerto Octay

10.785,10 km

Wir frühstücken mit sehr leckeren Bäckerbrötchen, Jutta geht schnell zum Unimarc gegenüber, und um kurz nach neun machen wir uns auf den Weg nach Purranque (80 Kilometer Autobahn). Osorno liegt ungefähr auf halber Strecke, hat mehrere Western Union Niederlassungen und ein „Murta del Dia“, wo es uns gestern abend so gut gefallen hat, also planen wir, dort in die Stadt zu fahren und Pause zu machen.

Die kurze Strecke bis zur RN-5 geht wieder einmal ziemlich bergauf, so dass uns gleich warm ist. Dann sind wir auf dem Seitenstreifen, über den es heute sehr wenig zu meckern gibt. Die Gegend ist bestimmt von Ackerbau und Viehzucht, es gibt nichts Ungewöhnliches zu sehen, wir radeln einfach mit dem Zwischenziel Osorno.

An einem Pronto bei der einzigen Tankstelle halten wir spontan dann doch für einen kleinen Kaffee an. Wie immer schieben wir das Tandem eine Rampe hoch, stellen es auf den Ständer und erfahren dann, dass der Markt gerade geschlossen ist, weil es kein (Trink-)Wasser gibt. Der Mitarbeiter an der Tür hat uns die ganze Zeit schon bei Rangieren unseres Tandems zugesehen und kein Wort gesagt – erst, als wir bei ihm ankommen … und wir sind bei Weitem nicht die Einzigen, die erst wenige Zentimeter vor dem Erreichen der Türe gesagt bekommen, das hier gerade geschlossen ist … Unser Glück ist es, dass unser Losfahren immer etwas länger dauert (Helme wieder aufsetzen, Trinkrucksack auf den Rücken, Fahrradhandschuhe an, Handy und Geld in die Lenkertasche, Rangieren des schweren Tandems), denn in der Zwischenzeit geht die Tür auf und eine andere Mitarbeiterin gibt bekannt, dass alles wieder funktioniert.

Während unseres kleinen Kaffees ist am Nachbartisch ein Familienvater mit einem „Wacken – Winternights“ T-Shirt von 2019. Wir sprechen ihn an! Das Festival ist wegen der Pandemie ausgefallen, aber er hat das T-Shirt halt trotzdem. Er ist Brite, lebt aber in Chile.

Vor Osorno fahren wir von der Ruta 5 ab und ein ganzes Stück vom Nordosten der Stadt in den Nordwesten und von dort ins Zentrum. An der ersten Western Union Stelle zieht Jutta eine Nummer, und als diese dann endlich an der Reihe ist, erfährt sie, dass es gerade kein Bargeld gibt. Bevor wir es weiter probieren, wollen wir uns beim „Murta del Dia“ etwas stärken. Hier in Osorno gibt es leider nur eine Mitnahmefiliale ohne Sitzplätze (und ohne Toiletten), also lassen wir das. Nachdem wir noch zwei weitere Western Union vergeblich aufgesucht haben (es wird uns geraten, dort „einfach“ so lange zu warten, bis eventuell jemand zum Geldeinzahlen kommt – das kann aber mehrere Tage dauern – na toll!) geben wir das Projekt Geld abholen für heute wieder auf.

An der Plaza de Armas landen wir eher zufällig im Café „Cassis“ (wir haben keine Lust, nochmal den ganzen Platz zu überqueren, um ins Café Central zu gehen). Die Cassis-Kette kennen wir schon aus Viña del Mar. Als wir das Tandem vor dem Fenster parken, gucken zwei Männer nach draußen und gestikulieren heftig, um anzuzeigen, dass wir das Tandem unbedingt abschließen sollen. Unser schweres ABUS-Schloss war aber eine der ersten Sachen, die der Gewichtsreduktion am Anfang unserer Tour zum Opfer gefallen und in einem Paket nach Deutschland gelandet ist. Drinnen sollen wir uns zu ihnen setzen, um das Rad im Blick zu haben, weil es ja so gefährlich ist, es einfach dort stehen zu lassen. Viktor erklärt wie so oft, dass unser Tandem in ganz Lateinamerika nicht geklaut wurde, und dass das jetzt in einem so sicheren Land wie Chile bestimmt nicht passieren wird. Wir kommen ins Gespräch und stellen schnell fest, dass wir alle vier Deutsch sprechen. Rudi und Rudi 2 (Vater und Sohn) fragen, wohin wir heute fahren und raten uns von Purranque ab. Statt dessen wäre es doch viel schöner, heute nach Puerto Octay (wie wir später per WhatsApp erfahren ist das ihr Wohnort) an den Lago Llanquihue zu fahren und morgen von dort nach Puerto Montt, statt beide Tage auf der Autobahn zu verbringen. Insgesamt wäre die Strecke sogar kürzer. Rudi 2 ruft sogar im Hotel Haase in Puerto Octay an und fragt nach einem Zimmer für uns. Wir nehmen den Ratschlag von Ortskundigen an und planen spontan um, auch wenn es jetzt noch 55 km von Osorno statt vorher 40 sind.

Da war mal wieder so eine Zufallsbegegnung, wie wir sie auf dieser Tour lieben gelernt haben, inklusive spontaner Planänderung. Nachdem sich die beiden Rudis verabschiedet haben (wir tauschen noch Telefonnummern mit Rudi 2 aus), stärken wir uns mit „Bärentatzen“ (die bei uns in Deutschland Schweineohren heißen) und fahren nach unerwartet langem Aufenthalt in dieser Stadt weiter. Um 15 Uhr haben wir die Stadtgrenze erreicht und noch 50 Kilometer vor uns – da werden wir spät ankommen.

Die U-55-V führt genauso durch Ackerbau- und Rinderzucht – Gebiete, fährt sich aber dank weniger Verkehr deutlich angenehmer, auch ohne breiten Seitenstreifen. Die meiste Zeit geht es ein wenig aufwärts, nicht steil, und wir kommen gut voran. An einem Fluss ist gerade eine größere Brücken-Baustelle, an der wir ziemlich lange warten müssen, ehe unsere Fahrtrichtung freigegeben wird – es rangieren gerade mehrere Baufahrzeuge und die Strecke ist blockiert.

Kurz danach wollen wir noch eine Pause machen – Viktor hätte gerne einen „Completo“ (also den lokalen Hot Dog). Irgendwie braucht er jetzt etwas Herzhaftes. Es kommt aber leider lange keine Gelegenheit. In einem Mini-Markt gibt es immerhin eine Empanada, die er sich nur aufwärmen, aber nicht vollständig durcherhitzen lässt. Hoffentlich ist das ausreichend und hat keine schlimmen Folgen wie damals in Trujillo…!

Bald erscheint am Horizont wieder ein schneebedeckter Vulkangipfel (Vulkan Osorno) und kommt im weiteren Verlauf immer näher. In dieser Gegend stehen auf den saftigen grünen Wiesen richtig große Rinderherden – es ist genug Gras für alle da. Die schwarz-weißen Kühe vor dem schneebedeckten Vulkan sind schon ein einmaliger Anblick. Dummerweise ist das stets griffbereite Handy für die Fotos schon leer und das Zweithandy steckt tief in der Radtasche – der Tag ist zu lang.

Um kurz vor sechs kommen wir mit unserem Hase-Tandem im Hotel Haase an. Das Hotel ist 130 Jahre alt und noch ziemlich original. Im Flur stehen Waschtische (es gibt ein richtiges Gemeinschaftsbad), aber Rudi 2 hat uns ein Zimmer mit privatem Bad reserviert. Die Decken sind wahnsinnig hoch, die Wände wahnsinnig hellhörig.

Wir gehen noch eine Minirunde an den See, bevor wir im Hotelrestaurant essen gehen. Anschließend wird nur noch geduscht und Blog geschrieben – wir sind ziemlich kaputt.

Samstag 25.1.25 – (171) – Puerto Octay – Puerto Montt

10.868,34 km

Als wir um fünf nach acht in den Frühstücksraum kommen, ist dieser noch verwaist. Also wollen wir das Tandem schon einmal packen – das geht aber auch nicht, denn alle Türen und Tore sind noch verschlossen. Um zehn nach acht kommt eine Mitarbeiterin, die bestätigt, dass das Frühstück um acht Uhr beginnt, aber sie hätten schließlich lange Wege zur Arbeit zurückzulegen („es que viajamos“) … da werden wir uns definitiv nicht mehr daran gewöhnen! Jedenfalls gibt es hier heute für jeden neben Brot und Ei auch ein Stück Johannisbeerkuchen – das ist etwas Besonderes!

Der Minimarkt in unserer Straße ist auch um fast halb zehn noch geschlossen, aber am zentralen Platz ist ein weiterer, bei dem wir unsere Getränke erhalten. Dann geht es auf eine wunderschöne Strecke mit über 900 Metern Gesamtanstieg. Gleich der Beginn ist wieder sehr steil, und es vergehen kaum einmal mehrere Kilometer ohne eine Steigung, aber es geht sehr lange am Lago Llanquihue entlang. Aus verschiedenen Perspektiven blicken wir auf den Vulkan Osorno, und im Hintergrund liegen die Anden mit weiteren schneebedeckten Bergen.

Nach guten 25 Kilometern sind wir in Frutillar, wo wir an den See nach „Bajo“ fahren. Jutta hätte eigentlich gerne Erdbeeren, weil sich der Name des Ortes nach Erdbeeren anhört (und wohl wirklich daher rührt), aber wir finden nichts mit selbigen. Da an allen Bushaltestellen große Violinschlüssel hängen und über den Ort verteilt mehrere Instrumente als „Denkmäler“ stehen, denken wir erst, dass Frutillar eventuell ein Instrument sein könnte (der Ort ist bekannt für ein Musikfestival und hat die südlichst gelegene Konzerthalle der Welt – lesen wir abends). Wir machen jedenfalls eine Pause im Café Lindemann mit Blick auf den See.

Der Strand hier ist lange nicht so überfüllt wie der in Lican Ray, obwohl auch heute Wochenende ist und der Strand und der See eigentlich viel schöner sind. Vielleicht ist es hier zu weit weg von größeren Städten?

Um halb eins fahren wir mit noch 55 Restkilometern vor der Brust weiter. An einer sehr steilen Stelle müssen wir schieben und Viktor probiert es mit der Schiebehilfe von Carlos. Das hilft am Anfang recht gut, aber wir schieben so lange, dass er eigentlich gerne umgegriffen hätte, was aber mit der Schiebehilfe sehr kompliziert ist. Halb aus Ernst, halb aus Spaß, probieren wir am Ende der Steigung, ob Jutta die Schiebehilfe zum Ziehen des Tandems benutzen könnte, denn wir kommen uns am Sattel beim Schieben gegenseitig mit den Händen in die Quere und ihrem Rücken tut die gebückte Haltung beim Schieben auch nicht gut. Das Ziehen klappt erstaunlich gut und wir werden das wohl nochmal ausprobieren, wenn es wieder einmal so steil wird.

Im Ort Llanquihue wollen wir wieder eine Pause machen. Als wir an den Ortsrand kommen, herrscht ein Verkehrs- und Parkchaos, alles ist verstopft. Grund ist ein an diesem Wochenende stattfindendes „Bierfest“ – wir sehen die mit Deutschlandflaggen geschmückten Festzelte unten am See. Kurz überlegen wir, es zu besuchen, aber es ist uns zu voll. Wir fahren lieber richtig in den Ort hinein. Dort haben die Cafés anscheinend alle geschlossen (sind ja alle beim Bierfest), nur eine kleine Pasteleria ist geöffnet, in der es sogar ein Gatorade für Viktor zum Nachkaufen gibt.

Nur ca. zehn Kilometer weiter liegt das etwas größere Puerto Varas, wo Viktor doch noch auf einen Completo (Hot Dog) hofft und wir bei einer weiteren Western Union Niederlassung unser Glück versuchen wollen. Diese ist in einem Santa Isabel Supermarkt und verfügt über ausreichend Bargeld, darf dieses aber leider nicht auszahlen, denn sie sind nur zum Versenden von Geld aber nicht für Auszahlungen autorisiert. Also müssen wir jetzt bis mindestens Montag in Puerto Montt bleiben, um mit frischem Bargeld weiter in den Süden fahren zu können. Dafür entdecken wir einen Club Aleman (Deutscher Verein), in dessen Restaurant Viktor zwar keinen Completo, dafür aber eine Currywurst essen kann.

Auf dem letzten Teilstück des Tages erwarten uns am Ende einer weiteren Steigung zwei Männer in einem Pick-up, die uns gerade zum dritten Mal heute gesehen haben und uns jetzt eine Mitnahme anbieten wollen. Die lehnen wir dankend ab (es sind nur noch 15 Kilometer), nehmen aber den Beutel Kirschen als Geschenk an. Diese haben sie gerade heute selbst geerntet und auch schon gewaschen. Vielen Dank an Marcos und Javier (dieser ist Kolumbianer)! Wir unterhalten uns noch kurz über die Schönheit Chiles und Marcos freut sich darüber, das Chile gerade dabei ist, Kolumbien auf Viktors persönlicher Rangliste auf Platz 3 zu verdrängen.

Diese 15 Kilometer ziehen sich noch ganz schön hin, lange geht es durch städtisches Gebiet, und wir kommen erst nach halb sieben im ziemlich ungünstig gelegenen Hostal an. Es gibt zwar eine Feuerwehr gegenüber und eine Schule in der Nähe, aber weder Restaurants noch Einkaufsmöglichkeiten. Es muss ja einen Grund geben, weshalb es so viel günstiger ist als all die anderen Unterkünfte in Puerto Montt. Unser Zimmer ist ganz oben, recht warm und laut (der Fernseher aus dem Nachbarzimmer an einer dünnen Holzwand). Heute sind wir müde genug, dass uns das nicht so viel ausmacht, aber morgen? Zum Abendessen gibt es im einzigen geöffneten Fastfood-Laden Completos (Hot Dogs) und eine Extraportion Pommes.

Wir begegnen heute den ganzen Tag über fünf anderen Bikepackern (drei einzelne, ein Pärchen), so viele waren es noch nie, aber wir sind inzwischen ja auch wirklich nah an der Carretera Austral. Von den vielen Menschen, die uns gestern mit Fahrrädern im Auto überholt haben, sehen wir auch einige, allerdings weniger als erwartet.

Sonntag 26.1.25 – Puerto Montt

Unsere Muskeln und Gelenke brauchen Erholung. Und wir benötigen dringend Bargeld. Also entscheiden wir uns, heute einen Ruhetag einzulegen und morgen sogar noch einen dranzuhängen, damit wir notfalls den ganzen Tag bei Western Union herumhängen können, bis sie genug Bargeld eingenommen haben, das sie uns auszahlen können (sonntags sind die nämlich alle geschlossen, heute geht da gar nichts!).

Wir schlafen also ein wenig aus und erscheinen erst kurz nach 9 Uhr zum Frühstück, das hier in unserem Hostal bis 10 Uhr angeboten wird. Schon gestern piepte alle paar Sekunden der Rauchmelder im Frühstücksraum, der gleichzeitig auch die Rezeption ist. Mit sowas Nervigem kann Viktor ja garnicht umgehen und er nimmt sich vor, heute eine Batterie für das Teil zu besorgen. Bei der niedrigen Decke im Frühstücksraum ist es keine Problem, den Rauchmelder kurz abzunehmen und den Batterietyp herauszufinden – eine 9-Volt-Blockbatterie.

Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg „nach unten“ ins Stadtzentrum. Es sind zwar nur 1,8 km, aber die gehen fast nur bergab (knapp 100 Höhenmeter) und wir spüren unsere Knie und Oberschenkel ganz ordentlich. Immerhin haben wir einen ganz netten Ausblick auf die Stadt und das Meer.

Je näher wir der Uferpromenade kommen, desto lauter hören wir irgendwelche Lautsprecher-Ansagen. Unter anderem werden ständig die Fußgänger davor gewarnt, die Straße zu überqueren. Hier findet heute morgen eine Radrenn-Veranstaltung statt, die letzte Etappe der dreitägigen „Vuelta de la Juventud 2025“. Überall stehen Rollen herum, auf denen sich die jungen Sportler warmfahren.

Wir schauen uns das sportliche Treiben kurz an, gehen dann aber weiter zum Denkmal „Monumento a la Colonización Alemana“, das an die ersten Siedler aus Deutschland erinnert, die hier am 28.11.1852 an Bord der „Susanne“ eintrafen.

Aufgrund des starken und erfolgreichen Widerstandes der Mapuche war die Seen-Region nördlich von Puerto Montt lange kein offizieller Teil von Chile, selbst nach der Unabhängigkeit von Spanien 1818. Im Jahr 1845 wurde in Chile ein Gesetz zur Steuerung der Immigration erlassen und es wurde mit der Bezahlung der Überfahrt, einem Stück Land und mit Steuerfreiheit geworben. Die Immigranten sollten ganz gezielt in den Gebieten der Mapuche angesiedelt werden. Allerdings ging der Plan, nur katholische Einwanderer mittlerer und höherer Bildung anzuwerben, nicht ganz auf. Heute haben ca. 500.000 der circa 20 Millionen Chilenen deutsche Wurzeln. Welchen Einfluss sie auf die Entwicklung Chiles hatten ist umstritten, denn die in Deutschland oft kritisierten „Parallelgesellschaften“ unter Einwanderern scheint es auch bei den Deutschen in Chile gegeben zu haben. Die Deutschen Schulen, Deutschen Vereine und Deutschen Feuerwehren in dieser Region sind jedenfalls auch heute noch Zeugnis davon.

Vom Denkmal gehen wir an der Uferpromenade entlang in Richtung Hafen, denn wir wollen die Gelegenheit nutzen und uns schon einmal anschauen, wo unsere Fähre nach Puerto Natales am 8. Februar ablegen wird. Wir haben uns entschieden, von hier aus eine große Runde Richtung Süden zu fahren und dabei die Isla Chiloé und einen Teil der Carretera Austral zwischen Chaitén und Puerto Montt zu befahren. Dann nehmen wir eine Fähre von Puerto Montt bis Puerto Natales und wollen von dort die restlichen 750 Kilometer bis Ushuaia mit dem Rad fahren. Den Fähranleger finden wir heute aber gar nicht, denn es stellt sich heraus, dass der fast 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt ist. Vielleicht fahren wir morgen nochmal mit einem Taxi hin, denn das recht bekannte Fischrestaurant „Kiel“, für das wir an der Strecke schon viele Werbeschilder gesehen haben, liegt ganz in der Nähe.

An der Promenade stehen einige alte Dampflokomotiven auf Gleisen, deren Spurweite Viktor extrem groß erscheint. Zum Größenvergleich legt sich Jutta extra hinein.

Tatsächlich wurden ein Teil der Promenade und die Shopping Mall Paseo Costanera dort erbaut, wo früher der Bahnhof von Puerto Montt stand. Die Lokomotiven sind sozusagen letzte Erinnerungsstücke an dieses veraltete Massentransportmittel (gell Joachim M. 😉 ).

Als wir von unserem langen Spaziergang an der Promenade zurückkehren läuft das Radrennen immer noch. Da wir uns nicht ganz klar darüber sind, welche Route wir in den nächsten Tagen über die Isla Chiloé nehmen wollen, spricht Viktor kurzerhand am Rand der Strecke die Eltern von Rennradler-Jugendlichen an, die ein „Isla Chiloé“ Trikot tragen. Und tatsächlich erhalten wir wertvolle Ratschläge über den Zustand der Straßen (Asphalt? Schotter? Steigungen? Seitenstreifen?) und Tipps, wo sich die Küstenstraße wegen der Aussichten lohnt und wo eher nicht. Und wir tauschen Telefonnummern aus und sollen uns auf jeden Fall bei Rosana und Claudio melden, wenn wir unterwegs irgendein Problem haben. Genial!

Wir ruhen uns in der Shopping-Mall noch etwas aus und kaufen Getränke im Supermarkt (und eine 9-Volt-Blockbatterie), denn es lohnt sich nicht mehr, vor dem Abendessen ins Hostal zurückzukehren. Im Foodcourt essen wir vegane Burger und bestellen uns für den Aufstieg zurück zum Hostal tatsächlich ein Uber-Taxi, denn unsere alten Knochen wollen da einfach nicht mehr hochwandern, schon gar nicht mir drei Litern Wasser in der Einkaufstasche und bei dem gerade einsetzenden starken Regen.

Zurück im Hostal stellen wir fest, dass wir im Bad ein anderes Shampoo bereitliegen haben, als das „Head & Shoulders“ von gestern.

Dieses ist speziell für welliges (Ondas) und lockiges (Rizos) Haar. Wir streiten den Rest des Abends darüber, wessen Haar dafür wohl den Ausschlag gegeben hat. 😉

Die neue 9-Volt-Batterie hat übrigens genau NICHTS bewirkt. Das Teil piept weiter wie bekloppt vor sich hin. Auch das Durchpusten in der Hoffnung, den Sensor von Staub zu befreien, war erfolglos.

Woche 42 (13.1.25 – 19.1.25) – Bulnes – Panguipulli

Montag 13.1.25 – (160) – Bulnes – Saltos del Laja

Von Elias haben wir erfahren, dass es nicht allen Mitlesenden bewusst ist, dass sie nur einmal pro Woche eine E-Mail erhalten, wir aber täglich den Blog ergänzen. Da heute Montag ist, hier also unser Hinweis: Die vergangene Woche 41 ist jetzt komplett, es kann sich also lohnen dort nochmal nachzuschauen. Auf dieser Seite hier wird (ohne weitere E-Mail-Nachricht) der Rest der Woche täglich ergänzt.

Gesamt: 10.074,57 km

Wir stehen um sechs Uhr auf und sitzen um sieben im Sattel – wir haben nichts zum Frühstücken eingekauft, und den Ostfriesentee aus dem Weihnachtspaket wollen wir ausschließlich auch nicht trinken. Nachdem es gestern Abend einfach nicht abkühlen wollte, fahren wir jetzt langärmelig los – es ist frisch.

Jutta hat heute komischerweise lange Zeit die Titelmusik von „Nils Holgersson“ im Kopf. Ob das wohl an dem Buch liegt, das im Apartment im Nachtschrank lag:

Wir werden ausschließlich auf der RN-5 fahren, da auf den Alternativen einfach zu viele unbefestigte Wege sind. Nach einigen Kilometern packt auf der anderen Straßenseite ein Bikepacker gerade seine Sachen zusammen, er scheint am Rande der Autobahn übernachtet zu haben. Wegen der Leitplanke in der Mitte bleibt es beim Zuwinken.

Nach 17 Kilometern in San Miguel wollen wir frühstücken. Es scheint zunächst alles noch geschlossen zu sein (es ist ja auch noch vor 9 Uhr), aber die „Fuente de Soda, Don Roberto“ ist dann doch geöffnet und wir bekommen Brot mit Ei und einen Becher heiße Milch, in die wir Nescafé bzw. Carocafé (heißt hier „Ecco“, „Caro“ würde auf Spanisch auch „teuer“ bedeuten) einrühren können.

Außerdem leeren „wir“ die Packung Dominosteine, bevor sie schmelzen und die Tasche beschmieren können.

Auf der Autobahn halten wir nicht so häufig an, um Bilder zu machen, auch wenn es rechts und links oft ganz nett ist, heute fahren wir auf der „Ruta del Bosque“ die ganze Zeit durch Forstgebiete, die „Rutas del Vino“ und die „Ruta de la Fruta“ liegen nun hinter uns, auch wenn wir immer wieder verunfallte Wassermelonen (und heute auch Honigmelonen, dicke Maiskolben und grüne Paprika) auf dem Standstreifen entdecken.
Weil unser Tandem ein neues Geräusch macht halten wir irgendwo am Rand noch einmal im Windschatten eines geschlossenen Restaurants an. Es scheint aber nur ein Gurt in den Speichen gewesen zu sein, also geht es weiter … gegen den viel zu früh auffrischenden Wind.

Und eventuell ist genau dieser kurze Halt unser Glück! Wir kommen an einer frischen Unfallstelle vorbei, wo sich das Auto kopfüber jenseits des Straßengrabens befindet. Es muss mit überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen sein, und es hätte uns sicher auf dem Standstreifen mitgerissen, wenn wir gerade auf der Höhe gewesen wären. Puh! Die Insassen werden schon an einen Baum lehnend versorgt, scheinen also nicht lebensgefährlich verletzt zu sein.

Das eine Schleifgeräusch am Tandem haben wir vorhin behoben, aber gestern haben wir in der Vorderachse ein deutliche Spiel bemerkt. Dort ist ein Nabendynamo der Deutschen Firma SON aus Tübingen verbaut, völlig wartungsfrei und angeblich unverwüstlich. Aber das Lagerspiel kann man nicht nachjustieren. Nach 10.000 Kilometern dürfte so ein starkes Spiel eigentlich noch nicht auftreten. Vermutlich liegen wir mit unserem Tandem auch hier wieder an den Belastunsgrenzen „normaler“ Fahrradbauteile. Wir schicken eine Telegram-Nachricht an Dan von Pankerad (er hat seinen Fahrradladen allerdings im Dezember geschlossen) und eine E-Mail an die Firma SON. Mit dem YouTube-Video-Link (unten) hoffen wir auf Ratschläge. Wir rechnen noch mit maximal 3.000 bis 4.000 Kilometern und möchten wissen, ob wir einfach so weiterfahren können.

Als etwa 12 Kilometer vor unserem Ziel links eine Shell-Tankstelle liegt, halten wir wieder an, lassen das Tandem stehen und gehen über eine Fußgängerbrücke (die es hier sehr häufig gibt, weil es viele Bushaltestellen gibt) zum „Upita“-Laden der Shell-Tankstelle.

Fußgängerrampe zur Shell-Tankestelle (unser Tandem ganz hinten unten)

Auf der RN-5 müssen wir immer wieder über Brücken, an denen der Standstreifen fehlt und wir auf die Fahrbahn hinüberwechseln müssen. Das erinnert uns stark an den Highway 101 vor Santa Barbara, auf dem ein Radfahrer an genau so einer Stelle zu Tode kam, und zwar kurz bevor wir nach Santa Barbara fuhren. Seit Santa Barbara fahren wir mit Rückspiegel, seit unserem Unfall in Argentinien mit zweien.

Die letzten Kilometer vergehen schnell, und um viertel vor eins haben wir uns die holperige Auffahrt zur Hotelrezeption hinaufgekämpft. Wir müssen uns bis zum Einchecken um 15 Uhr beschäftigen. Hier gibt es keinen richtigen Ort, die Wasserfälle sind so ein Touristenmagnet, dass es dieses Hotel, Campingplätze und Cabañas und jede Menge Souvenierläden gibt. Wir erkunden also erst einmal ein wenig das große Areal des Hotels, gehen im Hotelrestaurant, das unten an der Straße liegt, etwas trinken und anschließend reihen wir uns in die Massenwanderung zum großen Wasserfall ein. Vom Hotel aus sehen wir die obere Kante, hier laufen wir unten ziemlich nah daran. Die Gischt sprüht und kühlt, und im Wasser unten sind viele Menschen und planschen.

Es ist kurz vor 15 Uhr und wir können langsam einchecken gehen. Auf dem Weg zu Rezeption kommt uns auf der steilen Auffahrt ein Pferdekarren entgegen. Wir wundern uns, wie der überhaupt bremsen kann … und finden heraus, dass das Pferd das alles stemmen muss, denn die Bremse des Karrens ist schon lange kaputt.

Unser Zimmer hat eine Fensterfront zum Wasserfall und viel Platz, ansonsten ist hier seit den 80-er Jahren wohl nichts gemacht worden. Noch ungeduscht gehen wir erst eine weiter Runde über das großzügige Terrain: Ein paar Arbeiter errichten gerade einen kleinen Solarpark. Der Naturpool ist voller grüner Algen und hat zur Zeit eher wenig Wasser. Am „Strand“ am Fluss kann man sich im klaren aber stark strömenden Wasser erfrischen.

Der Golfplatz ist nur durch Schilder zu erkennen, das Gras steht kniehoch bzw. liegt abgemäht auf dem Platz, an einer Stelle grasen Alpakas. Es gibt ein Rotwild-Gehege und eines mit Ziegen. Dort ist wohl heute erst ein kleines Zicklein geboren worden, es müht sich noch, aufrecht zu stehen und bei der Mutter sieht es auch noch nach Geburt aus.

Zum Abendessen geht es ins Hotelrestaurant, wo es für Viktor heute Hirsch und Rotkohl gibt, auch wenn der Hirsch doch nicht vom Gelände des Hotels stammt (wegen der Hygieneauflagen beim Schlachten).

Dienstag 14.1.25 – (161) – Saltos del Laja – Mulchén

Gesamt: 10.137,83 km

Wir stehen kurz vor Sonnenaufgang um 6:15 Uhr auf und haben aus dem Hotelzimmer einen einmaligen Blick auf den mondbeschienenen Wasserfall. Hier versagen beim Einfangen der Stimmung alle unsere Handykameras gnadenlos, der Mond war viel schärfer und schöner, aber dennoch:

Und zehn Minuten später schon ist er nicht mehr zu sehen.

Beim Frühstück verbrennt sich Viktor die Fingerkuppe im heißen Teewasser der Teetasse und als er deshalb beim Abstellen der Teetasse zusammenzuckt, bleibt er am Teebeutelfaden hängen und reißt ihn samt Anhang aus der Tasse. Der Teebeutel fliegt im hohen Bogen aus der Tasse, platscht an Viktors Oberschenkel und landet auf dem Boden – es gibt eine kleine Überschwemmung und eine noch kleinere (aber für Männer extrem schmerzhafte!) Oberschenkelverbrühung.

Um acht Uhr fahren wir los, zunächst ganz langsam den steilen Weg zur Straße hinunter (wo gestern der Pferdekarren herunterfuhr), ähnlich der Abfahrt von der Fidelito Ranch in Tambor/Costa Rica. Im „Supermarkt“, in dem man an einer Theke bestellen muss, was man haben möchte (heißt aber Supermarkt) besorgen wir noch die nötigen Getränke für heute, dann geht es wieder auf die RN-5. Heute geht es die gesamte Zeit in flachen Wellen auf und ab, rechts und links varriiert es zwischen Wald, Ackerland und auch Tierhaltung.

Die einzige Stadt auf der Strecke ist Los Angeles nach etwa halber Strecke. Wir fahren von der RN-5, die dort sozusagen eine Umgehungsstraße ist, ab und auf der Ex-5 auf einem Fahrradweg durch den östlichen Stadtrand. Auf Höhe des Zentrums gibt es sogar eine Tankstelle mit Pronto-Laden, wo wir eine Kaffeepause machen können. Insgesamt sparen wir knapp 17 km Autobahn, das lohnt sich schon.

Kurz hinter dem Rio Bio-Bio der gleichnamigen Region, in der wir gerade fahren, machen wir noch eine kurze „Hinternpause“ für Viktor – das viele Auf und Ab…- und sind um kurz nach eins am Zielort Mulchén. Da es eh noch zu früh für das Hotel ist, halten wir an einer Heladeria am zentralen Platz und essen seit langer Zeit das erste selbstbezahlte Banana-Split, das auch einmal ganz gut schmeckt 😉

Eine Passantin spricht uns an, und als wir sagen, dass wir seit San Francisco unterwegs sind, setzt sie sich erst einmal zu uns und gibt uns Tipps für Thermen, die wir unbedingt besuchen sollen (die liegen aber nicht so auf unserer Strecke), dann steht sie plötzlich wieder auf und steigt in ein (Elektro-)Auto.

Beim Hotel Mulchén sollen wir das Tandem einen sehr schmalen, ziemlich zugewachsenen Weg am Haus entlang mühevoll nach hinten schieben (nachdem die Satteltaschen abgenommen sind, damit wir überhaupt duchpassen) und sehen – dort angekommen – ein großes Tor zur Seitenstraße mit der Parkplatz-Einfahrt für die Autos. Dann können wir ja morgen früh lieber den einfacheren Weg zur Straße nehmen! Und wieder einmal kommen nicht alle unsere Endgeräte über das Hotel-Wifi ins Internet, obwohl sie sich alle mit dem Netzwerk verbinden. Das haben wir in Chile häufiger schon gehabt. Aber immernoch besser, als gar kein Internet, was es auch schon manches Mal gab.

Nach dem Duschen gehen wir nochmal an den zentralen Platz (Plaza de Armas) und trinken einen Moccaccino bzw. eine Limonade, dann geht es in den Supermarkt für die Getränkeversorgung und schließlich in die Neko-Restobar, wo Viktor Sushi bestellt, das auch wirklich gut schmeckt (mit frittierter Garnele … nicht roh … und Avocado, Reis, Champignons und Palmenherzen). Der zweite Gang sind dann Zwiebelringe mit Guacamole … na ja … eine sehr gewagte Speisenfolge … und süßliche Zwiebelringe passen auch nicht so wirklich zu Guacamole … aber die Taco-Chips waren leider gerade aus. Aber das dazu gereichte „Cuello Negro“ Stout-Bier ist wirklich gut. Jutta isst ein vegetarisches Sandwich.

Der zentrale Platz von Mulchén, die Plaza de Armas, ist an den Straßen mit richtig großen Linden (spanisch Tilo) bepflanzt. Viktor spricht zwei ältere Herren auf einer Parkbank an, und fragt, ob es unter den Linden irgendwann im Laufe des Jahres richtig klebrig wird, von den Exkrementen der Blattläuse, so wie wir das in Deutschland kennen. Dieses „Problem“ kennen die beiden gar nicht und meinen, Chile sei halt nicht so „kontaminiert“ wie Deutschland. 🙂
Tja, dann kennen die hier in Chile sicher auch nicht den würzigen Lindenhonig aus dem Honigtau, den die Honigbienen sammeln, also das, was Viktor in der Imker-AG an der Grundschule gerne „Läusekacke-Bienenkotze“ nennt, weil der gesammelte Honigtau „Läusekacke“ ist und Honig erst dadurch entsteht, dass Honigbienen den gesammelten Nektar immer wieder auswürgen und von Biene zu Biene weitergeben.

Auf dem Weg zum Abendessen sehen wir mal wieder einen ganz „normalen“ Rasenmäher (na gut … ein Verbrenner … aber immerhin). Die haben wir in anz Lateinamerika bisher nicht gesehen. Dort wurde überall mit Motorsense gemäht. Erst seitdem wir in Chile sind sehen wir wieder regelmäßig Rasenmäher, wie wir sie von zuhause kennen.

Außerdem sehen wir auf einem Haus ein kleines Windrad, das uns sofort anspricht:

P.S. Aus unerfindlichem Grund und obwohl hier absolutes Rauchverbot herrscht, riecht unser Hotelzimmer heute nach kaltem Zigarettenrauch

Mittwoch 15.1.25 – (162) – Mulchén – Victoria

Gesamt: 10.213,67 km

Nach einem mittelmäßigen Frühstück ohne Rührei (huevos revueltos) für Viktor kommen wir um acht Uhr los, heute durch das große Tor statt den engen Gang von gestern. Die Zufahrt zur RN-5 ist (aufgrund der Enge des Tals?) ganz eigenartig:

Wir überqueren heute die Grenze von der Region BioBío (Region VIII) zur Region Araucania (Region IX) in Chile. Araukania wird auch die „chilenische Schweiz“ genannt und ist nach dem bekanntesten Baum benannt, der hier wächst, die Araukarie (auch Andentanne oder Chiletanne genannt).

Trotz aller Vorbereitung werden wir heute doch etwas vom Wetter überrascht. War es bis gestern nachmittags noch richtig heiß, so ist es heute bedeckt und beim Losfahren so frisch, dass wir langärmelig losfahren. Die gesamte Strecke geht heute wellenartig auf und ab, so wie gestern schon ein Teil der Strecke, und wir müssen häufiger in den leichtesten Gang. Zum Glück haben wir heute aber schiebenden Rückenwind (bis 12 Uhr – dann wechselt er die Richtung und kommt von vorne), was die Anstiege etwas erleichtert. Unter unseren Regenjacken schwitzen wir uns in den Anstiegen allerdings klitschnass. Viktor tropft es aus den Ärmeln der Regenjacke heraus auf seine Knie. Da es aber auch zu regnen beginnt – das erste Mal seit Mittelamerika fahren wir im Regen – wollen wir die Regenjacken auch nicht ausziehen.

Wir kommen heute auf insgesamt mehr als 800 Höhenmeter, obwohl wir nur zwischen 120 und 380 Meter Meereshöhe auf und ab schwanken. Das blöde an diesen Wellen ist, dass man bergauf für 3 Kilometer schon mal 20 Minuten brauchen kann (bei 9 km/h), bergab aber für die gleichen 3 Kilometer nur 6 Minuten (bei 30 km/h) braucht. Dadurch kommen einem die Steigungen natürlich elend lang vor, während die Abfahrten immer viel zu schnell wieder vorbei sind.

Die erste Pause machen wir an einer kleinen Holzhütte, deren eine Hälfte eine richtige Küche ist, und in deren anderen Hälfte Tische und mit Flickenteppichen belegte Bänke stehen. Wir sitzen im Trockenen, trinken heißen Nescafé-Moccacino und zahlen im Anschluss, auch wenn die Betreiberin ein Schild ausgehängt hat, dass Touristen bitte erst bezahlen, dann verzehren sollen. Wir sind wohl so vertrauenswürdig wie „Camioneros“ – die LKW-Fahrer.

Nach ziemlich genau der halben Strecke halten wir noch einmal (an einem richtigen Gebäude) beim „Portal del Sur“ und machen eine ausgiebigere Pause und Viktor holt das fehlende Rührei vom Früstück nach.

Kurz danach erreichen wir Collipulli und fahren über eine lange Autobahnbrücke ohne jeglichen Seitenstreifen. So eine lange Brücke hatten wir schon lange nicht mehr, und das gehört zu den gefährlichsten Fahrsituationen, die wir so erleben. Zum Glück können wir recht flott leicht bergab fahren, und es überholen uns nur wenige Laster, die alle für uns auf die Überholspur ausweichen. Direkt hinter der Brücke bleiben wir auf dem Seitenstreifen stehen, denn wir sind soeben an einem Denkmal vorbeigefahren, das wir leider keines Blickes würdigen konnten, dem Malleco-Viadukt, der zweithöchsten Eisenbahnbrücke Chiles.

Nur zwölf Kilometer vor „Victoria“ halten wir noch ein drittes Mal, diesmal an einem Rastplatz. Es gibt nichts zu kaufen, aber zwei unterschiedliche Toiletten- und Duschhäuschen: eines nur für die „Camioneros“, das andere für die „Generales“, Frauen, Kinder und Behinderte sind aufgeführt. Wir fragen einen Lastwagenfahrer, ob es in Chile Lastwagenfahrerinnen (Camioneras) gibt, und er antwortet „Sehr viele!„. Und wo diese dann Duschen oder zur Toilette gehen? „Na, da drüben!“ – und zeigt auf das andere Gebäude. Das ist doch mal Gleichberechtigung!

Viktor hat aufgrund des heutigen Zielortes den ganzen Tag einen Ohrwurm im Kopf – „Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt …“. Gruß an Viktoria H.

Pünktlich um drei kommen wir am Hotel Royal in Victoria an. Das Tandem darf in einen sehr liebevoll bepflanzten Garten, wir bekommen ein Zimmer, dass mit drei Betten recht vollgestellt ist, und das mit unseren nassen Sachen. Hoffentlich trocknet alles bis morgen früh – eine Klimaanlage zur Unterstützung braucht es hier in der Gegend offenbar nicht mehr.

Nach dem Duschen gehen wir zur nahegelegenen Plaza de Armas und im Café Momento noch einen Kaffee trinken. Viktor kann auch der Cognac-Sahne-Torte nicht widerstehen. Wir gucken uns auch schon ein Italienisches Restaurant für abends aus, gehen aber erst zurück und lesen, schreiben und rechnen ein bisschen (bzw. lassen Excel rechnen).

Das „Bon Appetit“ entpuppt sich vor Ort als richtig gut, wir haben beide unterschiedliche Canelones, die man hier mit verschiedenen Bechamelsaucen verfeinert bestellen kann, z.B. mit Nussmehl oder mit dem Mehl der Kerne der Araukarie.

Abschließend noch etwas zur Tandem-Technik und unserem Problem mit dem Lagerspiel an der Vorderachse: Wir haben sowohl von Dan (ehemals PankeRad) als auch von der Firma SON sehr gute Antworten erhalten. Es handelt sich wohl wirklich um einen beginnenden Lagerschaden, mit dem man aber gefahrlos noch ein paar tausend Kilometer weiterfahren kann. Wir müssen das natürlich im Auge behalten, aber eine frühzeitige Reparatur kommt derzeit auch logistisch kaum in Frage. Wir können und wollen nicht schon wieder irgendwo eine lange Pause einlegen und auf Ersatzteile aus Deutschland warten.

Eine kurze Recherche der im SON 28 verbauten Kugellager ist erst einmal beruhigend. Die Vorderachse mit zwei SKF-Kugellagern müsste eigentlich 400 Kilogramm (statisch) aushalten. Da liegen wir mit dem vollbepackten Tandem deutlich darunter (230 – 250 kg).

Donnerstag 16.1.25 – (163) – Victoria – Temuco

Gesamt: 10.280,04 km

Beim Packen unserer Sachen hören wir vor unserem Fenster die ganze Zeit ein Deutsches Handy erzählen, nach dem Frühstück immer noch, aber eine dazugehörige Person sehen wir nicht. Die Rezeptionistin organisiert uns einige Samen der Araukarie im Hotelgarten (ziemlich groß), damit wir sie mitnehmen und in Deutschland eventuell einpflanzen können. Zwei davon sind allerdings schon gekeimt.

Piñónes der Araukarie (rechts zwei schon gekeimte)

Als wir im nahegelegenen Supermarkt unsere Getränke gekauft haben und losfahren können, ist es etwa neun Uhr und trotzdem noch recht kalt. Wir fahren beide mit langer Hose und langen Ärmeln – erstmalig, aber eventuell ab jetzt immer bzw. häufiger. Der Weg zur RN-5 ist nicht weit, und dann hat uns der Autobahn-Seitenstreifen wieder. Auch heute ist er immer wieder ordentlich verdreckt und Reifenteile mit den bei Radreisenden berüchtigten feinen Drähten liegen darauf herum. Nicht immer ist die Slalomfahrt erfolgreich.

Die Hügel halten sich heute in Grenzen, so dass wir gut vorankommen. In dieser Gegend wächst vor allem Getreide rechts und links, wir identifizieren Hafer, aber auch Raps und Dinge, die wir nicht (er-) kennen.

Die Pause (heute nur eine, einmal abgesehen von PP) machen wir nach knapp 40 Kilometern wieder einmal in einem Pronto, der zu der Zeit (halb zwölf) gerade sehr, sehr gut besucht ist – viele Familien, die heute entweder in den Urlaub fahren oder zurückzukommen scheinen.

Die Abfahrt nach Temuco liegt noch fast 15 Kilometer vor der Stadt, die Straße ist fast so befahren wie die Autobahn, hat aber einen Radweg. Kurz hinter dem Stadtrand halten wir doch noch einmal an einer Mall, weil es noch zu früh zum Einchecken scheint, und essen ein Eis.

Nur 200 m vor dem Hotel bemerken wir einen platten Reifen hinten, können aber zum Glück noch bis zum Hotel schieben. Das Einchecken ist etwas mühselig, da beide ein Online-Formular aus Corona-Zeiten ausfüllen müssen (das dann zum Unterschreiben ausgedruckt wird). Wir erhalten später auch noch eine Bestätigungsmail, in der unter anderem angekündigt wird, dass unsere Körpertemperatur bei Ankunft im Hotel gemessen wird und unsere Füße desinfiziert werden. Die Rezeptionistin ist etwas überrascht, als Viktor später am Abend nochmal hingeht und auf einer Temperaturmessung besteht.

Direkt nach der Ankunft im Hotel wechseln wir aber als Erstes auf dem Parkplatz vor dem Hotel den Schlauch, denn aufs Flicken können wir zur Zeit verzichten, da wir sehr viele Schläuche mit uns herumfahren. Bei der Reparaturarbeit liegen zeitweise Kleinigkeiten auf der Treppe zum Hoteleingang, was sofort von der etwas gestressten Rezeptionistin bemängelt wird, aber immerhin dürfen wir auf dem Grundstück die Reparatur durchführen. Grund für den Platten ist natürlich ein feiner Draht (Filament) aus einem überfahrenen Autoreifen-Fetzen.

Nach dem Duschen gehen wir eine Runde durch das Zentrum dieser uns relativ hektisch anmutenden Stadt. Temuco ist die Hauptstadt der Region Araucanía, hat über 200.000 Einwohner*innen und wurde erst sehr spät von den spanischen „Eroberern“ (oder muss man besser „Invasoren“ oder „Besatzer“ sagen?) gegründet. Die in der Region lebenden Mapuche wehrten sich über 300 Jahre lang erfolgreich gegen die Eroberung. Temuco ist aber auch wichtiges Zentrum der Deutsch-Chilenen.
In der Touristeninformation erfahren wir, dass eigentlich schon alles geschlossen ist oder gleich schließt, nur den Parque Urbano Isla Cautín könnten wir noch besuchen, in dem es von allen Chilenischen Bäumen mindestens ein Exemplar geben soll. Das lassen wir aber, statt dessen besorgen wir erst Getränke für morgen und gehen dann schon früh Abendessen.

Gleich bei uns um die Ecke ist das „vegan bike food„, da müssen wir als Radfahrende natürlich hin. Der Eingang ist im Obergeschoss eines Wohnhauses, man muss an der Tür klingeln, um eingelassen zu werden, aber ist man erst einmal drinnen ist es wirklich sehr nett.

Es ist immer noch relativ früh, also gehen wir nach dem Essen noch zur 2021 eingeweihten „Puente Treng Treng Kay Kay„, der ersten asymmetrischen Brücke Chiles, deren Name Mapuche ist.

Auch zu unserem beginnenden Lagerschaden am Vorderrad haben wir heute nochmal weitere Nachrichten erhalten. Unter anderem wird es als „mutig“ bezeichnet, mit dem Pino-Tandem auf große Tour gegangen zu sein. Na Mahlzeit! Aber wir erhalten für die Schraubenverbindung der Spannachse vorne noch einen wichtigen Tipp, den wir beherzigen werden. Die auf der Spannschraube angegeben 10 Nm Drehmoment sind wichtiger als wir gedacht haben, denn je nach „Weichheit“ der Gabel können Biege-Wechselbelastungen das Kugellager schädigen, wenn die Schraube nicht voll angezogen ist. Später erfahren wir außerdem, dass unsere Wasserdurchfahrten (z.B. Richtung Salta) das Lager ebenfalls beschädigt haben könnten. Vielleicht ist aber auch der Unfall in Argentinien die Ursache des Lagerschadens, denn das war ja auch ein sehr starker seitlicher Schlag.

Das tatsächlich verbaute SKF-Rillenkugellager – doch etwas weniger tragfähig.

Freitag 17.1.25 – (164) – Temuco – Villarrica

Gesamt: 10.362,79 km

Vor dem inkludierten kontinentalen Frühstück bepacken wir das Tandem und können so direkt im Anschluss losfahren. Viele der anderen Gäste haben ihr Gepäck im engen Frühstücksraum dabei – sehr gemütlich!

Es ist bei Abfahrt wieder ziemlich kühl, so um die 10 Grad Celsius, und wir sind wieder langärmelig und in langen Hosen unterwegs. Zu Beginn können wir längere Zeit über einen eigenständigen Radweg quer durch die Stadt fahren, bis er durch eine Baustelle unterbrochen ist, nach der wir dann auch bald auf eine Hauptstraße ohne Radweg abbiegen müssen. In diese viel befahrene Hauptstraße mündet etwas später die um Temuco herumgeführte RN-5, wir fahren „einfach“ geradeaus und sind wieder auf der Panamericana bzw. RN-5. Um ohne Schotterstrecke nach Villaricca zu kommen, fahren wir heute bis Freire noch auf der 5, ab dort dann auf der CH-199.

Kleiner Radwegschaden auf dem ersten Streckenabschnitt

Kurz vor dem Straßenwechsel auf die CH-199 liegt an der Gegenfahrbahn in Freire die einzige Tankstelle und sicher vorhersehbare Pausenmöglichkeit. Es gibt dort heute keine Fußgängerbrücke, aber eine Ausfahrt, das scheint für uns ja fast noch besser zu sein. Als wir aber an der anderen Seite ankommen, führt die Straße nur in Richtung Norden zurück auf die Autobahn – es handelt sich nur um einen „Retorno“ (Wendemöglichkeit) und ein Ausfahrt, aber es gibt keine Zufahrt zur Tankstelle. Wir nutzen die Ausfahrt regelwidrig auf dem Standstreifen als Geisterfahrer und fahren die paar Meter zur Tankstelle auf der falschen Straßenseite zurück. Niemand hupt oder schimpft!

Nach der Pause ist der Rückweg zur Fahrbahn Richtung Süden dann ganz einfach und regelkonform, denn wir können die Ausfahrt diesmal in die richtige Richtung benutzen. Kurz darauf kommt die Abfahrt nach Villarrica – es sind aber noch 52 Kilometer Landstraße bis dorthin. Wir hatten gehofft, dass unsere Ohren ab hier ein wenig Erholung bekommen, den der Verkehr auf der RN-5 war schon nervig laut auf dem linken Ohr, aber die CH-199 ist im Prinzip genauso laut wir die Autobahn. Es gibt zwar zwischendurch mal kurze Atempausen (bzw. „Ohrenpausen“) ohne Autoverkehr, dafür ist der Gegenverkehr jetzt deutlich näher an uns dran und somit lauter, denn es gibt keinen trennenden Mittelstreifen und jede Fahrtrichtung ist noch einspurig. Zum Glück ist die Straße auf dem größten Teil neu asphaltiert und hat einen schmalen, aber sehr guten Seitenstreifen.
Wenn im Gegenverkehr wieder mal ein mutiger Autofahrer überholt, ohne uns als „echten“ Gegenverkehr anzusehen, kommt er uns bei verdammt hoher Geschwindgkeit schon gefährlich nahe und wir können auf dem schmalen Standstreifen nicht weiter nach rechts ausweichen. Einmal ist es knapp genug, dass Viktor den berühmten Finger zum Gruß hebt.

Als wir um eine Kurve fahren, haben wir ganz plötzlich und unverhofft für kurze Zeit erstmals einen atemberaubenden Blick auf den Vulcan Villarrica.

Plötzlich fahren wir darauf zu – Vulkan Villarrica

25 km vor dem Ziel wollen wir noch eine Pause machen, gerne mit dem hier überall angebotenen Käse. Und zufällig liegt gerade hier das Restaurant „Hornitos de Puquereo„, das laut Aushang am Zaun auch Käse im Angebot hat. Dummerweise haben sie zur Zeit keinen da, da der lokale Hersteller im Verzug ist. Wir bleiben trotzdem, denn immerhin steht auf der Karte neben Nescafé auch Juan Valdez Café, den wir ja aus Kolumbien kennen. Als wir dann die zwei Milchkaffee serviert bekommen, sind das zwei Becher Milch und ein Glas Instantkaffee – von Juan Valdez! Damit haben wir ja überhaupt nicht gerechnet!

Um zwanzig nach vier kommen wir am reservierten Bed & Breakfast „Omi Kika“ in Villarrica an, und wie von Jutta fast vermutet, kommt der Name von „Oma Erika“ aus dem Deutschen. Oma Erika sitzt auch auf der Terrasse und begrüßt uns in Deutscher Sprache. Auch die schon etwas älteren Söhne sprechen Deutsch, aber nicht mehr ganz so fließend. Sie sind erst hier in Villarrica zur deutschen Grundschule, danach in ein deutsches Internat in Temuco gegangen. Heute geht die Schule hier bis zum Abitur, damals musste man nach der sechsten Klasse wechseln. Wir haben aus dem Zimmer vom Balkon seitwärts Blick auf den See, geradeaus auf einen Bach.

Nach dem Duschen gehen wir erst zu einem Eisenwarenhandel (Ferreteria), um einen 21-er Maulschlüssel für die Vorderradachse zu kaufen, denn ab sofort wollen wir die Schraube so fest wie möglich anziehen, weil wir den Hinweis von SON beherzigen wollen. Viktor gibt den Hinweis auch an die Pino-Community auf Facebook weiter.

Danach gehen wir weiter durch den sehr touristischen Ort spazieren und suchen ein Restaurant mit schönem Ausblick auf den See und den Vulkan. In der Vizenta Trattoria setzen wir uns zum Abendessen und werden sofort gefragt, ob wir wegen des „Tenedor Libre“ gekommen wären: heute Abend gibt es Pizza satt für einen Festpreis und nicht á la Carte, alles andere kann aber bestellt werden. Viktor nimmt das Pizzabuffet, Jutta ein Risotto. Die Bedienungen kommen immer wieder mit Pizzen nach draußen, und wenn noch etwas übrig ist, wenn sie bei uns ankommen, kann Viktor ein Stück bekommen. Das geht immerhin schneller als das Servieren der Getränke. Unser Ober muss sich mehrfach „1000-fach entschuldigen“, wie man im Spanischen sagt (mil disculpas).

Als wir wieder im Zimmer sind, hören wir von draußen sehr laut Heavy-Metal-Musik – hier ist wohl am Freitag Abend richtig was los! Am nächsten Morgen erfahren wir von unserem Wirt, dass beim Peruaner Karaoke gesungen wurde und er irgendwann die Polizei gerufen hat.

Samstag 18.1.25 – (165) – Villarrica – Lican Ray

Gesamt: 10.440,83 km

Wir bekommen unser Frühstück mit See- und Vulkanblick um kurz nach acht serviert. Heute ist cremiger Honig dabei, der an Rapshonig erinnert, von dem wir aber später erfahren, dass es Scheinulmen-Honig (Miel de Ulmo) ist. Bis wir bei einem Supermarkt Getränke gekauft haben, ist es halb zehn, ehe wir loskommen.

Für heute haben wir uns eine landschaftliche schöne Strecke am See entlang ausgesucht. Wir sind schließlich in einer der schönsten Seen-Regionen Chiles unterwegs, der Araucania Lacustre, wie es hier auch auf vielen Hinweisschildern steht. Wir wollen nach Pucón am See Villarrica entlangfahren, dort Pause machen, umkehren und dann nach Lican Ray an den nächsten See fahren. Wir hoffen während der Fahrt auf schöne Aussichten auf den See und wenig Verkehr, da uns die Ruta 5 mit ihrem Verkehrslärm schon manchmal ein wenig gestresst hat.

Tja, und dann sind wir an einem Samstagvormittag in den Sommerferien offenbar auf einer der am Wochenende meistbefahrenen Straßen unterwegs. Und die hat einen sehr schmalen, und dazu noch extrem schlechten Seitenstreifen. Außerdem sind Reflektoren links neben der Fahrbahnbegrenzung so angebracht, dass wir entweder auf dem Begrenzungsstreifen fahren müssen (mit Absturzrisiko auf den schlechten Seitenstreifen zu dem es meist eine kleine Asphaltkante gibt) oder noch weiter auf der Fahrbahn als es ohne die Refelktoren erforderlich wäre. Das ist fürs Radfahren so ziemlich das Blödeste, denn du kannst den Seitenstreifen nicht sicher befahren, ohne in riesige Schlaglöcher zu fallen oder dir einen Platten einzufahren, die Autofahrer sind aber der Meinung, dass du genau dorthin gehörst, und lassen dich das beim Überholen mit 30 cm Seitenabstand deutlich spüren. Der eine oder andere hupt natürlich auch hinter dir. Der Großteil der chilenischen Verkehrsteilnehmer ist aber sehr geduldig und bleibt hinter uns, wenn ein sicheres Überholen mit genug Seitenabstand nicht möglich ist. Trotzdem ist das natürlich recht stressig. Wenn das wenigstens mit schönen Ausblicken belohnt würde. Aber nein, die Sicht auf den See ist eigentlich immer durch Zäune, Hecken oder (kräftig mit dem „schönen Seeblick“ beworbenen) Immobilien verdeckt. Ganz selten können wir durch eine offene Grundstücks-Pforte mal einen Blick auf den See erhaschen. Oder wir fahren an einem öffentlichen Strand vorbei und sehen dort das Wasser.

In Pucón versuchen wir vergeblich, ein Café mit Seeblick zu finden – dort sind nur Kanuverleihe o.ä., für Cafés muss man ins Ortsinnere. Das relativ neu eröffnete Café Brutal öffnet zwar erst um halb zwölf, lässt uns aber schon 15 Minuten eher setzen und bestellen. Juttas „Seeds and Nuts“ kommen mit Honig, und hier bekommen wir auf Viktors Nachfrage die Tüte mit dem lokalen Ulmenhonig gezeigt. Honig in Tüten ist für uns eher ungewöhnlich. Einen Krug Zitronen-Rosmarin-Wasser gibt es hier für jeden Gast kostenlos.

Als wir nach einer guten Stunde Pause einen Großteil der Strecke bis Villarrica zurückfahren, stehen auf der Gegenfahrbahn kilometerlang die Autos im Stau, wir waren dann doch glücklicherweise vor dem großen Ansturm in Richtung Pucón unterwegs und fahren jetzt gegen den Strom.

Bevor wir an der S-853 nach Süden abbiegen, halten wir für einen Eiskaffee noch bei Onces Alemanas (Deutsche Imbisse) – für ein Bier der angeschlossenen Igel-Brauerei ist es noch zu früh. Es liegt ein Gästebuch aus und wir verewigen uns mit unserem Aufkleber – wegen des „Alemanas“ natürlich in Deutsch.

Der Weg vom einem zum nächsten See ist sehr viel hügeliger als der vorherige Weg am See entlang, wir müssen immer rauf und runter. Immerhin ist hier etwas weniger Verkehr. Wir kommen durch ein Neubaugebiet von Villarrica, sogar auf einem Radweg. Der ist dummerweise irgendwo abrupt mit „Absturzkante“ zuende (Tagesbild). Kurz darauf geht es auf die S-95-T, die Villarrica mit Lican Ray verbindet, und auf der schon wieder deutlich mehr Autos unterwegs sind.

Ohne eine weitere Pause schaffen wir es zu zwanzig vor fünf zum Hostal Playa Grande direkt am großen Strand mit schwimmenden Bädern im See. Alle Straßenränder hier sind voll mit kreuz und quer parkenden Autos, am Strand liegen die Menschen wie Ölsardinen. Es ist so ganz anders als in Villarrica oder Pucón. Unsere Hostalbetreiberinnen erzählen uns, dass von dort (und anderswo) die Menschen hierher zum Baden kommen und meist abends wieder wegfahren.

Ziemlich voll am Strand

Wir machen nur einen kleinen Rundgang – mehr lohnt sich hier nicht – und gehen beim „Rosa Mond“ Chinesisch essen, anschließend einen Pisco Sour zur Happy Hour trinken.
Viktor hat nämlich heute mit sich selbst um einen Pisco Sour gewettet, dass wir auf den letzten 33 Kilometern ab den Onces Alemanas keine weitere Pause machen werden, wenn er keine vorschlägt (denn Jutta braucht nachmittags eigentlich gar keine Pausen). Und obwohl das Auf und Ab wieder mal von der Sorte „wir brechen jetzt Deinen Willen“ ist, also teilweise ganz knapp an die Grenze der für uns gerade noch fahrbahren Steigungen herankommt, gewinnt Viktor seine Wette, denn die Stokerin spult das Nachmittagsprogramm herunter als wäre es eine kleine Landpartie.

die Happy Hour Piscos, die Viktor mehr oder weniger alleine trinkt – am nächsten Morgen hat er einen kleinen Brummschädel
Moderne Wurlitzer mit Musikvideos vor der „Happy Hour“ Kneipe

Im Hotelzimmer ist die auf der Terrasse aufgehängte Wäsche schon trocken, dem Wind und der Sonne sei Dank. Während des schönen Sonnenuntergangs lassen wir den kalten Wind noch unser heißes Zimmer abkühlen, dann geht es ans Schreiben.

Sonntag 19.1.25 – (166) – Lican Ray – Panguipulli

Gesamt: 10.496,56 km

Wir haben die netten Hotelbetreiberinnen dazu gebracht, uns statt erst ab neun schon um halb neun das liebevolle Frühstück zu servieren. Da es die ganze Nacht bis früh morgens draußen sehr laut von den vielen Partygästen hier war (wenn die Disco um 4 Uhr schließt, geht die Disco für einige Hartgesottene halt vor unserem Hotel am Strand weiter), kann man fast verstehen, warum hier niemand früh aufstehen will, aber wir wollen ja nicht zu spät loskommen.

Die ersten fliegenden Händler bauen sich auch schon wieder auf, und wir erfahren, dass sie alle illegal dort am Strand stehen (und meistens keine Chilenen sind … und wie fast immer in ganz Lateinamerika haben die Venezuelaner angeblich die wachsende Kriminalität und die Drogen im Ort zu verantworten). Unser Hostal und Restaurant ist 1965 eines der ersten hier gewesen, und seit die Händler dort am Strand stehen, ist der Restaurantbetrieb stark eingebrochen. Kein Wunder, dass die Betreiberinnen nicht gut auf die unerwünschte Konkurremz zu sprechen sind.
Wir bekommen zum Abschied noch Honig und eine Kupfertafel mit einer nur hier in der Region wachsenden (also endemischen) Pflanze, der „Copihue“ (Chilenische Wachsglocke) geschenkt. Das ist die Nationalblume Chiles und sie symbolisiert für die indigene Bevölkerung der Mapuche Glück, Tugend, Freude, Freundschaft und Dankbarkeit. Bei unserer Abfahrt gibt es noch ein paar noch ein paar Fotos, die wir später sogar per WhatsApp erhalten.

Chilenische Nationalblume: Copihue – Chilenische Wachsglocke

Der Weg aus Lican Ray heraus sieht vor, dass wir über eine gefährliche Brücke fahren bzw. schieben – es geht also schon mal gut los.

Danach gibt es noch kurz ein wenig Schotter, aber dann sind wir auf der Hauptstraße. Wir nehmen nicht den direkten Weg nach Panguipulli, sondern wollen im Uhrzeigersinn um den Lago Calafquén herumfahren. Nach nur einigen Kilometern verlassen wir die Region Araukanien und kommen in die XIV. Region „Los Rios“.

Auf der Straße um diesen See fahren längst nicht so viele Autos, und wir sehen viel häufiger den See im Vorbeifahren oder von verschiedenen „Miradores“ (Aussichtspunkten). Teilweise sind es wirklich atemberaubende Aussichten auf schneebedeckte Gipfel mit kristallklarem See im Vordergrund.
Heute begegnen wir auch wieder vielen anderen Radfahrenden, in unserer Richtung, aber auch entgegenkommend. Die Strecke hat einige starke Steigungen zu bieten und scheint deshalb auch eine beliebte Trainigsstrecke zu sein.

Nach nur knapp 20 Kilometern sind wir im einzigen größeren Ort Coñaripe und suchen etwas zum Pausieren. Die an der Hauptstraße angezeigte Seeterrasse ist noch geschlossen, aber nebenan ist eine kleine Bäckerei mit Café, die wir auswählen (leider ohne WC – dafür müssen wir zur „Feria“ zurücklaufen und dort bezahlen, und zwar passend!). Eine in Brasilien lebende Familie unterhält sich eine ganze Weile mit uns – sie sind schon 5000 km gefahren (mit dem Auto 😉 ). Sie machen ein Foto von uns und unserem Tandem mit ihrer Tochter auf dem Stoker-Sitz. Wir geben ihnen einen unserer Sticker mit. Wenn Sie das hier also lesen, schicken Sie uns doch bitte gerne das Foto per email an panamericana@themakowskis.de, dann fügen wir es hier im Blog ein.

Kurz darauf halten wir beim „Mirador Ñisoleufu“, wo wir uns mit einer Gruppe Rennradfahrenden austauschen. Ein junge Triathletin (sie trägt ein Ironman-Shirt) meint, wir würden „hacer trampa“ (Schummeln), weil wir auch Bus gefahren sind. Viktor erklärt ihr, dass man das als Triathletin gerne so sehen darf, es uns aber in diesem Sabbatjahr vor allem um „disfrutar“ geht (Vergnügen, Spaß haben) und nicht um „sufrir“ (leiden).

Und ab hier kommt die heftigste Steigung heute, mit zum Teil über 13 %. Nur im ersten Teil müssen wir einmal schieben, den Rest schaffen wir fahrend, bevor wir dann mit einer tollen Abfahrt belohnt werden. Hier haben wir den Lago Calafquén schon verlassen, fahren noch dicht an der Laguna Pullinque entlang und danach weiter in Richtung des Lago Panguipulli. Landschaftlich ist das alles sehr schön!

Etwa 15 km vor dem Ziel halten wir an einem kleinen Stand, gleichzeitig mit zwei Radfahrerinnen aus Temuco, die heute den ganzen Lago Calafquén umrunden – von Lican Ray einmal im Gegenuhrzeigersinn. Sie haben die große Steigung noch vor sich.

Wir kommen immer näher an Panguipulli heran, aber es geht immer noch überwiegend aufwärts, und wir sehen weder Wasser noch einen Ort am Horizont. Erst einen guten Kilometer vor dem Hotel erahnen wir den Ort – wir fahren wirklich von oben in ein Tal hinein. Das Hotel ist sozusagen auf halber Strecke zwischen Ortsanfang und dem Seeufer, der ganze Ort liegt am Hang. Heute ist es bei unserer Ankunft circa 15 Uhr.

Um vier können wir einen Willkommenskaffee trinken, den wir mit einem Stück Kuchen versüßen, danach gehen wir an den See, machen einen kleinen Rundgang und landen zum Essen in einem Pasta-Restaurant.

In ganz Lateinamerika sind uns immer wieder alle möglichen Dinge (Geschäfte, aber auch andere Lokalitäten) aufgefallen, die „Eben-Ezer“ heißen, was uns bislang kein Begriff war. Weil es aber immer wieder zu sehen ist, haben wir es doch einmal nachgeguckt. „Stein der Hilfe“.

In der Araukanier-Region gibt es häufig das Gewürz „Merkén“ zu kaufen (auch in Deutschland). In Lican Ray haben wir erfahren, dass es sich um geräuchertes Chilipulver handelt, das ist ein traditionelles Gewürz der Mapuche aus dieser Region und es gibt davon verschiedene Variationen.

„Merken“: „Aji ahumado“ – geräuchertes Chilipulver

Woche 41 (6.1.25 – 12.1.25) San Fernando – Bulnes

Montag 6.1.25 – (153) – San Fernando – Curicó

Gesamt: 9.682,89 km

Zunächst halten wir heute einmal fest, dass wir anscheinend schon in zu vielen unterschiedlichen Unterkünften waren. Es passiert immer häufiger, dass wir sie durcheinander bringen. Hier z.B. haben wir gestern Abend 1. an eine ältere Zimmernummer gedacht, 2. beim Türstopper im Bad hat Viktor gefragt, ob Jutta den jetzt doch umgedreht hätte, dabei war es vorgestern, als ein Zimmertürstopper falsch herum am Boden befestigt war und 3. hat Jutta den Fensterverschluss zwischen den Fenstern gesucht, obwohl es diesen auch im vorherigen Hotel gab.

Wir frühstücken pünktlich um 7:30 Uhr am bereits komplett aufgebauten Frühstücksbüffet (eine Seltenheit hier in Chile) mit extra großen Teetassen mit Spruch darauf. Vor dem Losfahren interessieren sich noch mehrere Hotelangestellte für unser Abenteuer und begleiten uns z.T. noch nach draußen zum Tandem und zur Abfahrt. Viktor hat danach einen neuen Follower auf Strava.

Wir haben uns entschieden, kreuz und quer über Landstraßen statt direkt über die Autobahn 5 zu fahren. Das sieht später dann so aus:

Es sind so viele verschiedene Straßen, dass heute die Kilometermarkierungen am Straßenrand durchgängig recht kleine Zahlen sind. Einmal ist der Seitenstreifen sehr schmal, ansonsten kann man aber gut fahren. Das ganze Gebiet ist grün und bunt: weiterhin viel Obst, Mais, bunte Blühstreifen, Sonnenblumen. Nach über 30 Kilometern steht die erste Pause an, vorher gibt es einfach keine Gelegenheit, obwohl fast überall menschliche Siedlungen sind. In Chépica finden wir die Cafeteria Kolu, eine sehr nette kleine Oase, unter Bäumen, und wir dürfen sogar unsere Brotreste verzehren.

Noch eine Stunde weiter erwartet uns die einzige nennenswerte, dafür aber recht steile, Steigung, die „Cuesta el Peral“ (Steigung der Birnbaum). Beim Rauffahren finden wir am Straßenrand eine Chilenische Flagge und klemmen sie uns hinten unter die Gurte. Mehrere Autofahrer rufen uns motivierende Worte zu, und wir schaffen den Anstieg ohne schieben zu müssen. Bei der anschließenden Abfahrt erreichen wir dank einer längeren Gerade einen neuen Geschwindigkeitsrekord: 71,4 km/h.

Nach der Abfahrt, machen wir in der „Tentacion de las Churrascas“ eine Mittagspause und Viktor probiert jetzt endlich einen Completo Italiano, viel besser als ein Hotdog, da er mit Mayonnaise, Tomate und Guacamole kommt – die Farben der Flagge Italiens.

Heute ist nach längerer Zeit wieder einmal so ein Tag, an dem wir vor dem Haus stehen, zu dem uns der Garmin mit der eingegebenen Adresse der Unterkunft schickt, und leider völlig falsch sind. Was uns an manch anderem Tag schon mal ordentlich stresst ist heute aber recht entspannt. Wir haben ja Zeit und sind scheinbar fit genug, dass die paar Kilometer nichts ausmachen.
Beim Suchen der richtigen Strecke per GoogleMaps hält eine Moped-Fahrerin neben uns an und lädt uns zu sich nach Hause ein, um eine Pause zu machen. Sehr nett, aber wir müssen ja nur noch zu unserer Unterkunft und lehnen deshalb dankend ab. Es sind noch einmal fünf Kilometer durch die Stadt, mit Radwegen, die irgendwo beginnen und plötzlich wieder im Nirwana enden – natürlich ohne abgesenkten Bordstein – wir nehmen irgendwann dann doch meist die Straße.

Die reservierte Ferienwohnung ist in einem von etlichen gleichen Mehrfamilienhäusern, der Wohnanlage „Condominio Altos Del Boldo“. Wir melden uns am Gate an und bekommen den Weg erklärt, dann muss Viktor mit etlichen WhatsApp-Nachrichten hin und her die Bezahlung (bar am Gate – wir können ja keine „Transferencia“ per App machen, weil wir keine Chilenen sind und kein Konto in Chile haben) klären und wir erhalten den Türeintrittscode, nachdem die Security am Gate die Bezahlung per Anruf bestätigt hat.

Die Wohnung ist sehr, sehr warm. Im vorhandenen Waschtrockner waschen wir schnell unsere Fahrradklamotten (statt wie sonst immer in der Dusche). Jutta will sie kurz antrocknen, aber man kann den Trockenvorgang leider nicht stoppen, also werden heute alle Sachen, inkl. Viktors Radfahrhose und unseren Kappen, maschinell getrocknet … na wenn das mal gut geht …

Wir gehen einen Kilometer zurück zu einer kleinen Mall, entscheiden uns doch gegen das Selbstkochen von lang-vermissten Nudeln mit Barilla-Pesto (es ist einfach zu warm in der Wohnung) und essen bei Papa John’s eine Familienpizza. Wieder einmal gibt es weder Oliven noch Champignons für die vegetarische Hälfte noch Cherrytomaten für die Hähnchenhälfte (und auch nur die Familiengröße – für die Kleinere haben sie keinen passenden Teig da), und heute fragt Viktor, was denn in Chile los sei: überall fehlen Sachen, und man müsste vor der Bestellung eigentlich fragen, was denn überhaupt gerade vorhanden sei, man fühle sich ja fast wie früher im kommunistischen Teil Deutschlands. Die Erklärung: Es ist Montag und sie bekommen erst morgen wieder frische Ware – am Wochenende ist alles leergekauft worden.

Wir holen uns noch ein paar kühle Getränke im Supermarkt – unter anderem ein eher weniger zu empfehlendes „Lucuma-Bier“ – und zurück im Apartment schreiben wir am Blog und planen noch ein paar mögliche Abstecher zu schönen Seen östlich der Ruta 5 und des „Valle Central“ auf unserem Weg Richtung Süden.

Dienstag 7.1.25 – (154) – Curicó – Talca

Gesamt: 9.753,41 km

Wir fahren ohne zu frühstücken los, weil wir heute den ganzen Weg auf der RN5 fahren und es nach nur zehn Kilometern eine Frühstücksmöglichkeit gibt – da müssen wir nicht extra Brot usw. kaufen. Die Autobahn nehmen wir, da wir übernachtungstechnisch bis Talca kommen müssen und alle besser zu fahrenden Strecken weit über 100 km lang wären.

Beim Herausfahren aus Curicó entdecken wir ein Wandbild, auf dem steht, dass Curicó die Hauptstadt des Radfahrens ist. Leider ist so schnell kein Foto möglich, es gibt aber viele Radwege, die auch benutzt werden, das ist uns schon aufgefallen.

Ansonsten ist ein Tag auf der (auf einigen Kilometern für Fahrräder verbotenen) Autobahn nicht sehr ereignisreich oder schön, obwohl auch heute viele Blüten und Weinberge am Straßenrand zu sehen sind.

Bei „Pronto“ an der COPEC-Tankstelle zum Frühstück schauen wir nach: „Va y Ven“ in Panamá und „Pronto“ in Chile gehören nicht zum selben Konzern, auch wenn man das vermuten könnte. Viktor befragt wieder mal die Künstliche Intelligenz „Gemini“ von Google.

Nach 40 Kilometern machen wir noch eine Pause im „Las Puertas del Paraiso“ für ein kaltes Getränk zwischendurch.

Kurz vor dem Verlassen der Autobahn halten wir noch einmal bei einer Copec, die allerdings kein großes „Pronto“ hat sondern nur ein kleines „Punto“, dann fahren wir lange über eine Umgehungsstraße um Talca herum. Dabei passieren wir ein ganzes Viertel mit gleichen, teilweise verbrannten, fast allen verlassenen Häusern – in einigen wenigen gibt es offenbar noch Bewohner.
Das letzte Stück in die Stadt führt uns dann auf einer stark befahrenen Straße über einen extrem schmalen Radweg ins Zentrum. Manchmal ist es wirklich besser, keinen Radweg zu haben.

Als wir an unserer Zieladresse ankommen, denken wir, Komoot hätte wieder etwas durcheinandergebracht, obwohl wir das Hotel Casa Azul gebucht haben und das Haus, vor dem wir stehen, auch tatsächlich blau (azul) ist. Es sieht aus wir ein Wohnhaus, ist mit Toren verrammelt, es steht nichts dran und der Rest der Straße sieht nicht nach Stadtzentrum aus, obwohl wir im Zentrum gebucht haben. Wir sind aber dennoch richtig, es ist nur niemand da. Wir fahren also ein paar Blöcke weiter und finden ein sehr nettes Café mit Fahrradladen, wo wir uns die Zeit verteiben, bis wir Nachricht erhalten, dass uns jetzt jemand erwartet.

Das Casa Azul entpuppt sich als Hostal statt wie angenommen 3-Sterne-Hotel. Der Sohn des Betreibers öffnet uns und erzählt, dass er 2016 für elf Monate in Deutschland war: in Cloppenburg, Barßel und Friesoythe, und in Wilhelmshaven war er zu einem Musikfastival auch. Lustig!

Leider funktioniert das W-LAN wieder einmal nicht. Wir verbringen den Nachmittag also mehr in einem „Salón de Té Picnic y Aventura“ und können das dortige WIFI nutzen. Es läuft italienische Musik in Dauerschleife, Adriano Celentano, Eros Ramazotti, Opern-Arien, Ricchi e Poveri (Sarà perché ti amo), etc, etc …

Als wir nach dem Abendessen in einer Restobar (die die Nudeln mit Spargel aufgrund des fehlenden Spargels und die Ingwerlimonade aufgrund des fehlenden Ingwers heute leider nicht anbieten kann…) noch ein wenig herumspazieren, fallen uns noch viel mehr verlassene und heruntergekommende Gebäude auf. Ganze Blöcke mitten in der Innenstadt, eine Schule, eine Fußgängerzone – fast ein bisschen gruselig. Wikipedia sagt aber, dass Talca in den letzten Jahren stark expandiert ist. Wir finden nicht sicher heraus, ob es noch immer die Nachwirkungen des Erdbebens am 27. Februar 2010 sind, was aber gut sein könnte.

Mittwoch 8.1.25 – (155) – Talca – Linares

Gesamt: 9.838,73 km

Natürlich gibt es auf so einer Tour auch mal Differenzen und unterschiedliche Meinungen. Immer wieder stehen wir – so wir gestern bei dem extrem schmalen Radweg – vor der Entscheidung: „Fahren wir auf diesem grottenschlechten Fahrradweg weiter oder doch lieber auf der lebensgefährlichen Straße?“ Oder: „Müssen wir jetzt unbedingt die Straße kreuzen, um auf der linken Fahrbahnseite vorschriftsmäßig diesen bescheidenen Radweg zu nutzen?“ Oder: „Wollen wir wirklich in diesen Schotterweg hineinfahren, in den uns unser Garmin-Navi gerade leiten will?“ … zu Letzterem kommen wir heute nochmal …

Nicht immer beantworten Captain und Stokerin diese Fragen gleichlautend.
Heute morgen beim Frühstück packen wir zum Beispiel unsere Mora-Marmelade (Brombeere) von Watts aus, denn zum Frühstück erhalten wir nur Schinken, Käse und Butter zum Toastbrot. Die Verpackung der Marmelade ist für so eine Radtour total praktisch, denn es ist eine Tüte mit Schraubverschluss. Zum Glück gibt es die in Chile wieder zu kaufen und wir haben im Supermarkt sofort zugeschlagen. Am Ende des Frühstücks stellt sich jedoch die Frage: „Ist es unbedingt erforderlich, das Außengewinde des Schraubverschlusses zunächst sauber abzuwischen, bevor der Verschluss wieder aufgeschraubt wird?“
Eine von uns meint, dass alle Apotheker*innen das auf jeden Fall immer tun würden. Der andere … na ja … sucht noch Apotheker*innen, die das nicht für erforderlich halten. Mitte melden! 😉

Watts-Marmeladen-Tüte mit praktischem Schraubverschluss

Wir haben uns für heute wieder entschieden, nicht der Ruta 5 (die hier auch gleichzeitig die Panamericana ist) zu folgen, sondern einen größeren Bogen nach Osten Richtung Anden zu fahren bevor wir uns südwärts zum heutigen Etappenziel Linares bewegen. Das ist zwar insgesamt eine längere Strecke, aber auf den Landstraßen fühlen wir uns wohler als auf der Ruta 5. Im täglichen Wechsel ist so auch die Ruta 5 mit ihrem starken Verkehr für jeweils einen Tag ganz erträglich.

Die ersten 10 Kilometer aus Talca heraus sind ziemlich nervig, denn wir fahren wieder auf dem extrem schmalen Radweg von gestern. Zudem steht die Sonne noch tief im Osten und blendet derartig, dass man die Schlaglöcher und Gullideckel (manche mit Längsrillen, in denen das Vorderrad steckenbleiben könnte) nicht rechtzeitig erkennen kann, um noch auszuweichen. Entsprechend langsam geht es voran und Viktor fehlt es ein wenig an der Motivation, ordentlich in die Pedale zu treten. Als wir dann auf der Landstraße unterwegs sind wird die Umgebung schon ein bisschen netter. Für San Clemente haben wir bei Kilometer 22 die erste Pause eingeplant, aber die angefahrene Tankstelle hat keine Baños (Toiletten) und man schickt uns zu den öffentlichen Toiletten neben der Touristeninformation. Die kosten 350 Pesos und sind die schlechtesten bisher in Chile. Die Pause machen wir ganz in der Nähe ohne Kaffee an Schachbrett-Tischen mit Sitzgelegenheit.

Kurz hinter San Clemente führt uns unsere Komoot/Garmin-Navi-Kombination auf die K-593, eine ziemlich untergeordnete, aber asphaltierte Straße, die uns Richtung Süden über Colbun nach Linares führen soll. Nach einigen Kilometern wird die Straße schmaler, wir fahren über einige Bäche und Flüsse und finden die Gegend eigentlich sehr schön. Aber dann verwandelt sich der Asphalt in Schotter, irgendwann müssen wir über eine am Boden liegende Stahlglieder-Kette fahren und dann taucht ein Schild auf, dass uns darauf hinweist, dass wir nun auf eine Privatgelände fahren. Dahinter liegt ein großes Gelände mit Lastwagen und schweren Baumaschinen, die alle zwischen großen Kies- und Schotterbergen herumfahren.

Wir kommen an eine kleine Hütte, in der eine Art Security-Büro eingerichtet ist. Davor sitzen drei Männer und wir fragen, ob das hier eine offizielle Straße sei. Ja, früher sei das eine Straße gewesen, aber die sei letztes Jahr vom Fluss weggespült worden. Wir könnten weiterfahren und müssten dann aber den knietiefen Fluß mit dem Fahrrad durchqueren. Da hat uns Komoot (und Open Street Maps, auf dessen Kartenmaterial Komoot zurückgreift) ja wieder einen Streich gespielt. Wir drehen um und müssen dann einen etwas größeren Bogen fahren als wir eigentlich geplant hatten.

Als wir endlich die L-11 erreichen, eine größere Landstraße, die bis nach Linares führt, beschließen wir, auf dieser zu bleiben und heute keinen weiteren Komoot-„Abkürzungen“ mehr zu folgen.

Am Stausee Machicura legen wir nochmal eine kurze Pause ein, weil wir wenigstens einen Blick auf den Stausee werfen wollen, den wir von der Straße aus einfach nicht zu sehen bekommen. Der Parkplatz des „Balnearios“ (Badestelle) ist noch relativ leer, aber ein Stand hat gerade angefangen „Mote con Huesillo“ und andere kalte Getränke zu verkaufen. Die frisch frittierten Empandadas werden leider erst gegen Ende unserer Pause angeboten und wir können nur noch ein Foto davon machen.

Die letzen 20 Kilometer nach Linares ziehen sich ziemlich hin. Es ist etwas Gegenwind aufgekommen und das Gefälle in Richtung Linares ist nicht so stark wie erwartet. Wir sind erst nach 16 Uhr am Hotel, für uns eher spät, und haben über 80 Kilometer abgespult.

Trotzdem schaffen wir es heute noch in ein ordentliches Café (La Francesa) und besorgen uns in Nachos Barbershop (Instagram) sommerliche Kurzhaarschnitte der besonders kurzen Art – zumindest für Jutta der letzte Haarschnitt unserer Reise ;-).

Wir schaffen es noch in einen Supermarkt und einmal um die „Plaza de Armas“, aber dann ist der Tag für uns auch vorbei, denn der Blog wartet ja auch noch.

Donnerstag 9.1.25 – (156) – Linares – Parral

Gesamt: 9.880,87 km

Unsere durchgewaschenen und im Zimmer aufgehängten Radfahr-Klamotten sind nach dem Aufstehen noch ziemlich feucht, obwohl die Klimaanlage die ganze Nacht durchgelaufen ist und auf 24°C eingestellt war. Wir haben wohl das feuchteste Zimmer (Nr. 10) des ganzen Hotels Real bewohnen dürfen. In der hinteren Ecke sieht man an der Wand auch deutliche Schimmelspuren. Es gibt doch nicht Schöneres, als morgens in feuchte Klamotten zu steigen und zu wissen, dass sie tagsüber am Körper trocknen werden. Besonders die Innenpolster von Radfahrhosen (Viktor) sollen eigentlich tagsüber Feuchtigkeit aufnehmen, um Haut-Irritationen zu vermeiden, aber sicher nicht Feuchtigkeit abgeben. Na ja … Luxusprobleme … wir stellen uns vor, wie das Ganze aussähe, wenn wir wirklich regelmäßig zelten würden und dann morgens Zelt und Klamotten klamm oder feucht wären.

Nach der gestrigen Erfahrung mit der Navigation trauen wir Komoot heute buchstäblich nicht „über den Weg“ und entscheiden uns wieder für eine Teilstrecke auf der Panamericana bzw. Ruta Nacional 5. Dadurch wird die Etappe heute zwar recht kurz, aber nach der gestrigen längeren Etappe stört uns das nicht sonderlich. Es fließen einfach zu viele Flüsse von den Anden (Osten) zum Pazifik (Westen) mit nur wenigen Brücken in Nord-Süd-Richtung.

Als wir auf einer richtig ländlichen Straße an der RN5 ankommen, gibt es leider nur eine Auffahrt Richtung Norden – falsche Richtung! Dank einer Fußgängerbrücke kommen wir aber auf die andere Seite und befinden uns für die nächsten 20 km wieder auf dem Seitenstreifen der Panamericana.

Irgendwann ist eine (Toiletten-) Pause fällig und eine Tankstelle am Straßenrand. Am dazugehörenden Restaurant blinkt eine Anzeige mit „Bienvenidos“ und „Abierto“, worauf Viktor kurz mal hinweist (typisch Deutsch!). Drinnen stehen zwei Damen an der verschlossenen Tür und sagen, dass sie geschlossen hätten (Öffnung erst um 10, jetzt ist es kurz nach neun – die Anzeige wird daraufhin ausgeschaltet :-)). Die Toilette für die Tankwarte kann aber benutzt werden – immerhin.

An der Diagonale L-60/L-61 verlassen wir die RN5 und können auf Landstraßen weiterfahren. Ziemlich bald kommt ein Ort, und wir finden ein Café in einer Seitenstraße. Jutta blickt auf die Feuerwehr, an deren Gebäude etwas von „Bomberos de Retiro“ steht. Wir fragen uns erst, ob es eventuell alles Rentner sein könnten (eher nicht) und kommen dann darauf, dass dieser Ort wohl „Retiro“ heißen muss (stimmt). Nach den letzten Tagen fragen wir im Café erst, was sie denn alles dahaben, und sie sind ganz verwirrt: Alles, was auf der Karte steht, haben sie natürlich auch da. Wir bestellen erst zwei Milchshakes, danach noch zwei Kaffees (ohne zusätzlichen Sirup-Geschmack, ganz unchilenisch).

Auf der Weiterfahrt kommen wir an einer Plantage vorbei, in der die Bäume auf den Zentimeter genau in einer Linie stehen. Im Vorbeifahren sieht man unter mehreren Blickwinkeln und Diagonalen alle Bäume gerade hintereinanderstehen.

Der Zielort Parral entpuppt sich als etwas hügelig, obwohl wir immer noch in einer flachen Gegend unterwegs sind. Wir sind schon um 12 Uhr am Hotel Brescia, müssen uns aber noch gedulden und gehen zunächst ins Zentrum des Ortes zur obligatorischen Plaza de Armas. In einer Straße liegen gleich mehrere Apotheken direkt nebeneinander:

Apotheken-Panorama – fünf Apotheken nebeneinander – gegenüber gibt es sogar noch mehr

Als Viktor ziemlich große Bienen (vermutlich Hummeln) entdeckt und sein Handy zückt, werden wir von der dort wohnenden Frau angesprochen. Als sie erfährt, dass wir Deutsche sind, erzählt sie von ihrer Nichte, die gerne nach Deutschland möchte (Tourismus-Branche) und bei den Formalitäten Hilfe braucht. Wir bieten diese an und tauschen Nummern aus. Später stellt sich per WhatsApp heraus, dass sie eher einen Arbeitsplatz in der Gastronomie/Hotelerie sucht. Der Lebensgefährte ist Agrar-Ingenieur, könnte also eventuell im Agrarbereich gut aufgehoben sein. Viktor schreibt von der Saisonarbeit in der Landwirtschaft. Von den Gurkenfliegern im Spreewald haben wir aber eher abgeraten, weil die Arbeit zu den härtesten gehört, die es in der Landwirtschaft gibt. Sie werden ab März wohl die Region Leipzig aufsuchen, denn dort haben sie bereits Kontakte. Wer also Jobs anzubieten hat – wir könnten den Kontakt vermitteln. Oder Ihr geht gleich auf ihren Youtube-Kanal und kontaktiert sie dort.

Beim Gang über die Plaza de Armas sehen wir ein Schild, das Radfahrenden auf dem Platz mit einem Bußgeld droht (Multa). Der Betrag ist hier in Chile auf Schildern immer in „UTM“ angegeben. Endlich können wir mal jemanden fragen, der in der Nähe auf einer Parkbank sitzt. UTM ist hier eine eigene Einheit, derzeit circa 67.000 Pesos. UTM ist automatisch inflations-korrigert und steigt daher monatlich. So müssen die Schilder nicht ständig neu produziert werden.

Im Café Cactu gibt es noch einen Kaffee und für Viktor die typisch Chilenische Mil Hojas-Torte, für die wir uns heute bei Pierre L. für die Einladung bedanken.

Wir bekommen weitere Tipps für den Süden Chiles und noch ein paar Erklärungen zu der im Café Cactu ebenfalls angebotene Kosmetik mit Kaffeesatz-Zusatz, die die Besitzerin selbst herstellt.

Dann geht es ins Hotel. Nachdem wir gestern beim Blick aus dem Fenster auf eine weiße Wand, ca. 30cm entfernt, geguckt haben, können wir heute sehr weit gucken und erblicken sogar Schnee:

die Anden sind in Chile nie so richtig weit entfernt

Während wir am Blog schreiben kommt ein WhatsApp-Anruf von Jani aus Kopenhagen und wir verquatschen uns ein wenig, bis der Hunger uns daran erinnert, dass es Zeit fürs Abendessen ist. Natürlich öffnet das Hotelrestaurant erst um 19:30 Uhr, also haben wir dann doch noch genug Zeit für einen schnellen Einkauf im Supermarkt und ein paar weitere Zeilen im Blog.

Beim Abendessen im Hotelrestaurant „Avanti“ lernen wir Enrique kennen, der mit zwei Peruanischen Kollegen am Nachbartisch sitzt. Er hat deutsche Wurzeln, hatte in der deutschen Schule in Valdivia „Deutschlandkunde“ und arbeitet 10 Monate im Jahr in peruanischen Blaubeer-Plantagen, an dennen wir im Norden Perus auch vorbeigekommen sind. Enrique gibt uns einige Tipps für die Gegend um Puerto Montt und unsere Weiterfahrt Richtung Süden. Wir haben wieder einmal richtig Glück mit unseren Zufalls-Bekanntschaften. Am liebsten würde er uns auch zu sich nach Hause einladen, aber wir werden den Süden erst erreichen, wenn er schon wieder in Peru ist.

Freitag 10.1.25 – (157) – Parral – Villa Baviera (Colonia Dignidad)

Gesamt: 9.921,32 km

Als wir die Fahrt von Parral in Richtung Süden geplant haben, ist uns aufgefallen, dass die Villa Baviera – ehemalige Colonia Dignidad – recht nah an der Route liegt, und so haben wir beschlossen, dort einen Zwischenstopp, also eine Übernachtung, einzulegen. Das bedeutet heute eine kurze Tour! Gestern Abend haben wir uns zur Vorbereitung eine Fakt-Sendung aus 2017 angeschaut.

Nach dem Frühstück schieben wir das Tandem wie so häufig wieder auf die Straße, bepacken es unter mehreren Paaren neugieriger Augen und können erst starten, nachdem verschiedene Fotos gemacht sind. Die Hotelangestellten wollen etwas bei Instagram posten .

Wir kommen gut aus Parral heraus und fahren heute die ganze Zeit durch Land- und später vor allem Forstwirtschaft – hier riecht es sehr gut nach Pinienharz. Jutta assoziiert mit diesen Geruch komischerweise plötzlich einen Ausritt mit zwei Cousinen (Michaela und Angela) in Tunesien (?) – da war sie so etwa sieben Jahre alt :-).

Wir haben eine kurze, steile Steigung nach ca. 23 Kilometern und machen direkt vorher eine kurze Trinkpause am Straßenrand. Während wir stehen, bemerken wir recht große Fluginsekten mit orangefarbenen Tupfern. Beim Fahren scheinen sie uns zu verfolgen – gerne oben auf dem Helm. Viktor beruhigt Jutta, dass sie bestimmt nicht stechen, wenn sie auch einmal auf der Haut sitzen.

Schon nach dem großen Felsen „Villa Baviera“ am Straßenrand steht links im Wald ein Verkaufswagen, die „Deutsche Ecke“, und wir hören zwei Männer Deutsch sprechen. Spontan machen wir nur wenige Kilometer vor Schluss noch eine Pause. Es gibt ein Stück Frankfurter Kranz für Viktor.

Hier erfahren wir auch, dass die Insekten Tabanos heißen, hier nur zwischen dem 20. Dezember und 20. Januar in Massen fliegen und doch stechen bzw. beißen. Es ist eine Art Bremsen und sie wollen an unser Blut.

Kurz vor dem Ziel kommt eine Kontrollstelle mit Schranke: nach Villa Baviera kann man anscheinend nicht unkontrolliert hinein. Unsere Reservierung im Hotel wird gecheckt und wir dürfen weiter. Ab hier gibt es keine befestigte Straße mehr, wir können aber langsam fahren und müssen nicht schieben. Schon um 12 Uhr sind wir am Hotel Baviera, werden aber bis 15 Uhr noch einmal weggeschickt :-(.

Wir machen einen Spaziergang durch den Ort und werden von immer mehr Tabanos angefallen, so dass wir die ganze Zeit am Herumwedeln sind. Das macht einen etwas verrückt.

Wir gehen trotzdem die große Runde, kommen irgendwo am Kartoffelkeller (den wir aber zunächst nicht finden) vorbei, an Cabañas, an der Post, an der Bäckerei… Richtig Sehenswertes ist nicht dabei, und das Museum im Kartoffelkeller macht erst um 14 Uhr wieder auf. Wir gehen also erst noch etwas Kaltes im Zippel-Haus, dem Restaurant, trinken, dann ist es nach 14 Uhr. Um halb drei ist die Museumstür allerdings immernoch verschlossen … was ist denn mit der angeblichen deutschen Pünktlichkeit passiert 😉

Langsam gehen wir zum Hotel und können endlich einchecken. Davon, dass wir als Ausländer keine Mehrwertsteuer zahlen müssen, hat die Dame an der Rezeption noch nie gehört, also müssen wir heute tiefer in die Tasche greifen. Dafür bekommen wir aber auch ein „exquisites“ Zimmer direkt unter dem Dach: sehr, sehr heiß, ohne Möglichkeit zu kühlen und praktisch ohne W-LAN Signal (das hat man nur im Flur). Immerhin erfahren wir, dass das Museum jetzt geöffnet hat. Nachdem zumindest einer von uns geduscht hat, machen wir uns also noch einmal auf den Weg.

Es erwarten uns vor allem Fotos, ausbleichende mit Tintenstrahldrucker bedruckte DIN A4-Zettel und Zeitungsausschnitte. Zuerst denkt man, alles Negative würde ausgespart, aber je weiter man hineinkommt, umso mehr werden dann doch Wahrheiten ausgestellt. In einem zweiten Raum sind Dinge aus dem Krankenhaus, zum täglichen Leben in den nach Alter und Geschlecht getrennten Wohngruppen etc. gezeigt.

Wir wundern uns hinterher, dass es anscheinend keinen Kurator gibt/gegeben hat, obwohl eine Kommission in Deutschland und Chile längst empfohlen hat, dass an diesem Ort eine Gedenkstätte errichtet werden muss, um an die gruseligen Geschehnisse und Menschenrechtsverletzungen zu erinnern – hier sind eindeutig Laien am Werk.
So sieht Erinnerungskultur aus, wenn sie ausschließlich privat von einigen Opfern vor Ort organisiert und finanziert wird. Laien tackern Zettel an die Holzwand einer alten Kartoffelscheune. Wenn man bedenkt, dass hier jahrzehntelang unkontrolliert Millionen aus der deutschen Rentenkasse hingeflossen sind, als Paul Schäfer noch sein Unwesen trieb, ist es schon ein kleines Armutszeugnis, dass jetzt weder Geld für eine Gedenkstätte noch für Opfer-Entschädigungen aus Deutschland kommt, obwohl klar ist, dass Deutschland und deutsche Diplomaten bis ins Außenministerium (jahrelang auch Genscher) zumindest aktiv weggeschaut haben, wenn nicht sogar schlimmer. Zur Gedenkstättendiskussion gibt es sogar schon ein Buch.

Im Hotel versuchen wir es im „Leseraum“ mit dem WIFI und schreiben schon ein wenig am Blog, bevor wir im Bayerischen Restaurant zu Abend essen.

Bei Bayerischer Humm-ta-ta-Musik gibt es für Viktor Leberkäs mit Spiegelei (eine richtig knusprige Haxe gibt es leider nicht … nur Eisbein … dafür aber recht guten süßen Senf, den sie hier selbst produzieren) bzw. für Jutta die Trilogie aus Sauerkraut, Rotkohl und Apfelmus plus Pfannengemüse – und das alles mitten in Chile.

Anschließend unternehmen wir einen zaghaften Versuch, eine Runde mit dem Hydrobike zu fahren (was vom Hotel auf dem kleinen Teich angeboten wird – es gäbe sogar ein Tandem), aber als dort niemand vor Ort ist und wir eine Telefonnummer anrufen müssten, lassen wir es halt. Der Teich ist eh ziemlich klein! Viktor beobachtet an einer Eiche noch eine Hummel beim sammeln von „Läusekacke“, also klebrigem Honigtau … das wird leckerer Eichenhonig, wenn Honigbienen ihn einsammeln.
Dann setzen wir uns mit dem Laptop auf die Terrasse des Restaurants, schreiben am Blog und bringen der Bedienung den Begriff „Apfelschorle“ bei – Apfelkuchen, Apfelstrudel, Apfeltasche und Apfelmus kennt sie schon.

Abends beobachten wir noch eine größere Anzahl älterer Einwohner von Villa Baviera, wie sie in das Freihaus gegenüber des Hotels zu einer Versammlung gehen. Laut Dokumentarfilm wohnte der Sektenführer Schäfer in genau diesem Haus und hat dort auch die Kinder und Jugendlichen sexuell missbraucht. Wir hören im Laufe des Abends christliche Lieder aus dem Haus zum Hotel herüberschallen.

Samstag 11.1.25 – (158) – Villa Baviera – Chillán

Gesamt: 9.991,38 km

Nach einer sehr ruhigen, aber heißen Nacht dürfen wir im Baviera Hotel „ausnahmsweise“ schon um halb neun statt normalerweise erst ab neun frühstücken. Es gibt Graubrot und sehr guten Quark (aus einer Suppenterrine mit Suppenkelle) – das wird hier immer noch alles selber gemacht, ebenso wie das in Chile einzigartige Sesambrot. Im „Dorfladen“ bekommen wir unsere Getränke, wenn auch nur eine Flasche gekühlten Wassers.

Vor der Abfahrt macht Viktor noch ein kurzes Video aus dem Gang des Hotels im zweiten Stock:

Es ist nach halb zehn, als wir den Schotterweg aus diesem skurrilen Ort wieder zurückfahren. An der „Deutschen Ecke“, nach drei Kilometern, biegen wir nach links ab und es geht mehrfach steil bergauf, zweimal geht es nicht ohne zu schieben (14% Steigung). Da waren wir nicht wirklich drauf vorbereitet! Wieder mal haben wir uns vorher das Höhenprofil der Streckenplanung nicht genau angeschaut. Nervig ist außerdem, dass wir beim Bergauf-Schieben ständig von Tabanos umflogen werden, den lästigen Blutsaugern von gestern, die es auch heute wieder auf uns abgesehen haben.
Und das Auf und Ab scheint immer weiter zu gehen. Immerhin ist es landschaftlich eine Augenweide, das tröstet ein bisschen und die Laune bleibt erstaunlich gut.

Nach ca. 17 km biegen wir auf die N-31 ab und die Steigungen haben ein Ende. Auch die Region der blutsuchenden Tabanos haben wir damit scheinbar verlassen. In Tres Esquinas machen wir eine kleine Pause an einer Bushaltestelle und peilen eine Kaffepause in San Carlos ein, wo wir heute auf die RN -5 fahren wollen – fast müssen, weil es keine durchgängig asphaltierte Straße mehr in unsere südliche Richtung gibt. In San Carlos ist die Suche nach einem Café gar nicht so einfach. Ein Herr gibt uns den Tipp, auf der anderen Seite der RN-5 zu gucken, und dort finden wir ein kleines Eiscafé mit richtiger Kaffeemaschine, wo wir dann auch länger bleiben.

Über verschiedene Einbahnstraßen kommen wir zurück zur Autobahn und wissen nicht, wie weit die Strecke wohl noch ist. Am Rand stehen auch keine Kilometerangaben nach Chillan, immer nur nach Los Angeles und Concepción. Es könnte nämlich eventuell passieren, dass wir heute die 10.000 km – Marke erreichen, ganz knapp, je nachdem wie weit es über die RN-5 bis Chillan ist.

An einer Aramco-Tankstelle machen wir noch eine „Hinternpause“, weil Viktor durch den kräftigeren Gegenwind sehr fest im Sattel sitzt und wenig Gelegenheit hat, den Hintern mal für ein paar Sekunden zu entlasten, wie das auf den Abfahrten vorher möglich war. Auf seine Frage, wie weit die Plaza de Armas von Chillán denn noch entfernt sei, antwortet der Tankwart sofort: acht Kilometer, und bestätigt das auch nach ungläubigem, mehrfachem Nachfragen immer wieder.

Derart motiviert fahren wir weiter, nur, dass nach acht Kilometern noch nicht einmal die Stadt in Sicht ist. Wieder einmal ist Viktor auf einen Tankwart hineingefallen! Am Ende sind es 16 Kilometer und wir fragen uns wieder einmal: Was haben die Tankwarte eigentlich für ein Problem? Können die nicht einfach sagen, dass sie es nicht wissen? Stattdessen greifen sie wahllos irgendeine Entfernung aus der Luft! Oder hassen sie Radfahrende derart, dass sie die mit Absicht frustrieren (oder buchstäblich in die Wüste schicken) wollen?

Schon oft hat Viktor sich vorgenommen, der entsprechenden Tankstelle mal bei Google eine 1-Sterne-Bewertung zu verpassen. Nicht, dass das irgendeinen langfristigen Effekt haben dürfte, aber irgendwie senkt es den Adrenalinspiegel.

Auf diesem letzten Teilstück kommen wir auch wieder an einigen Unfallstellen vorbei, wie wir sie während der letzten Woche in dieser landwirtschaftlichen Gegend schon häufiger sehen mussten. Nach langem Überlegen haben wir uns heute entschieden, Euch diese grausamen Bilder nicht länger vorzuenthalten. Sie gehören einfach mit zu unserer Tour und sind somit Teil der Erfahrung, die wir realistisch darstellen wollen. Außerdem wollen wir uns auch selbst daran erinnern, wo das genau war, wenn wir im nächsten Jahr täglich unseren eigenen Blog lesen. Denn eigentlich schreiben wir das hier in erster Linie für uns selbst – schließlich ist das unser Ego-Jahr – und die Tage und Monate beginnen in unserer Erinnerung schon gewaltig zu verschwimmen. Immer wieder fragen wir uns gegenseitig: „Mensch, wo war das nochmal?“

Deshalb also eine Triggerwarnung: Wer jetzt weiter herunterscrollt wird das zerfetzte Fleisch von sinnlos geschredderten Verkehrsopfern zu sehen bekommen.

Richtig! Wir befinden uns ein der Melonen-Gegend von Chile und am Straßenrand stehen alle paar Kilometer Verkaufsstände mit Wassermelonen, Honigmelonen, Erdbeeren und anderem Obst. Das hinterlässt seine Spuren auch auf der Fahrbahn und dem Standstreifen.

Für heute Nacht hat Jutta ein Business-Hotel gebucht, damit wir endlich einmal gutes W-LAN und früh angebotenes Frühstück haben. Pustekuchen! Das Internet geht heute leider nicht – es ist sogar jemand zum Reparieren gekommen, aber der Fehler konnte nicht behoben werden. Und Frühstück gibt es ab acht! Ins WIFI dürfen wir im zugehörigen Hotel gleichen Namens (nur „Express“ statt „Business“) schräg gegenüber, was wir nach dem Abendessen auch annehmen.

Dieses Abendessen nehmen wir tatsächlich in einer Shopping Mall bei Burger King ein. Die bieten immerhin mit Zuverlässigkeit vegetarische Burger an. Vorher suchen wir bei 35 °C und brüllendem Sonnenschein ein geöffnetes Restaurant in „Chill“-án, das seinem chilligen Namen nun wirklich keine Ehre macht. Wir finden aber nichts Passendes, denn nach Viktors Fleischkäse-Orgie gestern Abend soll es heute mal wieder etwas Vegetarisches werden.

Übrigens war schon 2022 jeder fünfte in Deutschland von Burger King verkaufte Whopper vegetarisch. Das hat uns dann doch überrascht. Wir hätten deutlich weniger geschätzt.

Sonntag 12.1.25 – (159) – Chillán – Bulnes

Gesamt: 10.017,63 km

Vor ein paar Tagen hat Elias in Valparaíso unerwarteterweise die zwei kleinen Päckchen von Juttas Schwestern Kathrin und Barbara erhalten, die wir zu Weihnachten erhalten sollten. Zufällig ist er mit einigen Deutschen Freiwilligen aus Santiago und Valparaíso dieses Wochenende in Richtung Süden unterwegs, und heute wollen sie extra noch den Abstecher nach Chillán machen, damit wir an unsere Weihnachtspäckchen kommen. Wir wissen nicht, wann das sein wird und ob wir danach überhaupt noch weiterfahren wollen, also erfragen wir die Optionen eines Late Check Outs oder auch einer weiteren Hotelnacht. Als vor elf Uhr die Nachricht kommt, dass die Truppe sich auf den Weg nach Chillán macht, entscheiden wir, heute noch nach Bulnes zu fahren, um wenigstens etwas weiter zu kommen und uns den Berufsverkehr in Chillán am Montagmorgen zu ersparen.

Nach dem Frühstück wollen wir uns die Mexikanische Schule angucken. Diese wurde Chillán nach dem verheerenden Erdbeben von 1939 vom Mexikanischen Staat gespendet, und in den 40-er Jahren hat der Dichter Pablo Neruda zwei Mexikanische Künstler damit beauftragt, die Geschichte Mexikos und Chiles in Wandgemälden in dieser Schule festzuhalten. Seit 2004 sind diese Wandgemälde ein Historisches Nationaldenkmal Chiles. Leider kommt man nur von Montag bis Freitag hinein – und heute ist Sonntag. Nur durch das vergitterte Eingangstor kann man zwei Gemälde im Treppenhaus erkennen.

Auf dem Rückweg kommen wir immerhin in die ebenfalls nach dem Erdbeben (1942 bis 1960) neu errichtete Kathedrale von Chillán, die architektonisch schon speziell ist (Modernismo oder Racionalismo) und uns fast neuer erscheint als ihre bald einhundert Jahre.

Inzwischen sind wir sicher, dass wir heute weiterfahren, und checken erst einmal aus, lassen das bepackte Tandem aber noch in der Tiefgarage des Hotels. Da es so aussieht, als hätten alle Einkehrmöglichkeiten in den Straßen geschlossen, gehen wir in die geöffnete Mall und setzen uns ins Starbucks. Erst als die Freiwilligen sich langsam ankündigen, verlassen wir die klimatisierte Mall, holen das Tandem und gehen damit zur Plaza de Armas, vor die Kathedrale.

Um kurz vor zwei kommen Elias und sechs weiter junge Menschen auf uns zu! Neun Deutsche gemeinsam in Chillán, das gibt es wahrscheinlich nicht so oft. Sie wollen sich schnell noch die Kathedrale anschauen, stehen aber vor verschlossener Tür, da es gerade 14 Uhr geworden ist und sie dann schließt. Dieselbe Erfahrung macht Viktor an der öffentlichen Toilette am Platz: der Kirchengong erklingt, und die Tür wird geschlossen, obwohl er mit gerade ziemlich dreckigen Fingern davorsteht und sie flehend in die Luft streckt. Wenn sie schon beim Öffnen nicht so recht pünktlich sind, die Lateinamerikaner, beim Schließen sind sie es umso genauer!

Elias übergibt uns die Päckchen, und wir neun gehen alle zusammen noch in einem Mexikanischen Restaurant etwas essen, so haben wir noch etwas gemeinsame Zeit und können unsere Eindrücke aus Villa Baviera miteinander teilen. Bevor wir dann losfahren, darf Elias auf eigenen Wunsch in der Fußgängerzone, die gerade eine riesige Baustelle ist, noch zwei Runden auf dem Tandem mitfahren.

Um kurz nach halb vier, in ziemlicher Nachmittagshitze, begeben wir uns auf die Strecke. Wir haben sie nicht einmal als Navigation im Garmin, und so muss Jutta genau aufpassen, wann wir die noch fehlenden 8,62 km bis zur 10.000 gefahren sind. Wie es der Zufall will, ist dieses genau an einer Abfahrt zu einer Shell-Tankstelle der Fall, und wir fahren eben auf den Parkplatz. Dort können wir besser stehenbleiben und Bilder machen. Ab jetzt sind wir also fünfstellig unterwegs!

Um viertel nach fünf stehen wir vor dem heute vormittag reservierten Apartmenthaus. In einem Schlüsseltresor finden wir Schlüssel für das Parkplatz- und das Eingangstor sowie die Terrassentür. Die Apartment-Tür wird per Code geöffnet. Das klappt alles hervorragend, und im Zimmer läuft sogar schon die Klimaanlage.

Wir machen als erstes die verspätete Bescherung (eine Teelicht-Weihnachtspyramide, Ostfriesentee, Weihnachtssüßigkeiten, Zahnputztabletten und nette Weihnachtspost – Vielen Dank auch noch einmal hier). Nach dem Duschen gehen wir zum Supermarkt, wo auch gerade zwei Bikepacker aus Neuseeland einkaufen, die jetzt sogar noch weiter fahren wollen. Ein richtiges geöffnetes Restaurant finden wir nicht, es gibt ein günstiges Fastfood bei El Bajón.

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