Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 42 (13.1.25 – 19.1.25) – Bulnes – Panguipulli

Montag 13.1.25 – (160) – Bulnes – Saltos del Laja

Von Elias haben wir erfahren, dass es nicht allen Mitlesenden bewusst ist, dass sie nur einmal pro Woche eine E-Mail erhalten, wir aber täglich den Blog ergänzen. Da heute Montag ist, hier also unser Hinweis: Die vergangene Woche 41 ist jetzt komplett, es kann sich also lohnen dort nochmal nachzuschauen. Auf dieser Seite hier wird (ohne weitere E-Mail-Nachricht) der Rest der Woche täglich ergänzt.

Gesamt: 10.074,57 km

Wir stehen um sechs Uhr auf und sitzen um sieben im Sattel – wir haben nichts zum Frühstücken eingekauft, und den Ostfriesentee aus dem Weihnachtspaket wollen wir ausschließlich auch nicht trinken. Nachdem es gestern Abend einfach nicht abkühlen wollte, fahren wir jetzt langärmelig los – es ist frisch.

Jutta hat heute komischerweise lange Zeit die Titelmusik von „Nils Holgersson“ im Kopf. Ob das wohl an dem Buch liegt, das im Apartment im Nachtschrank lag:

Wir werden ausschließlich auf der RN-5 fahren, da auf den Alternativen einfach zu viele unbefestigte Wege sind. Nach einigen Kilometern packt auf der anderen Straßenseite ein Bikepacker gerade seine Sachen zusammen, er scheint am Rande der Autobahn übernachtet zu haben. Wegen der Leitplanke in der Mitte bleibt es beim Zuwinken.

Nach 17 Kilometern in San Miguel wollen wir frühstücken. Es scheint zunächst alles noch geschlossen zu sein (es ist ja auch noch vor 9 Uhr), aber die „Fuente de Soda, Don Roberto“ ist dann doch geöffnet und wir bekommen Brot mit Ei und einen Becher heiße Milch, in die wir Nescafé bzw. Carocafé (heißt hier „Ecco“, „Caro“ würde auf Spanisch auch „teuer“ bedeuten) einrühren können.

Außerdem leeren „wir“ die Packung Dominosteine, bevor sie schmelzen und die Tasche beschmieren können.

Auf der Autobahn halten wir nicht so häufig an, um Bilder zu machen, auch wenn es rechts und links oft ganz nett ist, heute fahren wir auf der „Ruta del Bosque“ die ganze Zeit durch Forstgebiete, die „Rutas del Vino“ und die „Ruta de la Fruta“ liegen nun hinter uns, auch wenn wir immer wieder verunfallte Wassermelonen (und heute auch Honigmelonen, dicke Maiskolben und grüne Paprika) auf dem Standstreifen entdecken.
Weil unser Tandem ein neues Geräusch macht halten wir irgendwo am Rand noch einmal im Windschatten eines geschlossenen Restaurants an. Es scheint aber nur ein Gurt in den Speichen gewesen zu sein, also geht es weiter … gegen den viel zu früh auffrischenden Wind.

Und eventuell ist genau dieser kurze Halt unser Glück! Wir kommen an einer frischen Unfallstelle vorbei, wo sich das Auto kopfüber jenseits des Straßengrabens befindet. Es muss mit überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen sein, und es hätte uns sicher auf dem Standstreifen mitgerissen, wenn wir gerade auf der Höhe gewesen wären. Puh! Die Insassen werden schon an einen Baum lehnend versorgt, scheinen also nicht lebensgefährlich verletzt zu sein.

Das eine Schleifgeräusch am Tandem haben wir vorhin behoben, aber gestern haben wir in der Vorderachse ein deutliche Spiel bemerkt. Dort ist ein Nabendynamo der Deutschen Firma SON aus Tübingen verbaut, völlig wartungsfrei und angeblich unverwüstlich. Aber das Lagerspiel kann man nicht nachjustieren. Nach 10.000 Kilometern dürfte so ein starkes Spiel eigentlich noch nicht auftreten. Vermutlich liegen wir mit unserem Tandem auch hier wieder an den Belastunsgrenzen „normaler“ Fahrradbauteile. Wir schicken eine Telegram-Nachricht an Dan von Pankerad (er hat seinen Fahrradladen allerdings im Dezember geschlossen) und eine E-Mail an die Firma SON. Mit dem YouTube-Video-Link (unten) hoffen wir auf Ratschläge. Wir rechnen noch mit maximal 3.000 bis 4.000 Kilometern und möchten wissen, ob wir einfach so weiterfahren können.

Als etwa 12 Kilometer vor unserem Ziel links eine Shell-Tankstelle liegt, halten wir wieder an, lassen das Tandem stehen und gehen über eine Fußgängerbrücke (die es hier sehr häufig gibt, weil es viele Bushaltestellen gibt) zum „Upita“-Laden der Shell-Tankstelle.

Fußgängerrampe zur Shell-Tankestelle (unser Tandem ganz hinten unten)

Auf der RN-5 müssen wir immer wieder über Brücken, an denen der Standstreifen fehlt und wir auf die Fahrbahn hinüberwechseln müssen. Das erinnert uns stark an den Highway 101 vor Santa Barbara, auf dem ein Radfahrer an genau so einer Stelle zu Tode kam, und zwar kurz bevor wir nach Santa Barbara fuhren. Seit Santa Barbara fahren wir mit Rückspiegel, seit unserem Unfall in Argentinien mit zweien.

Die letzten Kilometer vergehen schnell, und um viertel vor eins haben wir uns die holperige Auffahrt zur Hotelrezeption hinaufgekämpft. Wir müssen uns bis zum Einchecken um 15 Uhr beschäftigen. Hier gibt es keinen richtigen Ort, die Wasserfälle sind so ein Touristenmagnet, dass es dieses Hotel, Campingplätze und Cabañas und jede Menge Souvenierläden gibt. Wir erkunden also erst einmal ein wenig das große Areal des Hotels, gehen im Hotelrestaurant, das unten an der Straße liegt, etwas trinken und anschließend reihen wir uns in die Massenwanderung zum großen Wasserfall ein. Vom Hotel aus sehen wir die obere Kante, hier laufen wir unten ziemlich nah daran. Die Gischt sprüht und kühlt, und im Wasser unten sind viele Menschen und planschen.

Es ist kurz vor 15 Uhr und wir können langsam einchecken gehen. Auf dem Weg zu Rezeption kommt uns auf der steilen Auffahrt ein Pferdekarren entgegen. Wir wundern uns, wie der überhaupt bremsen kann … und finden heraus, dass das Pferd das alles stemmen muss, denn die Bremse des Karrens ist schon lange kaputt.

Unser Zimmer hat eine Fensterfront zum Wasserfall und viel Platz, ansonsten ist hier seit den 80-er Jahren wohl nichts gemacht worden. Noch ungeduscht gehen wir erst eine weiter Runde über das großzügige Terrain: Ein paar Arbeiter errichten gerade einen kleinen Solarpark. Der Naturpool ist voller grüner Algen und hat zur Zeit eher wenig Wasser. Am „Strand“ am Fluss kann man sich im klaren aber stark strömenden Wasser erfrischen.

Der Golfplatz ist nur durch Schilder zu erkennen, das Gras steht kniehoch bzw. liegt abgemäht auf dem Platz, an einer Stelle grasen Alpakas. Es gibt ein Rotwild-Gehege und eines mit Ziegen. Dort ist wohl heute erst ein kleines Zicklein geboren worden, es müht sich noch, aufrecht zu stehen und bei der Mutter sieht es auch noch nach Geburt aus.

Zum Abendessen geht es ins Hotelrestaurant, wo es für Viktor heute Hirsch und Rotkohl gibt, auch wenn der Hirsch doch nicht vom Gelände des Hotels stammt (wegen der Hygieneauflagen beim Schlachten).

Dienstag 14.1.25 – (161) – Saltos del Laja – Mulchén

Gesamt: 10.137,83 km

Wir stehen kurz vor Sonnenaufgang um 6:15 Uhr auf und haben aus dem Hotelzimmer einen einmaligen Blick auf den mondbeschienenen Wasserfall. Hier versagen beim Einfangen der Stimmung alle unsere Handykameras gnadenlos, der Mond war viel schärfer und schöner, aber dennoch:

Und zehn Minuten später schon ist er nicht mehr zu sehen.

Beim Frühstück verbrennt sich Viktor die Fingerkuppe im heißen Teewasser der Teetasse und als er deshalb beim Abstellen der Teetasse zusammenzuckt, bleibt er am Teebeutelfaden hängen und reißt ihn samt Anhang aus der Tasse. Der Teebeutel fliegt im hohen Bogen aus der Tasse, platscht an Viktors Oberschenkel und landet auf dem Boden – es gibt eine kleine Überschwemmung und eine noch kleinere (aber für Männer extrem schmerzhafte!) Oberschenkelverbrühung.

Um acht Uhr fahren wir los, zunächst ganz langsam den steilen Weg zur Straße hinunter (wo gestern der Pferdekarren herunterfuhr), ähnlich der Abfahrt von der Fidelito Ranch in Tambor/Costa Rica. Im „Supermarkt“, in dem man an einer Theke bestellen muss, was man haben möchte (heißt aber Supermarkt) besorgen wir noch die nötigen Getränke für heute, dann geht es wieder auf die RN-5. Heute geht es die gesamte Zeit in flachen Wellen auf und ab, rechts und links varriiert es zwischen Wald, Ackerland und auch Tierhaltung.

Die einzige Stadt auf der Strecke ist Los Angeles nach etwa halber Strecke. Wir fahren von der RN-5, die dort sozusagen eine Umgehungsstraße ist, ab und auf der Ex-5 auf einem Fahrradweg durch den östlichen Stadtrand. Auf Höhe des Zentrums gibt es sogar eine Tankstelle mit Pronto-Laden, wo wir eine Kaffeepause machen können. Insgesamt sparen wir knapp 17 km Autobahn, das lohnt sich schon.

Kurz hinter dem Rio Bio-Bio der gleichnamigen Region, in der wir gerade fahren, machen wir noch eine kurze „Hinternpause“ für Viktor – das viele Auf und Ab…- und sind um kurz nach eins am Zielort Mulchén. Da es eh noch zu früh für das Hotel ist, halten wir an einer Heladeria am zentralen Platz und essen seit langer Zeit das erste selbstbezahlte Banana-Split, das auch einmal ganz gut schmeckt 😉

Eine Passantin spricht uns an, und als wir sagen, dass wir seit San Francisco unterwegs sind, setzt sie sich erst einmal zu uns und gibt uns Tipps für Thermen, die wir unbedingt besuchen sollen (die liegen aber nicht so auf unserer Strecke), dann steht sie plötzlich wieder auf und steigt in ein (Elektro-)Auto.

Beim Hotel Mulchén sollen wir das Tandem einen sehr schmalen, ziemlich zugewachsenen Weg am Haus entlang mühevoll nach hinten schieben (nachdem die Satteltaschen abgenommen sind, damit wir überhaupt duchpassen) und sehen – dort angekommen – ein großes Tor zur Seitenstraße mit der Parkplatz-Einfahrt für die Autos. Dann können wir ja morgen früh lieber den einfacheren Weg zur Straße nehmen! Und wieder einmal kommen nicht alle unsere Endgeräte über das Hotel-Wifi ins Internet, obwohl sie sich alle mit dem Netzwerk verbinden. Das haben wir in Chile häufiger schon gehabt. Aber immernoch besser, als gar kein Internet, was es auch schon manches Mal gab.

Nach dem Duschen gehen wir nochmal an den zentralen Platz (Plaza de Armas) und trinken einen Moccaccino bzw. eine Limonade, dann geht es in den Supermarkt für die Getränkeversorgung und schließlich in die Neko-Restobar, wo Viktor Sushi bestellt, das auch wirklich gut schmeckt (mit frittierter Garnele … nicht roh … und Avocado, Reis, Champignons und Palmenherzen). Der zweite Gang sind dann Zwiebelringe mit Guacamole … na ja … eine sehr gewagte Speisenfolge … und süßliche Zwiebelringe passen auch nicht so wirklich zu Guacamole … aber die Taco-Chips waren leider gerade aus. Aber das dazu gereichte „Cuello Negro“ Stout-Bier ist wirklich gut. Jutta isst ein vegetarisches Sandwich.

Der zentrale Platz von Mulchén, die Plaza de Armas, ist an den Straßen mit richtig großen Linden (spanisch Tilo) bepflanzt. Viktor spricht zwei ältere Herren auf einer Parkbank an, und fragt, ob es unter den Linden irgendwann im Laufe des Jahres richtig klebrig wird, von den Exkrementen der Blattläuse, so wie wir das in Deutschland kennen. Dieses „Problem“ kennen die beiden gar nicht und meinen, Chile sei halt nicht so „kontaminiert“ wie Deutschland. 🙂
Tja, dann kennen die hier in Chile sicher auch nicht den würzigen Lindenhonig aus dem Honigtau, den die Honigbienen sammeln, also das, was Viktor in der Imker-AG an der Grundschule gerne „Läusekacke-Bienenkotze“ nennt, weil der gesammelte Honigtau „Läusekacke“ ist und Honig erst dadurch entsteht, dass Honigbienen den gesammelten Nektar immer wieder auswürgen und von Biene zu Biene weitergeben.

Auf dem Weg zum Abendessen sehen wir mal wieder einen ganz „normalen“ Rasenmäher (na gut … ein Verbrenner … aber immerhin). Die haben wir in anz Lateinamerika bisher nicht gesehen. Dort wurde überall mit Motorsense gemäht. Erst seitdem wir in Chile sind sehen wir wieder regelmäßig Rasenmäher, wie wir sie von zuhause kennen.

Außerdem sehen wir auf einem Haus ein kleines Windrad, das uns sofort anspricht:

P.S. Aus unerfindlichem Grund und obwohl hier absolutes Rauchverbot herrscht, riecht unser Hotelzimmer heute nach kaltem Zigarettenrauch

Mittwoch 15.1.25 – (162) – Mulchén – Victoria

Gesamt: 10.213,67 km

Nach einem mittelmäßigen Frühstück ohne Rührei (huevos revueltos) für Viktor kommen wir um acht Uhr los, heute durch das große Tor statt den engen Gang von gestern. Die Zufahrt zur RN-5 ist (aufgrund der Enge des Tals?) ganz eigenartig:

Wir überqueren heute die Grenze von der Region BioBío (Region VIII) zur Region Araucania (Region IX) in Chile. Araukania wird auch die „chilenische Schweiz“ genannt und ist nach dem bekanntesten Baum benannt, der hier wächst, die Araukarie (auch Andentanne oder Chiletanne genannt).

Trotz aller Vorbereitung werden wir heute doch etwas vom Wetter überrascht. War es bis gestern nachmittags noch richtig heiß, so ist es heute bedeckt und beim Losfahren so frisch, dass wir langärmelig losfahren. Die gesamte Strecke geht heute wellenartig auf und ab, so wie gestern schon ein Teil der Strecke, und wir müssen häufiger in den leichtesten Gang. Zum Glück haben wir heute aber schiebenden Rückenwind (bis 12 Uhr – dann wechselt er die Richtung und kommt von vorne), was die Anstiege etwas erleichtert. Unter unseren Regenjacken schwitzen wir uns in den Anstiegen allerdings klitschnass. Viktor tropft es aus den Ärmeln der Regenjacke heraus auf seine Knie. Da es aber auch zu regnen beginnt – das erste Mal seit Mittelamerika fahren wir im Regen – wollen wir die Regenjacken auch nicht ausziehen.

Wir kommen heute auf insgesamt mehr als 800 Höhenmeter, obwohl wir nur zwischen 120 und 380 Meter Meereshöhe auf und ab schwanken. Das blöde an diesen Wellen ist, dass man bergauf für 3 Kilometer schon mal 20 Minuten brauchen kann (bei 9 km/h), bergab aber für die gleichen 3 Kilometer nur 6 Minuten (bei 30 km/h) braucht. Dadurch kommen einem die Steigungen natürlich elend lang vor, während die Abfahrten immer viel zu schnell wieder vorbei sind.

Die erste Pause machen wir an einer kleinen Holzhütte, deren eine Hälfte eine richtige Küche ist, und in deren anderen Hälfte Tische und mit Flickenteppichen belegte Bänke stehen. Wir sitzen im Trockenen, trinken heißen Nescafé-Moccacino und zahlen im Anschluss, auch wenn die Betreiberin ein Schild ausgehängt hat, dass Touristen bitte erst bezahlen, dann verzehren sollen. Wir sind wohl so vertrauenswürdig wie „Camioneros“ – die LKW-Fahrer.

Nach ziemlich genau der halben Strecke halten wir noch einmal (an einem richtigen Gebäude) beim „Portal del Sur“ und machen eine ausgiebigere Pause und Viktor holt das fehlende Rührei vom Früstück nach.

Kurz danach erreichen wir Collipulli und fahren über eine lange Autobahnbrücke ohne jeglichen Seitenstreifen. So eine lange Brücke hatten wir schon lange nicht mehr, und das gehört zu den gefährlichsten Fahrsituationen, die wir so erleben. Zum Glück können wir recht flott leicht bergab fahren, und es überholen uns nur wenige Laster, die alle für uns auf die Überholspur ausweichen. Direkt hinter der Brücke bleiben wir auf dem Seitenstreifen stehen, denn wir sind soeben an einem Denkmal vorbeigefahren, das wir leider keines Blickes würdigen konnten, dem Malleco-Viadukt, der zweithöchsten Eisenbahnbrücke Chiles.

Nur zwölf Kilometer vor „Victoria“ halten wir noch ein drittes Mal, diesmal an einem Rastplatz. Es gibt nichts zu kaufen, aber zwei unterschiedliche Toiletten- und Duschhäuschen: eines nur für die „Camioneros“, das andere für die „Generales“, Frauen, Kinder und Behinderte sind aufgeführt. Wir fragen einen Lastwagenfahrer, ob es in Chile Lastwagenfahrerinnen (Camioneras) gibt, und er antwortet „Sehr viele!„. Und wo diese dann Duschen oder zur Toilette gehen? „Na, da drüben!“ – und zeigt auf das andere Gebäude. Das ist doch mal Gleichberechtigung!

Viktor hat aufgrund des heutigen Zielortes den ganzen Tag einen Ohrwurm im Kopf – „Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt …“. Gruß an Viktoria H.

Pünktlich um drei kommen wir am Hotel Royal in Victoria an. Das Tandem darf in einen sehr liebevoll bepflanzten Garten, wir bekommen ein Zimmer, dass mit drei Betten recht vollgestellt ist, und das mit unseren nassen Sachen. Hoffentlich trocknet alles bis morgen früh – eine Klimaanlage zur Unterstützung braucht es hier in der Gegend offenbar nicht mehr.

Nach dem Duschen gehen wir zur nahegelegenen Plaza de Armas und im Café Momento noch einen Kaffee trinken. Viktor kann auch der Cognac-Sahne-Torte nicht widerstehen. Wir gucken uns auch schon ein Italienisches Restaurant für abends aus, gehen aber erst zurück und lesen, schreiben und rechnen ein bisschen (bzw. lassen Excel rechnen).

Das „Bon Appetit“ entpuppt sich vor Ort als richtig gut, wir haben beide unterschiedliche Canelones, die man hier mit verschiedenen Bechamelsaucen verfeinert bestellen kann, z.B. mit Nussmehl oder mit dem Mehl der Kerne der Araukarie.

Abschließend noch etwas zur Tandem-Technik und unserem Problem mit dem Lagerspiel an der Vorderachse: Wir haben sowohl von Dan (ehemals PankeRad) als auch von der Firma SON sehr gute Antworten erhalten. Es handelt sich wohl wirklich um einen beginnenden Lagerschaden, mit dem man aber gefahrlos noch ein paar tausend Kilometer weiterfahren kann. Wir müssen das natürlich im Auge behalten, aber eine frühzeitige Reparatur kommt derzeit auch logistisch kaum in Frage. Wir können und wollen nicht schon wieder irgendwo eine lange Pause einlegen und auf Ersatzteile aus Deutschland warten.

Eine kurze Recherche der im SON 28 verbauten Kugellager ist erst einmal beruhigend. Die Vorderachse mit zwei SKF-Kugellagern müsste eigentlich 400 Kilogramm (statisch) aushalten. Da liegen wir mit dem vollbepackten Tandem deutlich darunter (230 – 250 kg).

Donnerstag 16.1.25 – (163) – Victoria – Temuco

Gesamt: 10.280,04 km

Beim Packen unserer Sachen hören wir vor unserem Fenster die ganze Zeit ein Deutsches Handy erzählen, nach dem Frühstück immer noch, aber eine dazugehörige Person sehen wir nicht. Die Rezeptionistin organisiert uns einige Samen der Araukarie im Hotelgarten (ziemlich groß), damit wir sie mitnehmen und in Deutschland eventuell einpflanzen können. Zwei davon sind allerdings schon gekeimt.

Piñónes der Araukarie (rechts zwei schon gekeimte)

Als wir im nahegelegenen Supermarkt unsere Getränke gekauft haben und losfahren können, ist es etwa neun Uhr und trotzdem noch recht kalt. Wir fahren beide mit langer Hose und langen Ärmeln – erstmalig, aber eventuell ab jetzt immer bzw. häufiger. Der Weg zur RN-5 ist nicht weit, und dann hat uns der Autobahn-Seitenstreifen wieder. Auch heute ist er immer wieder ordentlich verdreckt und Reifenteile mit den bei Radreisenden berüchtigten feinen Drähten liegen darauf herum. Nicht immer ist die Slalomfahrt erfolgreich.

Die Hügel halten sich heute in Grenzen, so dass wir gut vorankommen. In dieser Gegend wächst vor allem Getreide rechts und links, wir identifizieren Hafer, aber auch Raps und Dinge, die wir nicht (er-) kennen.

Die Pause (heute nur eine, einmal abgesehen von PP) machen wir nach knapp 40 Kilometern wieder einmal in einem Pronto, der zu der Zeit (halb zwölf) gerade sehr, sehr gut besucht ist – viele Familien, die heute entweder in den Urlaub fahren oder zurückzukommen scheinen.

Die Abfahrt nach Temuco liegt noch fast 15 Kilometer vor der Stadt, die Straße ist fast so befahren wie die Autobahn, hat aber einen Radweg. Kurz hinter dem Stadtrand halten wir doch noch einmal an einer Mall, weil es noch zu früh zum Einchecken scheint, und essen ein Eis.

Nur 200 m vor dem Hotel bemerken wir einen platten Reifen hinten, können aber zum Glück noch bis zum Hotel schieben. Das Einchecken ist etwas mühselig, da beide ein Online-Formular aus Corona-Zeiten ausfüllen müssen (das dann zum Unterschreiben ausgedruckt wird). Wir erhalten später auch noch eine Bestätigungsmail, in der unter anderem angekündigt wird, dass unsere Körpertemperatur bei Ankunft im Hotel gemessen wird und unsere Füße desinfiziert werden. Die Rezeptionistin ist etwas überrascht, als Viktor später am Abend nochmal hingeht und auf einer Temperaturmessung besteht.

Direkt nach der Ankunft im Hotel wechseln wir aber als Erstes auf dem Parkplatz vor dem Hotel den Schlauch, denn aufs Flicken können wir zur Zeit verzichten, da wir sehr viele Schläuche mit uns herumfahren. Bei der Reparaturarbeit liegen zeitweise Kleinigkeiten auf der Treppe zum Hoteleingang, was sofort von der etwas gestressten Rezeptionistin bemängelt wird, aber immerhin dürfen wir auf dem Grundstück die Reparatur durchführen. Grund für den Platten ist natürlich ein feiner Draht (Filament) aus einem überfahrenen Autoreifen-Fetzen.

Nach dem Duschen gehen wir eine Runde durch das Zentrum dieser uns relativ hektisch anmutenden Stadt. Temuco ist die Hauptstadt der Region Araucanía, hat über 200.000 Einwohner*innen und wurde erst sehr spät von den spanischen „Eroberern“ (oder muss man besser „Invasoren“ oder „Besatzer“ sagen?) gegründet. Die in der Region lebenden Mapuche wehrten sich über 300 Jahre lang erfolgreich gegen die Eroberung. Temuco ist aber auch wichtiges Zentrum der Deutsch-Chilenen.
In der Touristeninformation erfahren wir, dass eigentlich schon alles geschlossen ist oder gleich schließt, nur den Parque Urbano Isla Cautín könnten wir noch besuchen, in dem es von allen Chilenischen Bäumen mindestens ein Exemplar geben soll. Das lassen wir aber, statt dessen besorgen wir erst Getränke für morgen und gehen dann schon früh Abendessen.

Gleich bei uns um die Ecke ist das „vegan bike food„, da müssen wir als Radfahrende natürlich hin. Der Eingang ist im Obergeschoss eines Wohnhauses, man muss an der Tür klingeln, um eingelassen zu werden, aber ist man erst einmal drinnen ist es wirklich sehr nett.

Es ist immer noch relativ früh, also gehen wir nach dem Essen noch zur 2021 eingeweihten „Puente Treng Treng Kay Kay„, der ersten asymmetrischen Brücke Chiles, deren Name Mapuche ist.

Auch zu unserem beginnenden Lagerschaden am Vorderrad haben wir heute nochmal weitere Nachrichten erhalten. Unter anderem wird es als „mutig“ bezeichnet, mit dem Pino-Tandem auf große Tour gegangen zu sein. Na Mahlzeit! Aber wir erhalten für die Schraubenverbindung der Spannachse vorne noch einen wichtigen Tipp, den wir beherzigen werden. Die auf der Spannschraube angegeben 10 Nm Drehmoment sind wichtiger als wir gedacht haben, denn je nach „Weichheit“ der Gabel können Biege-Wechselbelastungen das Kugellager schädigen, wenn die Schraube nicht voll angezogen ist. Später erfahren wir außerdem, dass unsere Wasserdurchfahrten (z.B. Richtung Salta) das Lager ebenfalls beschädigt haben könnten. Vielleicht ist aber auch der Unfall in Argentinien die Ursache des Lagerschadens, denn das war ja auch ein sehr starker seitlicher Schlag.

Das tatsächlich verbaute SKF-Rillenkugellager – doch etwas weniger tragfähig.

Freitag 17.1.25 – (164) – Temuco – Villarrica

Gesamt: 10.362,79 km

Vor dem inkludierten kontinentalen Frühstück bepacken wir das Tandem und können so direkt im Anschluss losfahren. Viele der anderen Gäste haben ihr Gepäck im engen Frühstücksraum dabei – sehr gemütlich!

Es ist bei Abfahrt wieder ziemlich kühl, so um die 10 Grad Celsius, und wir sind wieder langärmelig und in langen Hosen unterwegs. Zu Beginn können wir längere Zeit über einen eigenständigen Radweg quer durch die Stadt fahren, bis er durch eine Baustelle unterbrochen ist, nach der wir dann auch bald auf eine Hauptstraße ohne Radweg abbiegen müssen. In diese viel befahrene Hauptstraße mündet etwas später die um Temuco herumgeführte RN-5, wir fahren „einfach“ geradeaus und sind wieder auf der Panamericana bzw. RN-5. Um ohne Schotterstrecke nach Villaricca zu kommen, fahren wir heute bis Freire noch auf der 5, ab dort dann auf der CH-199.

Kleiner Radwegschaden auf dem ersten Streckenabschnitt

Kurz vor dem Straßenwechsel auf die CH-199 liegt an der Gegenfahrbahn in Freire die einzige Tankstelle und sicher vorhersehbare Pausenmöglichkeit. Es gibt dort heute keine Fußgängerbrücke, aber eine Ausfahrt, das scheint für uns ja fast noch besser zu sein. Als wir aber an der anderen Seite ankommen, führt die Straße nur in Richtung Norden zurück auf die Autobahn – es handelt sich nur um einen „Retorno“ (Wendemöglichkeit) und ein Ausfahrt, aber es gibt keine Zufahrt zur Tankstelle. Wir nutzen die Ausfahrt regelwidrig auf dem Standstreifen als Geisterfahrer und fahren die paar Meter zur Tankstelle auf der falschen Straßenseite zurück. Niemand hupt oder schimpft!

Nach der Pause ist der Rückweg zur Fahrbahn Richtung Süden dann ganz einfach und regelkonform, denn wir können die Ausfahrt diesmal in die richtige Richtung benutzen. Kurz darauf kommt die Abfahrt nach Villarrica – es sind aber noch 52 Kilometer Landstraße bis dorthin. Wir hatten gehofft, dass unsere Ohren ab hier ein wenig Erholung bekommen, den der Verkehr auf der RN-5 war schon nervig laut auf dem linken Ohr, aber die CH-199 ist im Prinzip genauso laut wir die Autobahn. Es gibt zwar zwischendurch mal kurze Atempausen (bzw. „Ohrenpausen“) ohne Autoverkehr, dafür ist der Gegenverkehr jetzt deutlich näher an uns dran und somit lauter, denn es gibt keinen trennenden Mittelstreifen und jede Fahrtrichtung ist noch einspurig. Zum Glück ist die Straße auf dem größten Teil neu asphaltiert und hat einen schmalen, aber sehr guten Seitenstreifen.
Wenn im Gegenverkehr wieder mal ein mutiger Autofahrer überholt, ohne uns als „echten“ Gegenverkehr anzusehen, kommt er uns bei verdammt hoher Geschwindgkeit schon gefährlich nahe und wir können auf dem schmalen Standstreifen nicht weiter nach rechts ausweichen. Einmal ist es knapp genug, dass Viktor den berühmten Finger zum Gruß hebt.

Als wir um eine Kurve fahren, haben wir ganz plötzlich und unverhofft für kurze Zeit erstmals einen atemberaubenden Blick auf den Vulcan Villarrica.

Plötzlich fahren wir darauf zu – Vulkan Villarrica

25 km vor dem Ziel wollen wir noch eine Pause machen, gerne mit dem hier überall angebotenen Käse. Und zufällig liegt gerade hier das Restaurant „Hornitos de Puquereo„, das laut Aushang am Zaun auch Käse im Angebot hat. Dummerweise haben sie zur Zeit keinen da, da der lokale Hersteller im Verzug ist. Wir bleiben trotzdem, denn immerhin steht auf der Karte neben Nescafé auch Juan Valdez Café, den wir ja aus Kolumbien kennen. Als wir dann die zwei Milchkaffee serviert bekommen, sind das zwei Becher Milch und ein Glas Instantkaffee – von Juan Valdez! Damit haben wir ja überhaupt nicht gerechnet!

Um zwanzig nach vier kommen wir am reservierten Bed & Breakfast „Omi Kika“ in Villarrica an, und wie von Jutta fast vermutet, kommt der Name von „Oma Erika“ aus dem Deutschen. Oma Erika sitzt auch auf der Terrasse und begrüßt uns in Deutscher Sprache. Auch die schon etwas älteren Söhne sprechen Deutsch, aber nicht mehr ganz so fließend. Sie sind erst hier in Villarrica zur deutschen Grundschule, danach in ein deutsches Internat in Temuco gegangen. Heute geht die Schule hier bis zum Abitur, damals musste man nach der sechsten Klasse wechseln. Wir haben aus dem Zimmer vom Balkon seitwärts Blick auf den See, geradeaus auf einen Bach.

Nach dem Duschen gehen wir erst zu einem Eisenwarenhandel (Ferreteria), um einen 21-er Maulschlüssel für die Vorderradachse zu kaufen, denn ab sofort wollen wir die Schraube so fest wie möglich anziehen, weil wir den Hinweis von SON beherzigen wollen. Viktor gibt den Hinweis auch an die Pino-Community auf Facebook weiter.

Danach gehen wir weiter durch den sehr touristischen Ort spazieren und suchen ein Restaurant mit schönem Ausblick auf den See und den Vulkan. In der Vizenta Trattoria setzen wir uns zum Abendessen und werden sofort gefragt, ob wir wegen des „Tenedor Libre“ gekommen wären: heute Abend gibt es Pizza satt für einen Festpreis und nicht á la Carte, alles andere kann aber bestellt werden. Viktor nimmt das Pizzabuffet, Jutta ein Risotto. Die Bedienungen kommen immer wieder mit Pizzen nach draußen, und wenn noch etwas übrig ist, wenn sie bei uns ankommen, kann Viktor ein Stück bekommen. Das geht immerhin schneller als das Servieren der Getränke. Unser Ober muss sich mehrfach „1000-fach entschuldigen“, wie man im Spanischen sagt (mil disculpas).

Als wir wieder im Zimmer sind, hören wir von draußen sehr laut Heavy-Metal-Musik – hier ist wohl am Freitag Abend richtig was los! Am nächsten Morgen erfahren wir von unserem Wirt, dass beim Peruaner Karaoke gesungen wurde und er irgendwann die Polizei gerufen hat.

Samstag 18.1.25 – (165) – Villarrica – Lican Ray

Gesamt: 10.440,83 km

Wir bekommen unser Frühstück mit See- und Vulkanblick um kurz nach acht serviert. Heute ist cremiger Honig dabei, der an Rapshonig erinnert, von dem wir aber später erfahren, dass es Scheinulmen-Honig (Miel de Ulmo) ist. Bis wir bei einem Supermarkt Getränke gekauft haben, ist es halb zehn, ehe wir loskommen.

Für heute haben wir uns eine landschaftliche schöne Strecke am See entlang ausgesucht. Wir sind schließlich in einer der schönsten Seen-Regionen Chiles unterwegs, der Araucania Lacustre, wie es hier auch auf vielen Hinweisschildern steht. Wir wollen nach Pucón am See Villarrica entlangfahren, dort Pause machen, umkehren und dann nach Lican Ray an den nächsten See fahren. Wir hoffen während der Fahrt auf schöne Aussichten auf den See und wenig Verkehr, da uns die Ruta 5 mit ihrem Verkehrslärm schon manchmal ein wenig gestresst hat.

Tja, und dann sind wir an einem Samstagvormittag in den Sommerferien offenbar auf einer der am Wochenende meistbefahrenen Straßen unterwegs. Und die hat einen sehr schmalen, und dazu noch extrem schlechten Seitenstreifen. Außerdem sind Reflektoren links neben der Fahrbahnbegrenzung so angebracht, dass wir entweder auf dem Begrenzungsstreifen fahren müssen (mit Absturzrisiko auf den schlechten Seitenstreifen zu dem es meist eine kleine Asphaltkante gibt) oder noch weiter auf der Fahrbahn als es ohne die Refelktoren erforderlich wäre. Das ist fürs Radfahren so ziemlich das Blödeste, denn du kannst den Seitenstreifen nicht sicher befahren, ohne in riesige Schlaglöcher zu fallen oder dir einen Platten einzufahren, die Autofahrer sind aber der Meinung, dass du genau dorthin gehörst, und lassen dich das beim Überholen mit 30 cm Seitenabstand deutlich spüren. Der eine oder andere hupt natürlich auch hinter dir. Der Großteil der chilenischen Verkehrsteilnehmer ist aber sehr geduldig und bleibt hinter uns, wenn ein sicheres Überholen mit genug Seitenabstand nicht möglich ist. Trotzdem ist das natürlich recht stressig. Wenn das wenigstens mit schönen Ausblicken belohnt würde. Aber nein, die Sicht auf den See ist eigentlich immer durch Zäune, Hecken oder (kräftig mit dem „schönen Seeblick“ beworbenen) Immobilien verdeckt. Ganz selten können wir durch eine offene Grundstücks-Pforte mal einen Blick auf den See erhaschen. Oder wir fahren an einem öffentlichen Strand vorbei und sehen dort das Wasser.

In Pucón versuchen wir vergeblich, ein Café mit Seeblick zu finden – dort sind nur Kanuverleihe o.ä., für Cafés muss man ins Ortsinnere. Das relativ neu eröffnete Café Brutal öffnet zwar erst um halb zwölf, lässt uns aber schon 15 Minuten eher setzen und bestellen. Juttas „Seeds and Nuts“ kommen mit Honig, und hier bekommen wir auf Viktors Nachfrage die Tüte mit dem lokalen Ulmenhonig gezeigt. Honig in Tüten ist für uns eher ungewöhnlich. Einen Krug Zitronen-Rosmarin-Wasser gibt es hier für jeden Gast kostenlos.

Als wir nach einer guten Stunde Pause einen Großteil der Strecke bis Villarrica zurückfahren, stehen auf der Gegenfahrbahn kilometerlang die Autos im Stau, wir waren dann doch glücklicherweise vor dem großen Ansturm in Richtung Pucón unterwegs und fahren jetzt gegen den Strom.

Bevor wir an der S-853 nach Süden abbiegen, halten wir für einen Eiskaffee noch bei Onces Alemanas (Deutsche Imbisse) – für ein Bier der angeschlossenen Igel-Brauerei ist es noch zu früh. Es liegt ein Gästebuch aus und wir verewigen uns mit unserem Aufkleber – wegen des „Alemanas“ natürlich in Deutsch.

Der Weg vom einem zum nächsten See ist sehr viel hügeliger als der vorherige Weg am See entlang, wir müssen immer rauf und runter. Immerhin ist hier etwas weniger Verkehr. Wir kommen durch ein Neubaugebiet von Villarrica, sogar auf einem Radweg. Der ist dummerweise irgendwo abrupt mit „Absturzkante“ zuende (Tagesbild). Kurz darauf geht es auf die S-95-T, die Villarrica mit Lican Ray verbindet, und auf der schon wieder deutlich mehr Autos unterwegs sind.

Ohne eine weitere Pause schaffen wir es zu zwanzig vor fünf zum Hostal Playa Grande direkt am großen Strand mit schwimmenden Bädern im See. Alle Straßenränder hier sind voll mit kreuz und quer parkenden Autos, am Strand liegen die Menschen wie Ölsardinen. Es ist so ganz anders als in Villarrica oder Pucón. Unsere Hostalbetreiberinnen erzählen uns, dass von dort (und anderswo) die Menschen hierher zum Baden kommen und meist abends wieder wegfahren.

Ziemlich voll am Strand

Wir machen nur einen kleinen Rundgang – mehr lohnt sich hier nicht – und gehen beim „Rosa Mond“ Chinesisch essen, anschließend einen Pisco Sour zur Happy Hour trinken.
Viktor hat nämlich heute mit sich selbst um einen Pisco Sour gewettet, dass wir auf den letzten 33 Kilometern ab den Onces Alemanas keine weitere Pause machen werden, wenn er keine vorschlägt (denn Jutta braucht nachmittags eigentlich gar keine Pausen). Und obwohl das Auf und Ab wieder mal von der Sorte „wir brechen jetzt Deinen Willen“ ist, also teilweise ganz knapp an die Grenze der für uns gerade noch fahrbahren Steigungen herankommt, gewinnt Viktor seine Wette, denn die Stokerin spult das Nachmittagsprogramm herunter als wäre es eine kleine Landpartie.

die Happy Hour Piscos, die Viktor mehr oder weniger alleine trinkt – am nächsten Morgen hat er einen kleinen Brummschädel
Moderne Wurlitzer mit Musikvideos vor der „Happy Hour“ Kneipe

Im Hotelzimmer ist die auf der Terrasse aufgehängte Wäsche schon trocken, dem Wind und der Sonne sei Dank. Während des schönen Sonnenuntergangs lassen wir den kalten Wind noch unser heißes Zimmer abkühlen, dann geht es ans Schreiben.

Sonntag 19.1.25 – (166) – Lican Ray – Panguipulli

Gesamt: 10.496,56 km

Wir haben die netten Hotelbetreiberinnen dazu gebracht, uns statt erst ab neun schon um halb neun das liebevolle Frühstück zu servieren. Da es die ganze Nacht bis früh morgens draußen sehr laut von den vielen Partygästen hier war (wenn die Disco um 4 Uhr schließt, geht die Disco für einige Hartgesottene halt vor unserem Hotel am Strand weiter), kann man fast verstehen, warum hier niemand früh aufstehen will, aber wir wollen ja nicht zu spät loskommen.

Die ersten fliegenden Händler bauen sich auch schon wieder auf, und wir erfahren, dass sie alle illegal dort am Strand stehen (und meistens keine Chilenen sind … und wie fast immer in ganz Lateinamerika haben die Venezuelaner angeblich die wachsende Kriminalität und die Drogen im Ort zu verantworten). Unser Hostal und Restaurant ist 1965 eines der ersten hier gewesen, und seit die Händler dort am Strand stehen, ist der Restaurantbetrieb stark eingebrochen. Kein Wunder, dass die Betreiberinnen nicht gut auf die unerwünschte Konkurremz zu sprechen sind.
Wir bekommen zum Abschied noch Honig und eine Kupfertafel mit einer nur hier in der Region wachsenden (also endemischen) Pflanze, der „Copihue“ (Chilenische Wachsglocke) geschenkt. Das ist die Nationalblume Chiles und sie symbolisiert für die indigene Bevölkerung der Mapuche Glück, Tugend, Freude, Freundschaft und Dankbarkeit. Bei unserer Abfahrt gibt es noch ein paar noch ein paar Fotos, die wir später sogar per WhatsApp erhalten.

Chilenische Nationalblume: Copihue – Chilenische Wachsglocke

Der Weg aus Lican Ray heraus sieht vor, dass wir über eine gefährliche Brücke fahren bzw. schieben – es geht also schon mal gut los.

Danach gibt es noch kurz ein wenig Schotter, aber dann sind wir auf der Hauptstraße. Wir nehmen nicht den direkten Weg nach Panguipulli, sondern wollen im Uhrzeigersinn um den Lago Calafquén herumfahren. Nach nur einigen Kilometern verlassen wir die Region Araukanien und kommen in die XIV. Region „Los Rios“.

Auf der Straße um diesen See fahren längst nicht so viele Autos, und wir sehen viel häufiger den See im Vorbeifahren oder von verschiedenen „Miradores“ (Aussichtspunkten). Teilweise sind es wirklich atemberaubende Aussichten auf schneebedeckte Gipfel mit kristallklarem See im Vordergrund.
Heute begegnen wir auch wieder vielen anderen Radfahrenden, in unserer Richtung, aber auch entgegenkommend. Die Strecke hat einige starke Steigungen zu bieten und scheint deshalb auch eine beliebte Trainigsstrecke zu sein.

Nach nur knapp 20 Kilometern sind wir im einzigen größeren Ort Coñaripe und suchen etwas zum Pausieren. Die an der Hauptstraße angezeigte Seeterrasse ist noch geschlossen, aber nebenan ist eine kleine Bäckerei mit Café, die wir auswählen (leider ohne WC – dafür müssen wir zur „Feria“ zurücklaufen und dort bezahlen, und zwar passend!). Eine in Brasilien lebende Familie unterhält sich eine ganze Weile mit uns – sie sind schon 5000 km gefahren (mit dem Auto 😉 ). Sie machen ein Foto von uns und unserem Tandem mit ihrer Tochter auf dem Stoker-Sitz. Wir geben ihnen einen unserer Sticker mit. Wenn Sie das hier also lesen, schicken Sie uns doch bitte gerne das Foto per email an panamericana@themakowskis.de, dann fügen wir es hier im Blog ein.

Kurz darauf halten wir beim „Mirador Ñisoleufu“, wo wir uns mit einer Gruppe Rennradfahrenden austauschen. Ein junge Triathletin (sie trägt ein Ironman-Shirt) meint, wir würden „hacer trampa“ (Schummeln), weil wir auch Bus gefahren sind. Viktor erklärt ihr, dass man das als Triathletin gerne so sehen darf, es uns aber in diesem Sabbatjahr vor allem um „disfrutar“ geht (Vergnügen, Spaß haben) und nicht um „sufrir“ (leiden).

Und ab hier kommt die heftigste Steigung heute, mit zum Teil über 13 %. Nur im ersten Teil müssen wir einmal schieben, den Rest schaffen wir fahrend, bevor wir dann mit einer tollen Abfahrt belohnt werden. Hier haben wir den Lago Calafquén schon verlassen, fahren noch dicht an der Laguna Pullinque entlang und danach weiter in Richtung des Lago Panguipulli. Landschaftlich ist das alles sehr schön!

Etwa 15 km vor dem Ziel halten wir an einem kleinen Stand, gleichzeitig mit zwei Radfahrerinnen aus Temuco, die heute den ganzen Lago Calafquén umrunden – von Lican Ray einmal im Gegenuhrzeigersinn. Sie haben die große Steigung noch vor sich.

Wir kommen immer näher an Panguipulli heran, aber es geht immer noch überwiegend aufwärts, und wir sehen weder Wasser noch einen Ort am Horizont. Erst einen guten Kilometer vor dem Hotel erahnen wir den Ort – wir fahren wirklich von oben in ein Tal hinein. Das Hotel ist sozusagen auf halber Strecke zwischen Ortsanfang und dem Seeufer, der ganze Ort liegt am Hang. Heute ist es bei unserer Ankunft circa 15 Uhr.

Um vier können wir einen Willkommenskaffee trinken, den wir mit einem Stück Kuchen versüßen, danach gehen wir an den See, machen einen kleinen Rundgang und landen zum Essen in einem Pasta-Restaurant.

In ganz Lateinamerika sind uns immer wieder alle möglichen Dinge (Geschäfte, aber auch andere Lokalitäten) aufgefallen, die „Eben-Ezer“ heißen, was uns bislang kein Begriff war. Weil es aber immer wieder zu sehen ist, haben wir es doch einmal nachgeguckt. „Stein der Hilfe“.

In der Araukanier-Region gibt es häufig das Gewürz „Merkén“ zu kaufen (auch in Deutschland). In Lican Ray haben wir erfahren, dass es sich um geräuchertes Chilipulver handelt, das ist ein traditionelles Gewürz der Mapuche aus dieser Region und es gibt davon verschiedene Variationen.

„Merken“: „Aji ahumado“ – geräuchertes Chilipulver

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  1. Antje Enseleit

    Das Windrad hat mir sehr gut gefallen.
    Ich wünsche euch noch eine schöne Zeit, keine Krankheiten/Unfälle… und dass das Tandem durchhält.
    Bis bald

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