Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 24 (9.9.24 – 15.9.24) – Popayán – Pasto

Montag 9.9.24 – Popayán (Planungstag)

Der Tag in Popayán beginnt mit einem Frühstück mit Sauerteigbrötchen im Hotelrestaurant „La Pizzara“. Es gibt seit Langem einmal wieder schwarzen Tee und auf Wunsch sogar einen Schuss Milch für Jutta dazu! Heute abend werden wir vermutlich hier essen, denn wir legen kurzfristig einen Planungstag ein, weil wir vielleicht von hier (Popayán, 1.737m) mit dem Bus weiterfahren wollen, da die Strecke von hier über Pasto (2.467 m) bis zur Grenzstadt Ipiales (2.900 m) einer unserer Kandidaten für eine weitere Busfahrt wäre. Es gibt viele Höhenmeter zu bewältigen und die Unterkünfte auf der Strecke sind rar. Mit dem Tandem werden wir neun Tage für die Strecke benötigen und täglich um die 1.000 Höhenmeter bergauf fahren. Zwischendurch geht es natürlich immer wieder heftig bergab, aber mehr als 1.000 Höhenmeter schaffen wir auf Dauer täglich nicht. Da müssen wir uns unserer eigenen körperlichen Fähigkeiten nun mal bewusst sein.

Nach dem Frühstück gehen wir deshalb erst einmal zum hiesigen Busbahnhof, um uns über die Möglichkeiten mitgenommen zu werden zu erkundigen. Auf dem Weg dorthin fragt Viktor in diversen Apotheken nach möglicher Blutdruckmessung, da die Smartwatch wieder mit dem Kalibrieren fällig ist. Die Apotheken schicken uns weiter, in einem Ärztehaus kommt die Dame zum Messen erst um 10 Uhr. Aber die Mini-Apotheke (mehr so ein Stand) im Busbahnhof stellt ihr Blutdruckmessgerät zur Verfügung, und Jutta misst dreimal Viktors Blutdruck. Wieder 30 Tage Ruhe!

Im Bahnhof gibt es zwei Busunternehmen mit ausreichend großen Bussen, die in die erwünschte Richtung fahren. Das eine fährt stündlich und sieht gar keine Probleme, sowohl hier als auch auf der Strecke mit dem Tandem mitgenommen zu werden. Das andere fährt hauptsächlich nachts, tagsüber nur zweimal mit großen Bussen, und würde uns entweder von hier oder von Pasto mitnehmen. Gut, das behalten wir zunächst einmal im Kopf.

Wenn wir Mitte Dezember in Santiago de Chile sein wollen, werden wir auf jeden Fall noch Busstrecken einbauen müssen, denn die erste grobe Kalkulation ergibt heute eine Ankunft am 10. Januar, wenn wir die ganze Strecke mit dem Fahrrad fahren und keine längeren Pausen einlegen (und die Technik mitspielt).

Schon von Anfang an waren die 1.300 Kilometer durch die Atacamawüste im Süden Perus und Norden Chiles ein Kandidat für eine Bus(teil)strecke. Damit könnten wir z.B. zwei bis drei Wochen „einsparen“. Wir wollen auf jeden Fall genug Zeit in Lima haben, um z.B. Machu Picchu zu besuchen und dort Zeit mit einer befreundeten Familie verbringen zu können. In Lima soll auch das Tandem nochmal in die Werkstatt und einen Komplettservice durchlaufen. Deshalb kalkulieren wir für Lima zwei Wochen ein.

Nach mehreren Stunden Planung mit Google und Komoot sowie auf Papier-Untersetzern aus dem Restaurant von gestern Abend (auch Papier wiegt schließlich etwas und wir haben keines dabei) steht unsere Entscheidung, in den nächsten Tagen erstmal mit dem Tandem weiterzufahren und von Tag zu Tag zu entscheiden, ob wir in einen Bus steigen, der bis nach Ipiales mehr oder weniger die gleiche Strecke auf der Panamericana fährt.

Für 16 Uhr haben wir uns spontan noch für eine „Free walking tour“ durch die Altstadt angemeldet. Vor der Kathedralbasilika Mariä Himmelfahrt (Catedral Basílica Nuestra Señora de la Asunción) treffen wir ein belgisches Ehepaar und eine belgische Einzelreisende sowie den ersten Guide (XXX), der etwas hektisch wirkt und auf seine Kollegin wartet. Er ist eigentlich nur der Übersetzer – sagt er jedenfalls. Während der Tour übernimmt er dann aber doch eine Hauptrolle und lässt die Kollegin kaum zu Wort kommen. Ihr Englisch ist zugegebenermaßen schlechter als seines, welches aber auch oft nur mit Mühe verständlich ist. Die sprachlichen Schwächen machen die beiden aber locker mit ihrem Elan und ihrer Freundlichkeit wett.

Wir erfahren, dass Popayán auch die „weiße Stadt“ genannt wird und die vierte Stadt in Kolumbien war (nach Santa Marta, Cartagena und Cali), von der aus das Land während der Kolonialzeit lange Zeit regiert wurde. In dieser Stadt wurden die meisten späteren Präsidenten von Kolumbien geboren, insgesamt 14. In einer Straße stehen gleich 5 Geburtshäuser kolumbianischer Präsidenten. Das Wetter in Popayán nennen unsere Guides „bipolar“, da es mehrfach am Tag zwischen sonnig und regnerisch wechseln kann. Nach dem „ewigen Frühling“ in Medellin und dem „ewigen Sommer“ in Cali ist das ja mal etwas ganz Anderes. Am Rande von Popayán steht eine vor-kolumbianische, indigene Pyramide, der „Morro de Tulcán„, die unsere Guides zeitlich nicht so ganz einordnen konnten, jedenfalls seien sie „älter als die Kolonialzeit“ 🙂 .

Die Passionsprozessionen in Popayán zählen seit 2009 zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe. Alexander von Humbold war mehrfach hier und hat die Region bis ins heutige Ecuador erkundet. Der Uhren-Turm, Torre del Reloj, wird auch „Nase von Popayán“ (Nariz de Popayán) genannt. Die Uhr hat nur einen Stundenzeiger, denn die Zeit läuft hier einfach langsamer. Der Uhrenbauer wurde angeblich hingerichtet, weil er sich weigerte, die römische Vier im Ziffernblatt zu korrigieren.

Wir geraten auch heute in eine Prozession, weil gestern der Geburtstag von Maria war (gestern aber die Stadt vom Gastronomie-Festival in Beschlag genommen wurde). Die „Marching-Band-Musik“ ist so ganz etwas anderes als die vielen Salsa- oder anderen Rhythmen.

Wir lernen auch etwas über Sandflöhe, die es hier in der Stadt gab, die heute aber nur noch auf dem Land Probleme machen. Einer Legende nach ist ein Freund von Miguel de Cervantes befallen gewesen, hat diesen in Spanien besucht und ist dort gestorben. Cervantes hat dessen Kleidung übernommen, sich dadurch angesteckt und durch die halluzinogene Wirkung der Gifte sei ihm dann die Geschichte von Don Quichote eingefallen.

2020 im Corona-Lockdown hat das Gastronomie-Festival nicht auf den Straßen stattgefunden. Statt dessen haben die Menschen in ihren Häusern gekocht. Das Plakat aus dem Jahr sieht so aus:

Die Tour dauert gute zwei Stunden, und es bleiben uns danach nur noch das Abendessen, Update des Blogs und Schlafengehen. Morgen haben wir viele Höhenmeter aber wenige Streckenkilometer zu bewältigen. Daher werden wir noch im Hotel frühstücken und nicht ganz so zeitig losfahren, denn hier in den Bergen wird es am Nachmittag auch nicht mehr ganz so heiß und an unserem Zielort Rosas soll es nichts Sehenswertes geben. Allzu früh wollen wir deshalb auch nicht ankommen.

Dienstag 10.9.24 – (091) – Popayán – Rosas

1.077 m bergauf

Gesamt: 5.610,32 km

Da wir heute nicht sehr viele Kilometer, nur viele Höhenmeter fahren müssen, nehmen wir noch das Hotelfrühstück (mit dem schwarzen Tee 🙂 ) mit, heben noch einmal bei Davivienda Geld ab und fahren dann um halb acht los. Wir nehmen den Weg, den uns ein Einheimischer rät, weil dort weniger Verkehr sein soll und kommen auch ganz gut aus der Stadt raus.

Direkt hinter Popayán wird die Straßenqualität sehr viel schlechter als sonst auf unsere bisherigen Strecke durch Kolumbien. Wahrscheinlich haben wir die guten Straßen zu oft gelobt… . Jedenfalls gibt es Schlaglöcher, zeitweise eine größere Abbruchkante im Asphalt zum Seitenstreifen, teilweise gar keinen solchen. Wir fahren irgendwann mit dem Vorderrad über ein Blech, das hochgeschleudert wird und fast Viktors Unterschenkel trifft bevor es unter den Hinterrreifen gerät, und befürchten schon platte Reifen vorne und hinten. Es scheint aber noch einmal alles gut zu gehen!

Wir bewegen uns heute die ganze Zeit zwischen 1.350 und 1.950 Metern über dem Meeresspiegel. Die Blicke sind super schön, neben dem ganzen grün blühen gerade viele Bäume in gelb, rosa, orange, violett, rot – man könnte ständig anhalten.

Da Timbío nach nur 15 Kilometern die einzige Stadt auf unserer Route ist, halten wir dort in einer Panaderia. Neben Viktors Buñuelos probieren wir heute mal einen vom Konditor selbstgemachten Brombeerjoghurt (lecker – ähnelt der „Quajada“ in Spanien) und lassen uns alle anderen Dinge in der Vitrine ebenfalls erklären.

An der Straße stehen heute immer wieder Schilder mit Vereda – Namen (teilweise VRDA. abgekürzt), bei denen wo wir uns fragen, was das sein könnte. An einem Hang erklären uns zwei Schwestern, bei denen wir halten, dass dieses alles kleine Orte bzw. Dörfer oder Gehöfte sind (nur ein paar Häuser). Bei GoogleMaps kann man sie nicht finden, so klein sind sie, aber hier in den Bergen gibt es offenbar zahlreiche.

Bei den beiden Frauen trinken wir einen frisch gepressten Orangensaft und einmal Borojo in Orangensaft, ohne zu wissen, was dies ist. Die bräunliche Paste riecht säuerlich, wird dann mit Honig und O-Saft per Hand gemixt (man kann es auch mit Milch mischen) und schmeckt ebenfalls etwas sauer. Das Trinken solcher Getränke am Straßenrand birgt ja immer ein gewisses Risiko für die Darmflora …

Wie an sehr vielen Häusern hier am Hang wird auch dieser Verkaufsstand (alle verkaufen O-Saft) von einem Regierungsprogramm für Frauen gefördert, alle haben die gleichen Schilder, und dass wir genau hier halten, ist Zufall – wir wollen gerade Fotos machen.

Die letzten knapp 14 km gehen erst sechs km bergab, „unten“ über einen Fluss, und dann sechs km auf der anderen Seite bergauf, alles schön in Serpentinen, so dass wir beim Abwärtsfahren die Bremsen ziemlich strapazieren müssen. Eigentlich wollen wir vor dem Aufstieg noch einmal Pause machen, es ergibt sich aber nichts, und so landen wir nach etwa einem Drittel (und nur fünf km vor dem Ziel) im Restaurante Rancho Grande, wo wir eine ganze Weile bleiben, um nicht so früh in Rosas anzukommen.

Vor dem Rancho Grande werden wir von zwei Taxifahrern aus Pasto angesprochen, die dort Pause machen und sich scheinbar verabredet haben. Sie bestaunen das Tandem und wünschen uns – wie fast alle Kolumbianer – beim Abschied Gottes Segen für unsere Reise („Que Dios les bendiga“).

Die restlichen vier Kilometer Steigung gehören dann nochmal zu den heftigeren Streckenabschnitten. An einer Stelle wird es bei 11 bis 12 Prozent Steigung wieder sehr knapp. Viktor ächtzt, das Tandem auch … wir müssen gleich absteigen und schieben … und da springt plötzlich ein Mann am Straßenrand von seinem Sitzplatz auf einer Mauer auf und schiebt uns mit aller Kraft die 10 bis 20 Meter über die steilste Stelle bergauf während wir heftig weiterstrampeln. Sensationell! 🙂 Und wir können nicht einmal stehenbleiben und uns bedanken, weil wir hier nie wieder aus dem Stand anfahren könnten. Es muss also eine gerufenes „Muchas Gracias“ und ein hochgereckter Daumen reichen.

Insgesamt sind die über 1.000 Höhenmeter heute erstaunlich gut zu bewältigen. Vielleicht liegt das ja auch am gestrigen Ruhetag. Jedenfalls gibt es uns Hoffnung, dass wir die nächsten 13 Tage auf der vermutlich 14-tägigen Andendurchquerung nach Quito auch schaffen können.

In Rosas finden wir relativ schnell das „John Burger“, dessen Besitzer uns über die VIBICO-WhatsApp-Gruppe eine Unterkunft angeboten hatte, falls unser Hotel nicht reagieren sollte. Es ist aber noch geschlossen. Das Hotel Casa Grande ist nur weitere 80 Meter entfernt und schnell gefunden. Gestern hatte die Betreiberin per WhatsApp reagiert, allerdings erst, nachdem Viktor einen WhatsApp-Anruf unter der Telefonnummer versucht hatte. Sie steht sogar zufälligerweise gerade in der Tür als wir ankommen und begrüßt uns freundlich. Das Hotel ist erstaunlich groß und gut in Schuss (die Bilder bei Google ließen eigentlich ganz anderes befürchten), modern ausgestattet, hat ein halbwegs funktionierendes WLAN (zumindest zeitweise) und wir dürfen unser Tandem im Erdgeschoss in ein ungenutztes Zimmer stellen. Nur warmes Wasser hat es nicht … und hier in den Bergen ist das kalte Wasser unter der Dusche auch wirklich wieder richtig kalt. Erfrischend eben 😉

Nach dem Duschen machen wir einen kleinen Stadtrundgang, der schnell beendet ist. Aber wir haben eine Panaderia für morgen früh gefunden, die um 6 Uhr öffnet und auch gekühlte Getränke verkauft. Hierher verirren sich scheinbar selten Touristen. Wir werden in den Straßen angestarrt, ein paar Schülerinnen sprechen uns an und wir unterhalten uns ein wenig darüber, welche Sprachen wir sprechen und wohin wir weiterreisen. In einem kleinen Laden kaufen wir noch ein neues USB-Ladegerät, da das Billigteil aus Mexiko bereits seinen Geist aufgegeben hat. Dann müssen wir zurück ins Hotel, denn die Wirkung des Straßenrandgetränkes setzt bei Viktor ein. Na ja, bis morgen früh dürfe sich das hoffentlich wieder einrenken.

Abendessen gibt es bei John Burger, der sich standhaft weigert, dafür von uns Geld anzunehmen. Wir unterhalten uns über die vielen Sprachen der Welt, die vielen verschieden Varianten und Akzente der spanischen Sprache und über das Reisen. John ist mit Leib und Seele Koch, musste sich aber damit abfinden, dass in Rosas nur die traditionelle Küche funktionert. Als er mal Garbanzos guisados a la madrileña anbot, musste er am Ende alles selbst essen. Viktor nennt ihm den Deutschen Spruch „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“ (Lo que el paisano no conoce, no lo come) und es gibt ein kräftiges Kopfnicken als Reaktion. John träumt davon, für ein Jahr mit der Familie in einem Küchenwagen durch Südamerika zu reisen und die Tour unterwegs mit seinen Kochkünsten zu finanzieren. Aber dazu müsste er das Familienauto verkaufen und den Sohn für ein „verlorenes“ Jahr aus der Schule nehmen. Viktor widerspricht und sagt, dass das doch eher ein „gewonnenes“ Jahr wäre. John ist aber in Rosas auch ehrenamtlich sehr aktiv (Theatergruppe, Tanzgruppe, usw.) und würde wohl sehr vermisst. Zum Abschied zeigt Viktor auf das Auto und ruft nochmal hinüber „Verkaufen!“.

Mittwoch 11.9.24 – (092) – Rosas – Mojarras

912 m bergauf

Gesamt: 5.693,75 km

Als wir morgens um fünf aufstehen, hat Rosas kein fließend Wasser. Zähneputzen geht gerade noch mit unseren Resten an Trinkwasser, mehr ist nicht möglich. Um kurz vor sechs hat das Haus unten immerhin schon ausreichend Druck und wir bekommen einen Topf mit Wasser zum Toilettespülen. Die Panaderia am Ort hat schon geöffnet, so dass wir schnell frühstücken (und die Toilette nutzen) und uns dann auf den Weg machen.

Es geht heute sehr viel bergab (in Summe gute 1.900 m), und so geht es auch los. Dummerweise ist erstens die Straßenqualität nicht gut und zweitens die Abfahrt teilweise so steil, dass wir alle ca. 2 bis 3 km die Bremsen abkühlen lassen müssen. Dafür ist die Aussicht toll, und wir machen viele Fotos. Es ist hier in der Höhe ziemlich kühl heute morgen, das wird sich im Laufe des Tages radikal ändern.

Wir haben uns an einer Stelle explizit für eine Streckenführung entschieden, die 60 Höhenmeter weniger Steigung haben soll als die alternative Strecke (auf nur ein paar wenigen Kilometern). Den Abzweig dorthin gibt es aber nicht mehr – es gab einen Erdrutsch, und seit ca. sechs Monaten führt eine neue Straße steil runter, über eine Brücke und dann wieder steil rauf.

Wir wollen in El Bordo, der einzigen Stadt auf der Strecke, Pause machen, haben uns aber nicht bewusst gemacht, dass es gute 40 km bis dorthin sind und es auch ziemlich viel bergauf geht. Hinter jeder Haarnadelkurve vermuten wir den Ort vergeblich, aber nach knappen zweieinhalb Stunden sind wir dort. Als links eine „Bakery“ erscheint (keine Panaderia) halten wir dort. Jutta sucht sich ein „salziges“ Brötchen aus, dass zwar überhaupt nicht salzig, aber immerhin nicht süß ist wie sonst fast alle Brote hier. Viktor nimmt Chicharrón (ein Gebäck, das wegen seiner Form so heißt, nicht etwa, weil es aus gegrilltem Schweinebauch wäre) und flüssigen Ananasjoghurt, außerdem probieren wir endlich einmal Vive100%, einen Energie-Drink für den hier überall kräftig geworben wird.

Um nicht so früh an der Tankstelle anzukommen, bei der wir heute zu übernachten geplant haben, halten wir danach noch am zentralen Platz und in einer Heladeria an einem kleineren Platz etwas weiter. Als Jutta dort zum Abschluss noch die Toilette nutzen will, ist auch hier das Wasser gerade ausgefallen. Auf Nachfrage heisst es, dass sei nicht üblich, aber es gäbe wohl einen Rohrbruch, und die betroffene Gegend sei groß.

Um zwölf fahren wir weiter, erst noch weitere 300 m bergab, danach angeblich mehr oder weniger auf einer (niedrigen) Höhe. Wir landen praktisch in der Savanne: es ist kaum noch grün zu sehen, total trocken und sehr heiß – ganz anders als der ganze Vormittag in den höhergelegenen Gegenden. Als wir in „El Estrecho“ noch etwas trinken und den Wasservorrat auffüllen wollen, erfahren wir, dass es aktuell 38°C warm ist und wir wohl auf unserer morgigen Strecke nach El Remolino mit 40°C rechnen müssen. Das sind ja Aussichten wie in Mexico! Wasser hat der gute Mann nur in fester Form aus dem Tiefkühler, das würde aber bei der Hitze sehr schnell tauen, sagt er. Nichts da, mehrere Stunden später (längst im Hotel) ist immer noch ein Eiskegel in der Flasche, man kann immer wieder ein paar Schlücke trinken.

Hinter El Estrecho geht es über die Zwei-Flüsse-Brücke „Puente Galindez“, hinter der uns auf den letzten 15 Kilometern nochmal überraschend viele Steigungen und Abfahrten erwarten, mit denen wir gar nicht mehr gerechnet haben und die uns deshalb ein wenig zermürben, auch wegen der hohen Temperaturen und der trockenen Luft. Tja, so ist das, wenn man auf einer Etappe viele Höhenmeter bergab fährt, da gehen die Steigungen ganz am Ende der Etappe quasi im Grundrauschen unter. Der Maßstab einer Grafik ist eben immer ganz entscheidend.

Gesamte Tagesetappe
Die letzten 15 Kilometer

Am Straßenrand stehen hier immer wieder Schilder „Se vende Mazamorra“, eine Mais-Süßspeise, die für die Gegend des Valle Cauca typisch ist:

Auf dem letzten Kilometer vor dem Hotel an der Terpel-Tankstelle (die genau beim Kilometerstein „Null“ des heutigen Panamericana-Abschnittes liegt) werden uns nochmal 9% Steigung serviert, die wir mit Ach und Krach fahrend (und einer von uns fluchend) bewältigen können.

Das Hotel Mojarras ist unsere dritte Erfahrung mit Lastwagenfahrer-Hotels, aber die heutige ist schon ein ganzes Stücke besser als die erste. Das Zimmer ist deutlich größer als die 6 m² beim vorletzten Mal, es hat sogar eine funktionierende Klimanlage, mit dem Hotel-Logo bestickte, sauber aussehende Handtücher und auch WLAN ist vorhanden, wenn auch eher instabil. Das Duschwasser ist immerhin lauwarm, aber die Sache mit dem Duschkopf … na ja … Ihr kennt das ja schon. 🙂

Zum Abendessen gibt es im Hotelrestaurant frischen Tilapia, denn die Essensangebote ohne Fleisch beschränken sich hier auf Hähnchen 😉 und auf diesen Fisch. Jutta schlägt den Tilapia sogar vor, rechnet aber wohl eher mit einem Filet. Die beiden Fischportionen darf dann doch Viktor komplett verzehren, denn eine von uns mag es nicht, wenn das Essen den hungrigen Gast so vorwurfsvoll anschaut.

Und natürlich machen die ankommenden Lastwagen bis spät in den Abend vor unserer Zimmertüre einen Höllenlärm, denn wenn die hier den Rückwärtsgang einlegen, geht bei fast allen Fahrzeugen ein Feuerwerk von Alarmtönen los, die man sich in Deutschland wirklich nicht vorstellen kann. Wir werden davon in den Schlaf „musiziert“.

Donnerstag 12.9.24 – (093) – Mojarras – El Remolino

798 m bergauf

Gesamt: 5.731,62 km

Wir haben den Duschkopf morgens beim Zähneputzen gefunden!

Das Restaurant an der Tankstelle öffnet um zwanzig vor sieben und wir müssen dieses abwarten, da auf der Strecke heute rein gar nichts liegt, wo man frühstücken könnte. Das Tandem ist aber schon fertig bepackt und von vor dem Zimmer, wo es die Nacht verbracht hat, weggeschoben. Auf unsere Nachfrage nach „Café con leche“ gibt es die Antwort, sie hätten nur „Tinto“, aber auf Wunsch bringt er eine Tasse heißes Wasser für Jutta für Tee. Am Nachbartisch sitzen einige Herren, bestellen Kaffee und Milch und bekommen einen Becher Milch zum Teilen. Manchmal scheint uns, dass wir anders behandelt werden als Einheimische. Jutta fragt am Nachbartisch nach einem Schuss Milch, und so kommen wir ein wenig ins Gespräch. Bevor sie weiterfahren, bekommen wir etwas Typisches aus der Region Nariño geschenkt, irgendwas „Süßes“ und „Weiches“ mit „Mani“ (Erdnüsse). Viktor möchte es lieber nicht in die Lenkertasche stecken, weil er Bedenken hat, dass etwas auslaufen könnte, bei der heute zu erwartenden Hitze von bis zu 40 Grad Celsius.

Gegen halb acht sitzen wir auf dem Rad und beginnen die heutige Berg- und Talfahrt, es geht kaum eben vorwärts. Die Straße ist wieder besser, und voll ist sie hier auch nicht, teilweise ist es richtig still. Allerdings hören wir nicht einmal Vögel zwitschern, denen wahrscheinlich auch zu heiß ist. Zwischendurch liegen oft abgestürzte Steine auf dem Seitenstreifen – hier gibt es wohl viele Steinschläge und Erdrutsche.

Die Natur ist recht karg, „schön“ kann man es hier nicht nennen, aber „reizvoll“ dann doch. Je weiter wir fahren, umso mehr Kakteen wachsen rechts und links. Irgendwann sehen wir etwas auf der Bergkuppe gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses im Tal. Zunächst denken wir an ein Kloster (man erkennt auf jeden Fall eine Kirche), als wir aber wirklich gegenüber halten und Viktor sogar Netz hat, entpuppt es sich als die Stadt „El Rosario“, die dort oben auf dem Berg liegt.

Wir überqueren kurz vor Ende der Etappe den Rio Mayo, einen Zufluss zum Rio Patía, in dessen Tal wir seit zwei Tagen auf der Panamericana unterwegs sind, und überqueren damit die Grenze zu unserem letzten „Departamento“ Nariño, dem Grenzgebiet zu Equador, das als noch unsicherer gilt als Cauca, Nach einem letzten steilem Anstieg kommen wir schon gegen elf Uhr in El Remolino an. Es gibt kein Café, aber eine Heladeria, wo wir uns Banana-Splits bestellen, die wir auf die Spende von Gabi und Peter genießen. Vielen Dank, Ihr Beiden!

Danke Gabi und Peter!

Gestern Abend haben wir ein Zimmer im „Wellness Hotel“ Valery reserviert, nachdem das erste angefragte Hotel kein Zimmer mehr für uns hatte. Als wir dort mittags um zwölf erscheinen, wird uns gesagt, dass der Pool heute geschlossen ist und wir bitte mit dem Wasser sparsam sein sollen. Falls das Wasser ausgehen würde, sollen wir an die Nummer von gestern schreiben, und es müsste dann wieder aufgefüllt werden. Das Zimmer hat AC und Ventilator, aber wieder keine Klobrille und die Dusche ist ein weißes Kunststoffrohr mit Kurvenverbindungsstück nach unten. Wellness halt! Und es kommt kein Tropfen Wasser aus dem Hahn! Zum dritten Mal innerhalb von zwei Tagen. Und das bei dieser Hitze! Es dauert ca. zwei Stunden, ehe sie den Tank wieder aufgefüllt haben. Das W-LAN erreicht man nur, wenn man mit dem Gerät an die Fensterscheibe geht. Und wir hatten jetzt schon die letzten zwei Tage Probleme damit. Müssen wir uns wirklich jetzt schon an Patagonien gewöhnen und auf wöchentliche Blog-Einträge umstellen?

Die Polizeistation hier im Ort ist zur Straße hin mit gestapelten Sandsäcken gesichert, und Radfahrer, die kürzlich hier übernachtet haben, haben erlebt, wie nachts eine Autobombe explodiert ist. Wir sind hier in einem von der Straße zurückgesetzen Gebäude untergebracht und verlassen das Zimmer wohl lieber nicht im Dunkeln.

Also machen wir uns am Nachmittag zu einem kleinen „Stadtrundgang“ auf und essen früh bei einer Heladeria plus Comidas Rapidas erstaunlich gute Burritos. Nach der Rückkehr entdecken wir eine Termiteninvasion in unserem Bad und vereinzelte auf dem Bett.

Freitag 13.9.24 – (094) – El Remolino – La Roca

1.159 m bergauf

Gesamt: 5.762,59 km

Wir werden hier im Hinterhof-Hotel sehr früh von sehr viel Hahnengeschrei geweckt. Da es auf der Strecke wenig Versorgungsmöglichkeiten geben wird, wollen wir noch hier frühstücken. Das Hotel bietet ab 6:30 Uhr etwas an, wir probieren vorher eine Panaderia, die aber keine Heißgetränke hat, also gibt es Instant-Milchkaffee und zwei Frühstücke (obwohl eigentlich nur eines bestellt war) aus dem Hotel plus Brötchen aus der Panaderia.

Der Nachtportier setzt sich zu uns und fragt uns aus. Später auf der Strecke überholt er uns zweimal mit dem Moped (und muss uns dazwischen auch entgegen gekommen sein), spricht uns beide Male an, und wir haben schon Sorgen, dass er etwas von uns will. Es passiert aber nichts! Zu viel Misstrauen?

Es geht wenige Kilometer abwärts, dann aber mehr als 20 Kilometer in Folge aufwärts. Die Natur ist weiterhin sehr trocken und felsig, also eher karg. Wir kämpfen uns die Straße hoch, nach neun Kilometern machen wir an einer (geschlossenen) Billardbar eine Pause – es gibt nichts, aber einen Billardtisch, schon seltsam. Etwa fünf Kilometer weiter (bei einem Schnitt von sieben Stundenkilometern dauern die) fahren wir durch einen kleinen Ort mit einer Mini-Tienda. Dort gibt es immerhin gekühlte Getränke und die restlichen frittierten Bananen vom Frühstück, die wir eingepackt hatten. Noch zwei Kilometer weiter gibt es eine Tankstelle, auf deren Schild etwas von Kaffee steht. Wir halten schon wieder, aber bei der Frage nach Kaffee erhalten wir als Antwort, dass die gute Frau diesen extra für uns machen müsste (hier im dünnbesiedelten ländlichen Gebiet ist man noch nicht so kundenorientiert…) und so trinken wir noch einmal etwas Kaltes und nutzen wenigstens die Toiletten.

Als wir das Julio Caesar Hotel passieren, haben wir fast das Höhenmaximum erreicht und im Kopf, dass wir dorthin zurück müssen, falls es unsere anvisierte Unterkunft nicht (mehr) geben sollte. Bei Google Maps ist zwar ein Eintrag, aber ohne weitere Informationen, und damit haben wir schon schlechte Erfahrungen gemacht. Auf unsere Nachfrage bestätigt man uns aber, dass es die Unterkunft „La Roca“ noch gibt.

Wir überqueren also noch das Höhenmaximum des Tages (ohne Schild mit Höhenangabe – hier gibt es anscheinend zu viele Pässe) und radeln die letzten Kilometer bergab bis zu einer Spitzkehre, in der es innen zwei Verkaufsstände und einen Reifenservice und außen zwei größere Häuser gibt: La Roca. In dem einen Gebäude sind unten Duschen und Toiletten (für LKW-Fahrer), oben leben wohl Menschen, das andere Gebäude ist unten ein Laden und ein Restaurant, oben sind ein paar Hotelzimmer.

Um ca. 12 Uhr mittags fragt Viktor erst im Laden nach einer Übernachtungsmöglichkeit, wird aber zum Verkaufsstand gegenüber geschickt. Die Dame dort hätte ein Zimmer frei, allerdings ist noch keines geputzt. Wir setzen uns in das Restaurant und bestellen Kaffee. Milch gibt es nicht, aber „Avena“ (Hafer-Milch-Mischung) haben sie, das wir dann dazu kaufen. Anschließend warten wir ein wenig, bestellen noch ein Mittagessen ohne Suppe (die es hier immer dazu gibt), warten noch ein wenig, essen noch ein Eis. Inzwischen ist es 14 Uhr, und Viktor geht noch einmal fragen, ob das Zimmer eventuell jetzt fertig ist. Nein, natürlich nicht, wir hätten schließlich nicht zugesagt, dass wir es nehmen! Okay, das Reinigen/Fertigmachen geht daraufhin recht schnell und wir bekommen ein Zimmer für 30.000 Pesos (knapp 7,50€), der Niedrigrekord! Es gibt kein W-LAN (und Viktors eSIM-Netz von MAYA hat hier nur 3G-Abdeckung), nur ein Handtuch (auf die Frage nach einem zweiten gibt es ein klares „Nein“), keinen Zimmerschlüssel, aber wir haben eine Toilette mit allem (Brille und Deckel!). Und Termiten im Zimmer, auch auf dem vorhandenen Tisch. Das Dach ist Wellblech einfach draufgelegt, so dass wir mit allem möglichen Getier rechnen müssen, das durch die Öffnungen hereinkommt.

Wir verbringen den Nachmittag also völlig analog – nicht einmal Podcast-Hören klappt – gucken uns den Sonnenuntergang in den Bergen an, essen noch zu Abend in dem Restaurant und halten uns dann im Fast-Dunkel im Zimmer auf. Hier fliegen so viele stechende Insekten, die wir nicht anziehen wollen. Wir beide haben heute schon viele Stiche bekommen, Jutta hat einen komischen am Mittelfinger, der das Fingerglied und die angrenzenden Seiten des Ring- und des Zeigefingers ziemlich schmerzen lässt. Mal schauen, was daraus wohl wird.

Das Schlafen gestaltet sich hier recht schwierig, da praktisch die ganze Nacht Lastwagen und Busse durch diese Straßenschleife fahren, die solch einen Lärm machen, als führen sie durch unser Zimmer. Manche halten auch, fahren piepend rückwärts oder rangieren lärmend. Da waren die drei Nächte an Tankstellen bislang sehr viel weniger schlimm.

Samstag 14.9.24 – (095) – La Roca – Chachagüi

980 m bergauf

Gesamt: 5.788,50 km

Wir haben für heute wieder eine kurze Etappe geplant, denn es geht nach einer Abfahrt von ca. 6 Kilometern wieder den ganzen Tag nur bergauf. Komoot zeigt dabei teilweise Steigungen von 30% an, die wir uns auf der Panamericana nicht erklären können (und auch nicht glauben wollen). Eine Rückfrage in der VIBICO-WhatsApp-Gruppe ergibt, dass die Steigungen hart, aber fahrbar seien. 30% wäre für uns bergauf nicht einmal mehr schiebbar.

Da auch heute die Verpflegungsmöglichkeiten begrenzt sein sollen, frühstücken wir in dem kleinen Laden in La Roca zwei Kaffee mit Milch (aus einer dazugekauften kleinen Milchtüte, die Viktor dann noch leertrinken muss) und abgepackte Brötchen mit unserer eigenen Marmelade und Schokocreme. Dann starten wir auf die Abfahrt, die uns gleich durch einen 210 m langen Tunnel führt, der spärlich beleuchtet ist und keinen Seitenstreifen hat. Zum Glück ist wenig Verkehr unterwegs und wir werden weder überholt noch kommt uns gerade Gegenverkehr entgegen.

ActionCam Video hier einfügen

Es ist heute morgen noch relativ kühl (geschätzte 15° C), und so schaffen wir die Abfahrt ohne Abkühlpause für unsere Bremsen. Mittlerweile haben wir das Intervallbremsen weiter optimiert. Wir fahren insgesamt langsamer bergab und bremsen häufiger, aber kürzer. Am Ende der Abfahrt fahren wir über den Rio Juanambu und beginnen den stundenlangen Aufstieg. Wir bemerken schon gleich am Anfang, dass die wenigen in Google aufgeführten Tankstellen und Läden entlang der Strecke geschlossen sind oder gar nicht existieren. Wir haben uns aber gestern Abend sowieso mit Getränken eingedeckt, die uns notfalls durch den kurzen Tag bringen.

Es ist Samstag, also Wochenende, und so kommen uns schon bald die ersten Radfahrer aus Chachagüi entgegengerollt. Wenn es nicht gerade allzu steil ist, heben wir kurz die Hände zum Gruß. Die Strecke scheint eine beliebte Trainingsstrecke zu sein. Wir kämpfen uns mit 7 km/h hinauf, an manchen Stellen geht es direkt neben der Leitplanke steil bergab in den Abgrund, an vielen Stellen ist die Leitplanke stark beschädigt oder fehlt ganz. Viktor mit seiner Höhenangst schaut einfach nicht hin. Bei dem langsamen Tempo muss er sowieso voll konzentriert auf die Straße schauen, denn das Ausweichen bei einem Schlagloch oder Metallteil auf der Straße ist ein ziemlicher Balance-Akt. Dafür genießt Jutta immer mal wieder den Blick in den Abgrund, denn ansonsten sind eigentlich rechts und links nur steile Felswände zu sehen. Bis auf einige Stellen natürlich, an denen sich großartige Panoramablicke eröffnen, die zu einer Pause einladen.

Irgendwann kommt von hinten der erste Radfahrer, der unten an der Brücke umgedreht ist und nun den Aufstieg nach Chachagüi hinauffährt. Er fährt länger neben uns her und fragt uns nach dem Tandem und unserer Route. Für Viktor sind solche Treffen und Gespräche gleichzeitig Ablenkung und Motivation. Man kommt zwar vom Reden stärker außer Atem, aber gleichzeitig lenkt es irgendwie von der Anstrengung ab. Der Radfahrer heißt Hugo und schreibt sich bei einer Selfie- und Fotopause noch die Marke unseres Tandems (HASE-Bikes) auf, denn seine Frau macht mit ihm keine Ausfahrten, und Viktor hat ihn wohl überzeugt, dass so ein Stufentandem eine tolle Sache ist. Alsbald kommt von hinten ein weitere Radfahrer an, der uns einholt, und uns bittet, ob wir ein gemeinsames Foto machen können. Auch er heißt zu unserer Überraschung Hugo. Wir erreichen zu viert den zweiten Tunnel des Tages, den wir gemeinsam durchfahren.

Und hier löst sich dann auch das Rätsel um die 30% Steigung auf. Komoot scheint bei der Berechnung der Steigung fälschlicherweise die Höhenlinien des Gebirges zu verwenden und nicht die tatsächliche Neigung der Straße.

Hinter dem Tunnel müssen wir eine Pause einlegen während die anderen weiterfahren, nicht ohne uns mitzuteilen, dass es ab hier nicht mehr ganz so steil ist. Na ja … je müder die Beine werden, desto steiler fühlt sich die Strecke an … wir bemerken keine deutliche Änderung und unser Tempo bleibt bei 7 bis 8 km/h.

Kurz vor Chachagüi halten wir an einer Tankstelle, die komplett einsam und verlassen daliegt. Die Toiletten verschlossen, es gibt keine Verpflegungsmöglichkeit, denn das eigentlich vorhandene Restaurant ist trotz gedeckter Tische verschlossen. Wir setzen uns ein wenig in den Schatten und essen ein paar Brotsticks aus unserer Verpflegung bevor wir weiterfahren. Kurz vor der Weiterfahrt um 10:35 Uhr sehen wir noch, wie das Tankstellenrestaurant geöffnet wird. Nun ja, Öffnungszeiten stehen hier in Kolumbien nur selten irgendwo dran. Man fragt halt danach und erhält dann eine ungefähre Zeitangabe, häufig mit der ergänzenden Information, ab wann geöffnet sei und ab wann (deutlich später!) man dann tatsächlich auch einen Kaffee bekommen könnte.

Einige Kilometer weiter kommen wir an den Flughafen von Chachagüi, wo wir eine Kaffeepause einlegen wollen. Auf dem kurzen Stück werden wir von zwei weiteren Radfahrern überholt, die uns ansprechen. Arturo erkennt uns, weil er uns in dem Facebook- und Instagram-Video von Conozcamos con Tello gesehen hatte. Dieser Tello scheint recht viele Follower zu haben. Wir haben zig „Bendiciones“ (Segnungen) für unseren weiteren Weg auf Facebook erhalten und sogar eine Einladung zum Abendessen an der Grenze von Ecuador nach Peru, die wir erst in eingen Wochen erreichen werden. Arturo bietet uns sofort an, uns morgen mit nach Pasto zu nehmen, als er hört, dass wir mit dem Bus liebäugeln. Er hat ein Wochenendhaus hier in Chachagüi, lebt aber in Pasto und transportiert sein Mountainbike morgen mit dem Pickup-Truck zurück nach Pasto. Wir tauschen Telefonnummern aus, und er holt uns am Nachmittag sogar nochmal am (etwas abseits gelegenenen) Hotel ab und fährt mit uns in den Ortskern, damit wir den auf jeden Fall noch kennenlernen können.

Der zweite Radfahrer verrät uns seinen Namen nicht, will uns aber unbedingt zu frischgepresstem Orangensaft einladen. Gegenüber vom Café, in dem wir Pause machen wollen, gibt er uns einen aus, trinkt selber nichts und fährt nach einem Selfie sofort weiter. Er meint, er würde uns später im Ort schon wiederfinden, was ihm aber nicht glückt. Beim Orangensaft unterhalten wir uns mit vier Motorrad-Polizisten, die wir kurz vorher noch beim Durchsuchen eines Lastwagens an der Straße gesehen haben. Dort hatten sie gerade irgendwelche Möbel von der Ladefläche eines LKW auf die Straße gestellt und waren dabei, sie wieder einzuladen. Die Polizisten machen auch gerade Pause am Saftstand, und wir kommen natürlich ins Gespräch über die Sicherheitslage. Sie sind überzeugt, dass wir auf der Strecke bis zur Grenze auf der Panamericana absolut sicher sind. Im Nachbar-Departamento Cauca seien die Guerillas noch teilweise aktiv (siehe oben die Autobombe in El Remolino vor zwei Monaten), aber hier in Nariño sei alles sicher. Die Lastwagenkontrolle war nach ihren Aussagen eine Drogen- und Waffenkontrolle. Na ja, wie uns gerade auffällt, lag El Remolino ja schon im Departamento Nariño.

Wie fast überall auf unserer Route sind die Menschen (und auch die Polizisten) der Meinung, dass die Gefahr vor allen Dingen von Flüchtlingen aus Venezuela ausginge, die seien nämlich überwiegend „Ladrones“ (Diebe). Das würde in Ecuador noch viel schlimmer werden, denn dort würden die Flüchtlinge aus Venezuela geduldet, was sie ja regelrecht anziehe. Ach da sind sie ja wieder mal, die „Pull-Faktoren“. Viktors Kommentar „Wo es viel Armut gibt, gibt es viel Diebstahl“ (Donde hay much probreza, hay mucho robo) greift nur einer der vier Kollegen auf und wiederholt ihn in halbwegs zustimmendem Tonfall (oder war das Wunschdenken?).

Noch ein paar Kilometer weiter checken wir in das Hotel „La Gran Estancia“ ein, können noch den Pool nutzen und finden im Rezeptionisten „Jose“ einen weiteren neuen Freund (nach eigener Aussage!), denn er ist auch Moutainbiker, unser Alter und findet unsere Tour toll.

Am frühen Nachmittag liegen Rauchschwaden über dem Hotel, die etwas besorgniserregend sind. Auf einem Berg ganz in der Nähe (drei km entfernt) ist ein Waldbrand ausgebrochen, den wir später mit Arturo aus dem Zentrum von Chachagüi deutlich sehen können. Sogar die Flammen sind erkennbar. Auch Arturo muss uns unbedingt noch einen ausgeben und so nehmen wir gemeinsam an einem Stand noch Granizado, Cholado und Raspado zu uns.

Das Abendessen gibt es heute im Hotelrestaurant, denn wir müssen dringend zwei Tage Blog schreiben, was hiermit gegen 22:30 Uhr vollbracht ist.

Sonntag 15.9.24 – (096) – Chachagüi – Pasto

1.144 m bergauf

Gesamt: 5.817,25 km

Nachts um 4 Uhr werden wir von lauter Musik auf dem Hotelgelände wach. Sie kommt aus den gegenüberliegenden Hütten, die man komplett anmieten kann. Mehrfach hört sie plötzlich auf, geht aber kurz darauf weiter. Das hält uns beide vom Weiterschlafen ab. Da unsere Tour heute wieder nicht lang und das Frühstück inbegriffen ist, sind wir die ersten im Restaurant (um 7:30 Uhr, wohlgemerkt, gleich bei Öffnung). Der Waldbrand hat seine Spuren in Form von Ascheregen im Pool hinterlassen, es riecht aber nicht mehr ganz so stark wie gestern.

Es wird ein langer und anstrengender Tag. Die Strecke hat extrem steile Anstiege (13 und 14%), auf denen wir zweimal schieben müssen – das erste Mal seit langer Zeit. Wir erzielen einen neuen Langsamkeitsrekord und sind bei Ankunft am frühen Nachmittag ziemlich kaputt. Wir hatten uns fest vorgenommen, niemals an zwei aufeinanderfolgenden Tagen über 1.000 Höhenmeter zu fahren. Nun sind es schon vier Tage in Folge. Das geht in dieser Gegend einfach nicht anders. Und morgen kommen nochmal 700 Meter dazu. Aber danach werden wir wohl wieder einmal zur Entlastung in einen Bus steigen.

Heute ist Sonntag, und so treffen wir unterwegs wieder mehrere Mountainbiker. Ein entgegenkommender sagt uns, es wären noch weitere acht Kilometer Steigung, aber nach sechs käme ein Saftstand (Jugos) am Rand zum Pausieren. Für diese sechs Kilometer benötigen wir mehr als eine Stunde, auch, weil wir mehrfach pausieren müssen. An einer Brücke halten auch zwei andere Radfahrer (einer heißt Rodrigo), die uns sagen, es wird demnächst flacher. Das stimmt leider nicht, denn erst später kommen unsere beiden Schiebestellen.

Selbstauslöser-Bild mit ersten Radlern

Als wir am Saftstand ankommen und einen O-Saft zum Teilen bestellen, halten zwei andere Mountainbike-Fahrer ebenfalls dort an, und als wir zahlen wollen, ist auch unser Orangensaft schon bezahlt. Schon wieder werden wir also zu einem Orangensaft eingeladen! Wir erwähnen, dass wir in den letzten Tagen schon mehrfach eingeladen wurden. „Hier kommen so wenige Deutsche her, da muss man die Gelegenheit nutzen“ ist die Begründung. Der Sohn von dem einen Mountainbiker kommt kurz darauf schiebend am Stand an. Wir sind also nicht die Einzigen, denen es hier zu steil zum Fahren ist.

Einladung zum O-Saft – Vielen Dank an Lizardo und Freddy

Um kurz nach zwölf halten wir am Zielpunkt von Komoot, das wieder einmal nicht die auf die Hoteladresse aktualisierte Version an den Garmin geschickt hat, sondern das Stadtzentrum als Ziel hat. Zum Hotel sind es noch ein bis zwei Kilometer weiter. Da es aber spät genug und ziemlich kalt ist, kehren wir im Café Guajaquil ein. Die Espresso-Maschine ist nicht in Benutzung, aber Viktor bekommt endlich einmal einen Tamal zum Essen.

Im Café hängen mehrere Plakate des Karnevals von Pasto, der immer Anfang Januar stattfindet und seit 2009 zum Weltkulturerbe zählt. Er trägt den Namen „Carnaval de Blancos y Negros“ (Karneval von Schwarzen und Weißen) und zieht jedes Jahr viele Touristen an. Wir haben auf dem Weg in die Stadt schon einige Gruppen gesehen, die eine Art Umzug mit Musik, Tanz und Stelzenläufern einüben.

Im Hotel duschen wir schnell und machen uns dann auf den Weg zur Sammeltaxi-Station. Diese ist zwar nah dran, aber wir müssen mehrfach nach dem Weg fragen. Die Mini-Busse stehen einfach so am Straßenrand und fahren los, wenn sie voll besetzt sind. Notfalls auch noch auf Extra-Hockern auf dem Boden. Wir wollen zur Laguna de la Cocha, die uns unterwegs sehr ans Herz gelegt wurde. An diesem Gletschersee ist es auf 2.680 m Höhe relativ kühl und der Ort ist irgendwie eine Mischung aus Venedig und der Schweiz. Die Holzhäuser haben einen entfernt vertrauten Stil, die angebotenen Souvernirs und einige Kleidungsstücke kommen uns teilweise „alpin“ vor. Durch den Ort fahren auf Kanälen kleine Boote, mit denen man auf die Lagune hinausfahren kann. Einige fahren bis zur Insel „La Carota“, auf der sich ein Naturschutzgebiet (Santuario de Flora y Fauna) befindet. Wir wollen keine Lancha nehmen, und ohne rauszufahren ist es gar nicht so leicht, einen Blick auf das auf Bildern immer türkisfarbene Wasser zu bekommen. Am Ende des Weges kann man gegen ein geringes Entgeld auf eine schwimmende Aussichtsplattform und dort immerhin auf den See sehen, dessen Wasser heute eher dunkel (wie die Nordsee) aussieht. In einem der Holzhäuser wärmen wir uns bei einem Kaffee auf, bevor wir wieder in ein Colectivo steigen, um zurück nach Pasto zu fahren.

Bei der Rückkehr werden wir von Arturo abgeholt, der uns gestern schon Chachagüi gezeigt hat, und der uns heute noch etwas von Pasto zeigen möchte. Der Abend wird länger als erwartet, wir gehen noch gemeinsam essen und er besteht darauf, dass wir sein Haus und seine Frau kennenlernen. Die eine Tochter ist schwer psychisch krank, und sie haben Hoffnung, dass Jutta ihnen Tipps geben kann (weil sie denken, dass in Deutschland die Forschung weiter fortgeschritten ist). Das müsse doch Gottes Fügung sein, dass wir uns begegnet sind.

Panorama von Brücke

Zurück

Woche 23 (2.9.24 – 8.9.24) – Neira – Popayán

Nächster Beitrag

Woche 25 (16.9.24 – 22.9.24 Pasto – Quito

  1. Peschi

    ❤️ danke für’s Mitmehmen

  2. Bernd Schwidetzky

    Warum ein Tandem und nicht zwei Fahrräder? Warum meidet Ihr Toplader bei Waschmaschinen..??

    Gute Reise

    • Das mit dem Toplader hatte ich ja schon beantwortet:

      Nach unserer Erfahrung haben die eine schlechtere Reinigungsleistung bei gleichzeitig starker Belastung der Wäsche durch den mittigen Rührer.

      Zum Tandem: Wir finden das Reisen auf dem Tandem deutlich kommunikativer. Wir können uns immer unterhalten, selbst wenn der Verkehr oder der Fahrtwind mal etwas stärker sind, da unsere Köpfe nah beieinander sind. Beide können gut sehen. Die Navigation kann durch den Stoker vorne besser erfolgen, da nur einer lenkt und bremst. Außerdem kann keiner dem anderen wegfahren, was gerade in den Bergen für Spannungen sorgen kann.

      • Schwidetzky

        oh das kann ich nicht bestätigen, wir haben einen MIELE Toplader inzwischen 25 Jahre alt, mit vorzüglichen Waschergebnissen, bequemes Bedienen, kein Bücken, bequemes Beladen, sehr schmal in der Bauform. Nachteil: baubedingt schleudert er max. 1.300 und man kann nichts drauf abstellen, wenn die Maschine auslüften soll. Nur noch Toplader, Bullauge braucht kein Mensch. Tandem…versteh, fährt sich für beide gut….schaut irgendwie unbequem aus…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén