Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 23 (2.9.24 – 8.9.24) – Neira – Popayán

Montag 2.9.24 – (085) – Neira – Cartago

Gesamt: 5.237,75 km

Wir stehen in Etappen auf, weil wir uns zu zweit in diesem Mini-Zimmer nicht bewegen können. Im 24 Stunden geöffneten Miniladen können wir Getränke kaufen, und das Restaurant macht uns einen Kaffee mit Milch – so sagen sie, schmecken tut das dickflüssige Etwas weder nach Kaffee noch nach Milch (ist aber serviert in einer Schale wie in Frankreich). Wir stellen uns an den Rand des Parkplatzes, um den Sonnenaufgang anzuschauen ( 😉 ) und schütten die Schalen aus.

Die Tour heute Richtung La Virginia geht entweder über einen sehr hohen Pass oder durch einen Tunnel, bei dem wir ja noch unsicher sind, ob man als Radfahrer dort hindurchfahren darf bzw. kann, denn erlaubt ist es wohl nicht. Die Stokerin überzeugt den Captain, erst einmal bis zur Tunneleinfahrt zu fahren – gegebenenfalls stellen wir uns dumm.

Während der Frühstückspause spielen zwei Katzen mit den Zugbändern unserer Radtaschen und mit unserem Glücksbringer und sind nur schwer davon abzuhalten, sie zu zerfransen. Bei der Weiterfahrt wird uns, je näher wir an den Tunnel kommen, von überholenden Radfahrern und Autofahrern gesagt, dass wir dort nicht durchfahren können. An der Mautstation kurz davor überholt uns wieder ein Radfahrer, von dem wir denken, dass er den Tunnel nehmen wird, und passieren deshalb kurz hinter ihm ebenfalls die Mautstation. Da kommt uns ein Pick-Up entgegen und hält uns an: Fahrräder sind im Tunnel verboten, weil man sich beim Radfahren so stark anstrengt, dass man sich mit den Autoabgasen vergiften würde. Wir versuchen noch, so zu tun, als wären wir ein Moped, aber wir dürfen nicht weiter. Der andere Radfahrer nimmt auch den Weg über den Pass, der erst hinter der Mautstation irgendwo abgeht.

Die Menschen an der Mautstation sagen uns, wir können von einem Auto mitgenommen werden, und der Security-Mann bietet uns an, für uns eines zu finden – das hat er angeblich auch schon für andere gemacht. Und siehe da: nicht einmal 30 Minuten nach unserer Ankunft dort, laden wir das Tandem und alle Taschen bei Luis hinten auf die Ladefläche seines Pick-Ups, auf der auch schon sein eigenes Rad steht. Viktor ist so begeistert von der kolumbianischen Hilfsbereitschaft, dass er zum Abschied noch ein lautes „Viva Colombia!“ zur Security und zu den Mitarbeitern der Mautstation hinüberruft. Wir hören lautes kollektives Lachen von hinten, als wir in den Pick-up einsteigen.

Ein paar Minuten später lässt uns Luis hinter dem Tunnel auch schon wieder raus. Er erklärt, wenn dieser Tunnel für Radfahrer geöffnet würde, wäre er am Wochenende verstopft von den vielen Radelnden, die dort Selfies machen würden – er versteht das Verbot also.

Als wir das Tandem wieder packen, stellt Viktor fest, dass seine Trinkflasche nicht mehr da ist, weiss aber nicht, ob sie noch an der Mautstation steht oder in Luis‘ Auto im Fußraum liegt. Jutta wollte ihre Flasche schon nach Deutschland schicken, weil sie sie nicht nutzt (sie trinkt nur Wasser und das aus dem Camelbak), also wird Viktor ab jetzt diese Flasche nutzen.

Dann geht es erst einmal eine schöne Abfahrt hinunter. Das „neue“ Tal ist sehr viel breiter als das gestern, rechts und links sind Wiesen und Felder (Zuckerrohr), die Berge relativ weit entfernt. Wir fahren in Fließrichtung des Flusses, der ein Zufluss zum Rio Cauca ist. Daher geht es eine zeitlang bergab. Wir machen eine Trinkpause an einem Restaurant, bestellen einen Krug Limonade ungesüßt/natürlich und bekommen zwei Liter Tamarindo-Getränk. Ist „Limonada natural“ wirklich so schwer zu verstehen? Die Dame dort empfiehlt uns einen Abstecher nach Viterbo, weil das doch sehr schön sei. Wir haben gerade beschlossen, nicht nur bis La Virginia zu fahren, sondern bis Cartago, weil wir so gut in der Zeit liegen, machen aber trotzdem noch diesen Abstecher. An der Abzweigung dorthin wird uns bestätigt, dass es dort mehrere (!) Eiscafés geben soll, das möchten wir ausnutzen. Die Allee bis zum Ort ist wirklich schön, alte Baumstümpfe sind dort von einem Künstler gestaltet worden. Es gibt unter Anderem eine Jungfrau Maria und einen Jesus zu bewundern. Das erste Eiscafé gibt es nicht mehr, das zweite und dritte sind heute noch nicht geöffnet, aber das vierte (und letzte) serviert uns zwei Banana-Split. Dafür sagen wir heute Juttas Cousine Angela vielen Dank für die Spende!

Danke schön, liebe Angela!
Bei der Ausfahrt gefilmt

Viktor nimmt übrigens das Angebot an, das Eis inklusive Frischkäse (eine Art Mozarella) zu bekommen – Jutta lässt den lieber weg. Ist mal etwas Anderes und muss nicht unbedingt wiederholt werden. Um Punkt zwölf fahren wir dort wieder los und geraten damit genau in die Mittagshitze. Und es geht ziemlich bergauf. Mit der Banana-Split-Stärkung klappt es aber ganz gut!

In Viterbo machen wir am Zentralplatz noch ein Foto und dann geht es zurück auf die Hauptstraße Richtung „Cali“ und „Cartago“. Kurz vor der nächsten Ortschaft wird Viktor von irgendeinem Insekt am linken Mittelfinger gestochen (was ist denn los in letzter Zeit?). Es schmerzt nur kurz und heftig, schwillt aber nicht an. In einem kleinen Laden darf er seine Hand für ein ein paar Minuten in die Eiswürfel-Truhe halten.

Ab „La Virginia“, unserem ursprünglich geplanten Etappenziel, geht es nochmal ordentlich steil bergauf. Wir benötigen 1,5 Stunden für die circa 10 Kilometer, unter anderem auch deshalb, weil wir einem jungen Motorradfahrer helfen, der sich bei einem misslungenen Überholvorgang offenbar verschaltet und derartig Gas gibt, dass seine Kette reißt und kurz vor uns auf der Straße liegen bleibt. Wir halten an, Jutta steigt ab und versucht die Kette von der Straße zu ziehen, bevor weitere Lastwagen drüberrollen. Aber die Kette ist so heiß, dass sie sie fallenlassen muss. Mit einem Stock vom Straßenrand versucht sie es nochmal. Dabei wird es plötzlich richtig lebensgefährlich, denn auf der Gegenfahrbahn befindet sich ein Lastwagen mitten im Überholvorgang und rast auf Jutta zu. Sie hat nur nach links geschaut und geprüft, ob unsere Fahrbahn frei ist, aber mit einem überholenden Lastwagen aus der Gegenrichtung auf unserer Straßenseite hat sie nicht gerechnet. Viktor kann noch rechtzeitig „Vorsicht!“ rufen und es geht alles gerade nochmal gut. Die Motorradkette ist sowieso hinüber und lässt sich mit Bordmitteln nicht reparieren. Der junge Motorradfahrer entscheidet sich, die lange Steigung zu nutzen und nach La Virginia bergab zurückzurollen, um dort eine Werkstatt zu finden. Wir verabschieden uns und fahren weiter bergauf. Kurze Zeit später überholt uns ein Motorrad-Doppel in uns schon beaknnter, typischer Haltung. Das kaputte Motorrad wird von einem anderen Motorrad geschoben, indem der rechte Fuß ausgestreckt und irgendwo am kaputten Motorrad abgestützt wird. Haarsträubend aber pragmatisch.

Am Ende der langen Steigung braucht der Captain nochmal eine Pause. Es gibt eine schnelle Cola, danach zwei „Granizados de Café“ und ein Stück Apfelsinenkuchen, dessen Teig sehr stark an unseren „Familien-Zitronenkuchen“ erinnert. Den kann man sicher auch mal mit Apfelsine statt Zitrone ausprobieren.

Zum Abschluss des Tages gibt es nochmal eine rasende Abfahrt nach Cartago ohne enge Kurven, bei der wir ein Motorrad überholen und vermutlich unseren bisherigen Geschwindigkeitsrekord brechen (64,9 km/h).

Wir checken für unsere Verhältnisse recht spät im Hotel Golden Cartago ein, denn es war in langer Tag mit wieder über 1.000 Höhenmetern. Wir spüren unsere Knie, gehen keinen Schritt mehr vor die Türe und essen im Hotelrestaurant in der obersten Etage zu Abend. Dort gibt es an den Wänden interessante Neon-Anmachsprüche, die wir hier mal für die Spanischsprachigen unkommentiert stehen lassen.

Dienstag 3.9.24 – (086) – Cartago – Tuluá

Gesamt: 5.330,91 km

Das Hotel hat uns zwei Sandwiches und Säfte an der Rezeption hinterlegt, da es um sechs Uhr noch kein Frühstück gibt, was uns aber zusteht. Sehr nett! Vor dem Losfahren checkt Viktor den Lenker, der gestern nicht mehr gerade war, und versucht die Ursache für das Verschieben herauszubekommen. Außerdem wird die Lenkertasche neuerdings vom Lenker eingeklemmt, was das Lenken erschwert. Beide Ursachen werden morgens noch nicht geklärt.

Draußen auf der Straße ist um sechs schon eine laute Demonstration im Gang: Motorräder und PKW schleichen hupend durch die Querstraße des Hotels – der Parkplatzwächter kann uns den Grund nicht nennen. Wir tippen aber darauf, dass die angekündigte Steuererhöhung auf LKW-Treibstoff der Grund sein könnte. Vor den Mopeds und Autos blockieren nämlich auch wahrscheinlich LKW die Straße, weshalb niemand anderes durchkommt.

Der Start geht zunächst durch Cartago, bis wir die Stadt verlassen haben, aber es fährt sich erstaunlich gut für innerstädtisch. Zwischen Cartago und Zaragoza gibt es einen zweispurigen Fahrradweg. Zunächst sind wir begeistert, aber schnell ernüchtert: der Weg ist sowohl holperig (im Gegensatz zur glatten Straße) als auch von zu Fuss Gehenden bevölkert, die auch nach Klingeln nicht zur Seite gehen. Wir wechseln also wieder auf den Seitenstreifen der Straße.

Es fällt auf, dass uns sehr, sehr viele Rennradfahrer in größeren Gruppen auf der Gegenfahrbahn entgegenkommen. Es sieht fast wie ein Rennen aus, ist aber keines. Einige wenige überholen uns auch, und zwei von denen fahren eine Weile mit uns zusammen, um uns auszufragen und uns noch Tipps zu geben. Zum Beispiel empfehlen sie uns, morgen in Buga (nicht heute in Bugalagrande!) die Basilica zu besichtigen.

Die erste Pause machen wir nach ca. 30 km in La Victoria. Dafür müssen wir von der 25 abfahren und eine sehr schlechte Straße nutzen, bis sie nach ein paar Kilometern besser wird und in den Ort führt. Wir fahren in Richtung der Kirche – dort wird es sicherlich einen Kaffee geben. Die Kirche ist sehr modern, fällt uns auf, und in der Panaderia daneben bestellen wir zwei Milchkaffee. Was wir bekommen: aus Instantpulver angerührte „Plörre“, obwohl es dort eine echte historische Kaffeemaschine gibt, die sogar mit Dampf Milchschaum erzeugen kann. Die Verkäuferin erklärt uns, dass die Kunden diesen Instant-Milchkaffee bevorzugen und bringt zum Vergleich eine Tasse mit dem echten Kaffee mit Milch. Der ist so, wie er sein sollte! Sie erklärt, dass man beim Bestellen von Röstkaffee (Café Quemado) mit Milch sprechen sollte und zudem erwähnen sollte, dass es kein Kaffee aus Instantpulver sein soll. Sie erklärt uns auch, dass das schlechte Straßenstück an der Einfahrt zur Stadt nur existiert, weil die Bürgermeister nicht einsehen, sie aus dem städtischen Haushalt zu erneuern. Sie sind der Meinung, das wäre eine Aufgabe Kolumbiens, da es sich um die Abfahrt einer Nationalstraße handelt. Also die gleichen Zuständigkeitsprobleme wie zuhause …

Auf der anderen Flussseite ist hier La Union, wo der Nationalpark der Weintrauben liegt – hier ist also wohl eine Weingegend. Die Straße heraus aus La Victoria in Richtung Süden ist glücklicherweise sehr viel besser.

Für die nächste Pause gucken wir uns Zarzal aus, weil danach sehr lange nichts mehr kommt, wo man Pause machen und Getränke auffüllen kann. In Zarzal wollen wir entscheiden, wir weit wir heute überhaupt fahren werden. Zarzal liegt gleich an der 25, ist also ohne Umweg erreichbar, und wir finden wieder nahe der Kirche ein Örtchen, wo wir Milchshakes aus Milch und Eiscreme (Malteadas) trinken können, die sehr nett zurecht gemacht sind:

Wir beschließen, heute bis Tuluá zu fahren, da wir keine größeren Höhen zu bewältigen haben und es immer noch ziemlich früh ist. Vor dem Weiterfahren checken wir noch einmal, warum die Lenkertasche so blöd eingeklemmt ist – verzieht sich der Rahmen, oder ist gar etwas gebrochen? Ganz einfach, nur bislang unbemerkt: der Schnellspanner am Stockersitz ist locker, und die Rückenlehne hat sich nach hinten bewegt. Gestern in den Steigungen hat sich Jutta so in den Sitz gepresst, dass die Lehne nach hinten gedrückt wurde und jetzt die Tasche am Lenker einklemmt. Wir richten den Sitz wieder aus und ziehen den Schnellspanner fest an! Eines der beiden Probleme ist also gelöst. Die verstellte Spur bei der Lenkung bleibt aber zunächst noch ein Rätsel.

Am Ortsausgang von Zarzal steht ein riesiges Schild: „La tierra que endulza a Colombia“ – hier lebt man wohl hauptsächlich vom Zuckerrohranbau.

Weiter geht es durch das weite Tal zwischen vielen Zuckerrohrplantagen. Immer wieder stehen Schilder am Rand, dass man achtgeben muss auf die querenden Zuckerrohr-Züge, obwohl hier nirgendwo Schienen verlaufen. Irgendwann kommt uns auf der Gegenfahrbahn ein solcher „Zug“ entgegen: Ein LKW mit noch drei weiteren angehängten Hängern. Als uns einer überholt, erwischt Jutta ihn nur noch von hinten, aber auf einem Feld sehen wir welche, wie sie beladen werden.

In Andalucia machen wir noch eine dritte Pause. Es sind zwar nur noch gut zehn weitere Kilometer, aber es ist immernoch erst 13 Uhr und zu früh, um im Hotel anzukommen. Wir wollen uns ein Eiscafé suchen, finden aber kein geöffnetes. Jutta will zunächst im Ara-Supermarkt neue Getränke kaufen, und als sie zurückkommt zum Platz, ist Viktor im Gespräch mit Julio Rocas, einem Mountainbiker aus der Gegend, der einige Tipps zu den weiteren Etappen in Richtung Ecuador geben kann, sowie Sehenswürdigkeiten (z.B. die „Schweiz Südamerikas“ in der Nähe von Pasto an der „Laguna de la Cocha“) empfiehlt. Im Endeffekt lassen wir das mit der weiteren Suche, trinken in der Panaderia am Platz einen Kaffee und brechen für den Endspurt auf. Bei der Ausfahrt aus Andalucia lernen wir noch, dass dieses die Hauptstadt der Gelatine ist. An nur einem Tag: Weintrauben, Zuckerrohr und Gelatine – das hat doch was!

Auf der kurzen Strecke nach Tuluá werden wir wieder gefilmt, diesmal von Javier Tello:

Er ist Touristenführer – macht mit denen Fahrten im „Willy“, mit dem er auch hier gerade unterwegs ist. Dessen Bedeutung für Kolumbien haben wir ja gerade gestern kennengelernt. Wir reden ein bisschen, und als wir weiterfahren, filmt er noch einmal. Und dann passiert es: Bevor er uns von hinten mit dem „Willy“ überholt, stehen wir schon wieder. Platter Vorderreifen bei Kilometer 88, nur fünf Kilometer vor dem Ziel! Wir wechseln also nach längerer Zeit (letztes Mal war in Panama) einmal wieder den Schlauch. Das Loch ist schon wieder auf der Felgenseite, also innen, aber wir finden keine Ursache, die Felge ist völlig o.K. – ein weiterer „Snakebite“ also.

Kurz vor Tuluá sehen wir noch eine weitere Demonstration gegen die geplanten Steuererhöhungen bei Treibstoffen. Lastwagen sperren die Gegenfahrbahn der Nationalstraße, auf der wir unterwegs sind. Wir kommen aber problemlos in die Stadt.

Und irgendwo heute, wir wissen nicht mehr genau wann, fliegen zwei ziemlich große Aras an uns vorbei. Die haben wir hier schon überall vermutet, aber im Gegensatz zu Costa Rica haben wir in Kolumbien bislang keine gesehen, nur gehört.

Um Punkt 15 Uhr checken wir im Hotel ein, das direkt an einer der sehr zahlreichen Brücken über den Tuluá-Fluss liegt. Wir flicken den Schlauch, erholen uns ein bisschen, finden online keine gute Lösung für das Abendessen und gehen irgendwann einfach los in eine Straße, in der es viele Restaurants geben soll. Von den gelisteten gibt es viele nicht mehr – wir landen in einem vegetarischen Restaurant.

Abends hat Viktor Nachricht von dem Sportfotografen, der an der „Alto de Minas“ alle Vorbeikommenden fotografiert und dann seine Visitenkarte zugesteckt hat. Er schenkt uns die hochaufgelösten Bilder von uns. Und da gerade heute Viktor gesagt hat, er würde doch gar nicht jammern, wenn es bergauf geht, als es um die Weiterfahrt in die Anden ging, die ja demnächst anstehen, teilen wir zwei von den Bildern hier. Viktor kommt aus dem Lachkrampf gar nicht mehr heraus. Es war eine wirklich steile Stelle, an der diese Bilder enstanden sind, muss man dazusagen:

Morgen werden wir um halb sieben das Frühstück hier noch mitnehmen, beschließen wir noch vor dem Zubettgehen.

Mittwoch 4.9.24 – (087) – Tuluá – Palmira

Gesamt: 5.404,81 km

Wir entscheiden uns, heute morgen bis in den Wallfahrtsort „Buga“ durchzufahren und deshalb bereits morgens im Hotel zu frühstücken. Wir stehen also später auf als sonst (5:30 Uhr), packen das Tandem und frühstücken um 6:30 Uhr mit Kaffee, Arepas, Rührei und Cornflakes mit Milch. Der Rezeptionist ist – wie schon gestern – sehr interessiert an unserem Tandem und unserer Tour. Er zeigt Viktor auch sein eigenes Fahrrad, bei dem er eine Scheibenbremse nachrüsten möchte. Zum Abschied erhät er einen unserer Aufkleber und liest vielleicht ab und zu mal hier mit.

Wir verlassen Tuluá in Richtung Süden, bis wir wieder auf die Nationalstraße 25 treffen, die uns zügig ohne nenneswertes Auf und Ab nach Buga führt. Innerorts sind die Straßen leider in weniger gutem Zustand. Wir müssen relativ viel Slalom fahren, um den Schlaglöchern auszuweichen. Hinzu kommen noch Doppel-„Reductores“, deren Abstand ziemlich genau dem Abstand zwischen Vorder- und Hinterrad unseres Tandems entspricht. Das Überfahren dieser Dinger ist daher doppelt unangenehm und muss mit dem vollgepackten Tandem besonders langsam erfolgen. In Buga machen wir eine kurze Kaffeepause, bevor wir zur Basilika fahren. Dort läuft gerade ein Gottesdienst, als wir kurz (leise und ohne zu stören) hineingehen. Das ist hier stündlich der Fall … Warten lohnt sich also nicht. In der Predigt werden gerade die Straßenblockaden der Lastwagenfahrer und die Demonstrationen gegen die geplanten Steuererhöhungen auf Diesel angesprochen. Es wird dafür gebetet, dass keine Steuererhöhungen kommen, weil dies die Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe treiben würde.

Als wir wieder herauskommen haben sich einige Polizistern um unser Tandem versammelt. Wir beantworten einige ihrer Fragen (Was ist das für ein Fahrrad? Woher? Wohin? Wie lange schon? Wie lange noch?) und fragen, ob wir das Tandem noch 10 Minuten hier stehen lassen können, um einen Blick ins Museum gegenüber zu werfen. Sie stimmen zu und passen sogar auf das gute Stück auf, bis wir wieder aus dem Museum kommen. Im Museum erfahren wir einiges über die Wunder, die sich hier ereignet haben sollen und die den Ort zum Wallfahrtsort gemacht haben. Das wichtigste Wunder war eine „wachsende“ Jesusfigur an einem Kreuz, das von einer indigenen Frau im Fluss gefunden wurde. Im Museum hängen tausende von Danksagungen und hinterlassene Gaben und Geschenke von Menschen, die hier wundersam geheilt wurden.

Bevor wir uns wieder auf den Weg machen, bedanken wir uns bei den Polizisten und erhalten noch einige gute Wünsche für unsere weitere Reise. Und – wie so oft in Kolumbien – ein „Danke, dass Sie unser schönes Land besuchen“. Wir beobachten noch kurz die Malerarbeiten an der Fassade, die aus der Ferne wie eine geklinkerte Fassade in Norddeutschland aussieht, tatsächlich ist alles aufgemalt und auch die weißen „Fugen“ werden händisch mit einem Pinsel aufgebracht.

Die weitere Fahrt führt weiterhin durch Zuckerrohrfelder. Immer wieder sehen wir die Gespanne auf der Straße, die hier „Tren Cañero“ heißen. Und sie wirbeln ordentlich Staub auf.

In „El Cerrito“ wollen wir eine Eispause machen, doch bevor wir den zentralen Platz erreichen erleben wir den zweiten Plattfuß in zwei Tagen, diesmal am Hinterrad. Es ist wieder ein innenliegender „Snakebite“. Eine Kontrolle der Felge unter dem Felgenband ergibt, dass hier noch alles in Ordnung ist. So ein „Snakebite“ entsteht an Schlaglöchern, wenn der Schlauch so stark zusammengedrückt wird, dass er innen an der Felge eingeklemmt wird. Eigentlich wäre hier ein höherer Reifendruck die Lösung, dann kann der Schlauch nicht so stark zusammengedrückt werden. Aber ein hoher Reifendruck ist ja seit unseren Felgenbrüchen Tabu. Wir wollen weiterhin bei 3 bar Reifendruck bleiben, aber geben in den nächsten Tagen vielleicht nochmal 0,1 bar oder 0,2 bar hinzu. Und wir werden wohl häufiger prüfen müssen, ob der Reifendruck noch hoch genug ist.

Die eigentlich geplante Pause machen wir danach am zentralen Platz. Viktor möchte unbedingt wieder eine Malteada trinken – dafür suchen wir ein Eiskaffee. Auf dem Platz sind mehrere kleine Stände – einer hat Eis. Jutta sucht sich eine Kugel Erdnusseis aus, und als nach einer ganzen Weile die Bestellung ausgeliefert wird, bekommt sie eine Waffel mit rotem Fruchteis in die Hand gedrückt. Das muss Viktor dann noch zusätzlich zur Arequipe-Malteada essen, und die Kugeln hier sind ziemlich groß. Diese Stärkung reicht auf jeden Fall bis zum Ziel. Es sind auch nur noch 20 Kilometer.

Diese ziehen sich dann aber noch etwas, denn wir müssen mehrfach am Rand anhalten. Irgendwas stimmt mit dem Tandem nicht. Die Lenkung hat sich schon wieder verstellt und muss gerichtet werden. Bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass die Klemmung für die Teleskop-Funktion unter Juttas Sitz nicht fest genug sitzt. Jutta hat mit der Kraft ihrer Oberschenkel und dem kräftigen Abstützen an der Rückenlehne doch tatsächlich das Tandem weiter auseinandergezogen. Zwar nur ein paar Millimeter, aber das wirkt sich bei der Lenkung mit mehreren Winkelgraden aus.

Wir überprüfen alle zugehörigen Schrauben auf einen Bruch (alles o.K.!) und ziehen sie dann ordentlich fest. Schauen wir mal, wer ab jetzt stärker ist, Klemmschraube oder Jutta. ;-). Außerdem müssen wir beide Reifen schon wieder aufpumpen, der Druck ist seit gestern (vorne) bzw. seit El Cerrito (hinten) wieder gesunken. Auch das sollten wir im Auge behalten!

In Palmitas stehen wir wieder einmal verwirrt am von Komoot angegebenen Zielort – kein Hotel in Sicht. Aber selbst, wenn wir die Adresse von Booking.com bei google maps suchen, stehen wir richtig. Während Viktor schnell eine Cola braucht, geht Jutta auf die Suche und findet in der kleinen Nebenstraße das nach hinten versetzte, sehr nette Boutique – Hotel.

Nach dem Einchecken wird das Tandem nochmal auf den Kopf gestellt und der gesamte Rahmen auf Brüche abgesucht. Irgendwie fuhr es sich heute sehr „schwammig“ und Viktor hat den Eindruck, dass es auch bei korrekt eingestellter Lenkung leicht nach links zog. Auch Jutta meint, das Fahrgefühl sei irgendwie anders. Wir finden aber weder am Rahmen noch an der Federung irgendwelche weiteren Probleme. Auch alle Schrauben scheinen noch vorhanden und ordentlich festgezogen zu sein.

Zum Getränkekauf und Abendessen gehen wir die Hauptstraße runter Richtung Zentrum. Getränke sind schnell gekauft, aber ein (geöffnetes) Restaurant, dass nicht nur Fleisch verkauft, finden wir nicht. Also gibt es heute – sehr preiswert – in einer Panaderia mit Kartoffeln bzw. Banane/Käse gefüllte Teigtaschen.

Donnerstag 5.9.24 – (088) – Palmira – Cali

Gesamt: 5.442,38 km

Bevor wir das Frühstück im Hotel nutzen, packen wir bereits das Tandem und pumpen die Reifen nochmal auf 3 bar auf. Uns ist nicht ganz klar, warum der Reifendruck unter 3 bar gefallen ist, aber wir wollen ihn jetzt häufiger kontrollieren, um weitere Snakebite-Plattfüße zu vermeiden.

Wir fahren heute nur eine kurze Strecke bis Cali, gemeinsam mit gefühlten Tausenden von Mopeds. Wir sind richtig schnell unterwegs (Schnitt über 20 km/h), bis an der Einfahrt zur Stadt plötzlich gar nichts mehr geht. Der Lastwagenfahrer-Streik schlägt zu. An einer Brücke schlagen uns moderne Wegelagerer vor, eine Böschung herunterzufahren, denn ganz vorne käme man definitiv nicht weiter. Sie haben eine Art Rampe gebaut und versuchen, bei jedem Moped abzukassieren. Wir bleiben auf der Nationalstraße und schieben das Tandem an (und zwischen) den Lastwagen vorbei bis nach ganz vorne. Dort werden wir von Lastwagenfahrern durchgewunken und man hilft uns sogar das vollbepackte Tandem auf einen erhöhten Mittelstreifen zu heben.

Danach geht es quer durch die Stadt in den südlichen Stadtbezirk „El Ingenio“, wo wir uns im Hotel Amber einquartiert haben, um bei der Weiterfahrt die Stadt schnell wieder verlassen zu können, ohne im Verkehr stecken zu bleiben.

An einer Brücke werden wir vor einer roten Ampel von einer Gruppe Fahrrad-Aktivisten angesprochen, die gerade eine Demonstration für die Wiederherstellung eines kürzlich an dieser Stelle zurückgebauten Radwegs beendet haben. Am kommenden Wochenende ist „Dia del Aire“ (Tag der Luft) und der soll genutzt werden, um Lobby-Arbeit für dieses verlorene kurze Stück Radweg zu machen. Viktor wird für Social Media interviewt und erklärt, warum eine gute Luftqualität uns Radelnden so wichtig ist. Wir haben keine Ahnung, wer das vielleicht wann und wo posten wird. Wir bleiben relativ lange an der Kreuzung stehen und beantworten viele Fragen. Viktors Garmin-Uhr erkennt aufgrund des Stillstands an einer Kreuzung offenbar einen Notfall, fängt an wie wild zu vibrieren und zeigt an, dass jetzt eine Notfall-Nachricht an unseren Sohn Julius gesendet wird. Gerade noch rechtzeitig kann dieser Vorgang abgebrochen werden. Jutta kriegt noc einen kleinen Werbezettel in die hand gedrückt, den wir tatsächlich am Folgetag nutzen.

Foto flyer

Bis genau zu dieser Kreuzung ist die Straße noch sehr leer, weil keine Autos am LKW-Sreik vorbeikommen, aber als wir dann auf eine kilometerlange Straße Richtung Süden abbiegen, landen wir in einem riesigen Freiluft-Markt, der vor den Geschäften am Straßenrand auf der Straße aufgebaut ist. Der Verkehr dazwischen ist fast zum Stillstand verdammt, trotzdem fahren hier viele Autos. Es geht sehr zäh vorwärts, bis der Markt endet und sich die ganze Umgebung ändert. Auf dieser einen langen Straße durchqueren wir wohl mehrere Viertel, die sich ziemlich deutlich unterscheiden.

Vor zehn Uhr kommen wir am Hotel an, dürfen das Tandem in die Tiefgarage stellen, können aber noch in kein Zimmer. Das Hotelrestaurant – Café hat (im Gegensatz zu vielen anderen, die geschlossen waren bzw. sind) geöffnet, und wir trinken einen Kaffee. Am Nachbartisch sitzt ein Herr und spricht uns auf Niederländisch an – wir erkennen es erst gar nicht. Er kommt aus Aruba, erzählt er, und dass dort neben Papiamento auch Niederländisch Amtssprache ist. Das ist aber auch schon der gesamte Austausch.

Da es hier in Cali (über 2 Mio. Einwohner) keine Bahnen gibt und eine Busfahrt ins Zentrum recht kompliziert und langwierig wäre, lassen wir uns von einem (gelben) Taxi ins Zentrum fahren – Jutta noch in den Radfahrklamotten, Viktor hat sich in der Tiefgarage umgezogen. Der Taxifahrer empfiehlt uns das Barrio (Stadtviertel) Granada, und wir laufen ein bisschen dort herum auf der Suche nach der historischen Schönheit und kolonialer Architektur. Mittags teilen wir uns einen leckeren Vorspeisenteller bei El Sirio, einem Syrischen Restaurant. Anschließend geht es langsam zum Archäologischen Museum, dem Treffpunkt für eine „Free Walking Tour“, die wir für 15 Uhr gebucht haben. Dort wollen wir um die Ecke noch etwas trinken, finden eine schöne grüne Oase in einem Innenhof, allerdings sind die zwei Bedienungen des Cafés sehr, sehr unmotiviert. Um die Bestellung kümmern wir uns irgendwann an der Theke (auf der sie lustlos ihren Kopf in die verschränkten Arme gelegt hat) selbst, und beim Bezahlen bekommt die junge Dame auch die 10% Trinkgeld nicht hin. Sie wundert sich nicht im geringsten, dass das Trinkgeld bei ihr den zu zahlenden Betrag mehr als verdoppelt hat, als sie diesen eintippt.

Am Museum treffen wir dann auf unseren Guide Lem und auf nur eine weitere Teilnehmerin – eine in Griechenland lebende Belgierin. Wir haben also quasi eine private Tour! Mit Lem gehen wir kurz ins Goldmuseum, wo er uns die vier Epochen der in dieser Gegend lebenden Bevölkerung erklärt. Des Weiteren erfahren wir, dass die Kirche „La Ermita“ den Turm nach Vorlage des Turm des Ulmer Münsters und den Rest nach Vorlage des Kölner Doms hat. Sie war ein Geschenk Deutschlands, da „wir“ uns im 1. Weltkrieg junge Kolumbianische Soldaten ausgeliehen haben, quasi als Dankeschön. Er erzählt uns von zwei weiteren Dingen, die Deutschland Cali geschenkt hat, aber sie fallen uns schon nach der Tour nicht mehr ein. Wir glauben, es war das Kupferdach eines Gebäudes, aber wir wissen nicht mehr welches.

Das Teatro Jorge Isaacs verfügt über die weltweit zweitgrößte Akustik-Box über der Bühne, die zur Verstärkung der Lautstärke von Sprache und Gesang ohne Mikrofon und Verstärker dient. Sie überragt das Gebäude und ist auch von außen gut erkennbar.

Akustik-Box auf dem Gebäude des Theaters

An der Plazoleta Jairo Varela erklärt er uns, dass die dort aufgestellten „Trompeten“ das Wort „Niche“ darstellen, zur Würdigung dieser wichtigen Kolumbianischen Musikgruppe. Aus allen vier Trompeten schallt 24 Stunden täglich deren Musik, im Inneren stehen thematisch sortiert die Liedtexte, und Lem zeigt uns dort auch kurz, wie man Salsa tanzt.

Außerdem ist der ganze Platz ein „Kunstwerk“: auf dem Boden sind sieben farbige Bahnen dargestellt, die für die sieben Flüsse stehen, die durch die Stadt fließen. Eine Überdachung ist so geformt, dass sie den Wind darstellt, der hier jeden Tag ab 15/15:30 Uhr vom Pazifik ankommt und die Stadt zuverlässig wiederkehrend täglich abkühlt. Und da der Pazifik „gleich hinter dem Berg“ beginnt, ist auch er im Platz mit verarbeitet.

Die Lage Calis, links der Pazifik, rechts die Andenkette, ganz rechts das „Valle de Cauca“ mit Cali. Der kühlende Seewind schafft es am Nachmittag zuverlässig über die Bergkuppe und kühlt das Tal und damit auch Cali.

Wir gehen hinunter in die pazifische Tiefe des Platzes, und Lem erklärt uns sehr sangesfreudig, wie die Salsa entstanden ist und weshalb Cali heute die Hauptstadt des Salsa ist.

Pazifische Tiefe des Platzes

Hier in Cali entstand erstmals eine rhythmisch beschleunigte Mischung verschiedener afrokaribischer, lateinamerikanischer und jazziger Tanzmusik, unter anderem auch dadurch, dass Schallplatten mit 45 RPM abgespielt wurden statt mit 33 RPM. Das erste Konzert einer amerikanischen Band wurde fast zum Flop, weil das Publikum die Musik nur in der beschleunigten Fassung kannte und nicht so langsam tanzen wollte, wie die Band sie spielte. Im multikulturellen „melting pot“ von New York entwickelte sich das Ganze dann in den 70iger Jahren immer weiter. Zum Begriff Salsa (korrekt übersetzt: Soße) gibt uns Lem diese Story zum Besten, die man auch auf Wikipedia findet:

Wie der Begriff „Salsa“ entstand

Seit der Coronazeit, als auch hier alle Clubs geschlossen blieben, findet hier jeden Freitag abend ein öffentliches Salsatanzen auf der Straße statt.

Wir lernen von Lem noch, dass es hier keine richtigen Hochhäuser gibt – außer weiter draußen in den Bergen – weil die Stadt Cali um eine Militärbasis herum gewachsen ist und die Flieger sonst nicht starten und landen könnten. Und – eine weitere Parallele zu Wangerooge (die erste ist der abendlich aufkommende Wind) – es gibt hier eine Männerstraße und eine Frauenstraße (Damenpfad und Herrenpfad auf der Insel Wangerooge), die beide zum Rio Cali führen. Als früher die Menschen im Fluss gebadet haben, waren dies die Zuwege zum Damen- und Herrenbad.

Nach der Tour fahren wir mit einem Taxi zurück zum Hotel, checken erst einmal ein, kämpfen ein wenig mit dem W-LAN (der gute Mann an der Rezeption gibt uns nacheinander zwei Passwörter für Netzwerke, die wir im Zimmer gar nicht empfangen – wir haben einen TP-LINK-Router im Zimmer und ein eigenes Netz, erfahren wir am nächsten Morgen von seiner Kollegin) und essen im Hotelrestaurant. Auch hier ist die Bedienung nicht wirklich arbeitswillig, fällt uns auf…

Freitag 6.9.24 – Cali (Ruhetag)

Wir sind um 9 Uhr am Boulevard del Rio zu einer Cali Bike Tour angemeldet, weshalb wir nach dem Frühstück mit einem Taxi dorthin fahren. Vor der „Pizzicleta“ ist Treffpunkt, und dort treffen wir auf Edwin, einen der Fahrradaktivisten von gestern. Wir bekommen angepasste Leihfahrräder und warten noch ein wenig auf Alejandro, den zweiten Aktivisten, der auf dem Hinweg einen Platten flicken muss.

Als wir komplett sind, sprechen wir ein wenig unsere Wünsche und damit die Route ab, und es geht los.

Wir fahren zum „Parque de los Gatos“ und zum „Parque del Perro“, besichtigen ein kleines Essigmuseum, in dem wir Türkisches Soda probieren (mit Estragon, Fruchtessig und Sprudelwasser) und erfahren, dass die Betreiber von Menschen aus der Nähe von Wiesbaden gelernt haben, wie man Fruchtessige und Cidres macht und dass der Bioreaktor, mit dem sie in den Bergen über Cali den Essig herstellen, von einer Firma aus Bad Honnef stammt (Cetotec). Die sind weltweit Marktführer, und die Fernwartung und Prozessüberwachung findet täglich online statt – es musste nach der Inbetriebnahme noch nie ein Techniker von dort nach Kolumbien kommen, das geht alles auch so.

Die Runde ist viel größer als per pedes möglich, und so können wir durch drei verschiedene Barrios fahren, die zu den ältesten gehören und wo noch viele Häuser im Kolonialstil erhalten sind: San Antonio, San Fernando und San Juan Bosco. Wir halten auch kurz an der ältesten Druckerei „La Linterna“ mit Druckmaschinen aus dem 19. Jahrhundert.

Nach der Tour sitzen wir noch recht lange mit Edwin und Alejandro beim Kaffee zusammen und sprechen über Fahrrad-Aktivismus, Mobilitäts- und Umweltpoltik und das potentielle „Vorbild“ Deutschland und Europa, auf das sie immer wieder zu sprechen kommen. Leider müssen wir sie dabei ein wenig enttäuschen, als wir die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland beschreiben, die aufzeigen, dass eine grüne Regierungsbeteiligung in manchen Bereichen sogar zum Gegenteil dessen führen kann, was man eigentlich erreichen wollte. Positives „Storytelling“ – also der Fokus auf „Was gibt es zu gewinnen“, statt „Was wollen wir dir wegnehmen“ ist dabei wohl das A und O. Und Cali hat da Einiges zu bieten, denn die Promenade auf der heute jeden Freitag Salsa getanzt wird (und auf der Rad- und Fußverkehr gleichermaßen erlaubt sind), war bis vor wenigen Jahren noch eine vielbefahrene Straße, die heute in einem Tunnel verläuft. Ein echter Gewinn an Lebensqualität.

Wir fahren nochmal für ein paar Stunden zurück ins Hotel, um alles für die morgige Weiterfahrt vorzubereiten und noch am Blog zu schreiben. Dann geht es am späten Nachmittag ein letztes Mal ins Zentrum. Wir essen in einem Restaurant am Boulevard del Rio am Cali-Ufer zu Abend und schauen uns dann das Treiben auf dem Boulevard an. Es wird weniger getanzt als wir erwartet hatten, aber diese Stimmung ist schon etwas ganz Besonderes.

Samstag 7.9.24 – (089) – Cali – El Hogar

1.483 Meter bergauf!

Gesamt: 5.528,65 km

Bei noch relativ frischem Wetter (der starke Wind von gestern hat die Luft gut abgekühlt) radeln wir um sechs Uhr los. Obwohl wir das Hotel extra im Süden der Stadt gebucht haben, sind es noch elf weitere Kilometer bis zur Stadtgrenze, und anschließend folgt sofort Jamundí. Die 25 ist für einen Samstagmorgen um kurz nach sechs sehr, sehr voll – wo wollen die alle hin? – und als dann die letzte Siedlung vorbei ist, wird es schlagartig leerer.

An einer Terpel-Tankstelle mit Mini-Altoque frühstücken wir besser als erwartet. Die junge Bedienung reist sehr gern nach Ecuador, und am liebsten an die Küste. Drei Herren, die sich das Tandem anschauen, warnen uns ein bisschen vor der heute beginnenden Gegend, dem Departamento Cauca, da sich dort noch Drogenkartelle Kämpfe liefern. Wir müssen aber dort durch, um nach Ecuador zu kommen. Ist diese Gegend jetzt weniger gefährlich als z.B. die Küste in Ecuador? Wir wissen es (noch) nicht!

Weiter geht es bis Santander de Quilichao, das wir als erste Übernachtungsmöglichkeit geplant haben, wo wir aber schon vor neun Uhr ankommen und nur in einer Panaderia Panamericana Pause machen. Es läuft heute so gut, da wollen wir noch ein bisschen weiterkommen. So geht es frisch in die erste Steigung, direkt hinter dem Ort beginnen die kräftigeren Anstiege in Richtung Popayan, Pasto und Ecuador.

Richtig genießen kann man die Natur hier nicht, es ist zu viel Blech auf der Straße, und es staubt und stinkt zeitweise auch ziemlich stark. Mondomo haben wir als nächste Übernachtungsmöglichkeit eingeplant, es ist allerdings auch hier noch nicht einmal 12 Uhr mittags, als wir ankommen und der Ort bietet nichts, was uns dort den ganzen Nachmittag halten würde. Wir bestellen uns also nur ein „Almuerzo“ (Mittagessen) aus Hähnchen mit Reis, das wir uns brüderlich teilen – Viktor das Hähnhcen, Jutta den Reis – und fahren also nochmal weiter, auch wenn es sehr viel bergauf geht. 12 Kilometer weiter, in Pescado, gibt es das nächste Hotel. Das können wir noch schaffen.

Im Ort Pescado geniessen wir erst einmal zwei Banana-Split an einem Stand. Dieses Mal nicht als Motivation, sondern als Belohnung für die überwundene Steigung. Dafür sagen wir vielen Dank an Britta und Stefan für die Spende!

Danke an Britta und Stefan! Mit richtig viel Obst diesmal!

Wir fahren noch die 200 Meter, die es laut Google bis zum Hotel sind. Dort sagt man uns aber, es läge noch eine Abfahrt weiter, der PIN bei Google ist mal wieder nicht richtig gesetzt. Dort angekommen, stehen am Tor zwei Handynummern – man soll per WhatsApp reservieren. Eh eine Antwort kommt, sind wir schon die Auffahrt hoch. Dort ist außer einem Pferd leider niemand, aber wir sehen draußen Wäsche hängen. Dummerweise schickt der Betreiber dann eine negative Antwort, sie haben kein Zimmer frei! Inzwischen ist es fast 15 Uhr, und wir haben eigentlich genug, sind fast so weit, dort auf dem Grundstück zu zelten. Aber der Betreiber schreibt auch, dass es acht Kilometer weiter ein Hotel an einer Petromil-Tankstelle gibt. Google sagt zwar zwölf Kilometer, aber irgendwo dort müsste es dann ja hoffentlich liegen.

Wir ringen uns durch, auch diese Strecke noch zu bewältigen (war es also am Ende doch ein Motivationseis!). Alle Höhenmeter, die wir heute schaffen, brauchen wir morgen nicht mehr zu fahren! Und es sind nicht nur die Steigungen – hier wird heute an der ganzen Panamericana-Strecke immer wieder gearbeitet, mit Baustellen-Stoppschildern und einspuriger Verkehrsführung, so dass wir alle paar Kilometer wieder stehenbleiben müssen, bis unsere Richtung freigegeben wird und wir durch die Baustelle fahren können. Natürlich haben wir auch noch ständig im Kopf, dass wir unbedingt im Hellen ankommen müssen, wegen der angespannten Sicherheitslage im Departamento Cauca. Und dunkel wird es hier in Äquatornähe nun mal bereits bereits um kurz nach sechs Uhr. Wenn das nächste Hotel kein Zimmer frei hat, haben wir ein kleines Problem, wir hoffen aber, dass man uns dann vielleicht hinter dem Hotel zelten lässt.

Verschiedene befragte LKW-Fahrer geben immer wieder andere Antworten, wie weit es noch ist – Viktor ist schon ganz empört, dass sie anscheinend ahnungslos sind und vor lauter Hilfsbereitschaft einfach irgendeine zufällige Kilometerzahl als Antwort geben – aber irgendwann erscheint hinter einer Kurve die ersehnte Petromil-Tankstelle. Um viertel vor fünf, nach fast elf Stunden, 86 Kilometern und 1.483 Höhenmetern bergauf (der nächste Rekord nach nur einer Woche) checken wir für weniger als 10€ im Hotel ein. Nach einer (warmen!!) Dusche (wenn auch wieder mal ohne Duschkopf) gibt es hier dann auch noch ein ganz gutes Abendessen, anschließend beenden wir den Tag im heißen, hellhörigen Zimmer ohne Klimaanlage. Die Betreiberin hätte uns übrigens nicht hier zelten lassen, wenn sie kein Zimmer mehr frei gehabt hätten. Aber das Ehepaar, das das Restaurant betreibt, hat ein Haus in der Nähe und hätte uns das Zelten dort erlaubt.

Sonntag 8.9.24 – (090) – El Hogar – Popayán

702,9 Meter bergauf

Gesamt: 5.569,29 km

Die Restaurant-Betreiberin Yulieth hat gestern abend gesagt, sie würde gerne einmal auf dem Tandem fahren, und so dreht Viktor heute früh zwei Runden mit ihr als Stokerin (Teleskopstange bis zur eins ‚reingeschoben) auf dem Tankstellenplatz:

Leider mussten wir den Ton herausschneiden, da im Hintergrund an der Tankstelle laut das Radio lief und dadurch ein Musikfetzen mit aufgezeichnet wurde. Die Anwälte der Abmahnindustrie, für Viktor die schwärzesten aller schwarzen Schafe unter den Rechtsanwälten, mag das nun mal gar nicht. Youtube zeigt deshalb leider eine Fehlermeldung an und Ihr könnt das fröhliche Lachen von Yulieth jetzt nicht hören:

Gesperrtes Video mit Ton (auf Handys scheinbar sichtbar, deshalb noch einmal als Screenshot)

Als Gegenleistung bekommen wir von Ruben und ihr einen kostenlosen Kaffee mit Milch (und Zucker) aus dem Kaffeeanbau ihrer Familie in den Bergen. Ihr Vater ist zudem auch noch Imker – wie Viktor :-). Um halb sieben verlassen wir die Petromil-Tankstelle und begeben uns auf die Fahrt über die sieben Berge (zu den sieben Zwergen – nein – nach Popayán).

Höhenprofil des heutigen Tages

In einer der ersten Steigungen überholt uns ein Auto, das Seitenfenster auf der Beifahrerseite ist geöffnet und knapp vor uns fliegt eine Glasflasche haarscharf an Juttas Gesicht vorbei auf die Straße und zerschellt in tausend Scherben. Unfassbar! Auf den nächsten Kilometern sehen wir immer wieder Smirnoff-Wodka-Glasflaschen im Graben liegen, teils zerschellt, teils noch heile. Wir vermuten, dass hier jemand jeden Morgen auf die gleiche Art seine Altglas entsorgt.

Auf den ersten Abfahrten ist es noch recht kühl, das ändert sich aber schnell. Heute, am Sonntag, sind auch hier viele andere Radfahrende unterwegs. In den Abfahrten überholen wir sie, in den Steigungen fahren sie uns davon.

Auch die Baustelle geht heute noch weiter. Zwischen Santander de Quilichao und Popayán wird anscheinend eine neue Straße mit wesentlich weniger steilen Steigungen gebaut, es entstehen viele neue Brücken. Spart dann irgendwann Zeit und Treibstoffe, denn die vielen mehrachsigen LKW hier haben mindestens so zu kämpfen wie wir und blasen uns ihre schwarzen Diesel-Abgaswolken ins Gesicht. Leider ragen nur wenige LKW-Auspuffrohre vertikal in die Luft, was für uns auf dem Fahrrad deutlich angenehmer ist.

Die sieben Berge sind heute alle auf relativ hohem Niveau, und so haben wir viele schöne Aussichten. In Piendamo, wo ursprünglich die heutige Übernachtung geplant war, wollen wir frühstücken, und fahren in den Ort hinein. Dort sind alle Läden geschlossen, und die ganze Hauptstraße liegt recht verschlafen da, bis wir am Busterminal ankommen. Dort tobt das Leben, es wird laut gerufen, und die Panaderia dort hat glücklicherweise geöffnet. Wir kaufen heute mal ein kleines Brot und beschmieren es mit unserer seit Wochen nicht benutzen Marmelade bzw. Haselnusscreme. Dabei hören wir von draußen ständig unseren heutigen Zielort, den ein Buseinweiser weist den Fahrgästen den Weg zum richtigen Bus nach Popayán;

Wohin geht es heute?

Weiter geht es, immer schön rauf und runter. Das Schalten in der Talsohle am Ende einer Abfahrt ist manches Mal – trotz Rohloff-Schaltung, mit der man mehrere Gänge überspringen kann – gar nicht so einfach, da es so schnell wieder heftig steil wird. Eine weitere Pause machen wir relativ kurz vor Popayán. Dort pausieren auch gerade mehrere Wohnmobilreisende, mit denen wir uns angeregt austauschen. Auf beiden Wohnmobilen prangt jetzt unser Aufkleber.

Bei der Einfahrt in die Stadt werden Jutta von einem überholenden Rennradfahrer Ritz-Cracker und eine Banane als Geschenk zur Stärkung gereicht, kurz darauf bleiben er und ein anderer stehen, um uns auszufragen und Bilder zu machen.

In Popayán halten wir erst vor dem falschen Hotel, sind 130 Meter zu weit gefahren. Eine knappe Stunde später (aber immer noch vor 12 Uhr) sind wir am richtigen Hotel. In der ganzen Innenstadt ist heute der letzte Tag eines Gastronomie-Festivals, und sehr viele der Einbahnstraßen sind gesperrt. Das Handy hat kein Netz, findet nicht einmal den aktuellen Standort, und so kreisen wir schiebend durch die Straßen, bis wir endlich am richtigen Hotel sind, an dem wir schon bei der Einfahrt in die Altstadt vorbeigekommen waren, ohne es jedoch zu bemerken. Sehr zentral und schön, und wir wollen heute unsere Knochen und Muskeln ausruhen und die Weiterfahrt durch die Anden planen.

Nachmittags merken wir, dass die Planung nicht sehr leicht von der Hand geht, da die Berge bis zur Grenze nach Ecuador jetzt so steil werden, dass wir, wenn wir bei unseren max. 1000 Höhenmetern täglich bleiben wollen, alle 20 bis 30 Kilometer übernachten müssen. Deshalb beschließen wir, auch hier noch eine Nacht dranzuhängen, um morgen weiter suchen zu können und alternativ auch am Busbahnhof fragen zu können, wir eine Busalternative aussähe.

Zum Abendessen sucht Viktor eine Pizzaria mit Sauerteigpizza aus, die gleich hier sein soll. Am Frontdesk der Herr erklärt uns den Weg, der uns irgendwie zu weit vorkommt, aber wir essen dort sehr leckere Pasta (mit Salat vorneweg) und die Menschen dort sind wirklich nett und hilfsbereit. Als wir später im Hotel noch zwei Wasserflaschen kaufen, ist auf diesen das Etikett der gesuchten Sauerteig-Pizzeria – es handelt sich um das Hotelrestaurant! Da ist der Mitarbeiter wohl nicht richtig geschult …

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  1. Luis

    Muy buen día felicitaciones por tremenda travesía que conozcan mucho de América Latina muy bienvenidos son una inspiración para nosotros la nueva generaciones un fuerte abrazo.

    • Muchas Gracias. Encantados de estar en Colombia y disfrutando de su hermoso paisaje y de la hospitalidad increíble de su populación. Muchos encuentros muy amables por las carreteras y en las poblaciones.

      Gracias Colombia! Gracias Latinoamerica!

  2. Consol Rosell

    Muchas Fuerza ha disfrutar del viaje y sus aventuras !!!!!!! Os seguimos

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