Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 20 (12.8.24 – 18.8.24) – Lorica – Medellín

Montag 12.8.24 – (079) – Lorica – Montería

Gesamt: 4.873,10 km

Da es keine Kühlmöglichkeit für Getränke im Zimmer gibt, wir heute keine lange Strecke vor uns haben und der Supermarkt ab sieben Uhr morgens geöffnet ist, checken wir so aus, dass wir im „Olimpica“ etwas frühstücken und kalte Getränke kaufen können. Dadurch ist es beim Losfahren schon wieder recht warm und voll auf der Straße.

Schon hinter der Brücke, die aus Lorica herausführt, beruhigt sich der Verkehr (anscheinend fahren die Mopeds alle nur innerorts), die „21“, auf der wir heute fahren, ist super ausgebaut und fast leer, daher sehr angenehm leise zu befahren. Wir fahren wieder durch grüne Feuchtgebiete, in denen Rinder gehalten werden. Heute sind auch relativ viele Kälber dabei. Es ist die für die Region typische Rasse mit dem Hautlappen unter dem Hals (Zebu?). Bei den männlichen Tieren ist außerdem der Buckel besonders stark ausgebildet.

Irgendwann ist uns dann auch nach einem Kaffee, morgens im Supermarkt gab es keine Heißgetränke, die Maschine ist defekt. An einer Tankstelle mit Markt halten wir deshalb an. Leider ist auch hier der angeschlossene Laden geschlossen, wie schon oft gesehen. Aber nebenan gibt es ein Restaurant, dessen Betreiberin schnell bei der Tienda nebenan Milch besorgt, damit sie uns dann zwei Tassen Kaffee mit Milch bringen kann. Diese entpuppen sich als heißes Zuckerwasser mit Milch und ein bisschen Farbe 🙂 , aber etwas Warmes braucht der Mensch… . Zum Bezahlen suchen wir die Dame, und schließlich geht die Tienda-Betreiberin sie suchen. Irgendwie hat sie kein Interesse, uns abzukassieren. Wir werden das Geld aber noch an die Tochter (?) los.

An einer Straßenmeisterei will Jutta die Toilette nutzen. Viktor fragt derweil nach einem Wasserschlauch, um das Tandem abzuspritzen, bevor etwas von dem gestrigen Dreck in den Freilauf geraten kann und er wieder anfängt zu knacken. Ein Polizist schickt uns neben das Gebäude und besorgt von irgendwo einen Gartenschlauch, sogar mit Druckdüse. So kann der gröbste Dreck abgewaschen werden.

Im Laufe der Fahrt – heute ist es besonders flach ohne nennenswerte Steigungen – wird die Gegend langsam etwas trockener und es kommen rechts und links immer häufiger Maisfelder dazu.

Bis wir dann den Großraum Montería erreichen und es städtisch wird. Der Verkehr nimmt wieder deutlich zu und wir fahren auf einer langen zweispurigen, von Bäumen gesäumten und daher angenehm schattigen Straße (wenn man das bei über 30 °C so sagen kann) in die recht große Stadt hinein.

Kurz vor dem heutigen Ziel steht eine riesige Shopping-Mall, und wir beschließen, dort ein Eis zu essen. Als wir uns zwischen parkende Motorräder stellen wollen, kommt schnell eine junge Frau und warnt uns, dass das zu gefährlich sei – wir sollten lieber in den Keller, da wäre Security. Dafür müssten wir nur das Tandem ein paar Stufen rauf in die Mall tragen und von dort runter. Das ist für uns nicht machbar. Jutta sucht rechts herum nach einer Einfahrt direkt in den Keller, findet aber nichts. Ist nämlich links herum, wie uns dann ein Security-Mann zeigt. Also parken wir sicher am Fahrradabstellplatz der Mall:

Die Vorteile, wenn man mit dem Fahrrad kommt

Wir machen also noch unsere Eispause, fahren aus der Tiefgarage heraus und können dann zu Fuß über einen Fußweg zum Hotel laufen, so nah liegt dieses an der Mall.

Unser Sites Hotel ist recht luxuriös und befindet sich ebenfalls in einer Shopping-Mall. Es besitzt einen Rooftop-Pool mit Bar. Unser Tandem wird in einen getrennten Bereich in der Tiefgarage der Mall geparkt, wo auch größere Radgruppen immer ihre Fahrräder abstellen dürfen. Größere Radgruppen? Davon haben wir nun schon länger nichts mehr gehört oder gesehen. Kolumbien soll ja DAS Radfahrland in Lateinamerika sein.

Zum Abendessen haben wir uns ein Libanesisches Restaurant in der gleichen Mall wie das Hotel ausgesucht. Leider existiert es nicht mehr.

Stattdessen finden wir aber, ebenfalls ganz nahgelegen, das „La Fresca Cocina Natural“ und werden dort ganz glücklich satt.

Dienstag 13.8.24 – (080) – Montería – Planeta Rica

Gesamt: 4.929,21 km

Das Hotelzimmer ist partout nicht warm zu bekommen – unsere Temperaturwahl der Klimaanlage wandert auf 25°C und sogar 30°C, aber sie läuft volle Pulle weiter und kühlt, kühl, kühlt. Macht man sie ganz aus, steigt die Temperatur schnell auf knappe 30 Grad. Also bleibt sie eingeschaltet und kühlt den Raum fleißig runter. Egal, wir haben in diesem Luxushotel wieder eine richtige Bettdecke und nicht nur ein dünnes Laken zum Zudecken. Mit der Decke kann Jutta das erste Mal seit langem wieder richtig gut und tief schlafen. Bei den sonst tropischen Temperaturen klappt das nicht so. Sie ist eben ein echter Kaltschläfer, 16 °C ist die ideale nächtliche Zimmertemperatur … auch in den Tropen. Viktor schläft halt mit kaltem Kopf. Er erwägt noch kurz, die Merino-Mütze aufzuziehen, aber die befindet sich in einer Radtasche am Tandem in Keller.

Nachts gewittert es wieder einmal, und morgens beim Aufstehen um 5 Uhr regnet es weiterhin. Der Regenradar sagt kein Ende voraus, die Straßen um unser Hotel stehen unter Wasser. (Das scheint hier überall absolut normal zu sein, hier gibt es halt nicht alle paar Meter einen Gulli, sondern eher längere Gullis in großen Abständen, und dann fließt das Regenwasser halt lange auf der Straße, und sie trocknet erst, wenn es nicht mehr regnet …) Wir beeilen uns also nicht. Viktor telefoniert noch einmal mit DHL, um an Informationen zu dem Kolumbien-Paket zu kommen, dass seit dem 27.7. am Flughafen in Medellin hängt, wir packen schon mal das Tandem, und dann frühstücken wir relativ gemütlich. Es gibt sogar schwarzen Tee – Viktor erwischt dummerweise Kamillenbeutel, die sich in der gereichten Holzkiste dazwischengeschummelt haben. Na ja, mit einem weiteren Teebeutel Schwarztee wird daraus ein hervorragender Schwarztee-Kamille-Cuvée.

Da unsere Taschen und die Deutschland-Fahne bei der letzten Regenfahrt sehr viel Dreck abbekommen haben, befestigen wir vor der Abfahrt den abgefallenen Spritzschutz am hinteren Schutzblech wieder. Das geht allerdings nur noch mit schwarzem Panzertape, das wir natürlich mitführen. Neben Kabelbindern ist Panzertape eigentlich das wichtigste Werkzeug und Ersatzteil, das man auf so einer Tour mitführt.

Wer kennt ihn noch nicht, den Ablaufplan für Ingenieure?

Als wir gegen acht Uhr losfahren, kommt von oben kein Regen mehr, es sind nur noch die Straßenränder überschwemmt. Der Radweg, den es hier tatsächlich gibt (und den Komoot auch kennt), können wir nicht nutzen. Er ist einfach zu kaputt und auch noch überschwemmt. Jede braune Pfütze könnte ein tiefes Schlagloch sein, in dem wir mit dem Tandem verschwinden oder nur eine flache Kuhle, die man einfach durchfahren kann. So bleibt uns nur die nasse Straße, auf der die Pfützen aber die gleichen Gefahren bergen. Mehrmals werden wir angehupt, weil wir solche „Bermuda-Dreieck-Pfützen“ in der Stadt umfahren. Überraschend schnell sind wir zum Glück an den Neubau- und Hochhaussiedlungen vorbei, dann kommen noch ein paar Holz-/Wellblechhütten, und nach einer halben Stunde liegt die Stadt hinter uns.

So platt es gestern war, so hügelig ist es heute. Sowohl hügeliges Weideland als auch teilweise felsige Hügel. An einer Stelle am Ende einer Steigung sind am Hügel alle paar Meter kleine Verkaufsstände aus dem blanken Fels gestemmt – alle verkaufen das gleiche – irgendwas in Bananenblätter eingewickeltes, vermutlich Tamales. Eine Frau stolpert gerade in Gummischuhen mit einer Kiste Nachschub einen steilen Trampelpfad herunter – das sieht gefährlich aus.

Verkaufsstände aus dem Fels gestemmt am Straßenrand

Es ist relativ wenig Verkehr, von den Motorrädern einmal abgesehen. Wir überholen einen Radfahrer, der das nicht auf sich sitzen lässt und sofort wieder an uns vorbeifährt. Er tritt ziemlich schnell in die Pedale – seine Schaltung scheint defekt zu sein. Mit ihm fahren wir eine ganze Zeit über, bis er über den grünen Mittelstreifen nach links abbiegt.

Einen von einem Motorrad begleiteten Langstreckenläufer, den wir überholt haben, treffen wir bei einer Toilettenpause an einer Tankstelle wieder und kommen ins Gespräch. Er erzählt uns von einer ganz neuen Straße zwischen Caucasia und Medellin, die nicht über diese ganz hohen und nebligen Berge führt. Da müssen wir einmal nachforschen, ob wir eventuell doch keinen Bus nehmen „müssen“. Als Jutta dieses nachmittags prüft, sehen wir dennoch über 5000 Höhenmeter, und dummerweise nicht genügend Orte an der Strecke, in denen man übernachten könnte. So wie es spontan aussieht, ist das leider auch keine realistische Alternative für uns.

An einer Tankstelle fragt Viktor nach Kaffee mit Milch. Sie haben nur schwarzen („tinto“) Kaffee. Er nimmt trotzdem einen. Wieder einmal ist er sehr, sehr süß, und er fragt die Angestellte danach. In größeren Filialen hätten sie zwei Thermoskannen, eine mit und eine ohne Zucker, aber hier haben sie nur eine, und alle wollen mit Zucker, also ist der Kaffee schon gesüßt. Punkt! Blöd nur, wenn man ihn ohne Zucker haben möchte …

Klein, schwarz und stark gesüßt.

Unser Ziel heute ist nicht nur die „reiche Küste“ / Costa Rica sondern der „reiche Planet“ / Planeta Rica. Eigentlich wäre richtiges Spanisch „Planeta Rico“ (eine der wenigen Ausnahmen von der Regel „alles was auf ‚a‘ endet ist weiblich“: el Planeta rico). Stört aber wahrscheinlich niemanden! Die Stadt mit 66.000 Einwohnern ist ein Zentrum der Viehhaltung, das „Reichhaltige“ ist wahrscheinlich eher die Umgebung, denn hier in den Straßen finden wir viele geschlossene Läden und z.B. ein großes, tiefes Loch auf dem – immerhin vorhandenen – Radweg.

Noch ein paar weitere Impressionen aus dem Ort:

Unser Hotel liegt direkt an einer der zwei Hauptstraßen, und wir erhalten wie immer eines der lauten Zimmer zur Straße. Dafür kann unser Tandem aber im Foyer stehenbleiben, neben den Motorrädern von Bediensteten und – vermutlich – Freunden, die teilweise mit laufendem Motor bis direkt vor die Rezeption rollen und den Motor dort noch ein paar Minuten laufen lassen. Unser Zimmer ist sehr geräumig, mit „Elvis“ an der Wand und einem Balkon.

Viktor kann sich dadurch nochmal direkt im Foyer vor der Rezeption an die Rohloff-Schaltung machen, denn es fehlt uns ja seit ein paar Tagen in den Anstiegen der leichteste Gang. Wie sich schnell herausstellt ist die obere Einstellschraube der Schaltbox, die am Anfang unserer Tour schon verbogen wurde, nun endgültig gebrochen. Das sieht nicht gut aus. Wir versuchen, die Situation etwas zu verbessern, indem wir das abgebrochene Stück wieder etwas zurückschrauben und es mit Panzertape (jaaaaa das Allzweck-Mittel!) sichern, aber wir brauchen wirklich dringend die Ersatzteile aus unserem Kolumbien-Paket.

Obere Einstellschraube mit Panzertape

Nachmittags suchen wir verschiedene Orte auf, an denen es Heladerias (Eisdielen) geben soll, aber entweder ist inzwischen ein anderer Laden dort eingezogen oder sie hat geschlossen. Immerhin finden wir die geöffnete Casa Rosa, wo es Kaffee gibt und für Viktor Kokostorte (und für Jutta ein Erdbeerdessert). Bei diesem Rundgang stellen wir fest, dass die Stadt doch ganz schön ist – also „vergleichsweise“ schön. Wenn man die Hauptstraße nicht verlässt, bekommt man ja kein echtes Bild. Unter anderem fliegen hier wahnsinnig viele grüne Sittiche, sitzen auf Bäumen und Stromleitungen und machen ordentlich Krach:

Abends gehen wir erst bei Olimpica Getränke kaufen und danach Abendessen mit viiiiel Fleisch, „Patacones Mixto“ – ein Berg Fleisch auf frittierter Bananenunterlage, den selbst Viktor nicht ganz schafft. Juttas Veggie-Sandwich hat sogar den Restaurant-Namen eingebrannt.

Mittwoch 14.8.24 – (081) – Planeta Rica – Caucasia

nur 90m vor dem Hotel

Heute ist Juttas Geburtstag, das Paket nach Deutschland soll endlich ausgeliefert werden und wir wollen heute die 5.000 Kilometer schaffen. Für Letzteres müssen wir nur einen kleinen Umweg von ein bis zwei Kilometern fahren, sonst reicht die Strecke nur knapp.

Nach dem frühen Aufwachen riecht es im Hotelzimmer ziemlich stark nach Benzin. Unangenehm und ungesund! Den Grund erfahren wir, als wir gegen sechs an der Rezeption sind: eines der sechs im Foyer geparkten Motorräder hat einen undichten Tank. Toll, dass man das im ganzen Hotel riechen muss! Um Punkt sechs sitzen wir auf dem Rad – die erste Punktlandung 🙂 .

Es ist bedeckt, aber trocken, ein bisschen windig und angenehm kühl. Wir fahren weiterhin durch sehr viel Grün am Straßenrand, teilweise Teak-Alleen, teilweise Rinderweiden, auch kurz Eucalyptus. Wenn man sich die Bäume nicht so genau anguckt, fühlt es sich fast wie in Norddeutschland an. Na ja, ein wenig hügeliger ist es hier auch. Als nach erst 45 Minuten eine Straßenmeisterei mit 24 Stunden geöffnetem Restaurant kommt, halten wir spontan zum Frühstücken.

Ein bei der Straßenmeisterei arbeitender Motorradfahrer kommt langsam von hinten an uns ran und fährt etliche Kilometer mit uns mit, muss zwischendurch alle ca. 3 km die Notrufsäulen testen. Er wird bezahlt aus den Mautgebühren. Nicht nur fragt er uns aus, sondern er gibt uns auch noch Ratschläge. Von ihm erfahren wir, dass es den per Schildern angekündigten Kaiman-Park nicht mehr gibt, weil der einem Drogenboss gehörte. Als er doch irgendwann weiter vorfährt, hält er kurz darauf noch einmal an und fragt, ob er ein Foto machen kann. Wir machen Selfies. Irgendwann viel später ist er auf dem Rückweg, und wir winken uns als alte Bekannte zu.

An der Brücke, die uns von ihm zum Fotomachen empfohlen wurde, machen wir eine Trinkpause. Zwei Lastwagenfahrer halten zum Essen, und wir kommen ins Gespräch, auch über die neue Autobahn nach Medellin. Sie empfehlen die alte Strecke wegen vorhandener Infrastruktur, Orten, Tankstellen, Hotels, Geschäften. Die neue Autobahn hat in dieser Hinsicht noch gar nichts im Angebot. Als sie uns später überholen, hupen sie kurz und der Beifahrer filmt uns mit dem Handy aus dem Seitenfenster und winkt nochmal, ebenfalls, als wären wir alte Bekannte.

Kurz vor Caucasia drehen wir in einem Kreisverkehr ein paar Ehrenrunden, fahren dann über eine Umgehungsstraße und dann noch ein paar hundert Meter in Richtung Zaragoza, bevor wir passend umdrehen und das nagelneue „Hotel Botanica“ (ein Monat in Betrieb) um 12:00 Uhr tatsächlich bei exakt 5.000 km erreichen. Das Tandem kann in die Tiefgarage und wir fühlen uns wie die ersten Bewohner des Zimmers 410.

Der von Viktor vorbestellte Fanfaren-Chor mit dem Geburtstagsständchen wartet wie geplant um 15:00 Uhr am Café Mokka eine Querstraße neben unserem Hotel. Ha, ha, doch nicht, wie angekündigt ein Fanfarenchor! Er hat gestern abend eine personalisierte Torte für zwei Personen bestellt, in einer Pastelleria. Diese sollte zu 15 Uhr in eben dieses Café geliefert werden, und so machen wir dort einen „Geburtstags-Kaffeeklatsch“. Mit vollem Magen nehmen wir aber die zweite Hälfte der Zwei-Mann-Torte immer noch wieder mit zurück.

Wir gehen zum ortsansässigen Busbahnhof – ist nur die Hauptstraße entlang, an der man nicht besonders gut als Fußgänger laufen kann, die Nebenstraßen sind da eigentlich besser – und erkundigen uns nach Möglichkeiten, morgen mit unserem Rad nach Medellin mitgenommen zu werden. Die Chancen stehen ganz gut, es wird aber spontan vom jeweiligen Busfahrer entschieden. Wir können gleich morgens kommen und darauf warten, dass wir im Laufe des Tages Platz finden. Wir beschließen, es zu probieren, und wenn wir bis mittags erfolglos gewartet haben, würden wir hier noch eine weitere Nacht bleiben. Abends im Dunkeln wollen wir nicht in Medellin ankommen – ist immerhin auf der Liste der zehn gefährlichsten Städte der Welt.

Donnerstag 15.8.24 – (081b) – Caucasia – Medellín (Bus)

Mauricio, der die „extra Meile“ mit uns lief, um uns sicher auf einen Radweg in Richtung Stadtzentrum zu eskortieren.

Gesamt: 5006,22 km

Nachdem wir im ebenfalls neuen, zwar noch in der Früh geschlossenen aber zugänglichen kleinen Café am Hotel die restliche Torte gefrühstückt haben, kommt die Bedienung, und wir bekommen auch einen Kaffee. Anschließend packen wir das Tandem und machen uns auf den Weg zum Busterminal. Dort entpacken wir wieder alles und verkleinern wieder einmal das Tandem – inzwischen haben wir richtig Übung darin, und dann wollen wir warten, bis ein ausreichend großer Bus nach Medellín kommt, dessen Fahrer uns auch mitnimmt.

Gestern hatten wir bei zwei Unternehmen angefragt. Ziemlich schnell sieht Jutta durch ein Tor einen großen Bus mit dem richtigen Ziel, allerdings von einer anderen Gesellschaft. Viktor fragt schnell erst eine recht unfreundliche Frau am Schalter, ob dieser Bus auch Fahrräder mitnehmen kann, dann den Busfahrer und schließlich den „Gepäckzuständigen“. Sie sind einverstanden. Sofort wird das Tandem aufrecht quer eingeladen und alle Taschen darum herum. Erst danach geht Viktor – wieder bei der Dame am Schalter – die Tickets für uns kaufen. Der Ticketkauf gestaltet sich schwierig, denn das Computersystem verlangt die Nummer von Personalausweis oder Pass.Die murrige Dame tippt und tippt, aber das System akzeptiert nur Zahlen und keine Buchstaben. Unsere Deutschen Pässe und Ausweise haben aber nun mal auch Buchstaben. Am Ende nehmen wir unsere Mobiltelefonnummern. Blöd nur, dass das nächste Eingabefeld unsere Telefonnummer verlangt. Zum Glück ist das System aber nicht so „schlau“, dass es die doppelt eingegebene Telefonnumer bemerkt.

Ohne etwas für`s Rad zu zahlen, sollen wir dann einsteigen. Um zwanzig nach neun rollt der Bus los. Und wir hatten Sorge, dass wir womöglich Stunden am Terminal stehen müssten! Der Gepäckmensch kommt irgendwann herum, kontrolliert die Tickets und kassiert doch noch die Gebühr für das Rad, die mit 60.000 COP (ca. 15 €) etwas günstiger ist als unsere Tickets mit 70.000 COP pro Kopf.

So sitzen wir stundenlang im klimatisierten, geräumigen Bus und schauen uns die schöne Natur durch die Fenster an. Außerdem registrieren wir die hier wirklich deutlich schlechteren Straßen (der Bus fährt gekonnt um sehr viele Schlaglöcher oder Huckel herum), den fehlenden Seitenstreifen und die wirklich vielen LKW und Busse. Wenn wir hier geradelt wären (und häufig geschoben hätten), wäre das ziemlich gefährlich geworden. Nur vom gefährlich dichten Nebel sehen wir nichts, nur ein paar leichte Schleier.

An einer besonders steilen Stelle kommt ein Auto nicht weiter – es fährt immer wieder an und rollt zurück. Der Bus fährt daran vorbei … haben solche Busse eigentlich Allradantrieb? Für uns wäre das wahrscheinlich eine Strecke, auf der wir das Tandem und das Gepäck getrennt transportieren müssten, weil wir das vollbepackte Tandem selbst zu zweit nicht mehr geschoben bekommen. Gut, dass wir im Bus sitzen!

Um zwanzig vor fünf hält der Bus in Medellín, wir machen das Tandem wieder fahrtüchtig und versuchen uns zu orientieren, wie wir auf die passende Straße zum Hotel California kommen. Der Busbahnhof hat mehrere Etagen, und wir sind ganz oben, die Straße ist aber ganz unten. Ein Security-Mann erklärt uns einen möglichen Weg bis zu einer Stelle, an der wir dann mit gesundem Menschenverstand weiterkommen sollen. Wir schieben durch Menschenmengen, über Brücken, um enge Kurven und stehen dann an der Metrostation oben, wollen aber nach unten. Da spricht uns ein Passant (Mauricio, siehe das Tagesbild-Selfie) an, meint, die Straße, auf der wir fahren wollen, sei zu gefährlich. Komoot nennt sie sogar „Ciclovia“ (Radweg), aber wir erfahren, dass das nur für die Wochenenden gilt, nicht aber an Wochentagen. Eine andere Straße hat aber einen Radweg, und wir werden von Mauricio ein ganzes Stück bis dorthin begleitet. An einer größeren Straße bittet er dann eine Moped-Fahrerin, uns bis zur richtigen Stelle zu führen und verabschiedet sich von uns nachdem wir schnell ein Selfie gechossen haben. Die Moped-Fahrerin macht das tatsächlich und wartet dabei immer wieder an Ampeln und Kreuzungen auf uns! Unfassbar wie besorgt und hilfsbereit hier die Menschen sind, wenn sie orientierungslose Ausländer auf einem Fahrrad sehen. So fahren wir zumindest das erste Stück in Medellin auf einem Radweg!

Als wir später irgendwo abbiegen müssen, werden wir sofort wieder angesprochen, jetzt von einer Radfahrerin. Als sie unser Ziel erfährt, hört sie nicht auf zu betonen, wie gefährlich es dort sei, sehr „caliente“ (heiß = heißes Pflaster?), und das die Strecke dorthin ebenfalls gefährlich sei. Mehrfach fallen die Worte „Drogen“ und „Marihuana“. Auch sie fährt jetzt ein ganzes Stück vor uns her und erklärt am Ende, wie genau wir am besten fahren sollen. Dummerweise dämmert es tatsächlich schon, und im Dunkeln wollen wir eigentlich nicht mehr unterwegs sein. Schließlich ist das hier angeblich eine der zehn gefährlichsten Städte der Welt (gell Nena? 😉 ).

Dunkel wird es aber gerade, als wir endlich vor dem Hotel stehen, in dem wir im April schon aus Santa Barbara ein Zimmer für den 20. August gebucht haben, und an das wir damals ein Paket mit warmen Wintersachen geschickt hatten. Heute haben wir keine Reservierung (wir wussten morgens ja noch nicht sicher, ob es heute schon klappt, und das Reservieren aus dem Bus funktionierte mangels Internetverbindung nicht), aber wir bekommen spontan ein Appartment mit Küchenzeile, Essecke und Sofa zumindest für diese eine Nacht als Upgrade. Sie raten uns, das Tandem mit ins Zimmer im fünften Stock zu nehmen. Der Aufzug ist aber zu klein und über die Treppen wollen wir unser schweres Monstrum dann doch nicht bis in den fünften Stock schleppen. Wir lassen es also in der Tiefgarage.

Aufgrund der Dunkelheit draußen und dem „gefährlichen Viertel“ bestellen wir uns eine Pizza zum Teilen, die sogar bis ins Zimmer geliefert wird.

Nachtrag, dank Kommentar von Michael P.: Die überdachten Wege sind für Milchkühe gedacht und sollen den Milchertrag steigern: https://www.mergili.at/worldimages/picture.php?/16164

Freitag 16.8.24 – Medellín (Ruhetag 1)

Nach einer etwas gewöhnungsbedürftigen Nacht gibt es mal wieder ein inkludiertes Hotelfrühstück, diesmal eher spartanisch mit Rührei, Quesadilla, Kaffee, Orangensaft und Wassermelone. Die Zimmer haben hier alle nur Fenster zum Flur und keine Verdunkelung, so dass das Flurlicht immer wieder das Zimmer erhellt ,wenn jemand auf dem Flur unterwegs ist. Es gibt mehrere Lichtschächte nach oben, und eine Etage über uns läuft sehr laute Musik an der Bar – aber diese hört glücklicherweise irgendwann auf. Die Betten sind für uns sehr ungewohnt bezogen, denn es gibt nur ein Bettlaken. Will man sich zudecken soll man eine unbezogene Wolldecke verwenden. Viktor fragt heute nach dem „richtigen“ Vorgehen, bekommt dann aber für die kommende Nacht eine „Sobre-Sabana“ („Obendrauf-Laken“) angeboten, die offenbar auch andere internationale Gäste häufiger wünschen.

Wir fragen an der Rezeption, ob wir das große Apartment verlassen sollen, was erst einmal verneint wird. Also gehen wir morgens gleich zu „Antony´s“ zum Haareschneiden, anschließend zum „Bike-Shop-Ideal“, wo wir fragen, ob sie dort unser Tandem in Arbeit nehmen können, wenn die Ersatzteile aus Deutschland eingetroffen sind. Das sei kein Problem, sagt der Besitzer. Und gerade heute vormittag finden wir im Tracker der Kolumbianischen Post die Nachricht, dass das Paket, heute, am 16.8., ausgeliefert werden soll. Über den Tag kommen immer wieder neue Zeilen hinzu, was uns auf eine baldige Auslieferung hoffen lässt. Der 16.8. wird es aber am Ende doch nicht.

Weil jetzt erst einmal Wochenende ist und Montag schon wieder ein Feiertag, verabreden wir uns für Dienstag – bis dahin sollte das Paket ja da sein. Montag ist hier „Maria Himmelfahrt“, obwohl schon der 19.8. ist. Es ist hier in Kolumbien so, dass die Feiertage gerne auf den folgenden Montag „verschoben werden“, im Jahr 2025 haben sie hier dafür am 18.8. frei. Schönes Prinzip, so gibt es viele lange Wochenenden.

Dass ausgerechnet heute das Paket ausgeliefert werden soll, kommt uns etwas komisch vor. Erst vorgestern hat eine Dame bei der Post am Telefon gesagt, es sei noch nicht einmal in Kolumbien, in der App zum Tracken erschien bis gestern auch nichts, und gestern hat Viktor schließlich den Zoll kontaktiert und ein wenig auf die Tränendrüse gedrückt. Von dort kam nur eine Bestätigungsmail, dass sie die Nachricht erhalten haben, und heute – einen Tag später – soll ganz zufällig ausgeliefert werden. Mal schauen, ob`s klappt!

Wir bummeln noch weiter durch die Innenstadt, auch auf der Suche nach einer Espressomaschine – alle sogenannten Caféterien haben nur Kaffee aus der Thermoskanne. Im Museum von Antioquia schließlich soll es ein „Kaffeelabor“ geben, mit allen erdenklichen Kaffeespezialitäten in heiß und kalt und auch einer Espressomaschine. Das wird uns auch von Gilberto bestätigt, der uns auf der Straße mit starkem amerikanischen Akzent anspricht. Er ist gebürtiger Medelliner, der aber in Michigan und Chicago aufgewachsen ist. Er wurde mit Anfang 20 von den U.S.A. nach Kolumbien ausgewiesen und ist erst vor 17 Jahren nach Medellín zurückgekehrt, auch aufgrund der vielen Vorurteile gegenüber der Stadt, der schwierigen Lebenssituation und der Sicherheitslage. Er lebt in Bello, einem Vorort von Medellín, und möchte uns gerne dort herumführen. Wir tauschen also Kontakte aus und verabreden uns für morgen Vormittag, auch wenn wir schon vermuten, dass er mit der „Tour“ in Bello ein wenig Geld verdienen möchte. Auf dem Weg zurück kaufen wir uns eine Metrokarte inklusive zehn Fahrten. Im Hotel sagt man uns, dass wir eventuell morgen in ein anderes Zimmer umziehen müssen bzw. können (das wäre weiter unten und nicht mehr so laut mit der Musik von der Dachterrasse).

Nach einer kurzen Pause machen wir uns wieder auf den Weg: wir wollen eine der Seilbahnen nutzen, denn Medellín befindet sich in einem Tal und ist an beiden Seiten die Hänge „hinaufgewachsen“. Die ärmeren Viertel weiter oben an den Hängen wurden aktiv per Seilbahn an den ÖPNV angebunden, um Teilhabe und Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Stadt ist stolz darauf, die Kriminalität, insbesondere die Kriege zwischen Drogenkartellen und Polizei & Militär, auch durch diese Infrastrukturmaßnahmen reduziert zu haben (allerdings auch durch extrem hartes Durchgreifen, das auch viele Menschenleben forderte). Metro und Seilbahnen sind der Stolz vieler Einwohner und befinden sich in erstaunlich gepflegtem Zustand. Sie werden vom überwiegenden Teil der Bevölkerung als echtes „Gemeinschaftseigentum“ verstanden, mit dem sorgsam umzugehen ist. Wer dazu noch etwas mehr nachlesen möchte, findet hier einiges Interessantes.

Um zu den Seilbahnen zu gelangen fahren wir mit einer „Straßenbahn auf Gummireifen“ zur Metro, und mit dieser dann zur Seilbahn-Station „Acevedo“. Dort stellen wir uns mit sehr vielen anderen Menschen in einer Schlange an, die stetig vorwärtsgeht. Es können immer acht sitzende Personen in eine Gondel, und dann kommen aus einer weiteren Schlange noch ein bis drei stehende Personen dazu. Die Fahrt nach Santo Domingo dauert ca. 10 Minuten und führt über zwei Zwischenstationen.

Dort wollen wir eigentlich noch mit der Linie L nach Arvi weiterfahren, aber diese Fahrt ist für Nichtortsansässige richtig teuer und wir lassen es bleiben. Später erfahren wir, dass dort ein Nationalpark ist, der Grund für den höheren Preis. Stattdessen gucken wir uns in Santo Domingo etwas um, gehen zum Aussichtspunkt mit einem tollen Ausblick über die Stadt und geraten in einen von der Polizei (Policia Nacional) organisierten Rap-Wettbewerb. Ein junger Mann und Teilnehmer spricht uns an und erklärt uns, wie der Wettbewerb abläuft. Er spricht sogar ein paar Brocken Deutsch, und wir wollen eigentlich warten, bis er an der Reihe ist. Als er sich aber nochmal zu Freunden auf den Platz setzt, gehen wir doch weiter. Wir haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, vorhin einen vielversprechenden Eisladen gesehen und nutzen lieber die Gelegenheit, das von Iris G. gesponsorte Eis in Form von Banana-Splits zu genießen. Vielen Dank, liebe Iris!

Als wir wieder in der Gondel nach unten sitzen, sehen wir gerade unseren „Freund“ von eben auf der Polizeibühne. Tja, so toll waren die Vorträge eh nicht, vor allem laut! Wir nehmen Euch mal mit zum Aussichtspunkt und an der Rap-Bühne vorbei:

Mit der Metro geht es dann unten im Tal zurück zum Parque Berrio und dann relativ zügig zu Fuß zum Hotel, da es schnell dunkel wird, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Auf einem etwas anderen Rückweg entdecken wir noch das ein oder andere, unter anderem eine Gasse mit Studentenkneipen vor der Universität der schönen Künste („Bellas Artes“), wo wir in den nächsten Tagen wohl noch einmal vorbeischauen können, und Viktor kauft sich in einer Panaderia doch noch eine Empanada und eine Torta, natürlich alles wieder mit viel Fleisch. Auf der Dachterrasse des Hotels werden diese gegessen, weil unser Zimmer gerade gereinigt wird als wir zurückkehren.

Samstag 17.8.24 – Medellín (Ruhetag 2)

Nach dem Frühstück fahren wir mit der Metro nach Bello, um dort von Gilberto durch „seine“ Stadt geführt zu werden. Fast fünf Stunden lang erzählt er uns sehr viel über sein ganzes 52-jähriges Leben.

Er wurde in Kolumbien geboren und ist als kleines Kind mit den Eltern in die U.S.A. ausgewandert, weil die Eltern sich in Kolumbien bedroht fühlten und um ihr Leben bangten. Während seine Eltern als Erwachsene eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis für die U.S.A. erhielten, und seine in den U.S.A. geborenen Geschwister automatisch amerikanische Staatsbürger wurden, hätte seine Aufenthaltserlaubnis nach sieben Jahren von den Eltern erneuert werden müssen. Weil sie das nicht wussten, wurde Gilberto mit Anfang 20, vermutlich bei seiner Volljährigkeit, zunächst für 13 Monate in Atlanta im 17. Stock eines Immigrations-Gebäudes kaserniert und schließlich nach Kolumbien ausgewiesen. Gilberto ist überzeugt, dass Gott ihn danach aus einer tiefen Depression und dem Alkoholismus gerettet hat. Auf fast jedem Bild, dass wir mit ihm machen, zeigt sein Finger nach oben. Zur Zeit versucht er, auf legalem Weg wieder in die U.S.A. zu kommen.

Von Gilberto erfahren wir, dass die Hilfbereitschaft, die wir bei unserer Ankunft in Medellín erfahren haben, ganz typisch für die „Paisa“ sein soll. So werden die Einwohner des Departamento Antioquia genannt. Sie werden als besonders warmherzig und hilfsbereit bezeichnet. Wir erfahren auch, dass wir aus Cartagena kommend durch die Region der „Costeños“ gefahren sind. Die Bewohner der Region um Bogota werden „Rollos“ genannt und gelten angeblich als eher direkt, unfreundlich und korrupt (da waren sie wieder, die Hauptstädter 😉 )

Gilberto hat jahrelang für Stromversorgungsunternehmen gearbeitet. Er erzählt uns von Stromklau in großem Umfang (Stromleitungen in den Straßen werden unter Umgehung der Stromzähler angezapft) und kann uns außerdem erklären, dass die zylindrischen Bauteile oben an den Masten nicht etwa Kondensatoren sind, wie wir in Panama angenommen hatten, sondern tatsächlich Transformatoren. Denn hier werden tatsächlich Hochvolt-Stromleitungen bis in die Nähe der Häuser verlegt und die Spannung dann erst auf 120 Volt heruntertransformiert. Soweit uns bekannt, wäre das in Europa aus Sicherheitsgründen undenkbar.

Keine Kondensatoren sondern Transformatoren

Gilberto weist uns auch noch auf eine „sin street“ (Sündenstraße) in Bello hin, wo sich des abends Homosexuelle, Transvestiten und andere, nach seiner Meinung „verlorene Seelen“ treffen. Wir ersparen beiden Seiten eine kontroverse Diskussion zu diesem Thema.

Gegen Ende der Tour zeigt er uns noch das „Juwel“ von Bello, eine ehemalige Textilfabrik, die zu einer Shopping Mall umgebaut wurde, in der es aber viel Platz für die Öffentlichkeit gibt, der auch sehr gut angenommen wurde. Auf dem Dach gibt es einen großen, am Rand begrünten Platz (Parque de las Estrellas), der abends von Familien genutzt wird und ganz oben sogar Fussball-„Käfige“, in denen gerade Jugendmannschaften ein Turnier spielen, als wir uns alles anschauen.

Für ein typisches Paisa-Mittagessen bringt uns Gilberto in das Restaurant „Casa Vieja“, das einem guten Freund gehört (Juan Carlos). Wir erhalten unser Mittagessen sehr preisgünstig, denn wir verspeisen zu dritt zwei große „Paisa-Teller“ (Jutta nimmt Reis und Bohnen des einen, die zwei Männer essen den Rest), zahlen aber nur einen und erhalten die Getränke gratis. Juan Carlos bietet uns an, uns morgen in sein Heimatdorf in die Berge zu fahren, wo es einen wunderschönen Wasserfall gibt. Wir lehnen dankend ab, denn wir müssen an unsere Fahrradreparatur denken und wollen selbst die Mäntel wechseln und die Schaltung reparieren. Wir tauschen aber Telefonnummern aus, falls wir es uns doch noch anders überlegen sollten. So eine gewisse Grundvorsicht wollen wir uns dann aber doch noch bewahren und nicht gleich in jedes Auto einsteigen, das uns mit großer Hilfsbereitschaft angeboten wird. Zum Abschied lässt Gilberto auf Nachfrage von Viktor („Wenn wir noch irgendwas für Dich tun können …“) dann doch die Katze aus dem Sack und bittet um eine kleines Zeichen der Anerkennung, was auch immer es uns wert sei. Also erhält er von uns schnell noch eine kleine Spende, bevor wir durch die Drehkreuze zur Metro eilen, denn wir sind verdammt spät dran.

Ab 14 Uhr sind wir für eine geführte Tour in die Kommune 13 angemeldet. Statt um zehn vor zwei kommen wir mit der Metro erst – untypisch Deutsch – um zehn nach zwei am Treffpunkt an. Alle anderen warten schon. Von den zehn Teilnehmenden sind acht Deutsche, die natürlich alle pünktlich waren. Von drei jungen Menschen wurde eine in Wilhelmshaven geboren – ihre Mutter war dort als Schauspielerin tätig – sie sind bald wieder weggezogen.

Die Comuna 13 hat eine lange und gewaltvolle Geschichte hinter sich. Regierung (Polizei und Militär), Guerillas, sogenannte „Mercenarios“ (Söldner) und Banden lieferten sich von 2001 bis 2003 brutale Kämpfe bis es zur berüchtigten „Operacion Orion“ kam, die viele Menschenleben kostete, aber die Situation auch „befriedete“. Die offizielle Opferzahl der Operation wurde von der Regierung mit 100 bis 200 angegeben, die Einwohner selbst sprechen von Tausenden bis heute Verschwundenen. In einem Steinbruch auf der anderen Seite des Tales werden heute noch menschliche Knochen gefunden, eine offizielle Aufklärung hat es nie gegeben (Artikel).

Heute hat sich die Comuna 13 schon fast in eine Art Vergnügungspark verwandelt und wird von Touristen regelrecht überschwemmt, speziell seitdem ein System langer Rolltreppen gebaut wurde, die uns den Hügel hinaufbringen. Die Rolltreppen sind aber auch für die Bevölkerung eine große Hilfe beim Transport aller möglichen Güter (selbst Waschmaschinen) zu ihren Häusern am Hang.

Auch wir sind heute Teil dieser Touristenschwemme und haben dabei gemischte Gefühle. Einerseits bringen Touristen Einnahmen in das Viertel und schaffen somit eine Alternative zu illegalen Geschäften und kriminellem Lebensunterhalt, andererseit bringt der Tourismus ganz neue Probleme mit sich. Es ist extrem laut wie auf einem Rummelplatz in Deutschland, aus allen Richtungen prasselt die unterschiedlichste Musik auf uns ein, es riecht nach Joints, Empanadas und Urin.

Rap und Breakdance sind ein wichtige Einnahmequelle für die jüngere Generation in der Comuna 13 geworden:

Zum Abendessen gehen wir in einen Rooftop-Burgerladen und bestellen zwei Veggie-Burger (Viktor hatte für heute tatsächlich genug Fleisch). Beim ersten Versuch kommen zwei fleischhaltige, die an einen anderen Tisch gehören. Nachdem Viktor schon eine Pommes genommen hat, bemerken wir es und geben Bescheid. Ein paar Minuten später erhalten wir dann auch die richtigen Burger.

Unser Paket mit den Ersatzteilen aus Deutschland ist auch heute nicht ausgeliefert worden. Wegen des zusätzlichen Feiertages am Montag ist die nächste Chance jetzt leider erst am Dienstag.

Sonntag 18.8.24 – Medellín (Ruhetag 3)

Sonntags bietet das Hotel ein „besonderes“ Frühstück: Hühnerbrühe plus Papaya mit Cerealien überstreut. Jutta isst dann lieber noch von unserem Toastbrot-Vorrat … .

Nachdem der gestrige Tag im Blog aufgearbeitet ist, machen wir uns auf den Weg: sonntags sollen hier ja Straßen für Autos gesperrt sein, und eine der Sperrungen startet angeblich nicht weit vom Hotel. Wir wollen uns das zu Fuß anschauen gehen. Der Beginn ist dann doch wesentlich weiter entfernt, deshalb gehen wir in Poblado, dem Gegenteil der Kommune 13 mit angeblich den höchsten Monatsmieten Lateinamerikas, in einer Shopping-Mall Kaffee trinken … natürlich bei Starbucks. Die Mall ist gerade Schauplatz einer recht großen Bonsai-Ausstellung.

Wir laufen weiter und finden den Start der Straßensperrung. Eine junge Frau unter einem Pavillon erklärt uns, bis wohin sie reicht, und dass morgen noch einmal gesperrt wird, weil ja Feiertag ist. Vielleicht kommen wir morgen früh mit dem Tandem wieder. Am selben Ort ist schon wieder eine Mall, wir gehen kurz hinein (Toilettenbesuch) und finden ein Orthopädie-Geschäft. Da Juttas Halswirbelsäule immer noch muckt, kaufen wir dort kurzerhand eine Halskrause.

Das MAMMedellin (Museum der Modernen Kunst) ist nicht weit entfernt und hat bessere Bewertungen als das Pablo-Escobar-Museum, dehalb gehen wir dorthin. Wir müssen als Einzige unsere Tasche am Eingang abgeben und fühlen uns etwas diskriminiert. Viele von den Ausstellungen sind Audio-Installationen, manchmal hört man mehrere gleichzeitig. Ein Film macht z.B. das Sprichwort „Unter den Teppich kehren“ sichtbar. Einige wenige Bilder gibt es ebenfalls.

Anschließend wollen wir etwas trinken gehen, suchen ein wenig und landen dann in einem „Crepes & Waffles“. Als wir dort zahlen, erhalten wir auf dem Bon einen „2 für 1-Gutschein“ für das MAM. Da haben wir leider heute einmal die falsche Reihenfolge gewählt. Aber wir können ja auch nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

Auf dem Weg zur nächsten Metro-Station – denn zurück werden wir nicht mehr laufen – fragen wir in einem Home-Center noch nach Ultraschall-Pfeifen für Hunde, da gerade heute in der Südamerika-WhatsApp-Gruppe sehr viel über die nervigen Hunde – besonders in Peru – geschrieben wird und was man dagegen tun kann. Sie haben keine, und bestellen klappt leider auch nicht schnell genug. Vielleicht finden wir noch einen anderen Laden, wir bleiben ja notgedrungen noch ein paar Tage hier.

Da wir erst kurz im Hotel vorbeigehen, bevor wir uns zum Essen und Getränkekaufen aufmachen, ist es ein paar Minuten nach sechs, als wir am Supermarkt ankommen, und es dürfen nur noch Menschen hinausgehen. Dumm gelaufen, heute ist ja Sonntag!

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Woche 19 (5.8.24 – 11.8.24) – San Blas Inseln – Lorica

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Woche 21 (19.8.24 – 25.8.24) – Medellín – Medellín

  1. Joa n corral

    Joder Viktor estas Delgado!
    Y fibrado, no hay nada major que 5000 kilometers end bici.
    Un abrazo Pata Jutta. Andale!

  2. Andrea

    Jetzt habe ich auch Lust auf Patacones! Eins meiner Lieblingsessen 🙂 Falls ihr ein Lulo-Saft irgendwann sieht, bestellt den mal! Die Frucht gibt’s in Europa nicht und wird kaum hierher importiert (sie ist zu weich). Auch eine Sache, die ich doll vermisse. Pass gut auf euch auf und gute Fahrt!

  3. Michael P.

    Die überdachten Wege scheinen für Kühe zu sein
    https://www.mergili.at/worldimages/picture.php?/16164

    Weiterhin gute Reise !

  4. Juan

    My dad, Maurico is actually selfie of the day(the 15th). He was happy to meet you guys and was hoping you guys arrived safely to your destination. Glad it tuned out great and that you’re enjoying the city. I myself am enjoying family and the city since I’ve been living in Canada for the past 10 years. Have fun and best of luck!

    • Thank you sooo much for your comment, Juan. We were so impressed by the helpfulness of your dad and if so many other people in Medellín.
      He is sich a kind person and really went the proverbial “extra mile” to get us on the right track.

      We could not properly thank him in the middle of the quite hectic traffic.

      Please express our gratitude to him on our behalf one more time. We’ll add his name to the blog entry tonight if that is ok.

      Saludos Viktor & Jutta

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