Montag 26.8.24 – Medellín (Ruhetag 11)
Für heute haben wir uns nichts vorgenommen.Wir schlafen ein wenig länger und frühstücken im Hotel. Heute gibt es „Arepa Venezolana“, eine mit Fleisch und Käse gefüllte Maistortilla, die deutlich aromatischer ist als die Quesadilla, die es hier sonst immer zum Frühstück gibt.
Viktor beschäftigt sich vormittags noch mit den Videoaufnahmen der GoPro-Actioncam von der Sicleada am vergangenen Mittwoch, aber leider gibt es auf dem Laptop Kompatibilitätsprobleme zwischen der Schnittsoftware und dem GoPro-Videoformat. Beim erforderlichen Umwandeln und Zusammenschneiden der Videoclips geht die Audiospur verloren. 🙁
Am späten Vormittag entscheiden wir uns dann doch noch für eine Aktivität und machen uns auf den Weg zum „Museo de Antioquia“ an der Plaza Botero, in dem weitere Kunstwerke von Botero sowie aus seiner Sammlung internationaler Kunstwerke zu sehen sind, die er dem Museum noch zu Lebzeiten gespendet hat. Botero ist 2023 im Alter von 91 Jahren in Monaco verstorben.
Auf dem Weg dorthin gehen wir einen Kaffee im Bohemio – schon fast unserem Stammlokal – trinken. Viktor kauft an einem Straßenstand eine Packung „Solteritas„, weil Jutta sich in den letzten Tagen wiederholt gefragt hat, was denn wohl diese knallorangefarbenen runden Dinger sein können. Dazu bekommt er eine ebenso orange Creme. Im Café versucht er vergeblich, eine Solterita in die Creme zu tunken, aber die ist so fest wie Wackelpudding … de funktioniert kein „tunken“. Unsere „Stammbedienung“ wird befragt, kennt sich aus, grinst … und bringt dann einen Löffel und sagt etwas von „untar“, also „schmieren“. Viktor löffelt sich also die süße, gefärbte Creme auf das salzige, frittierte, gefärbte Teil, verschmiert es und stellt fest, dass Kinder das süße Zeug wahrscheinlich sehr gerne essen. Jutta verzichtet dankend.
Im Museum kann Viktor die Tüte mit dem Rest der Solteritas und der Creme einschließen lassen. Es wird uns erklärt, dass wir im dritten Stock beginnen sollen. Und das ist dann auch die einzige Erklärung. Das Gebäude ist mehrflügelig, und es gibt weder einen Rundgang noch eine hilfreiche Beschilderung. Die ganze Etage ist eine Botero-Etage, einerseits Werke anderer Künstler aus seiner privaten Sammlung (er wollte mit der Spende anderen, jungen Künstlern ermöglichen, sich internationale Kunst-Originale anschauen zu können, was ihm als jungem Mann nicht möglich war) und andererseits seine eigenen Werke.
Leider suchen wir die Kunstwerke zum Kreuzweg (Judaskuss, Kreuzigung), die wir gestern in der Metro gesehen hatten, heute in den Ausstellungsräumen vergeblich. Sie sind nicht Teil der Dauerausstellung und befinden sich teilweise als Leihgaben im Ausland.
Das Treppenhaus beherbergt ein großes Wandgemälde aus dem Jahr 1936 „El problema del petróleo y la energía“ (Das Problem des Erdöls und der Energie):


Es scheint also schon vor 88 Jahren klar gewesen zu sein, dass „Petroleum“ zu Problemen führt. Hat sich die Menschheit nicht sehr darum geschert…
Zwischen dem zweiten und ersten Stock brauchen wir etwas zu trinken. Im Untergeschoss gibt es ein Café, das man kaum findet, das aber ganz nett ist. Warum nur schildern sie hier nichts ordentlich aus?
Nach mehreren Stunden im Museum beenden wir den Besuch und gehen erst einmal zurück zum Hotel. Zu halb sieben sind wir mit dem Warmshowers-Gastgeber Camillo verabredet, nicht etwa, weil das Paket angekommen ist, sondern weil wir ihn zum Essen einladen wollen. Wir haben einen Italiener ausgesucht, der direkt bei dem Hochhaus liegt, in dem er wohnt. Er hat bis acht Zeit, weil er sich da mit den Siclas trifft, um die Sicleada für die kommende Woche zu planen. Die Route für diesen Mittwoch wurde schon letzen Montag geplant. Die Gruppe trifft sich also wöchentlich, um eine neue Route für die ebenfalls wöchentlich stattfindenden Touren zu planen. Das ist mal Engagement!
Camillo erklärt sich bereit, uns das Paket mit den Ersatzteilen im schlimmsten Fall nachzusenden. Wir haben uns jetzt eine Art Stichtag gesetzt; wenn das Paket nicht – wie von der Post angekündigt – bis Donnerstag eingetrifft, werden wir uns einfach wieder auf den Weg machen. Eventuell prüfen wir vorher noch die neuen Felgen auf möglich Risse.
Die Schaltung haben wir mit den hier gekauften Einstellschrauben wieder fit gemacht. Auch wenn es keine Original-Rohloff-Einstellschrauben sind, sollte das erstmal halten. Neue Bremsklötze haben wir seit Panama im Einsatz (gerade mal 500 km). Reifen, Ketten und Bremsscheiben sind nach nur 5.000 Kilometern sowieso noch nicht fällig. Die müssten noch problemlos ein paar tausend Kilometer durchhalten. Ursprünglich wollten wir ja hier in Medellín schon bei 8.000 Kilomtern liegen.
Kommt das Paket rechtzeitig an, werden wir die Reifen wechseln und die Ketten und Bremsscheiben bei „Ideal Bike“ in Medellín überprüfen lassen. Diese werden wir aber nur wechseln, wenn es wirklich erforderlich sein sollte. Andernfalls wird das Ersatzteilpaket bei Camillo gelagert, bis wir es unterwegs benötigen sollten. Er ist ein unheimlich netter und hilfbereiter Typ und erklärt sich sofort bereit, das Paket im Keller zu lagern bis wir es benötigen und er es uns irgendwo nach Südamerika nachschicken kann.






Dienstag 27.8.24 – Medellín (Ruhetag 12)
Wir haben nichts vor und verbringen die ersten Stunden des Tages damit, eine vermeintlich fehlerhafte Kreditkartenbuchung von einem Hotel in Guatapé am Samstag Abend zu reklamieren. In der App klappt dies nicht, ohne die Kreditkarte zu sperren (was extrem ungünstig wäre), und das Hotel anzurufen klappt ebenfalls nicht. Als Viktor nach draußen geht, um es von dort zu probieren, erfährt er, dass das Anrufen von Handynummern vom Hotel aus nicht klappt, egal von welchem Telefon. Er erzählt, was er vorhat, und der Hotelmitarbeiter ruft irgendwo an und reicht Viktor das Telefon. Die Dame am anderen Ende sagt, er wäre doch in dem Restaurant des Hotels essen gewesen. Viktor verneint dies, er wäre in keinem Hotel in Guatapé essen gewesen. – Doch! – Mit wem spreche ich denn? – Und da klärt es sich auf: die Dachterrasse unseres Hotels in Medellín ist gemeint, wo wir am Samstag essen waren. Die beiden Hotels haben denselben Besitzer, und wenn man hier oben mit der Karte zahlt, erscheint auf der Abrechnung das andere Hotel in Guatapé. Unten an der Rezeption passiert das nicht. Woher soll man so etwas, bitte schön, wissen.
Außerdem wechseln wir die Cleats von Juttas Sandalen an die Halbschuhe, die ab hier wieder mit transportiert werden müssen (waren im Paket aus Santa Barbara). Das Abschrauben von den Sandalen dauert etwas, erst muss mit dem Taschenmesser der ganze festgetretene Dreck aus den Schraubenköpfen gekratzt werden. Ab sofort fährt Jutta also mit Halbschuhen (und Socken – hoffentlich ist es nicht zu heiß) und hat dann aber abends Schuhe zum Wechseln.
Der Reifenhersteller Schwalbe reagiert heute endlich, nachdem wir es nochmal zweigleisig per E-Mail und über das Kontaktformular auf der Webseite probieren. Hier die Antwort auf unsere Vermutung, dass der Defekt der Felgen an den dickeren Karkassen der Pick-Up Lastenradreifen liegen könnte:
Sehr geehrter Herr Makowski,
vielen Dank für Ihre Anfrage und das damit verbundene Interesse an unseren Produkten!
Das von Ihnen geschilderte Schadensbild haben wir in der Vergangenheit bereits gesehen, jedoch unabhängig von Felgenmodell, Reifenmodell bzw. -Konstruktion und Größe.
Erfahrungsgemäß kommt es zu solchen Defekten, wenn eine Felge mit zu hohem Luftdruck, gepaart mit einer hohen Achslast überlastet wird. Auch die Speichenspannung, hohe Stoßbelastungen durch den Untergrund (z.B. Schlaglöcher, Kopfsteinpflaster etc.) sind weitere Punkte, welcher in Kombination mit den genannten Faktoren zu einer Überlastung der Felge führen können.
Was den Luftdruck angeht, so wirkt ein Reifen dieser (sic!) mit derselben Kraft auf die Felge (die Karkassen-Konstruktion hat keinen Einfluss, sofern der Luftdruck gleich hoch ist).
Aus Ihrer parallel eingesandten Mail lesen wir, dass bereits Versuche unternommen wurden, den Felgenhersteller zu kontaktieren.
Es tut uns daher sehr leid, jedoch bleibt auch uns hier nur der Rat, sich an den Felgenhersteller zu wenden, da nicht der Reifen Ursache des Schadens ist.
Wir hoffen, dass wir mit dieser Auskunft dennoch behilflich sein konnten und wünschen Ihnen viel Erfolg!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Schwalbe-Team
Support Center | Internal Sales
Da wir am Anfang unserer Tour mit 3,5 bar Reifendruck bereits am unteren Wert lagen, der auf den Mänteln aufgedruckt ist, werden wir da wohl nicht mehr viel machen können. Wir sind schon auf 3 bar heruntergegangen, aber „schwammiger“ darf die Lenkung echt nicht mehr werden. Wir müssen also noch konsequenter Gewicht sparen und schlechte Wegstrecken mit Schlaglöchern oder Kopfsteinpflaster meiden, was in Südamerika …. ach lassen wir das. 😉
Da es gegen 10:30 Uhr noch keine Neuigkeiten zum Paket gibt, gehen wir ein paar Schrauben besorgen und nach einem Adapter für die Halterung der GoPro-ActionCam suchen, letzteres allerdings vergeblich. Vor der Rückkehr trinken wir noch einmal Kaffee aus Bechergläsern im Laboratorio del Café, das hat uns gefallen.
Jutta ergoogelt im Hotel eine Software, mit der man die GoPro-Videos inklusive Ton bearbeiten und umwandeln kann und installiert diese auf dem Laptop, während Viktor im Keller am Tandem und der GoPro-Halterung herumschraubt. Nach etwas Einarbeitung in den VSDC-Editor bekommen wir die Aufnahmen der Sicleada letzten Mittwoch hin, so dass jetzt ein Video mit Ton verfügbar ist.
Wer einen Eindruck von unserem Hotel bekommen möchte, hier ist ein GoPro Video:
Auch um 16:30 Uhr haben wir noch keine Nachricht über die Auslieferung des Paketes. Das wird also heute wieder nichts. Die Stimmung ist trotzdem nicht mehr ganz so mies wie gestern, denn wir wissen jetzt, dass wir am Freitag weiterfahren werden, wenn das Paket am Donnerstag nicht eintrifft. So haben wir einen klaren Plan und es ist ein Ende des Wartens in Medellín abzusehen.
Wir machen uns nochmal auf den Weg zur Plaza Botero, denn wir wollen das Restaurant am Museo de Antioquia ausprobieren. Das hat ein nettes Ambiente und Viktor will nochmal eine „Bandeja Paisa“ mit der obligatorischen Blutwurst probieren.
Unterwegs kaufen wir noch eine Packung Solteritas nach, denn die Hälfte der Creme ist noch übrig. Da muss sich noch jemand opfern und sie vernaschen.






Mittwoch 28.8.24 – Medellín (Ruhetag 13)
Heute geht es Schlag auf Schlag! Endlich!
Nach dem Frühstück ruft Viktor noch einmal bei 4-72, der Kolumbianischen Post, an, damit wir bestätigt bekommen, dass wirklich spätestens morgen die Auslieferung des Paketes geplant ist. Die Dame am anderen Ende sagt, sie hätten noch bis übermorgen (also Freitag) Zeit, aber wir könnten das Paket heute schon abholen kommen. Jutta reicht schnell den Kugelschreiber und einen alten Karton, dann wird die Adresse durchgegeben und die drei Dokumente, die mitzubringen sind (Zolldokument, Quittung über die Zahlung der Zollgebühren und Kopie des Ausweises) – und zwar zwingend auf Papier.
Wir versuchen, alles unten an der Rezeption drucken zu lassen: mit der geschickten E-Mail geht es nicht, also schickt Viktor alle Anhänge nochmal per WhatsApp. Dann kommen drei weiße Blätter Papier aus dem Drucker. Die Tinte ist entweder leer oder eingetrocknet. Aber zwei Blöcke vom Hotel entfernt soll es einen Druckerservice geben. Wir machen uns auf den Weg und haben zwei Personen vor uns. Während des Wartens schickt Viktor die Seiten an die neben dem Schalter hängende Mailadresse. Als wir an der Reihe sind, muss nur noch entschieden werden, ob schwarz-weiß oder in Farbe, und – zack – bekommen wir vier Seiten (Reisepass und Personalausweis jeweils einzeln) für 5000 Pesos. Mit denen in der Hand machen wir uns auf zur richtigen Adresse.
Nach einigen Metrostationen geht es ab der Station „Caribe“ zu Fuß durch nicht wirklich einladende Straßen, in denen wenige Menschen zu Fuß unterwegs sind. Beim ersten Versuch landen wir am Tor des Verkehrsministeriums, dort wird uns erklärt, wo wir wirklich hinmüssen. Die Einfahrt des Postgeländes ist durch eine Kette versperrt, ein Security-Mann bestätigt, dass wir hier richtig sind, und wir landen beim zweiten Versuch auch am richtigen Schalter. In der Halle stehen etliche Stühle in einer Art Warteraum – wir sind die Einzigen. Und ohne die befürchteten Probleme (z.B. weil die Adresse auf dem Personalausweis eine andere ist als die Adresse des Warmshowers-Gastgebers hier in Medellín, an den das Paket adressiert war) halten wir nach 25 Warteminuten glücklich unser Paket in den Händen.




Zurück gönnen wir uns ein Taxi. Im Hotel machen wir uns in der Tiefgarage sofort daran, die alten Mäntel gegen die neuen zu tauschen und die Schrauben am Stokersitz zu erneuern. Etwas nervig ist bei der Aktion das Bewegungsmelder-Licht, dass immer wieder neu durch Bewegungen aktiviert werden muss. Zum Glück ergibt die Kontrolle der Felgen beim Wechseln der Reifen keine Auffälligkeiten. Die Felgen zeigen nach den ersten 500 Kilometern seit Panama-Stadt keine Risse.
Das Mini-Taschenmesser von Jutta klebt nach dem Öffnen des Pakets ziemlich und lässt sich ohne Lösungsmittel nicht reinigen. Also wollen wir in einer Apotheke etwas Aceton kaufen. Der Apotheker schickt uns in eine Tienda, die sowohl Schreibwaren als auch Dinge für die Schönheit (Belleza) verkauft. Wir kaufen die kleinste Flasche (20 ml?), wischen das Messer einmal damit ab und geben der Dame die Flasche wieder zurück. Die guckt etwas komisch, und vielleicht verkauft sie sie noch ein zweites Mal – wir wollen sie aber nicht haben.
Fertig mit dem Tandem beschließen wir, es auch heute noch in die Werkstatt zu bringen (dann können wir die heutige Sicleada zwar nicht mehr mitfahren, aber das Rad hoffentlich morgen wieder abholen). Vorher müssen wir uns im Bohemio noch mit Kaffee und Gebäckstücken stärken, aber dann radeln wir zu Ideal-Bikes. Das klappt heute komplett ohne Google-Maps – wir sind schon lange genug in Medellín hier und kennen uns aus 😉 .
Im Radladen wird zuerst unser Ansprechpartner von irgendwo geholt. Nachdem ihm alles erklärt ist – die Bremsscheiben sollen kontrolliert und ggf. getauscht werden, die Ketten und Kettenblätter geprüft und ebenfalls bei Bedarf getauscht werden – geht er von irgendwoher den Radmechaniker holen, dem dann nochmal alles erklärt wird. Zu zweit begutachten sie alles und entscheiden, dass nur die Kette des Captains getauscht werden muss. Dabei soll das hintere Rohloff-Ritzel gedreht werden, um die bisherige Rückseite der Zähne zu nutzen, die noch nicht abgenutzt ist. Das neue Ritzel aus dem Paket nehmen wir dann erst bei 10.000 km in Betrieb.


Die vordere, lange Kette der Stokerin ist noch in gutem Zustand und die beiden Bremsscheiben sind noch „fast wie neu“ (beide nur 0,2 mm abgenutzt, mit Digital-Messschieber gemessen). Okay, dann sieht es auch so aus, als könnten wir morgen nachmittag oder allerspätestens Freitag vormittag das Tandem wieder abholen kommen.
Und wir werden ein Paket mit einigen der heute noch nicht benötigten Teile nach Lima schicken, was noch einmal ca. 3000 Anden-Kilometer weiter südlich liegt, um dann dort ggf. die restlichen Ersatzteile zu nutzen und z.B. die Kettenblätter auszutauschen. Wir werden einige Ersatzteile inkl. der alten Mäntel hier bei Camillo (dem Warmshowers-Gastgeber, der seine Adresse für das Paket bereitgestellt hatte) in Medellín lassen, von denen wir nicht abschätzen können, ob und wann wir sie brauchen werden. Die Mäntel sind noch nicht so weit abgefahren, dass sie nicht im Notfall noch als Ersatz dienen könnten. Camillo hat sich netterweise bereiterklärt uns ein Paket dort hinzuschicken, wo wir es benötigen.
Nur die Bremsscheiben werden wir weiter im Bordgepäck belassen, denn die müssen wir im Notfall selbst wechseln können, wenn sie auf irgendeiner langen Abfahrt überhitzen und den Geist aufgeben sollten.
Wir bekommen (in einem benachbarten Radladen) noch einen Shimano-Karton geschenkt, in den 26-Zoll-Reifen passen, und laufen so ziemlich beladen den Weg zum Hotel zurück. Nach einer kurzen Pause ist schon Zeit für’s Abendessen, und wir landen bereits zum dritten Mal im Pedacito-Burger, wo es heute relativ leer ist.
Und endlich steht fest, dass wir am Freitag (spätestens mittags) wieder aufbrechen können. Dann werden wir, genau wie in Panamá-Stadt, 15 Nächte hier in Medellín an einem Ort verbracht haben. Das ist in Summe ein ganzer Monat. Dafür haben wir diese zwei Städte wirklich ausgiebig und gut kennengelernt!
Während unser Zeit in Medellín – wir wissen nicht mehr genau an welchen Tagen – haben wir uns auf Amazon Prime Video noch die ersten Folgen von „Viktor bringt´s“ mit Moritz Bleibtreu in einer der Hauptrollen angeschaut, einfach weil uns der Name angespochen hat 😉 und es in Berlin gedreht wurde. Na ja, etwas seicht und die Dialoge sind manchmal ein wenig gestelzt, aber an einigen Stellen auch wieder ganz lustig.













Donnerstag 29.8.24 – Medellín (Ruhetag 14)
Unser letzter Tag in Medellín! Wir haben nur drei Dinge zu tun und gehen davon aus, dass diese den Tag zumindest fast ausfüllen. Als erstes gehen wir zur San Diego Mall, weil es dort den nächsten Apple-Laden geben soll. Wir sind so früh dran, dass dieser noch geschlossen ist, also gibt es vorher einen Kaffee bei Juan Valdez. Um kurz nach zehn beglücken wir die beiden Herren im Apple-Laden und kaufen einen Air-Tag. Diesmal werden wir das Paket nach Lima „verwanzen“, damit wir sehen können, wo es sich befindet. Die Männer sind sehr interessiert an unserer Reise und bekommen einen Sticker von uns.


In der Mall heben wir auch noch einmal zwei Millionen ab – wenn wir erstmal die Großstadt verlassen haben, werden wir vermutlich wieder wenig mit der Kreditkarte bezahlen können. Von dort laufen wir zur nächstgelegenen DHL-Express-Station, im Rucksack das Paket nach Peru. Nach den Erfahrungen in Panamá ist der Karton noch offen, und wir haben eine komplette Liste des Inhaltes vorbereitet. Die Station heisst „Autoservicio“ und wir sind uns nicht sicher, ob wir dort überhaupt Personen antreffen. Als wir ankommen, erklärt sich dieser Name: es ist eine „Drive-Through“-Station mit zwei Schaltern. Wir werden von zwei jungen Damen bedient, die zwischendurch immer wieder Fernando vom anderen Schalter zur Hilfe dazurufen. Denn wieder einmal kann bei der Identifikation des Versenders nur eine Ziffernfolge als Personalausweis-Nummer angegeben werden, wir haben aber Buchstaben und Ziffern gemischt. Erst nimmt die Mitarbeiterin einfach ihre eigene Nummer, aber Fernando hat später noch die Idee, die sechsstellige Zahl unten auf dem Personalausweis zu nehmen. Hier in Kolumbien wollen sie gar nicht wissen, was im Paket ist, wir können es einfach zukleben und den Inhalt schreiben sie nicht auf. Angeblich kann man alles verschicken (keine lebenden Tiere!). Es kommt sehr viel Papier aus dem Drucker, und Viktor muss dreimal nicht nur unterschreiben, sondern seinen Zeigefingerabdruck mit Tinte hinterlassen.

Dort fertig – es dauert so seine Zeit – fahren wir mit der Metro zurück. Viktor holt im Hotel den Karton mit den alten Mänteln und macht sich auf den Weg zu Camillo, der sie für uns aufbewahren wird. Sollten wir unterwegs wider Erwarten nochmal Mäntel benötigen, wären die alten Mäntel eine Reserve, die wenigstens schon in Südamerika ist. Camillo hat sich netterweise bereiterklärt, uns diese dann nachzusenden. Alle andere noch nicht benötigten Ersatzteile (Kettenblätter, Ritzel, Stoker-Kette, Freilauf) haben wir jetzt doch nach Lima geschickt. Jutta bleibt im Hotel – wir haben nur noch zwei Metro-Fahrten auf der Karte – und packt schon mal wieder die Taschen, so weit es geht, bis von Viktor die Nachricht kommt, dass er wieder auf dem Rückweg ist. Dieser führt über eine Straße, in der auf dem Gehweg alle noch verbleibenden Länder unserer Reise zu finden sind:






Wir wollen uns am Botero-Platz treffen. Jutta nimmt den alten Karton mit, der das Paket aus Deutschland war, und will ihn an der Müll-Straßenecke in der nähe des Hotels ablegen, damit sich eventuell einer der Obdachlosen ein „Bett“ daraus machen kann. Im Ausholen, um ihn oben auf den Müllstapel zu legen, wird er ihr schon aus der Hand genommen – nicht gerissen! – vielleicht sehen wir nachher noch jemanden darauf liegen. Am Botero-Platz muss Jutta eine ganze Weile warten, denn Viktor gerät in einen lokalen Regenguss und stellt sich eine Zeit lang unter.
Apropos Regenguss:
Auf der Metrofahrt von Viktor sieht er ein befremdliches Tattoo auf dem Arm eines Mitreisenden. Er kann ihn nicht schnell genug auf seine Deutschen Wurzeln ansprechen, sie fahren nur eine kurze Station gemeinsam. Aber das scheint entweder ein überzeugter Nazi zu sein oder er hat irgendwelche anderen alten Verbindungen nach Deutschland.


Gruselig!
Wir wollen am Botero-Platz warten, bis der Fahrradladen sein Okay gibt, dass wir das Tandem abholen können. Nachdem wir gemütlich ein „Naturales Erdbeer“ (diesmal mit Milch … man hat bei „Naturales“ immer die Wahl zwischen Wasser und Milch) getrunken haben, gibt es immernoch keine Neuigkeiten vom Fahrradladen und keine Reaktion auf mehrere WhatsApp-Nachrichten. Wir gehen also einfach in die Richtung von Ideal-Bikes und wollen so tun, als wären wir gerade zufällig in der Gegend. Tja, und das Rad ist natürlich fertig, sie haben uns nur nicht geschrieben (und auch nicht auf unsere Nachfrage reagiert). Wir hatten gestern für die Kettenmontage kein Kettenschloss mit abgegeben, das müssen wir jetzt natürlich noch bezahlen, aber die Montage der Kette und das Umdrehen des Rohloff-Ritzels kostet inklusive Kettenschloss umgerechnet keine 15 Euro.
Wir radeln zum Hotel – fast komplett über Radwege, die allerdings voller Verkaufsstände, Fußgänger und teilweise auch Taxis stehen, also eher im Slalom. In der Tiefgarage schrauben wir noch ein bisschen am Lenker und an der Teleskopierung für den Stoker, bringen die Getränkehalter und die Hase-Taschen schon einmal an und probieren aus, wie wir unser neues Schild am besten anbringen können. Es hängt jetzt mit zweimal zwei Kabelbindern am Griff unseres Rackpacks und sollte so zusätzlich zur Deutschlandflagge sichtbar sein. Zum „UNA BICI MAS“ (Ein Fahrrad mehr) haben wir mit Edding noch ergänzt „Y MENOS :-)“ (und weniger), nicht „O MENOS“ (oder weniger), weil wir ja statt Tandem auch mit zwei Rädern unterwegs sein könnten. Das „UNA BICI MAS“-Schild haben wir hier in Medellín an sehr vielen Fahrrädern gesehen, besonders bei denen, die bei der Sicleada mitgefahren sind. Das ist also wohl so ein „Fahrrad-Aktivisten“-Ding.












Nach etwas Pause gehen wir zum letzten Abendessen ins Bohemio, dass (zur Feier des Tages 🙂 ) mit Livemusik aufwartet. Wir bestellen extra erst Guacamole als Vorspeise, um die Wartezeit bis zum Beginn nicht schon mit den leckeren Bowls, die wir hinterher bestellen, zu verbringen. Die aus Schlagzeug, E-Kontrabass, Gitarre und Gesang bestehende Gruppe spielt vor allem Französische Songs. Wie lange hatten wir eigentlich keine Livemusik mehr – also Livemusik, der wir freiwillig zuhören ;-). Denn auf den Straßen hatten wir ja teilweise schon auch live singende oder anders musikmachende Menschen, die oft für uns nur laut und nervig klangen.
Da wir morgen nur eine kurze Strecke aus der Stadt herausfahren wollen, entscheiden wir uns für eine späte morgendliche Abfahrt, in aller Ruhe nach dem Frühstück.
Freitag 30.8.24 – (082) – Medellín – Caldas

Gesamt: 5.028,90 km
Endlich rollen wir wieder! 🙂
Sicherheitshalber haben wir uns für heute nur die Ausfahrt aus Medellín bis nach Caldas vorgenommen. Das sind auch schon knapp 400 Höhenmeter, aber der erste härtere Tag nach unserer langen Pause in Medellín wird uns erst morgen nach Santa Bárbara führen (800 Höhenmeter) … vielleicht auch noch weiter, wenn es nach unserer Heizerin (Stokerin) geht.
Heute frühstücken wir aber noch ein letztes Mal im Hotel und verabschieden uns von den Mitarbeiter*innen der Küche und der Rezeption. Die kannten uns jetzt schon ganz gut und wussten genau, was wir so zum Frühstück essen und trinken. Auch die „Sobresabana“, das Extra-Laken zum Zudecken war (fast) immer vorhanden. Die vergangene Nacht war allerdings nochmal richtig laut. Da alle Zimmer sämtlicher Stockwerke ihre Fenster zum Innenhof haben, durfen wir heute Nacht wieder bis 4 Uhr morgens dem ständigen Klopfen an der gegenüberliegenden Zimmertüre, lauter Musik aus allen möglichen Richtungen und den eindeutigen Geräuschen mehrerer Liebespaare lauschen, und das obwohl wir alle unsere Fenster geschlossen hatten.
Morgens hat Jutta eine Nachricht, dass in der heimischen Zeitung ein Bericht über uns steht. Helge Treichel hat ohne unser Wissen die ersten fünf Monate zusammengefasst:

Nicht so richtig ausgeschlafen geht es also gegen 9:15 Uhr los auf die Straßen Medellíns. Wir haben unsere Strecke vorab mit Camillo besprochen und sind größtenteils auf Radwegen stadtauswärts unterwegs. Die sind allerdings immer wieder zugeparkt oder mit Verkaufsständen zugestellt. Schon ohne diese Hindernisse sind die Radwege für unser vollgepacktes Tandem eher schmal. Hier einige Aufnahmen der Actioncam:
Aber im Vergleich zur Ausfahrt aus Cartagena ist es paradisisch. Selbst, wenn wir manches Mal rangieren, so sind wir trotz allem meistens getrennt von den motorisierten Fahrzeugen, und ab dort, wo die Radwege aufhören, ist der Verkehr weniger, und wir werden mit ausreichend Abstand überholt.
In La Estrella (der Endstation der Metro) passieren wir das Restaurant „El ciclista“ und beschliessen spontan, dort zu halten. Alles hängt voller Dinge zum Radfahren, und der Besitzer betüdelt uns richtig. In der Zeit, die wir dort sitzen, werden sehr viele in Tüten verpackte Essen in verschiedenen Autos davongefahren – wahrscheinlich leben sie davon. Andere Radfahrer fahren zwar vorbei, aber halten tut keiner.









Kurz nach der Pause werden wir langsam überholt und fotografiert, dann hält der Autofahrer und winkt uns anzuhalten. Ein 70-jähriger Mann ist ganz begeistert von uns, dreht ein Video mit Erklärungen, speichert Viktors Handynummer und will in Kontakt bleiben. Eventuell können wir ihn zu Weihnachten in Santiago de Chile treffen.
Die letzen Kilometer gehen zwar auch noch bergauf, sind aber relativ schnell geschafft, so dass wir um 12:15 Uhr am Hotel Caldas Plaza ankommen. Im Keller ist ein Saal für Veranstaltungen, in den wir das Tandem stellen dürfen. Obwohl es noch nicht 15 Uhr ist dürfen wir schon einchecken. Natürlich geht das Zimmer zur Hauptstrasse, der Strassenlärm klingt, als wären wir draussen. Tja, die ruhigeren Zimmer sind größer, und wir haben das einfache, kleine genommen (Kostenpunkt umgerechnet 18€, zwar ohne AC aber mit Warmwasser).
Nach dem Duschen suchen wir diverse „Espresso-Bars“ auf, die Google auflistet. Keine davon gibt es mehr. Aber als wir in einem Café/Restaurant nach einer Espresso-Maschine fragen, bekommen wir eine positive Antwort. Das „Dolce“ hat auch eine richtig vielseitige Essenskarte mit sehr vielen vegetarischen Gerichten, und wir legen eigentlich jetzt schon fest, dort auch abendzuessen.
Im Hotelzimmer bei Ventilatoren-Wind planen wir ein wenig weiter und stellen wieder einmal fest, dass es mit den Unterkünften etwas schwierig werden dürfte. Eventuell werden wir in den kommenden Tagen doch das ein oder andere Mal bei den lokalen Feuerwehren fragen müssen – die sollen einen immer zelten lassen (teilweise auch drinnen).
Um 18 Uhr gehen wir wieder los zum „Dolce“ – die Strassen und Bürgersteige sind um diese Zeit sehr voll, und die Temperatur ist mit 20°C relativ niedrig. Man kann schon eine Jacke gebrauchen! Die beiden bestellten Essen sind super, und das dunkle Cafébier von Viktor ebenfalls.
Morgen wollen wir wirklich wieder um sechs in der Früh aufbrechen, um die ersten 15 Kilometer (komplette Steigung) bei angenehmen Temperaturen fahren zu können. Hoffentlich lässt uns die Straße heute Nacht besser schlafen!






Samstag 31.8.24 – (083) – Caldas – La Pintada

Gesamt: 5.087,22 km
In der Nacht ist es auf der Straße nie richtig lange ruhig. Die Menschen hupen und rufen selbst mitten in der Nacht, und sehr früh, so gegen 3 Uhr, beginnt ein Einweiser der Busstation gegenüber (oder ist es der zentrale Busbahnhof von Caldas?) immer wieder die selben Satzfetzen oder Aufforderungen zu schreien. Dazu piepen die Busse und Lastwagen beim Rückwärtsfahren nervtötend. Die Hotelfenster sind so dünn und schlecht schließend, dass wir das Gefühl haben, zwischen den Bussen zu schlafen.
Um kurz vor sechs bitten wir den Nachtportier, uns die Garage bzw. den Eventsaal aufzuschließen, um das Tandem herauszuholen. Die Tienda gegenüber hat zwar seit vier Uhr geöffnet, aber leider nur 500 ml – Wasserflaschen, da nehmen wir erst einmal jeder eine, denn ohne H2O wollen wir den Daueranstieg am Anfang der Etappe auch nicht beginnen.
Heute geht es bis km 15 quasi nur aufwärts. Wir halten für einen Café con leche und ein Croissant zum Frühstück irgendwo im ersten Drittel. Sehr beeindruckend ist die Menge an Radfahrenden auf Renn- oder Mountainrädern, die uns in den ca. zweieinhalb Stunden, die wir benötigen, überholt. Immer wieder werden Daumen hochgestreckt, es kommen aufmunternde Rufe und Grüße, einige Male auch ein simples „Respeto“ (Respekt). Das ist tatsächlich ganz schön motivierend, aber die letzten 500 Meter schaffen wir dann doch wieder nicht auf dem Tandem. Der Akku des Captains ist leer, wir steigen ab und schieben das letzte Stück. Damit erreichen wir heute den vorläufig höchsten Punkt unserer bisherigen Tour und stellen mit 1.271 Metern auch einen Tagesrekord der bewältigten Höhenmeter auf.
Als wir oben am Pass auf 2.547m über N.N. ankommen, sind dort mehrere Einkehrmöglichkeiten, und an allen sitzen Menschen mit ihren Rädern. Natürlich werden wir Langsamen mit dem auffälligen Tandem von fast allen Überholenden angesprochen oder auch gefilmt, und einer bietet uns oben an, uns das Video zu schicken:
Ein verirrter Ziegenbock läuft auf der Straße und zwischen den Rädern und Menschen hin und her und erregt Aufmerksamkeit. Irgendwann ist er weg, und als wir die Abfahrt schon etwas hinunter sind, steht er wieder angebunden vor einem Haus. Er war wohl ausgebückst.
Nach der ausgiebigen Pause oben geht es insgesamt über 2000 m bergab. Unser vom Captain präferiertes Ziel Santa Barbara erreichen wir um halb elf. Das ist so früh, dass sofort klar ist, dass wir weiterfahren – es geht ja eh fast nur bergab. Wir fahren hinab bis ins „Valle de Cauca“, also in das Tal des Rio Cauca, dem wir in den nächsten Tagen flussaufwärts folgen werden. Die gesammelten Abfahrten – ohne die kurzen Steigungen, die es natürlich auch noch gibt – werden mit der ActionCam gefilmt und ergeben ein 50 minütiges Video, das man sich vermutlich besser in mehrfacher Geschwindigkeit anschaut … oder es vielleicht auch einfach lässt 😉
Vor La Pintada steht ein großes Subway-Werbeschild, das bei Viktor die Magensäfte fließen lässt – es ist auch schon nach zwölf. Wir haben aber noch keine Unterkunft, und wollen uns erst darum kümmern. Jutta hat gestern ein Hotel prophylaktisch als Zielpunkt eingegeben. Wir fahren im Ort schon an mehreren Hotels vorbei, behalten sie als Backup im Kopf, und folgen der Navigation. Zwischendurch denken wir, dass wieder einmal ein Pin falsch gesetzt sein muss, die Straße scheint ins Nichts zu führen. Aber an der exakt richtigen Stelle ist die Einfahrt zum Hotel Villa Camila, einem Finca-Hotel mit mehreren kleineren Gebäuden, weit ab von der Straße. Und sie haben noch Platz, mit Auswahl zwischen einem Luxus-Zimmer oder einem Standard. Wir nehmen den Standard und erfahren dann, dass das zur Verfügung stehende Zimmer leider gerade kein Heißwasser hat. Viktor versucht noch, einen Rabatt herauszuschlagen – vergeblich. Dafür soll das W-LAN heute gut sein (das gestern war im Prinzip nur auf dem Flur erreichbar und sehr langsam). Wir können es aber erst um 15 Uhr beziehen, also gehen wir tatsächlich erst noch einen Sandwich bei Subway essen.
Nach der Rückkehr können wir doch schon vor 15 Uhr unser Zimmer beziehen und Viktor nutzt noch den Pool. An Juttas Radfahrschuhen ist wieder eine Schraube der Cleats verloren gegangen. So langsam wird es knapp mit den Ersatzschrauben. Bis zum Abendessen planen wir die nächsten drei Etappen etwas detaillierter, da es unterkunftsmäßig an der Strecke ein wenig dürftig aussieht. Wir nutzen außerdem das bessere W-LAN, um das gestrige ActionCam-Video hochzuladen und unsere Fotos mit dem heimischen Server zu synchronsieren.
Zum Abendessen geht es ins Hotelrestaurant, Viktor wieder fleischlastig mit einer „Bandeja Paisa“, Juttas vegetarisch erwartete Quesadilla ist dann doch mit Schweinfleisch gefüllt und sie muss beim Essen an Renate denken (Nati weiß schon warum 😉 ).










Sonntag 1.9.24 – (084) – La Pintada – Neira

Gesamt: 5.158,20 km
Viktor wacht gegen 23:00 Uhr auf, weil ihn irgendein Tier am Rücken berührt hat. Es fühlt sich an wie ein Nachtfalter, der gegen den Rücken geflattert ist. Er versucht ihn wegzuschlagen, erwischt aber nichts. Als er sich auf den Rücken dreht gerät das Tier im Bett offenbar unter seinen Rücken und sticht zu. Es fühlt sich an wie der Stich einer Biene. Also wird das Zimmerlicht angemacht und auf dem Bettlaken finden wir einen quicklebendigen kleinen Skorpion, den wir unter einem Getränkebecher einfangen.


Da wir nicht wissen, ob es hier in der Gegend gefährliche Skorpione gibt, fragt Viktor an der Rezeption nach. Nach einem ersten „In dieser Gegend gibt es keine Skorpione, die gibt es nur weiter oben in den Bergen“, wird der Hoteldirketor telefonisch kontaktiert. Viktor geht zurück ins Zimmer und der Skorpion kommt in eine kleine Kartenspiel-Dose, die er an der Rezeption erhalten hat. Da der leichte Schmerz schon wieder nachlässt und sich auch keine anderen Symptome einstellen (keine Sprachschwierigkeiten, Lähmungen, Atemprobleme, Schwindel oder sowas), will er sich gerade wieder ins Bett legen, als es an der Tür klopft. Der Rezeptionist steht vor der Tür und teilt uns mit, dass das Auto jetzt da wäre und wir ins Krankenhaus fahren könnten. „Wie jetzt, Krankenhaus?“ … „Na ja, sicher ist sicher“. Der Hoteldirektor, Andres, Mitte 20, lebte mit den Eltern lange in Spanien (Valencia) und hat dort Marketing studiert, bevor er die Leitung des Familienhotels übernahm, fährt Viktor höchstpersönlich zum Krankenhaus, das keine fünf Autominuten entfernt ist. Jutta bleibt im Hotelzimmer und recherchiert kurz, welches Krankenhaus das wohl sein könnte. Sie findet eine beunruhigende Bewertung, in der es mehr oder weniger heißt, man solle zum Sterben lieber zuhause bleiben, als dort hinzugehen.

Nach einer halben Stunde Wartezeit, der Schmerz ist kaum noch spürbar, entscheiden Hoteldirektor und Viktor gegen Mitternacht gemeinsam, dass es auch ohne ärztliche Bestätigung zurück zum Hotel gehen kann.
Die weitere Nacht ist bis auf ein Gewitter so ruhig wie seit Wochen nicht mehr. Als um fünf der Wecker klingelt, wären wir gerne noch liegen geblieben, aber wir wollen weiter und packen alles. An der Rezeption sagt man uns, es würde eigentlich fast nie regnen, aber der Regenradar lässt nichts Gutes erahnen. Eventuell können wir bei zügiger Fahrt vor das große Regengebiet kommen und dort trocken weiterfahren. Zunächst einmal dürfen wir im Hotelrestaurant fragen, ob sie uns schon einen Kaffee machen würden. Sie sind so nett, und wir können mit Kaffee und Keks im Magen losfahren, ohne sofort nach einer Einkehrmöglichkeit für ein Frühstück zu suchen.
Es geht auf der 25 weiter Richtung Süden. Als hätten viele LKW-Fahrer in La Pintada genächtigt, überholen uns zu Beginn sehr viele LKW – nach relativ kurzer Zeit legt sich das aber, und der Verkehr ist sonntäglich ruhig. Heute ist schon der zweite Tag, an dem uns in einigen Abfahrten kühl wird … ein Gefühl, das wir schon fast nicht mehr kannten.
Ein Motorradfahrer (Uriel) überholt uns, wendet zweimal und fährt dann etliche Kilometer langsam neben uns her, obwohl es viel bergauf geht und wir sehr langsam sind. Wir unterhalten uns über das reisen mit dem Rad, über einige Reisen, die er schon gemacht hat (unter anderem Cusco mit dem Rad, Bolivien mit dem Motorrad) und die erste längere Steigung des tages vergeht wie im Flug. Zwischenzeitlich bietet er an, uns zu schieben – wir lehnen dankend ab. Am Ende bietet er uns an, uns zu filmen und uns das Video zu schicken, denn er hat von seinen Reisen sehr wenige Erinnerungen im Video- oder Fotoformat und bedauert das sehr. Eine tolle Begegnung und es bleibt nicht die letzte an diesem bemerkenswerten Tag.


Es geht lange am Rio Cauca entlang, und als links ein Mirador kommt, machen wir eine Pause. Der Blick ist sensationell. Der Regen hat aufgehört. Der Tag entwickelt sich zu einem dieser fast perfekten Tage.


Der Aussichtspunkt ist der höchste Punkt auf der ersten Streckenhäfte, anschließend geht es erst einmal bergab und dann immer abwechelnd hoch und runter durch grüne Berge auf beiden Seiten. Insgesamt fahren wir aber gegen die Flussrichtung des Rio Cauca und gewinnen langsam an Höhe, ohne dass wirklich steile Passagen dabei sind. Trotz des ständigen Auf und Ab ist die Strecke weniger zermürbend als so manche Strecke, die wir in Costa Rica auf der Halbinsel Nicoya gefahren sind. Am Straßenrand stehen immer wieder Verkehrschilder mit neuen Tieren darauf.




Tatsächlich lebendig gesehen haben wir heute aber leider kein einziges dieser Lebewesen. Die Geckos und Skorpione im Hotel müssen reichen. Obwohl … wir sehen häufiger weiße Vögel über uns und über dem Fluss das Tal entlang fliegen. Wir können sie nicht eindeutig zuordnen und schwanken zwischen Reihern und irgendeiner weißen Papageien-Art (denn hier soll es Aras geben).
Bei Kilometer 40 lädt ein „Multiservice Parador“ zur nächsten Pause ein. Das Ganze sieht sehr neu aus, alles strahlend weiß und orange, aber es gibt diesen Ort schon seit 1999. Es gibt nicht nur ein Restaurant mit einer zentralen Outdoor-Küche und Theke darum herum, sondern auch Hotelzimmer im Gebäudeteil darunter. In irgend so etwas Ähnlichem werden wir heute auch übernachten. Auch hier wieder eine schöne Aussicht:


Ganz kurz nach dem Weiterfahren kommt uns ein Bikepacker entgegen. Damit haben wir schon ein bisschen gerechnet, weil sich in der Südamerika-WhatsApp-Gruppe jemand, der aus dem Süden kommt, nach einem Gastgeber in La Pintada erkundigt hat. Es ist Felipe (inzwischen der Dritte „Felipe“ auf dieser Tour), kommt aus Argentinien, hat seine Gitarre dabei, will bis Mexiko fahren und arbeitet immer mal zwischendurch, um Geld für die Weiterfahrt zu verdienen. Wir tauschen Kontakte und machen Bilder.


Vielleicht zehn Minuten später kommt uns ein weiterer Bikepacker entgegen: Konrad aus Polen, der mit seinem (Deutschen) Fahrrad die Welt umrundet, schon Asien, Polynesien, Australien, Neuseeland und Südamerika (insgesamt über 20 Länder) geschafft hat. Er gibt uns Tipps zu Ecuador und Peru, und auch wir tauschen Kontakte und machen Bilder. Wir sagen ihm noch, dass Felipe nicht sehr weit vor ihm in derselben Richtung unterwegs ist (das hatten wir sonst noch nicht, so kurz hintereinander).


Nicht weit vor Irra (wo wir eigentlich übernachten wollten, es aber nichts gibt, weshalb wir den Truckstop kurz hinter Irra „ausgesucht“ haben) ist noch einmal ein sehr großer Parador mit mehreren Restaurants und Cafés, nicht schön, aber voll von Busreisenden und sehr laut :-). Da wir inzwischen herausgefunden haben, dass unser Zimmer heute Abend nur sechs Quadratmeter haben wird, bleiben wir trotzdem mehrere Stunden hier. In der oberen Etage kann man sogar Eis kaufen, und wir haben noch mehrere ausgegebene Eis offen. Das ist die Gelegenheit! Als die Verkäuferin uns ignoriert und neben uns im Müll wühlt, und danach, ohne sich die Hände gewaschen zu haben, an die Eistruhen geht, vergeht uns der Appetit nach Kugeleis, und wir nehmen doch lieber Abgepacktes! Das haben wir uns heute redlich verdient – vielen Dank für’s Spenden, Tina und Stefan!

Als Viktors Handy leer ist und wir es an keiner Steckdose aufgeladen bekommen, es aber auch schon 14 Uhr ist, fahren wir dann doch in Richtung der Unterkunft. Wir kommen noch an einer Mautstation vorbei, an der wir fragen, ob wir morgen durch zwei Tunnel auf der Strecke fahren dürfen. Ein Herr dort sagt, wenn wir heute durch den Tunnel auf der zurückliegenden Strecke gefahren sind (ja, sind wir!), dann können wir das morgen auch. Etwas weiter ist eine Stelle mit Arbeitern in der gleichen Uniform, wo wir auch noch einmal fragen. Der Herr dort sagt, wir dürfen dort nicht durchfahren, sondern müssen einen anderen Weg, in jedem Fall mit sehr viel mehr Steigung, nehmen. Jetzt steht es 1 zu 1, und wir wissen noch nicht weiter. In der VIBICO-WhatsApp-Gruppe wird uns geraten, an einem Parador vor dem ersten Tunnel einfach die Lastwagenfahrer anzusprechen und sie zu bitten, uns durch den/die Tunnel zu transportieren. Mittlerweile ist es 20 Uhr und wir wissen nicht einmal genau, ob es sich um einen, zwei oder vielleicht sogar drei Tunnel handeln könnte.
Unser „Hotel“ liegt an einer Terpel-Tankstelle, oben drüber ist ein Restaurant und ein Minimarket, am Ende eine Rampe und ein paar Stufen hinunter kommt man zu Anmeldung. Die „Zellen“ sind wirklich nur sechs Quadratmeter groß, haben aber WIFI und AC. Ein Kommentar von anderen Radreisenden beschreibt es hier als „Gefängnis“, aber ganz so schlimm ist es nicht – die Toilette besteht zwar nur aus der Schüssel, ist aber hinter einer Wand. Alles, auch das Bett und die Handtücher, riecht nach Zigaretten. Bei den Handtüchern von einem „Grauschleier“ zu sprechen, wäre eine maßlose Untertreibung. Unser Zimmer ist ganz hinten im Gang, mit rosa Bettzeug. Wir nehmen nur das Nötigste mit ins Zimmer, auch wenn der Rest am Tandem einfach draußen stehen bleiben muss – es gibt keinen Ort zum Unterstellen. Aber die Tanktelle und der Parkplatz sind 24 Stunden geöffnet und bewacht, das Tandem steht direkt vor dem 24h-Minimarket und den Büros der Tankstellen-Mitarbeiter.







