Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Monat: September 2024

Woche 26 (23.9.24 – 29.9.24) Quito – Galápagos Inseln

Montag 23.9.24 – Quito & Mitad del Mundo

Für heute haben wir uns einen Touristentag in Quito vorgenommen. Das Hotelfrühstück besteht – wie schon seit geraumer Zeit – aus Rührei, Kaffee, Obst, Saft und – oh Wunder – einem Croissant, dass nicht nur aussieht wie ein Croissant sondern auch so schmeckt. Das hatten wir schon länger nicht mehr. Das Ganze mit einem tollen Ausblick aus dem Frühstücksraum ganz oben auf dem verwinkelten Hotelbau, der aussieht, als hätte man auf das Spitzdach nochmal etwas aufgesetzt.

Unsere „Free Walking Tour“ soll um 9 Uhr im Alameda-Park losgehen, gleich neben unserem Hotel. Leider haben wir gestern nachmittag nicht mehr auf die WhatsApp reagiert, die uns geschickt wurde. So scheint es kurz, als müssten wir die Altstadt ohne Stadtführer erkunden, aber dann können wir uns doch noch einer Tour um 10 Uhr anschließen. Unser Tourguide heißt Joel und lernt seit 16 Monaten Englisch. Dafür ist sein Englisch wirklich richtig gut, aber es ist manchmal trotzdem schwierig, seinen Ausführungen zu folgen, besonders in lauter Umgebung. Und laute Umgebung haben wir heute richtig oft, denn an allen Ecken der Stadt üben Schulklassen das Marschieren und Paradieren zu lauter Marschmusik. Am 26. September ist hier der „Dia de la Bandera“ (Tag der Nationalflagge).

Die Tour ist ganz interessant und führt ausschließlich durch die Altstadt Quitos. Wir erhalten viele Zahlen, Daten und Fakten zu den verschiedenen Gebäuden und unzähligen Kirchen (Basilika, Kathedrale, Straße der 7 Kreuze mit 7 Kirchen), aber es mangelt ein wenig an einem roten Faden oder einer historischen Einordung der Ereignisse, die sich in den Gebäuden abgespielt haben und von denen uns erzählt wird. Die obligatorischen Verkostungen regionaler Produkte (pinke Banane, Agaven-Saft, Schnaps-Bonbons und natürlich auch wieder Schokolade 🙂 ) in verschiedenen kleinen Läden dürfen natürlich auch bei dieser Tour nicht fehlen.

Nach dem Ende der Tour gönnen wir uns an der Plaza Grande (Großer Platz) auf Einladung von Aileen einen Banana Split, der uns zunächst ohne gesplittete Banane serviert wird. Nach einer kurzen Rückfrage, ob das in dieser Region so üblich sei, werden die Bananen aber gemeinsam mit einer Entschuldigung schnell nachgeliefert.

Vielen Dank an Aileen. Es wurde dann doch kein Rührei, sondern ein Entscheidungshilfe-Banana-Split, bei dem wir über „Galapagos-Inseln: Ja oder Nein“ diskutierten.

Auf dem Rückweg aus der Altstadt zum Hotel gehen wir anscheinend durch eine der berüchtigten Straßen, denn Jutta bemerkt plötzlich, wie ihr jemand an den kleinen (Camelbak-) Rucksack geht. Sofort dreht sie sich um und beschwert sich – der Missetäter bestreitet lauthals, den Reisverschluss geöffnet zu haben, aber es gibt sogar Zeugen. Im Rucksack war nur das Brillenetui, und das ist auch noch da, also ist noch einmal alles gut gegangen. Ein Zeuge geht noch eine Weile mit uns mit und rät uns, lieber einen anderen Weg zu nehmen. Und das mittags am hellichten Tag!

Nach einer kurzen Pause im Hotel machen wir uns auf den Weg zur Mitad del Mundo. Unser Guide Joel hat uns am Morgen geraten, mit der U-Bahn bis zur Endstation zu fahren und erst dort ein Taxi (er meinte natürlich Uber) zu nehmen, dann wäre es nicht so teuer. Und wir wollen sowieso gerne die erst im Dezember 2023 in Betrieb genommene Metro testen, also nutzen wir den Ratschlag. Hier muss man am Einsteigebahnhof für 0,45 Dollar ein Ticket kaufen – für die Rückfahrt geht es erst am dortigen Bahnhof – und den intakten QR-Code unter ein Lesegerät halten, um die Schranke passieren zu können. Das ist für regelmäßige Nutzer etwas umständlich, für uns aber ganz praktisch.

Schon an der Metrostation kommen wir mit einem anderen Fahrgast ins Gespräch und unterhalten uns auch während der Fahrt noch über unsere Optionen für die weitere Route durch Ecuador. Er rät uns dringend dazu, in den Bergen, also der „Sierra“, weiterzufahren, um Cuenca und Baños nicht zu verpassen. Wir sollen doch lieber ein paar Etappen mit dem Bus zurücklegen, als dass wir diese Schönheiten verpassen. Dieser Vorschlag kommt uns ganz gelegen, da die letzte Etappe nach Quito wirklich grenzwertig war.

An der Endstation „El Labrador“ finden wir sofort ein Taxi, mit dem die Fahrt noch einmal ziemlich lange dauert. Als wir ankommen, erklärt uns der Taxifahrer, wo der Eingang ist und dass das Gebäude vor uns die Universität der Kommunisten sei. Am Ticketschalter dauert jeder Kunde recht lange: der Kassierer stellt viele Fragen und fotografiert mit seinem Handy die Tickets auf seinem PC-Monitor oder was auch immer er da mit dem Handy tut.

Wir haben jetzt Zugang zu verschiedenen Ausstellungen, das ganze Gelände ist wie eine kleine Stadt mit mehreren kleinen Museen, Restaurants, Cafés, Läden und sogar Hotels. Es geht allerdings mehr um die Geschichte Equadors als um etwas „Mitte der Welt“-Mäßiges. Viktor fragt nach, wo es denn das Experiment mit der Corioliskraft gibt und erhält die Antwort, dass es dieses genau hier früher gab. Etwas enttäuschend! Dafür kann man genau auf der Äquatorlinie versuchen, ein Ei auf einen Nagel in einer Wiese zu stellen. Viktor hat es geschafft! Und wir erhalten hier einen Stempel in unseren Pass!

Wie eine kurze Recherche ergibt, wären die Experimente im Intiñan Solar Museum gleich in der Nachbarschaft zu sehen gewesen. Das hatten wir zwar irgendwann schon mal gelesen, aber weider vergessen. Nun gut, die Experimente sind sowieso alle geschummelt, denn die Äquatorlinie ist nun mal keine „Linie“ im eigentlichen Sinn. Auch das Experiment mit dem Ei kann man wohl überall auf der Welt erfolgreich durchführen.

Ei auf Nagelkopf gestellt
Stempel im Reisepass
Der Physik unter die Arme gegriffen (Quelle www.reiserei.com)

Auf dem Rückweg nehmen wir einen gerade herannahenden Bus, der angeblich zur Metrostation fährt. An dessen Endstation müssen wir allerdings in einen weiteren Bus steigen, der uns dann nach „El Labrador“ bringt. Wir wollen eine Station weiter als unser Hotel nach San Francisco fahren und dort in einem schönen Restaurant zu Abend essen. Als wir nach langer Fahrt hungrig dort aus der U-Bahn-Station kommen, ist alles dunkel: hier ist der Strom schon am frühen Abend abgeschaltet. Wir gehen trotzdem noch durch dunkle Straßen bis zu dem Zentrum, in dem das Restaurant ist, werden dort aber von einem Security-Mann aufgeklärt, dass alles geschlossen ist. Um 20 Uhr, noch eine Stunde hin, soll der Strom zwar wiederkommen, die Restaurants werden aber heute nicht mehr öffnen. Wir sehen Lichter einen Block weiter, aber uns wird nahegelgt, dort nicht hinzugehen, weil es eine sehr gefährliche Ecke sei. Der Mann schickt uns durch genau eine Straße, in der es ein Restaurant gibt, in dem wir dann schnell einmal Reis mit Huhn und einen Käse-Toast bestellen – nicht das, was wir uns für heute Abend vorgestellt haben. Erstmals auf unserer Tour fühlen wir uns tatsächlich richtig unwohl, denn die Straßen sind nur punktuell vom Scheinwerferlicht der Autos und Busse erleuchtet. Überall laufen Menschen mit eingeschalteten Handytaschenlampen herum. Auch wir nutzen unser Handy, um nicht über irgenwelche Bordsteinkanten oder Schlaglöcher zu stolpern.

Auch der Betreiber des Restaurants rät uns, die eine Metrostation mit dem Taxi zurückzufahren, weil es in der Dunkelheit auch viel zu gefährlich ist, den Weg zur Station „San Francisco2 zu gehen. Also gut, wir nehmen ein Taxi für eine Strecke, die wir sonst laufen würden. In Alameda, wo unser Hotel liegt, gibt es Strom, das Abschalten war also sehr lokal. An der Rezeption erkundigen wir uns nach einer weiteren Nacht und nach Touren nach Galapagos, weil wir heute gesagt bekommen haben, wenn man als Tourist in Ecuador nicht nach Galapagos fährt, sei das so als fahre man nach Paris, ohne den Eiffelturm zu besichtigen.

Dienstag 24.9.24 – Quito

Heute hören wir im Frühstücksraum noch mindestens an zwei weiteren Tischen Deutsche. Wir bleiben noch weiter oben sitzen und planen dort die weiteren Etappen bzw. überlegen schon einmal, wo wir wahrscheinlich einen Bus nehmen werden. Wir müssen uns schließlich nicht so verausgaben, dass uns abends Muskeln und Gelenke schmerzen und wir immer wieder Ruhetage benötigen. Außerdem sehen wir wahrscheinlich weniger, wenn wir immer nur auf der Hauptstraße fahren, als wenn wir gezielt (auch mit Bussen) schöne Gegenden und Orte besuchen.

Um zehn machen wir uns auf den Weg zur TeleferiQo von Quito. Da wir vorher noch einen Gürtel für Jutta kaufen müssen (der in Panama für 3,99 gekaufte ist heute morgen endgültig gerissen) fahren wir zwei Stationen Metro, gehen zum „Gürtelparadies“ und nehmen dann ein Taxi. Der Fahrer weiß zunächst nicht, wohin er uns bringen soll, denn Viktor sagt mehrfach „Funicular“. Erst als Jutta „Teleferique“ einwirft, wird es klar. Das Wort Funicular hat Viktor aus Katalonien im Kopf, das ist aber im Gegensatz zu einer Luftseilbahn eine Standseilbahn auf Schienen.

Das Taxi fährt recht lange einen Berg hoch, so dass wir schon Angst haben, dass wir nach oben gebracht werden. Die Talstation liegt aber wirklich schon recht weit oben, wahrscheinlich, damit die Kabinen nicht über bewohntes Gebiet schweben (wie in Medellin). Die Fahrt nach oben geht über 2,5 Kilometer und dauert 18 Minuten, die relativ wenigen Kabinen schweben sehr langsam den Berg hoch und runter. An einigen sind Fahrradgepäckträger vorne und hinten angebracht. Man kann sein Mountainbike mitnehmen und dann auch eine einfache Fahrt bezahlen, denn es gibt eine Mountainbike-Abfahrt, deren Anfang wir oben sehen.

Die Bergstation ist auf 4050 m ü.N.N., die Luft ist schon ziemlich dünn, aber es ist trotzdem warm. Und wir haben eine gute Sicht auf mehrere Vulcane und auf Quito.

Auf einem der Wanderwege kommt man zur „Schaukel in den Wolken“. Auch hier hören wir wieder Einiges an Deutsch. Wir schaukeln kurz, gehen dann aber nicht weiter, sondern wieder zurück, eine vier Kilometer Wanderung in dieser Höhe lassen wir doch lieber.

In einem Café mit riesiger Fensterfront kehren wir ein, genießen den Ausblick und haben einen kurzen WhatsApp-Video-Call mit ein paar Makowskis.

Bei der Abfahrt sind wir in unserer Kabine mit einem Paar (er aus den U.S.A., sie Ecuadorianerin), das in Manta an der Küste lebt. Sie hat lange in Quito gewohnt und erkennt von oben so Einiges wieder. Unten angekommen, teilen wir uns noch ein Taxi. Der Fahrer verlangt sowohl von uns als auch von ihnen den doppelten Preis der Hinfahrt. Der Versuch, ihn runterzuhandeln misslingt, denn er behauptet er müsse eine Extragebühr dafür zahlen, an der Talstation stehen zu dürfen. Aber wir müssen ja irgendwie wieder wegkommen.

Zurück im Hotel hat der Besitzer ein Angebot für eine Reise nach Galapagos für uns: sieben Tage, sechs Nächte, ab morgen. Wir hatten zwar eher an fünf Tage gedacht, aber dass es morgen schon klappt überzeugt uns dann, und wir sagen zu. Den fälligen Betrag sollen wir in bar bezahlen. Dafür müssen wir noch mit mehreren Kreditkarten an den Geldautomaten. Und das erweist sich noch als schwierig:

Von zwei Automaten ganz in der Nähe ist einer geschlossen, am anderen steht zwar, dass man 500 Dollar abheben kann, es würden aber nur 100 gehen, und das recht leider nicht. Deshalb brechen wir wieder in die Altstadt auf, wo es viele Geldautomaten gibt, und wo wir von zumindest einem wissen, dass er auch 500 Dollar ausspuckt. Nur ist dummerweise heute die Stromabschaltung schon seit 14 Uhr, und das Quartier ist schon wieder betroffen. Die Automaten sind also dunkel und tot. Wir wollen wenigstens versuchen, schon einmal zu essen und gehen zum Café del Fraile, in das wir gestern ja schon gehen wollten. Dort ist heute trotz des Stromausfalls geöffnet, und man sagt uns, was es alles nicht gibt (alle Heißgetränke, Naturales, Eis …). Wir bestellen und wollen so lange bleiben, bis um 18 Uhr wieder Strom fließt. Als wir fertig sind und sagen, dass wir mit dem Bezahlen warten möchten, bekommen wir erklärt, dass es doch bis 20 Uhr dauern wird und es dann ja längst dunkel sein wird. Eine Kartenzahlung klappt dann natürlich ebenfalls nicht… .

Etwas genervt suchen wir in Straßenblöcken mit Strom nach Geldautomaten, müssen aber etliche probieren, bis wir bei der Guajaquil-Bank endlich einen geöffneten und funktionierenden finden. Puh, das ist noch einmal gut gegangen, und bei dieser Bank ist die Gebühr sogar unschlagbar niedrig!

Die geplanten Stromabschaltungen sind übrigens in erster Linie das Ergebnis einer langen Dürrezeit, wie es sie seit 60 Jahren in Ecuador nicht mehr gab. Da über 70% des Strombedarfs in Ecuador mit Wasserkraft gedeckt werden, kommt es jetzt zu den Rationierungen von Strom (und auch Wasser). Die nächtlichen Ausgangssperren sind dann wiederum eine Folge der Stromabschaltungen, denn mit ihnen soll die nächtliche Kriminalität im Schutz der Dunkelheit eingedämmt werden.

Da es schon wieder dämmert, fahren wir lieber eine Station Metro zurück statt zu laufen, bezahlen die Galapagos-Reise in bar, packen unser Gepäck so um, dass wir zwei Taschen mitnehmen und den Rest hier im Hotel gemeinsam mit dem Tandem einlagern können, tragen das Tandem aus der Garage eine ganze Menge Stufen hinauf und parken es incl. Gepäck für die Woche hier im Hotel in einer Art Küche, die wohl nicht genutzt wird.

Den ganzen Nachmittag haben wir schon Rauchwolken gesehen, auch schon von der Bergstation, aber als wir am Hotel ankommen, ist es extrem geworden. Auch die Hotelmitarbeiter reden vom Feuer, wir hören Sirenen und wieder einmal liegt der Feuergeruch sogar in den Zimmern in der Luft.

Im Internet recherchieren wir, dass es aufgrund eines Waldbrandes am Stadtrand Verkehrsbeschränkungen in Quito geben wird. Gleichzeitig wurden aufgrund der Notlage aber auch Beschränkungen namens „Pico y Placa“ vorläufig aufgehoben, nach denen heute zwischen 16:00 und 20:00 Uhr keine Fahrzeuge hätten fahren dürfen, die die Endziffern 3 oder 4 auf dem Nummernschild tragen. Wir hoffen, dass unser Hotelbetreiber, der uns morgen früh um 7 Uhr persönlich zum Flughafen fahren will, die richtige Route kennt und die richtige Endziffer auf dem Nummernschild hat. Jedenfalls ist die Autobahn zum Flughafen nach seiner Aussage von dem Feuer betroffen, weshalb er möglichst früh losfahren will.

Mittwoch 25.9.24 – Quito – Galápagos Inseln

Um 6:45 Uhr sind wir abfahrbereit in der Hotellobby. Wir haben unseren roten Seesack und das orange Globetrotter-Rackpack als Reisegepäck dabei. Unsere beiden CamelBak haben wir zum Handgepäck umfunktioniert. Kurz vor sieben ist der Hotelbetreiber da, wir steigen in seinen KIA, und es geht los Richtung Flughafen. Vom Waldbrand ist kaum noch etwas zu bemerken. Die Feuerwehren scheinen ganze Arbeit geleistet zu haben. Wir fahren trotzdem eine weitere Strecke, um keinesfalls in die Nähe der Löscharbeiten zu geraten und dort womöglich im Verkehr stecken zu bleiben. Unter anderem fahren wir auch einen großen Teil der Strecke zurück, die wir mit dem Tandem bezwungen haben, denn die Abzweigung Richtung Flughafen liegt nördlich von Quito in der Nähe von Calderon. Es sind ca. 50 km, also praktisch eine Tagesetappe, wenn wir mit dem Tandem fahren würden.

Unterwegs wird uns bestätigt, dass es aufgrund der Verkehrsüberlastung in Quito in den Hauptverkehrszeiten (5-9 und 16-20 Uhr) schon seit Langem Beschränkungen gibt. Montags dürfen in diesen Zeiten keine Fahrzeuge unterwegs sein, deren Kennzeichen auf 1 oder 2 endet (Di 3-4, Mi 5-6, Do 7-8, Fr 9-0). So kann eine „Verkehrswende“ natürlich auch aussehen.

Kurz nach acht sind wir am Flughafen, über drei Stunden vor der Abflugzeit um 11:10 Uhr. Der Hotelbetreiber geleitet uns zum Schalter für den Galapagos-Touristenpass (20 USD pro Person), dann zum Röntgen unseres Gepäcks (es gelten scharfe Beschränkungen, damit keine invasiven Arten in die Flora und Fauna von Galapagos eingeschleppt werden) und schließlich zur Gepäckaufgabe. Erst als alles erledigt ist und wir nur noch durch die Sicherheitskontrolle müssen, verabschiedet er sich von uns. Wir frühstücken aber erst noch außerhalb des Sicherheitsbereiches bei „El Español“, wo wir uns auch für eine CO2-Emissions-Kompensation über „Atmosfair“ entscheiden, denn eigentlich hatten wir uns ja fest vorgenommen erst wieder in Ushuaia in ein Flugzeug zu steigen. Am Ende sind wir sogar etwas knapp am Gate und man erwartet uns dort schon mit persönlicher, namentlicher Ansprache.

Der Flieger ist nicht mal halb besetzt und es stellt sich wieder Erwarten heraus, dass es doch ein Direktflug ohne Zwischenlandung und Auftanken in Guayaquil ist, denn darauf waren wir eigentlich vorbereitet (und dafür haben wir „kompensiert“). Der Flug dauert knapp zwei Stunden und wir landen am Seymour Galapagos Ecological Airport (GPS) auf der kleinen Insel Baltra. Dort geht es durch eine Art Grenzkontrolle und Immigration. Ausländische Touristen zahlen pro Person 200 USD „Eintritt“, eine eidesstattliche Erklärung zur Nichteinfuhr verbotener Güter muss unterschrieben abgegeben werden (das Formular erhalten wir während des Fluges vom Bordpersonal) und das gesamte Gepäck wird geröntgt und von Spürhunden überprüft.

Vom Flughafen geht es per Bus zu einem Fähranleger (wir sehen auf der Fahrt bereits mehrere Leguane auf der Straße sitzen), von wo uns ein kleines Fährboot zur Hauptinsel Santa Cruz bringt. Dort wartet auf uns ein Pickup, der uns quer über die Insel zu unserem Hotel in Puerto Ayora bringt.

Zeit zum Einchecken ist nicht, wir können nur die Taschen abstellen und werden dann zur „Villa Luna“, ca. 15 Min Fußweg, geführt, wo wir in den nächsten Tagen Mittag- und Abendessen bekommen. Es ist halb drei, als wir dort ankommen und die Essenzeit eigentlich vorbei, deshalb dauert es wohl etwas, bis wir etwas bekommen. Und uns wurde gesagt, dass wir um halb vier am Treffpunkt – der uns auf dem Weg gezeigt wurde – sein sollen, um eine geführte Tour durch die „Charles Darwin Research Station“ mitzumachen. Das ist dann gleich nach dem Essen…

Unsere Gruppe besteht aus 13 Personen, wir sind die beiden einzigen, für die der Guide Englisch sprechen muss, alle anderen sind Ecuadorianer*innen. Wir hören also alles zweimal 😉 und bekommen vieles über dieses Archipel, die Flora und Fauna und über die Schildkrötenaufzuchtstation erzählt und gezeigt. Ohne autorisierten Guide darf man dieses Zentrum nicht besuchen, und dieses Zentrum ist ein Hauptgrund, warum Santa Cruz die touristischte Insel ist, die Hauptinsel mit der Regierung ist eine andere (San Cristobal).

Auf dem Rückweg zum Hotel, den wir erst einmal wiederfinden müssen – heute mittag sind wir nur hinterhergelaufen – haben wir immer noch keine Nachricht, wie es weitergeht. Wir checken ein, kämpfen ein wenig mit dem Verbinden mit dem W-LAN – der im anderen Treppenhaus aushängende QR-Code kann nur von internetfähigen Handys ausgelesen werden – und gehen dann wieder zur Villa Luna, um dort ein Abendessen zu bekommen. Viktor bekommt sogar einen Nachschlag Reis mit Bohnen als er sagt, er wäre noch hungrig.

Anschließend gehen wir auf ein Bier in die Santa Cruz Brewery.

Hier erhalten wir eine WhatsApp, dass wir morgen früh um sechs am Treffpunkt sein sollen. Wir verbringen den Tag auf einer anderen Insel. An so eine durchgeplante Pauschalreise müssen wir uns noch gewöhnen, so etwas haben wir noch nie vorher gemacht. Im Hotel ist es zum Glück kein Problem, wir werden ein Frühstück zum Mitnehmen bereitgelegt bekommen.

Es wird uns heute immer wieder erzählt, dass es auf den Galapagos-Inseln keine Kriminalität gibt, das muss also stimmen!

Donnerstag 26.9.24 – Galápagos Inseln – Isla Isabela

Morgens um viertel vor sechs ist leider doch kein Box-Frühstück bereitgelegt, und es ist auch noch niemand da, den man fragen könnte. Wir wollen aber pünklich sein und gehen ohne Frühstück zum Treffpunkt.

Die Informationen, die wir per WhatsApp am Vorabend um 18:37 Uhr von einer Johanna (Iyi Sanslar Travel) erhalten, sind eher dürftig. Wir wissen nicht wirklich, was uns heute erwartet, aber immerhin wissen wir, was wir mitbringen sollen. Sportschuhe haben wir nicht, also sind wir in unseren Shimano-Fahrradsandalen unterwegs.

Am Treffpunkt ist um kurz vor 6 Uhr nur eine Mutter mit ihrer Tochter „Isabela“. Welch ein Zufall, den es geht ja heute auf die gleichnamige Insel. Die Mutter scheint immerhin ein paar Informationen mehr per WhatsApp zu erhalten als wir.

Wir vier werden von einem Mann abgeholt, und wir gehen zu einem Anleger, an dem mehrere Menschen mit Listen und viele Touristen stehen. Jede Liste stellt ein Boot da, und wir erhalten Boarding Pässe für die „Britanny 1“. Alle Tschen und Rucksäcke müssen durch eine Röntgenkontrolle wie am Fluhafen, bevor man zum Wasser laufen darf. Am Anleger werden alle nach Booten sortiert aufgestellt und nach und nach mit Wassertaxis (pro Nase und Fahrt immer ein USD) zu den Booten gebracht. Da wir nicht mehr Informationen als die WhatsApp von gestern Abend haben sind wir nicht darauf eingestellt, jetzt zwei Stunden im Speedboat über das offene Meer gefahren zu werden – inklusive Seekrankheit natürlich.

Denn eine der Überraschungen für uns sind auf Galapagos die riesigen Abstände zwischen den einzelnen Inseln. Wir müssen heute zur Nachbarinsel Isabela mal eben 80 Kilometer zurücklegen. Mit dem Speedboat bei 40 km/h sind das 2 Stunden Fahrzeit. Inklusive 30 Minuten Ein/Aus/Umsteigen mit Wassertaxis gehen damit vom Tag schon mal 5 Stunden verloren. Wir sind heute also fast genauso viel Zeit mit dem Boot unterwegs wie wir auf der Insel Isabela verbringen werden. Das kann man mit Wohlwollen als „grenzwertig“ bezeichen. Und das wird beim Besuch der anderen Inseln nicht besser werden, denn sie sind eher noch weiter entfernt.

Die Brittany 1 hat drei Yamaha Außenbordmotoren, jede mit 300 PS. Ein kurze Recherche ergibt, dass jeder der Motoren 51 Liter Benzin pro Stunde verbraucht (bei 4.500 Umdrehungen pro Minute). Das ergibt bei zwei Stunden Fahrt 306 Liter Benzin für 32 Passagiere, also 9,6 Liter pro Passagier. Bei 2.392 Gramm CO2 pro Liter Benzin ergibt das ca. 23 kg CO2-Ausstoß für Hinfahrt und nochmals für die Rückfahrt pro Passagier. Viktor wollte es hier bloß mal geschrieben haben. Wir haben ja bei der Kompensation unserer Flüge über Atmosfair eine Zwischenlandung in Guayaquil einkalkuliert, die wir dann gar nicht gemacht haben. Da gehen wir jetzt einfach mal davon aus, dass zwei Starts und Landungen mit einem Airbus A320 mehr CO2 ausstoßen als die paar Fahrten mit den Booten. Aber richtig gut fühlt sich die ganze Speedboad-Raserei nicht an …. und zwar nicht nur wegen der Seekrankheit.

Zur Seekrankheit: Viktor hat irgendwann mal gelernt, dass die Seekrankheit durch die widersprüchlichen Informationen ensteht, die das Gehirn vom Gleichgewichtsorgan im Ohr und von den Augen erhält. Das Gleichgewichtsorgan sagt „Du bewegst Dich heftig auf und ab“, das Auge sagt „Du sitzt relativ still“, jedenfalls wenn man (wie Jutta) die Rückenlehne vor sich fixiert, die sich ja gemeinsam mit dem Schiff bewegt und in Relation zum Auge fast stillsteht. Viktors Anti-Seekrankheits-Technik ist daher: Entweder einen Punkt am Horizont oder Festland fixieren (dann erhält das Auge die gleiche schwankende Information) oder die Augen schließen (dann gibt es gar keine widersprüchliche Info für das Auge). Bei ihm funktioniert das einwandfrei … es mag aber auch bloß der Placebo-Effekt sein, weil er fest an seine Technik glaubt. Bei Jutta wirkt es nämlich auf der heutigen Rückfahrt nicht. Über die Hinfahrt schweigen wir uns hier einfach mal aus.

Um neun werden wir wieder mit einem Wassertaxi zum Puerto Villami auf der Isla Isabela gebracht, wo wieder mehrere Menschen mit Listen stehen und wir suchen müssen, auf welcher unsere Namen enthalten sind. Schließlich sind wir eine 14-köpfige Gruppe, und heute sind es nur vier Ecuadorianer, für den Rest ist Englisch angesagt. Unser Guide spricht deshalb wesentlich mehr Englisch als Spanisch. Und von ihm erfahren wir jetzt auch, wie der Tag hier auf der Insel strukturiert ist: vormittags geht es mit einem Boot (jeah!) zur vorgelagerten Insel Tintoreras, wo wir einen Gang auf dem Vulkangestein machen und anschließend in den Buchten schnorcheln können, anschließend ist im Ort Mittagessen, und danach geht es noch ins Landesinnere zu Flamingos und Schildkröten. Um viertel nach zwei ist wieder Treffpunkt für die Rückfahrt per Speedboat.

Glücklicherweise ist hier das Wasser noch ruhig. Beim Anlegen treffen wir gleich auf zwei Seelöwen-Babys, die keine Berührungsängste zu haben scheinen. Außerdem leben auf diesem Vulkangestein Unmengen an Küstenleguanen, und im seichten Wasser zahlreiche Haie und auch eine Wasserschildkröte.

Dann kann schnorcheln, wer will. Das Wasser ist ziemlich kühl, aber von allen Schnorchelpunkten bis jetzt ist dieses der beste, auch wenn wir keine Bilder davon haben. Dafür haben wir Videos von Walen (ohne dass wir darauf eingestellt waren) und Bilder von Blaufußtölpeln.

Nach dem Mittag geht es mit dem Bus erst zu der Lagune mit den Flamingos, danach zur Schildkrötenaufzuchtstation hier auf Isabella. Wie sehen unter anderem eine kopulierende Riesenschildkröte.

Fast pünktlich sind wir wieder am Anleger, müssen aber noch ziemlich lange warten, ehe unser Boot komplett ist und losfahren kann. Um zehn nach fünf landen wir wieder auf Santa Cruz an und müssen dort alle noch einmal durch die Röntgenkontrolle.

Im Ort gehen wir in der Villa Luna gucken, was es zum Abnedessen gibt und entscheiden uns dann, heute einmal schön essen zu gehen – Viktor hätte gerne Lobster. Im Al Mar werden wir fündig. Der Hummer ist eigentlich für zwei Personen, aber Jutta möchte etwas Vegetarisches und Viktor schafft ihn dann auch alleine. Nach dem Essen haben wir immer noch keine Nachricht, was morgen sein wird, die kommt erst nach 21 Uhr.

WhatsApp für Freitag

Freitag 27.9.24 – Galápagos Inseln – Tortuga Bay Beach – Bahia-Tour (Schnorcheln, Grietas, Playa de los Perros)

Nach einem unerwartet guten Frühstück im Hotel gehen wir zu acht Uhr zum Treffpunkt. Unser Guide Rodrigo erklärt unserer Gruppe, dass wir ca. zwei Stunden laufen bis zum Tortuga Bay Beach, dort Zeit verbringen und am besten mit einem Wassertaxi von dort zurückfahren, damit wir mittags wieder im Ort sind. Jutta würde lieber auch zurück laufen, aber er überzeugt uns, das Taxi zu reservieren.

Die „Wanderung“ geht vom Ortsrand über einen vollständig gepflasterten Weg durch einen Wald aus Kakteen, Palo Santo (Bursera Graveolens), Matazarno (Piscidia cathargenesis), Manzanillo (Hippomane mancinella) und vieles mehr. Rodrigo erzählt viel über die Anpassung der Pflanzen und Tiere hier, über die verschiedenen Meeresströmungen (aus Panama der Panamastrom, aus Peru der Humboldstrom und aus Australien der Cromwellstrom) und auch, dass der Klimawandel nicht menschengemacht ist sondern schon immer existiert hat. Na ja, er ist jedenfalls mit Leib und Seele dabei! Viktor kann sich trotzdem nicht zurückhalten und fragt nach, wie viele Jahre die Evolution auf Galapagos benötigt hat, für die Anpassung und „Endemisierung“ der Arten, von denen er berichtet. Zigtausende Jahre ist die Antwort. Auf die Frage, ob die Evolution das mit der Anpassung auch in wenigen hundert Jahren schaffen könnte, da die Erderwärmung ja seit der Industrialisierung eher etwas schnell voranschreitet, kommt die überraschende Antwort: „Wir sind ja schon fast vollständig auf erneuerbare Energien umgestiegen!“ …. oooooookeeeeey …. Ecuador, Wasserkraft, Dürre und Stromabschaltungen? Ach lassen wir das hier.

Als wir am Strand ankommen, ziehen wir die Schuhe aus und es fühlt sich fast wie Wangerooge an: ganz weicher, heller Sand, an einer Seite welliges Wasser, an der anderen Seite – wenn man nicht ganz scharf guckt – etwas wie Dünen. Das tut mal richtig gut, das Barfußlaufen!

Vom großen Strand biegen wir ab zum Tortuga Bay Beach, der richtig bevölkert ist, und wo man auch baden kann in türkisfarbenem, aber kaltem Wasser. Da es erst zehn Uhr ist, ändern wir unsere Reservierung von zwölf auf elf Uhr, und eigentlich hätten wir auch genug Zeit, zurückzulaufen. Viktor geht kurz in Wasser, und wir laufen den Strand rauf und runter und halten Ausschau nach Haien in den Mangroven – das ist zwischen den Wurzeln aber nicht so einfach.

Das Wassertaxi fährt zwanzig Minuten über die hohe See – Jutta ist schon wieder seekrank. Wieder im Ort gehen wir erst einen Kaffee trinken (haben ja etwas Zeit gewonnen 😉 ) und danach in der Villa Luna Mittagessen. Dort werden wir erkannt und Jutta gleich gefragt, ob vegetarische Nudeln okay wären. Und als sie gebracht werden, bekommen wir zwei Portionen, so dass Viktor zwei Mittagessen verzehrt. Sie waren wohl enttäuscht, dass wir gestern Abend unverrichteter Dinge wieder gegangen sind und wollten das wieder gut machen.

Um zwanzig nach eins ist schon wieder Treffpunkt, diesmal nimmt uns Johanna mit (von der wir die spärlichen WhatsApp-Infos bekommen haben) und bringt uns zum Anleger (also noch eine anstehende Bootsfahrt). Dort dauert es eine ganze Weile, bis die Gruppe vollzählig ist. Aber als es endlich losgeht und alle mit Schwimmweste bekleidet in das Boot steigen, beginnt eine wirklich tolle Tour: erst schnorcheln wir irgendwo in der Akademie-Bucht, dann fahren wir etwas und gehen zur „Griega“ einem natürlichen Schwimmbecken zwischen Felsen, wo wir wieder schnorcheln oder schwimmen, und als letztes machen wir eine kleine Wanderung zum Playa de los Perros, bei der wir Blaufußtölpel brütend, mit einwöchigen Jungtieren, mit ältern Jungtieren und umeinander werbend sehen können. Wenn zwei Eier ausgebrütet werden, überlebt zu 75% nur das erstgeborene Küken – weil dieses immer zuerst gefüttert wird. Nur bei extrem guten Konditionen bekommt das zweitgeborene auch ausreichend Nahrung ab und überlebt die ersten Wochen. Die Rotfußtölpel legen immer nur ein Ei und haben deshalb dieses Problem nicht, bei den Nazca-Tölpeln werden mehrere Eier ausgebrütet und alle „jüngeren“ Küken werden vom Ältesten getötet (sog. Siblizid). So ist die Natur!

Ziemlich durchgefroren, trotz Nassanzügen, sind wir nach kurzer Fahrt wieder in Santa Cruz. Wir gehen im Hotel heiß duschen, anschließend in der Villa Luna essen und abschließend noch etwas an einer Bar trinken (ein Honigbier bzw. einen Mosquito).

Ein kleines Zwischenfazit kann man wohl heute schon ziehen: Der Aufwand hat sich gelohnt und lohnt sich auch weiterhin (ja auch die ganze Speedboat-Fahrerei). Was man hier auf Galapagos sieht und lernt, wieviele Tiere man aus nächster Nähe beobachten kann, welche Vielfalt man beim Schnorcheln sieht, einfach unfassbar. Vor einigen Wochen haben wir noch jeden einzelnen grünen Leguan verfolgt und gefilmt … wir haben uns wie Bolle über Aras gefreut, die über uns flogen … jeder Brüllaffen-Ruf hat unseren Herzschlag beschleunigt … hier stolperst Du praktisch ständig über Küstenleguane und alle möglichen anderen Tiere, lässt das Handy stecken und genießt einfach den Anblick.

Samstag 28.9.24 – Galápagos Inseln – Isla Santa Fe (Schnorcheln)

Heute soll eine weitere Insel besucht werden, allerdings ohne diese zu betreten. Vor der Isla Santa Fe ist wieder Schnorcheln angesagt. Das Wetter ist nicht besonders gut und der Wellengang stellt sich mal wieder als übelkeiterregend heraus. Heute schaffen wir es aber, ohne Spucktüten auszukommen oder über der Reling zu hängen.

Aber zunächst findet morgens um acht Uhr das übliche Spiel statt. Am Treffpunkt befindet sich bereits eine große Gruppe, die aber an einer anderen Tour teilnimmt. Wir bleiben einsam zurück und Viktor fängt gerade an, eine WhatsApp zu tippen, als ein junger Mann uns abholt. Der bringt uns 500 Meter weiter zum bereits bekannten Anleger, wo alle Touren losgehen und übergibt uns an eine junge Frau. Die junge Frau übergibt uns dann nach 15 Minuten Wartezeit wiederrum an unsere heutige Tourguide „Susan“, genannt Susy. Diese steigt 30 Minuten später mit uns auf das Boot. Wir verstehen nicht ganz, warum so viel Personen involviert sind, vermuten aber, dass jede irgendwie mitverdient, obwohl unsere Namen auf der Passagierliste des Bootes „Sunray“ stehen, und es eigentlich auch reichen würde, wenn man uns mitteilt, dass wir um 9:00 Uhr am Anleger sein sollen um das Boot „Sunray“ zu besteigen. Na ja, wir sorgen ja gerne für ein paar zusätzliche Verdienstmöglichkeiten. Das Einsteigen verzögert sich noch eine Weile, weil ein Seelöwe den Steg belegt und es zu gefährlich ist, an ihm vorbeizugehen – die Tiere beißen heftig.

Nach einer guten halben Stunde kommen wir am ersten geplanten Halt an – noch auf Santa Cruz, wie wir nur dank der Aufzeichnung mit dem Garmin wissen. Der Wellengang ist allerdings so hoch, dass Susy mit Gesten erklärt, dass wir umdrehen – es ist zu gefährlich. Kurz denken wir, dass es zurück geht, aber erst nach einer weiteren Stunde Fahrt sind wir wirklich vor Santa Fe. Wir bekommen alle Nassanzüge, Flossen und Schnorchelbrillen und drehen die ersten Runden. Das Wasser ist eisig, aber superklar und voller verschiedener Fische. Ziemlich durchgefroren sollen wir uns an Bord nicht umziehen, weil wir noch zu einem weiteren Schnorchelpunkt fahren. Immerhin gibt es ein Heißgetränk und ein paar Snacks zur Stärkung zwischendurch. Auf dieser Fahrt sind zwei Angeln ausgeworfen, und es wird tatsächlich ein recht großer Fisch gefangen.

Am zweiten Punkt sind es in erster Linie die Seelöwen, aber auch wieder ganze Fischschwärme und auch eine Schildkröte, die das Schnorcheln sehenswert machen (wir haben es in den letzten Tagen eigentlich schon genug gemacht, aber zumindest ist die Reihenfolge die richtige, da es von Mal zu Mal besser wurde).

Anschließend dürfen wir uns umziehen und bekommen dann ein warmes Mittagessen an Board – Fisch, aber nicht den gerade gefangenen. Susy teilt die von ihr gemachten Videos und Bilder, und um zwei wird die Rückfahrt angetreten. Der heutige Kapitän macht es wirklich gut, wir reiten richtig auf den hohen Wellen. Auf der Rückfahrt halten auch die drei Motoren durch, die auf der Hinfahrt immer mal ausgestiegen sind, an denen zwischendurch aber heftig gearbeitet wurde.

Nach einer heißen Dusche im Hotel nutzen wir den weiteren Nachmittag noch zum Shoppen – morgen geht es nach San Cristobal, und so ganz ohne Andenken wollen wir Santa Cruz nicht verlassen.

Sonntag 29.9.24 – Galápagos Inseln – Isla San Cristóbal

Heute ist der Umzug in ein Hotel auf der Insel San Cristóbal fällig. Das bedeutet wieder zwei Stunden Bootsfahrt mit einem Speedboat. Heute ist es die D LUIS. Das Boarding geht relativ zügig vonstatten, wir sind positiv überrascht und haben Plätze relativ weit hinten ergattert, wo das Hüpfen und Schaukeln auf den Wellen nicht so stark zu spüren ist. Da haben wir dem Organisationstalent der Menschen hier am Hafen vielleicht doch etwas Unrecht getan, in den vergangenen Tagen …

… tja, und dann fehlen halt noch ein paar Passagiere, wir sitzen über 30 Minuten im schwankenden Boot und warten. Irgendwann kommt ein Wassertaxi mit mehreren Männern mit eigenartigen großen Kisten angefahren und wir hören schon aus einiger Entfernung lautes Krähen. Die Männer sind Teilnehmer am gestrigen Hahnenkampf-Wettbewerb (Pelea de Gallos) und sie haben natürlich ihre Kampfhähne dabei. Diese werden im gesamten Mittelgang des Bootes von vorne bis hinten zwischen den Sitzen abgestellt, also auch direkt neben Viktor am Gangplatz. Fluchtwege und Sicherheitsmaßnahmen sind da eher zweitrangig … aber das kennen wir ja schon vom Transport unseres Tandems in kleineren Bussen mit Mittelgang. Da wurden auch andere Passagiere in ihren Sitzen quasi eingeschlossen, als unser Tandem an Bord war. Für die Überfahrt nach San Cristóbal mischen sich so jedenfalls die salzige Meerluft und die Ausdünstungen abgekämpfter Kampfhähne (oder nennen wir es liebevoll „frische Landluft“) zu einem ganz besonderen Ambiente an Bord. Die Überfahrt ist dann wie gehabt eine rumpelige Angelegenheit, aber tatsächlich bleiben wir heute beide von Seekrankheit verschont, auch ohne die empfohlene Akupressur am Handgelenk anzuwenden.

Auf San Cristóbal setzen wir wieder mit einem Wassertaxi zum Anleger über (1$ pro Person). Dort werden wir schon von unserem lokalen Betreuer „Santi“ erwartet, der uns mit dem Taxi zum Hotel bringt und irgendjemandem ein Beweisfoto von uns beiden senden muss, als wir gegen 10 Uhr vor der Rezeption stehen und einchecken. Unser Zimmer riecht etwas schimmlig, ist aber geräumig und sauber.

Den Vormittag erkunden wir den Ort, insbesondere die Promenade am Wasser. Die Insel scheint wesentlich ruhiger als Santa Cruz, trotzdem gibt es auch hier einige Souvenier-Läden und auch viele Cafés und Restaurants. Und überall liegen Seelöwen herum – Mütter mit ihren Jungen. Wir beobachten ein ganz Junges, wie es hungrig versucht, die Zitzen der Mutter zu finden, sich aber nicht zurechtzufinden scheint. Die Mutter unternimmt alles Mögliche, das Kleine in die richtige Richtung zu weisen. Solange wir dort stehen, vergeblich!

Zwischen den Seelöwen gibt es auch hier Leguane und Krabben (letztere nur am Wasser, nicht auf den Wegen), und alle verstehen sich gut, es gibt keine Konkurrenz zwischen ihnen.

Mittag gibt es wieder in einem Restaurant außerhalb des Hotels, hier ist es aber sehr viel kleiner mit nur wenigen Tischen, keine Massenabfertigung wie in Santa Cruz.

Um halb drei ist Treffpunkt vor dem Hoteleingang mit Patricio und zwei weiteren Hotelgästen zu einer Tour. Wir werden ein paar Meter mit einem Taxi zum „San Cristóbal Gianni Arismendy Environmental Interpretation Center“ gefahren. Dort bekommen wir zunächst die Entstehungsgeschichte des Archipels erklärt – hier die Inseln im Osten sind mit ca. 5 Mio. Jahren die älteren, die im Westen sind erst 750.000 Jahre alt – dann haben wir eigenständig Zeit, die Ausstellung über die Geschichte inkl. der Touristischen Entwicklung anzuschauen. Im Anschluss laufen wir hoch zu einem Aussichtspunkt und runter zu einem Strand. Währrenddessen gibt es Erklärungen zu den unterschiedlichen Kakteen (Candelaria und Opuntia), zu Leguanen und Seelöwen. Am Carola Beach haben wir noch einmal Freizeit, um wahlweise zum Leuchtturm zu klettern (wir) oder etwas anderes zu machen.

Es zieht ein starker Wind auf und der Himmel wird immer dunkler, als wir Richtung Ort aufbrechen, am „Playa Mann“ vorbei. Dieser Strand heißt in Erinnerung an Alexander Mann so, der vor ~45 Jahren in Guayaquil ein großes (Kinder-)Krankenhaus hat bauen lassen und auch hier auf der Insel eine Persönlichkeit war. Bis wir im Ort ankommen, sind wir etwas nass und ziemlich kalt, so dass wir nach der Verabschiedung von Patricio erst einmal eine heiße Schokolade trinken gehen, um uns aufzuwärmen.

Von dort geht es direkt zum Abendessen. Mit uns kommt auch gerade eine Gruppe aus 20 jungen Menschen (fast ausnahmslos Frauen) an, die wahrscheinlich aus einem Skandinavischen Land stammen, wir können die Sprache aber nicht näher eingrenzen. Am nächsten Tag treffen wir sie an der Schildkröten-Aufzuchtstation wieder, wo sie offensichtlich als Freiwillige arbeiten und gerade die Fütterung vorbereiten.

Hier auf San Cristóbal können wir uns in „unserem“ Restaurant etwas von der Karte aussuchen, und dann werden sechs USD pro Person vom Preis abgezogen. Die allermeisten Gerichte liegen bei > 10 USD, so dass es hier mit dem „all inclusive“ nicht so ganz hinkommt. Aber man kann sich aussuchen, was man essen möchte, was auch nicht schlecht ist.

Anschließend im Hotel bekommen wir nicht einmal den gesamten Tag rekapituliert, bevor wir müde schlafen gehen.

Woche 25 (16.9.24 – 22.9.24 Pasto – Quito

Montag 16.9.24 – Pasto – Ipiales (Busfahrt) (2.950 m ü. d. M.)

Im Bus

Als morgens der Wecker klingelt, schlägt Viktor vor, hier und heute einen Bus nach Ipiales zu nehmen, statt noch einen Tag mit 700 Höhenmetern zu fahren, zumal das Wetter kalt und nass ist. Jutta stimmt sofort zu. Wir packen alles ein, frühstücken in einer Mais-Panaderia um die Ecke und fahren dann zum Busterminal, zu dem wir wieder einmal hinter einem Moped her fahren dürfen, weil Google uns durch eine gefährliche Gegend schicken würde und ein hilfreicher Kolumbianer uns rechtzeitig abfängt.

An den Ticketschaltern kann man uns nicht helfen, wir sollen bei den von weiter her kommenden Bussen (Cali, Medellin) warten und fragen, wer uns mitnimmt. In einer Wartehalle machen wir das Tandem transportbereit (also kleiner) und uns bereit zum Warten. Um acht waren wir am Terminal, ab 20 nach warten wir auf den passenden Bus. Eine Terminalmitarbeiterin will sich für uns darum kümmern. Der erste Fahrer, den sie fragt, lehnt ab, der zweite schlägt vor, das Tandem hinten in seinen kleinen Bus unter die Sitze zu legen, was wir ablehnen, und um kurz nach neun gibt es einen Bus mit nur 18 Sitzplätzen, aber einem Gang dazwischen, in den wir das Rad stellen dürfen.

Und so fahren wir für ein kleines Geld um halb zehn los nach Ipiales. Beim Aufstieg überholen wir einen Bikepacker, der sich bei dem nassen, kalten und sehr stürmischen Wetter dort hochkämpft (aber gerade pausiert). Wir sind froh, dass wir die Entscheidung mit dem Bus getroffen haben. Und schon um viertel nach elf machen wir das Tandem in Ipiales wieder fahrbereit. Leider ist die Steckverbindung für die Lichtkabel, die immer getrennt werden muss, wenn Juttas Sitz abmontiert wird, heute kaputt gegangen, und wir haben kein Licht mehr.

Mit warmen und wasserdichten Jacken fahren (und schieben) wir zum Hotel, das wir unterwegs aus dem Bus reserviert haben, und beginnen zu lachen, als wir dort ankommen. Vor dem Hotel steht ein Motorrad, dass wir gestern abend und heute morgen schon auf dem Parkplatz des Hotels in Pasto gesehen haben, ohne dass wir die dazugehörigen reisenden Neuseeländer gesehen haben. Diese sind aber soeben auch angekommen und erkennen das Tandem natürlich auch. Per Zufall sind wir wieder im selben Hotel untergekommen. Sie sind mit dem Motorrad hier hochgefahren und sagen, solch einen schlechten Tag (wettermäßig) hatten sie noch nicht auf der ganzen Tour (unterwegs seit Juli). Sie fragen uns noch, wann wir denn in Pasto losgeradelt wären und wir klären den Irrtum auf, auch wenn einer von uns kurz mit dem Gedanken spielt, sie in dem Glauben zu lassen, wir hätten diese schwierige Strecke an einem einzigen Vormittag (statt geplanter drei Tage) geschafft.

Wir checken um 12 Uhr ein und machen erst einmal eine Mittagsruhe. Schließlich müssen wir uns an die knapp 3.000 Meter Höhe gewöhnen und die heftigen Bergetappen stecken uns auch noch in den Knochen. Jutta schreibt schon mal ein wenig weiter am Blog, denn wir haben einiges aufzuholen.

Kurz nach 15 Uhr machen wir den ersten Spatiergang durch den Ort, besichtigen kurz die Kathedrale „San Pedro Martir“ und gehen einen Kaffee trinken. Das „Coffee Muna“ liegt in einer kleinen Shopping Mall und hat beim „corporate identity“ voll auf das Thema Katzen gesetzt. Wir entdecken dort im Spiele-Regal ein Spiel aus 2015/2019, bei dem man die schönsten Verschwörungstheorien entwickeln könnte.

Besondere Dose für das Trinkgeld

In einer Ferreteria kaufen wir Steckverbinder (Flachstecker) für die Reparatur des Lichtes, in einem „Hyper“markt Getränke, Müsliriegel und andere Verpflegung für die nächsten Etappen. Und in einem Kleintier-Zubehörgeschäft erhalten wir auch endlich eine dieser Ultraschall-Pfeifen, mit denen wir in Ecuador und Peru versuchen wollen, die Hunde abzuschrecken, die dort besonders lange bellend und nach Unterschenkeln schnappend hinter Radfahrenden herlaufen sollen, so berichten es jedenfalls andere Radreisende in der Südamerika-WhatsApp-Gruppe „Cycling South America“.

Apropos Whats-App: Heute erreicht uns noch die Nachricht, dass das Facebook-Video mit dem kurzen Interview an der Panamericana schon über Ecuadoriansche Geflüchtete eine Erstaufnahme-Einrichtung in Deutschland erreicht hat.

Wir bringen die Einkäufe ins Hotel zurück, Viktor repariert noch schnell im Hellen das Licht am Tandem und nach einer kurzen Verschnaufpause geht es los zum Abendessen. „Verschnaufpause“? – ja, man merkt die knapp 3.000 Meter doch ein wenig. Die könnten übrigens auch der Auslöser für den leicht erhöhten systolischen Blutdruck sein, den Viktors Smartwatch neuerdings feststellt.

Dienstag 17.9.24 – Ipiales & Las Lajas (Ruhetag)

Nach einer ziemlich kühlen Nacht im Hotelzimmer ohne Heizung (aber mit drei Decken), wir schätzen circa 16 °C Zimmertemperatur, haben wir uns heute einen Besuch des Marienwallfahrtsortes „Las Lajas“ vorgenommen, der ganz in der Nähe liegt und mit dem Sammeltaxi gut erreichbar ist. Die Nacht ist nicht nur kühl, sie scheint auch irgendwie sauerstoffarm. Viktor wacht immer mal wieder auf und muss ein paar tiefe Atemzüge machen, bevor er wieder einschlafen kann. Keine Ahnung, ob das von der Höhenluft oder eventuell doch vom Schnarchen kommt, das aber auf dieser Tour dank des Gewichtsverlustes eigentlich nachgelassen hat.

Jutta hat zum Frühstück eine kleine Mais-Panadería mit Café ausgesucht, die sich als als nettes kleines Lokal entpuppt. Viktor verzichtet heute mal auf den Kaffee und trinkt Kakao (von wegen Butdruck und so). Wir essen dazu leckere Maisbrötchen.

Nach kurzem Aufenthalt im Hotel (am Toilettenspülkasten ist etwas kaputt und wir geben das weiter) geht es zu Fuß zur Abfahrstation der Sammeltaxis nach Las Lajas. In der beschriebenen Straße werden wir sofort angesprochen und mit uns ist der Minibus dann auch voll. Die Fahrt dauert keine Viertelstunde.

Wir werden entgegen der Aussage des Hotelbetreibers nicht an der Gondelstation, sondern direkt in Las Lajas ‚rausgelassen. Zur Basilika geht es an vielen Souvenirgeschäften vorbei über sehr viele Stufen und Rampen abwärts. Erst als wir fast dort sind, erblicken wir diese an einem Fels gebaute Kirche. Innen findet wohl auch hier ein Gottesdienst nach dem anderen statt, so dass wir nur von hinten einen Blick auf die Felswand mit der Maria werfen können. Auf dem Gelände gibt es aber mehrere Wege, die wir nutzen: zum Wasserfall, unten am Fluss entlang, zu Aussichtspunkten. Außerdem gehen wir in das Museum, dass unter dem als Kirche genutzen Teil liegt, und schauen uns etwas über die Geschichte dieser neugotischen Basilika an. Anschließend sparen wir uns die Fahrt mit der Seilbahn, weil wir meinen, schon alles gesehen zu haben.

Nach dem Aufstieg in den Ort finden wir ein Café mit Espresso-Maschine und trinken noch einen Kaffee in Las Lajas, dann fahren wir mit dem Sammeltaxi zurück nach Ipiales. Der Fahrer hat seinen kleinen Sohn auf dem Beifahrersitz und guckt immer wieder auf das ihm hingehaltene Handy, und das auf der kurvigen Straße. Wir kommen trotzdem heil wieder an. Puh!

Im immer noch kalten Hotelzimmer arbeiten wir am Blog-Update, updaten die Google-MyMaps Karte, suchen und buchen (auch in Ecuador anscheinend üblich per WhatsApp) für morgen in San Gabriel, unserem ersten Zielort in Ecuador, ein Zimmer. Das Zahlungsmittel in Ecuador ist seit dem Jahr 2000 der U.S.Dollar, und wahrscheinlich hat das preiswerte Leben jetzt erst einmal wieder ein Ende. Das Zimmer (im Hostal) kostet uns soviel wie zwei Nächte hier in Kolumbien.

Wir haben noch einige Kolumbianische Pesos und wollen sie möglichst noch ausgeben, also gehen wir noch einmal los, kaufen allerdings nur noch Wasser und trinken einen heißen Kakao. Zum Abendessen haben wir gestern einem Jungen in der Parallelstraße zugesagt, dass wir heute in dem Burgerladen seines Vaters essen werden. Als wir allerdings dort ankommen, sind alle Rolläden heruntergefahren. Im Laden gegenüber sagt man uns, dass er eigentlich geöffnet sein müsste, aber an manchen Tagen einfach geschlossen bleibt. Viktor versucht noch, per WhatsApp dort nachzufragen, aber letztendlich gehen wir in ein Restaurant, das einem Türken gehört (aber keinerlei Türkisches Essen auf der Karte hat). Es stehen Wasserpfeifen in einer Vitrine und hängen Arabische Schriftzüge an den Wänden, weshalb wir uns überhaupt erkundigen, woher der Besitzer kommt.

Mittwoch 18.9.24 – (097) – Ipiales – San Gabriel (2.860 m ü. d. M.)

1.066m bergauf

Gesamt: 5.869,23 km

Sobald der Hotelbetreiber gegen sieben Uhr ins Haus kommt, holen wir das Tandem vom Parkplatz vor die Hoteltür und bepacken es. Mit langen, mehrschichtigen Klamotten, Mütze und Handschuhen verlassen wir Ipiales, die gut drei Kilometer bis zur Grenze geht es bergab, und wir frieren trotz der vielen Kleidung.

Vor der Grenze lassen wir das Tandem bei Security-Männern stehen und gehen in einem Hotel frühstücken. Noch nie war es so gut, heißes Rührei mit Reis und Banane zu frühstücken – wenn es draußen 4 bis 5°C ist, wie wir erfahren, schmeckt das einfach besser. Garmin zeigt am Abend für den Zeitpunkt unserer Abfahrt in Ipiales sogar 2,8 °C an.

Unsere letzten Pesos tauschen wir vor der Grenze in U.S.Dollar, denn wir brauchen sie ja nicht aufzubewahren. Der Grenzübergang mit beiden Migrationsbüros dauert etwa 45 Minuten. Für die Einreise nach Ecuador haben wir extra unsere Führungszeugnisse mit Apostille dabei, sie sind aber (schon seit einigen Monaten) nicht mehr nötig. Völlig umsonst für teures Geld in Deutschland beantragt…

Am Einreiseschalter von Ecuador hinterlassen wir an einer Scheibe mit sehr vielen Aufklebern auch unseren – neben dem von den Neuseeländern, die wir in Pasto und Ipiales getroffen haben. Hier stehen auch Schautafeln für Geflüchtete mit Routen durch Ecuador und den drei unterschiedlichen Klimazonen hier: Amazonas, Sierra und Costa. Wir sind zunächst in der Sierra unterwegs, wo es am kältesten ist.

Um zwanzig vor zehn Uhr steigen wir im zehnten von uns bereisten Land auf’s Rad, und natürlich geht es bergauf. Wir haben uns eine Strecke auf einer Fahrradstraße ausgesucht, die „Via del Ciclista“, die auf 5,8 km von einer Höhe von ~3000m auf 3330m ansteigt, und an der immer wieder Schilder von Ecuadorianischen Radfahrgrößen mit ihren Erfolgen hängen. Es ist zwar ziemlich steil und anstrengend, wieder müssen wir an zwei Stellen schieben, aber es ist so toll, nach langer Zeit wieder einmal zu fahren, ohne die Straße mit PKW, Bussen und LKW teilen zu müssen. Kurz vor dem Pass gibt es einen Aussichtspunkt mit Radfahrerstatue (Mirador del Ciclista), wo wir eine Pause machen.

Als es wieder bergab geht, will Komoot uns wieder mal irgendwo links ab schicken, wo es nicht einmal einen Weg gibt – wir bleiben auf der Straße, kommen dann zwar schneller auf die Hauptstraße zurück, haben dafür aber Asphalt. Und eine sehr lange Abfahrt.

In Julio Andrade halten wir an einer kleinen Panaderia, bei der wir klingeln müssen, damit uns geöffnet wird. Wir unterhalten uns mit der Bedienung, die sich sehr viel über Anne Frank angelesen hat. Bevor wir weiterfahren, laden wir sie zu uns nach Hause ein, falls sie einmal nach Deutschland reisen sollte.

Im nächsten Ort, San Pedro de Huaca, fahren wir von der Panamericana ab, um uns die Wallfahrtskirche dort anzuschauen, die uns in der Panaderia ans Herz gelegt wurde. Leider ist sie gerade eingerüstet und verschlossen, aber wir können durch Gitter hineinschauen.

Weiter geht es bis San Gabriel, und wieder haben wir die Steigungen am Ende nicht vorher im Blick gehabt, weil sie im Höhenprofil des Tages einfach untergegangen sind. Um viertel nach zwei checken wir im Black House Hostal ein, zu dem es innerhalb des Ortes auch noch gut bergauf geht. Viktor hatte zwar vorgehabt, das Tandem in den Graben zu werfen, wenn es auf den letzten Kilometern noch einmal bergauf geht, glücklicherweise kommen wir (aufgrund fehlender Gräben) heile an.

Nach einer heißen Dusche und längerer Pause mit Planung des morgigen Tages gehen wir in den Ort, suchen erst ein Restaurant auf, in dem es Meerschweinchen (Cui asado) gibt (Viktor ist interessiert), befinden das Lokal aber als nicht sehr einladend. Also gehen wir noch ein wenig herum und landen dann in einem Café, in dem wir Sandwiches zu Abend essen. Am Nachbartisch sitzt ein Mann der auflacht, als Viktor nach einem Bier fragt. Nach einem kurzen Gespräch über ein mit „Club Colombia“ vergleichbares Ecuadorianisches Bier, springt Viktor nochmal rüber in den Supermarkt (wo wir gerade erst Wasser und Gatorade gekauft haben) und kauft eine Dose „Club Verde“, ein doppelt gehopftes (doble Lupulo) Pils, dass ganz gut zum Sandwich passt.

An einem der Geldautomaten am Ort erhalten wir immerhin 200 Dollar. Das scheint die maximale Summe zu sein, die ma abheben kann und für die man knapp über vier Dollar Gebühren zahlt. Mal schauen, ob in der Hauptstadt Quito mehr drin ist. Jedenfalls werden Kreditkarten hier wohl auch nicht so gerne akzeptiert. Die Zahlung per App scheint hier – ähnlich wie in Kolumbien – weit verbreitet. Für uns ist das eine unüberwindbare Hürde, denn man braucht dazu ein nationales Bankkonto.

Donnerstag 19.9.24 – (098) – San Gabriel – Ibarra (2.225 m ü. d. M.)

1.425 m bergauf

Gesamt: 5.954,31 km

Das Black House Hostal bietet Frühstück an, und so sitzen wir pünktlich um sieben mit den Betreibern und Mitarbeitenden zusammen im Frühstücksraum. Als wir um viertel vor acht losfahren, ist es ca. 10°C warm und so nebelig, dass wir kurz überlegen, ob wir uns Regensachen anziehen sollten. Die Straße durch San Gabriel bis zur Panamericana ist zwar nicht besonders bergig, aber sehr schlecht gepflastert. Wir kommen trotzdem ohne größere Probleme auf die Hauptstraße.

Es geht 40 Kilometer mehr oder weniger bergab, allerdings in Wellen. Bei manchen Abfahrten reicht der Schwung bis (fast) oben in der nachfolgenden Steigung, das sind uns die liebsten :-). Manchmal sind auf der Abfahrt Bodenwellen und wir müssen abbremsen, oder unten ist eine Ampel oder es stehen dort Busse/LKW, dann haben wir auch auf diesem Teil schon zu kämpfen. Die Nässe, die auch von unten kommt und Dreck hochschleudert, tut ihr Übriges.

Die letzten ca. 10 Kilometer unserer langen Bergabstrecke, bevor wir aus der Provinz Carchi in die Provinz Imbabura hinüberfahren, sind nochmal ordentlich steil mit einigen langgezogenen Kurven, aber auch mit etwas engeren Serpentinen. Irgenwo auf den letzten zehn Kilometern überholt uns trotz unserer relativ hohen Geschwindigkeit ein Rennradfahrer, der auch bergab weiterhin ordentlich in die Pedale tritt. Wir sind beeindruckt von seinen Fahrkünsten, besonders in den Kurven, die wir eher vorsichtig angehen. Circa eine Viertelstunde später kommen wir am Ende der Abfahrt mit hoher Geschwindigkeit an einer Unfallstelle vorbei, die bereits von der Polizei abgesichert ist. An einer Linksabbiegestelle (in unserer Fahrtrichtung) sind ein Rennrad und ein Pickup scheinbar frontal zusammengestoßen. Der Pickup hat heftige Schäden an der Front, das Rennrad liegt in mehreren Einzelteilen vor, unter und neben dem Truck. Wir sind uns relativ sicher, dass das nur der Rennradler gewesen sein kann, der uns überholt hat, denn aus unserer Richtung war sonst kaum jemand auf einem Rad unterwegs. Im Vorbeifahren sehen wir keine Verletzten, vermutlich werden die schon versorgt. Weil die Polizei schon da ist und wir auch keine „Gaffer“ sein wollen, fahren wir weiter ohne anzuhalten. Hätten wir halten müssen oder sollen?

Wir können uns eigentlich nicht erklären, wie es an der Stelle zu einem Frontalzusammenstoß kommen kann. Entweder waren beide der Meinung, noch vor dem Anderen abbiegen zu können, oder bei dem Rennrad haben die Bremsen versagt. Die Rennräder sind ja meist mit Felgenbremsen unterwegs, und das war wirklich eine verdammt lange Abfahrt, auf der wir immer wieder durch Intervallbremsen und Langsamfahren (und eine Pause in der Abfahrt) auf ausreichende Abkühlung unserer Scheibenbremsen achten mussten. Aber wir sind natürlich auch mit viel mehr Gewicht unterwegs als so ein Rennradler.

Die Unfallstelle

Unseren neuen Geschwindigkeitsrekord von 68,3 km/h erreichen wir erst einige Kilometer weiter auf einer schnurgeraden Strecke hinter Ambuqui.

Nach und nach hat sich der Nebel auch gelichtet, und wir erblicken auch wieder die umliegenden Berge. Die Temperatur ist allmählich angestiegen, so dass wir, als wir nach zwei Stunden und 40 Kilometern an einer Terpel-Tankstelle Pause machen, die ersten Schichten Kleidung ausziehen können. Hier lernen wir, dass man in dieser Gegend eine Tasse Milch bekommt, in die man am Tisch Nescafé-Pulver einrührt, wenn man „Café con leche“ bestellt. Wenn man echten „Tinto“ mit Milch haben möchte, muss man das auch so bestellen. Das Servierte wird uns aber sofort umgetauscht und erklärt, als wir fragend die Milchtassen anschauen, die uns aufgetischt werden.

Unsere Routenplanung sieht eigentlich vor, schon kurz nach der Pause an der Terpel-Tankstelle in Ambuqui zu übernachten. Es ist aber noch so früh am Tag – was sollen wir den ganzen restlichen Tag in dieser – wieder sehr kargen und verschlafenen – Gegend machen? Also hängen wir den Aufstieg nach Ibarra, dem morgigen Etappenziel und einer größeren Stadt, heute noch dran, auch wenn das ein sehr langer Tag werden wird. Scheinbar geht es uns zu gut! Aber wir können dann ja morgen einen Ruhetag in Ibarra einlegen und mal wieder unsere durchgeschwitzten Klamotten in einer Waschmaschine durchwaschen, statt sie immer nur im Waschbecken oder unter der Dusche durchzuspülen.

Zunächst geht es etwas durch das Tal, es wird immer wärmer – wir ziehen uns weiter aus – (aber lassen schon auch noch einiges an 😉 ) – und wir fahren wieder einmal durch riesige Zuckerrohrplantagen. Nur hier „unten“ im Tal ist es grün, die Hänge hoch stehen noch Kakteen, aber nach oben hört die Vegetation mehr oder weniger auf. Vor einer Polizeikontrolle an der Provinzgrenze gibt es noch einmal die Möglichkeit, etwas Kaltes zu trinken, die wir sofort nutzen, denn die letzen 30 Kilometer wird es nichts Weiteres mehr geben, und es sind 30 Bergauf-Kilometer. Die Möglichkeit zur Nutzung der Toiletten (Baños) lässt Jutta ungenutzt verstreichen, die sehen aber auch wirklich nicht besonders einladend aus. Trotzdem ist das eine Entscheidung, die sich später noch als Fehler erweisen soll.

Die Kilometer 55 bis 85 werden richtig hart. Wir können zwar überall fahren, ohne absteigen und schieben zu müssen, aber es geht wirklich stetig aufwärts, und es ist trocken und heiß. Der Seitenstreifen der E35 ist erst noch sehr breit, wird aber schmaler, nachdem die Straße eine Weile zweispurig ist, was das Fahren auch noch schwieriger macht. Auf diesem Teil machen wir die Pausen nicht, um die Bremsen abkühlen zu lassen, sondern um unsere Körper regenerieren zu lassen.

Nach etwa der Hälfte der 30 Kilometer (aber beileibe noch nicht der Hälfte der zu bewältigenden Höhenmeter :-/ ) braucht der Captain schon wieder eine (Trink-)Pause. Da er weiß, dass die Stokerin eine „gegenteilige“ Pause benötigt und noch mindestens eine weitere Stunde keine „Baños“ zu erwarten sind, sucht er für die Pause auf dem Seitenstreifen eine perfekte schattige Stelle unter einem Baum mit breitem Baumstamm aus, hinter dem man verschwinden kann, ohne von der Straße aus sichtbar zu sein.

Als die Stokerin wieder hinter dem Baum hervorkommt, ist sie an Socken und Hosenbeinen übersät mit kleinen, stechenden Ähren, die sich mit ihren Widerhaken bei jeder Berührung noch tiefer in den Stoff der Kleidung bohren. Die Hilfe des Captains wird schon bei der ersten Berührung abgelehnt, denn es sticht nur noch heftiger. Man kann sich vermutlich vorstellen, dass dieses Zeug nicht nur außen an der Keidung haftet, sondern auch an Stellen, an denen es besonders unangenehm ist. Dem Captain scheint ein kompletter Kleidungswechsel am Straßenrand die einzige Option, aber mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl (oder besser Fingernagelgefühl) bringt sich die Stokerin nach einiger Zeit wieder in einen halbwegs fahrfähigen Zustand. Die Schreckenspflanze können wir trotz KI-Einsatz später nicht näher eingrenzen, ist es Festuca, Stipa oder Agrostis („Agro“ hört sich jedenfalls passend an)? Dazu kommt, dass wir beide an dieser Stelle von kleinen, bremsenartigen Insekten angefallen und blutig gebissen werden – wie auch schon bei einigen langsamen Anstiegen während der Fahrt – diese Viecher riechen den Schweiß und sind bei langsamer Fahrt gnadenlos zielsicher. Und wer brauchte jetzt nochmal unbedingt eine Pause an dieser „perfekten“ Stelle? 😉

Reste der Schreckens-Ähren in der Unterwäsche

Noch ein wenig mehr zu diesen bremsenartigen Insekten, Sandmücken, „Purrujas“ und anderen Ceratopogonidae: Die Viecher sind sogenannte Pool-Trinker, das heißt sie ritzen die Haut an, warten auf das austretende Blut und trinken es (natürlich auch hier nur die Weibchen, die Männchen sind harmlose Blütenbestäuber). Den kleinen Ritz merkt man zunächst gar nicht. Erst, wenn man über die Stelle wischt, sieht man einen kleinen blutigen Streifen. Das Jucken beginnt erst mehrere Minuten nach dem Biss, manchmal auch erst am nächsten Tag. Und – verdammt nochmal – das juckt, als gäbe es kein Morgen. Zum Glück kommt und geht das Jucken irgendwie in Schüben, es ist also kein Dauerzustand. Einige von denen vermehren sich offenbar im feucht-warmen Boden, wie er auf gut bewässerten Zuckerrohrplantagen in warmen Tälern wie dem „Valle de Cauca“ in Kolumbien oder jetzt eben hier im Tal der Flüsse Ambi, Tahuando und Chota in Ecuador zu finden ist.

Acht Kilometer vor dem Ziel, die besiedelte Gegend beginnt hier wieder, halten wir noch einmal an einem Restaurant und gönnen uns jeder eines der hiesigen „Eis am Stiel“ mit schrägstehendem dicken Holzstiel, die wohl in den Lokalen selbst hergestellt werden.

Eis am schrägstehenden Holzstiel

Auf der Reststrecke passieren wir die hiesige Lagune (die wir eventuell morgen an unserem Pausentag besuchen) und fahren noch sehr lange durch die Stadt. Es ist nach vier, als wir am Zielpunkt ankommen, allerdings ist weit und breit nicht das ausgesuchte Hotel zu sehen. Immer gerade nach solchen langen Tagen hat Komoot Probleme, obwohl sowohl der Hotelname (Plaza Victoria) als auch die Adresse im System bekannt waren. Das Handy ist offline, wir können also auch Google nicht befragen, aber ein Neustart hilft, und immerhin ist das Hotel so nah, dass wir dorthin schieben können.

Auch nach mehrfachem Klingeln an der Rezeption erscheint niemand. Wir bringen abwechselnd die Taschen einfach schon hoch, und irgendwann, als Jutta oben ist, ist eine Mitarbeiterin da, und wir können einchecken. Das Hotel hat einen Parkplatz (haben wir extra so ausgesucht), aber der ist um die Ecke und nur von 18 Uhr bis 9 Uhr für Hotelgäste verfügbar. Es ist jetzt halb fünf nachmittags, und wir wollen zwei Nächte bleiben – Viktor schiebt das Tandem dorthin und muss der Betreiberin drei Dollar zahlen, damit es bis übermorgen früh dort stehen darf, ohne tagsüber herausgeholt zu werden.

Nach dem heißen Duschen wollen wir erst einmal Essen gehen, ein avisiertes vegetarisches Restaurant gibt es nicht mehr, das Arabische Restaurant hat kein Falafel (nur Fleisch … und Huhn 😉 ), und so landen wir schon wieder in einem Café, das Sandwiches und Pizza ohne Fleisch anbietet. Die Kaffeekarte ist auch sehr gut und wir beschließen quasi, morgen auf einen Kaffee wiederzukommen.

Es ist nicht einmal halb acht, als wir zurück im Hotel sind, aber wir sind zu erschöpft, noch den Tag im Blog zu rekapitulieren. Da der Fernseher auch kein Smart-TV ist (sonst würden wir eventuell noch Nachrichten o.a. schauen) gehen wir tatsächlich sofort schlafen – so früh waren wir noch nie im Bett.

Freitag 20.9.24 – Ibarra (Ruhetag)

Morgens vor Öffnung der Frühstückscafés beginnen wir mit dem Blog von gestern. Außerdem suchen wir mit der vollgepackten Ortlieb-Tasche den nächstgelegenen Waschsalon auf, um die Waschzeit zum Frühstücken zu nutzen. Allerdings müssen wir die Wäsche dort nur abgeben und können sie nachmittags wieder abholen – also nicht selber waschen. Umso besser!

Als wir um halb neun am ausgesuchten Café ankommen, sind die Rolläden noch unten, obwohl es seit acht geöffnet haben soll. Der Security-Mann im Nachbargeschäft sagt, sie würden so um halb neun/neun öffnen. Wir wollen die Zeit zum Getränkekaufen nutzen, sehen aber gerade zwei junge Damen die Rolläden hochziehen. Auf Nachfrage erklären sie, dass sie heute verspätet sind, eigentlich öffnen sie um acht. Wir besorgen trotzdem noch die Getränke und gehen anschließend sehr nett frühstücken – Viktor bekommt auf Wunsch sogar zu seinem Amerikanischen Frühstück noch zwei Pancakes dazu.

Nach kurzen Zwischenstopp im Hotel (Viktor versucht, seine Smartwatch zu retten, die er mit der Installation einer Altimeter-App zerschossen hat) gehen wir zu Fuß zum Mirador San Miguel Arcangel. Das ist schon eher eine kleine Wanderung als ein Spaziergang, denn es geht steil bergab und bergauf. Ibarra bezeichnet sich selbst nicht nur als „Weiße Stadt“ – wieder einmal – sondern auch als Touristenstadt. Zu Fuß zu diesem Aussichtspunkt gehen aber wohl nicht sehr viele Menschen, denn fußgängerfreundlich ist die Strecke nicht.

Oben angekommen gibt es mehrere kleine Verkaufshütten, und es sind tatsächlich auch einige wenige andere Menschen dort (per Auto, Taxi, Bus). Man hat einen tollen Blick auf die Lagune, den nahegelegenen Vulkan Cotacachi und einen noch höheren Berg Taita Imbabura, dessen Gipfel aber in Wolken verborgen ist.

Als wir auf einer Bank sitzend die Reste der Pizza von gestern Abend essen, sitzt die ganze Zeit ein Hund bei uns. Und als wir den Abstieg beginnen, kommt dieser mit uns mit – er läuft eine volle Dreiviertelstunde vor uns her, bleibt stehen, dreht sich um, läuft weiter. Mit anderen Hunden an der Strecke scheint er sich nicht zu verstehen. Wenn wir die Straßenseite wechseln, wechselt er sie auch. Einmal biegt er schon rechts ab, wir müssen links, aber er kommt uns weiter hinterher. Erst als wir eine lange, steile Treppe hochgehen müssen, bekommt er das nicht rechtzeitig mit, und wir sind ihn los. Viktor erinnert sich an ein Video der Podtschis, die auch in Ecuador plötzlich für mehrere Tage Begleitung hatten.

Ziemlich zu Anfang am Abstieg, auch später war der Hund noch unser Begleiter

In Ibarra gehen wir noch einen Frappucino (wir sind in einer Großstadt 😉 ) in dem Café von gestern Abend trinken und verbringen dann den Nachmittag im Hotel (Blog, Planung Tour), holen die saubere Wäsche ab und kümmern uns darum, wie wir morgen früh um 6 Uhr ans Tandem kommen. Der Parkplatz öffnet nämlich erst um acht/halb neun … ein paar einzelne Dollar „Propina“ (Trinkgeld) stellen dann sicher, dass das Tandem sicher steht (auf dem Nachbarparkplatz) und wir morgen früh auch rankommen.

Gestern gab es in der Ecuadorianischen WhatsApp-Gruppe zur Unterstützung der Radreisenden eigenartige Informationen aus Quito über flächendeckende Stromausfälle. Die Radreisenden informierten sich danach gegenseitig darüber, ob es bei ihnen gerade Strom gab oder nicht. Heute lesen wir dann auch die E-Mail vom Auswärtigen Amt:

Hört sich nicht so richtig gut an, was die Sicherheitslage in Ecuador betrifft.

Abends gehen wir in einem guten Mexikanischen Restaurant in Ibarra essen. Luxuriöses Ambiente, individuelle Bedienung mit Empfehlungen per iPad (Fotos und sogar ein Video des Nachtisches), in unserem Raum eine Wandmalerei, die wir über die Google-Bildersuche als Cantinflas identifizieren, den „Mexikanischen Charlie Chaplin“. Dank der überzeugenden Präsentation bestellen wir sogar eine halbe Portion des Nachtisches, nämlich die „Churros“. Das ganze Abendessen ist sogar günstiger als die gestrige Pizza und Hähnchenschenkel. So ganz haben wir das Preisgefüge hier in Ecuador noch nicht verstanden.

Samstag 21.9.24 – (099) – Ibarra – Tabacundo (2.877 m ü. d. M.)

1166 m bergauf

Gesamt: 6.010,66 km

Viktor holt das Tandem vom Parkplatz, Jutta trägt währenddessen alle Taschen und Sonstiges die Treppen herunter. Als Viktor an der Rezeption fragt, ob alles „listo“ – fertig – wäre, kommt keine Reaktion, erst, als er sich dann auf den Weg macht, sagt die Mitarbeiterin, dass wir noch zahlen müssen. Wieder einmal ein Fall von Nichtverstehen…

Die ersten Kilometer raus aus Ibarra sind auf gepflasterter Straße. Wir kommen an einem Bahnhof vorbei und passieren zweimal die Bahngleise. Das ist eine Seltenheit, die meisten Länder auf unserer Reise haben gar keine Bahn, hier gibt es immerhin einige wenige Gleise für touristische Fahrten: https://www.reisen-nach-ecuador.ch/bahnreisen-ecuador/

Nach einigen Kilometern, in San Antonio de Ibarra, wollen wir frühstücken. An der Hauptstraße, auf der wir fahren, gibt es rein gar nichts, deshalb müssen wir in den Ortskern und landen in einer kleinen Panaderia „Arte Pan“, die uns vom Namen her an das „Arte del Pan“ in Panamá Stadt erinnert. Leider gibt es keine Heißgetränke, aber wir frühstücken hinreichend und mit frischen Broten. Da sich andere Kunden für uns interessieren, beginnt auch die Verkäuferin zu fragen. Sie rät uns auch, nicht an die Küste und immer nur tagsüber zu fahren. Sie erzählt uns einige Schauergeschichten von wahllos Ermordeten, die einem schon ein wenig Angst machen können. Und wie schon in den meisten Ländern vorher, geht die Kriminalität angeblich von den Einwanderern aus dem Nachbarland aus. Waren es in Kolumbien noch die Venezuelaner, so sind es jetzt hier die Kolumbianer, die Ecuador so unsicher machen. Wenn man das hört, kann man kaum glauben, dass Kolumbien, Ecuador, Venezuela und Panama in der Vergangenheit mal ein gemeinsames Land waren. Aber es ist wohl wie überall auf der Welt: Das Fremde ist immer das Gefährliche. Vermutlich rücken wir auf dieser blauen Erdkugel erst dann enger zusammen, wenn irgendeine „noch fremdere“ Spezies uns besuchen kommen sollte.

Die Bedienung gibt uns außerdem den Tipp, nachher in Cajas bei der „Keksfabrik“ an der Straße unbedingt Bizcochos con Chocolate zu verzehren.

Bis dorthin ist es für uns noch ein langer Weg. Es geht heute praktisch 45 Kilometer aufwärts, und davon sind knapp 40 durch ein nicht enden wollendes Industriegebiet aus aneinandergereihten Städten. Wir fahren auf dreispuriger Straße mit nicht immer nutzbaren Seitenstreifen, haben keine wirkliche Aussicht rechts und links, und es gibt nicht einmal Stellen zum Pausieren. Es ist teilweise so nebelig, dass es sich wie Regen anfühlt, und alle umliegenden Berge verschwinden im Nebel. Diese Wolken bewirken wohl auch, dass heute die Luft sehr stark nach Abgasen riecht, obwohl sich der Verkehr in Grenzen hält.

Weil wir es ohne Pause nicht schaffen, halten wir schließlich an einem Hähnchenstand, der außen auch Buñuelos anpreist. Auf Nachfrage schaut der Betreiber in den Kühlschrank und findet noch zwei, die Viktor also bestellt, zusammen mit Milchkaffee. Was wir bekommen, sind zwei Becher Milch und ein Beutel Don Café-Pulver zum Teilen und zwei Yuca-Buñuelos, die nicht im Entferntesten so aussehen wie auf dem Bild außen, aber schmecken. Am Nachbarstand gibt es Bananen, und das Erstehen zweier davon ist gar nicht so einfach, weil sich lange Zeit niemand findet, der dort arbeitet (man könnte sich einfach welche nehmen, aber das machen wir nicht!). Als sich endlich eine Frau verantwortlich zeigt, kann sie kein Geld wechseln. Während Jutta von Viktor passende 25 ct holt, ist die Frau schon wieder verschwunden. Aber Jutta drückt einer anderen das Geld in die Hand und nimmt die zwei bereitliegenden Bananen.

Auch hier sind heute am Samstag viele andere Radfahrende unterwegs. Man grüßt sich, mehr aber nicht. Dafür bietet uns ein langsam neben uns her fahrender Autofahrer durch’s Fenster Wasser an. Er fährt vor und erwartet uns nach einer Steigung, in der Hand schon zwei Wasserflaschen. Wir halten dankbar und bekommen sogar noch zwei kleine Corona-Flaschen dazu geschenkt. Javier unterhält sich mit uns und gibt auch noch Tipps für Ecuador. Vielen Dank für die Getränke – diese netten Gesten der Einheimischen machen uns immer wieder Freude!

Als wir um die Mittagszeit oben und bei den Keksfabriken ankommen, fehlen uns noch zwei Kilometer bis zu unserer 6.000 – Kilometer – Marke. Wir halten trotzdem und bestellen uns – wie empfohlen – jeder Bizcochos mit Kakao und Käse. Diese Art Mozzarella-Käse kann man zu den Keksen essen, aber auch in heiße oder kalte Getränke (den Kakao, Kaffee oder z.B. auch Cola) einrühren, bekommen wir erklärt. Hier pausierend gratulieren wir auch per Videoanruf zum 84. Geburtstag von Viktors Mutter, die sich natürlich freut.

Dann ziehen wir uns warme, winddichte Jacken über, fahren noch wenige Meter hoch und erreichen schnell den höchsten Punkt (….m), noch bevor unsere 6000 km voll sind. Beim Abfahren müssen wir zuerst bremsbereit starten, kurz nach der ersten Kurve kommen wir bei km 45,69 zum Stand: genau 6000! Nicht die beste Stelle, aber wir machen Fotos und versuchen auch Videos, denn wir haben gestern beim Mexikaner ein kleines Feuerwerk geschenkt bekommen, das zum Einsatz kommen soll:

Die letzten zehn Kilometer geht es jetzt ziemlich schnell bergab, und in Tabacundo (der Welthauptstadt der Rosen) finden wir schnell die Hosteria Rancho Manabita, auch weil an der Straße ein Mann eine riesige gelbe Fahne schwenkt, um Übernachtungsgäste anzuwerben.

Das Tandem können wir hinten unter die Treppe stellen, und unser Zimmer ist eine richtige Suite mit drei Betten in zwei Räumen. Nach heißen Duschen gehen wir im Vorderhaus im Restaurant Kaffee trinken, anschließend resettet Viktor seine Smartwatch (Sohn Julius hat dankenswerter Weise den Samsung-Support kontaktiert) und wir arbeiten am Blog.

Beim Abendessen im Hotelrestaurant bestellen wir beide typische Gerichte. Der weiße Mais, der wie gekochtes Popcorn aussieht, hat besonders wenig Geschmack. Kann man mal probieren, muss man aber nicht regelmäßig essen, auch wenn er hier typisch ist. Die einzigen anderen Gäste im Restaurant, die auch hier übernachten, sind ebenfalls Deutsche, die hier mit dem Auto unterwegs sind.

Wir trinken das von den Betreibern kaltgestellte, von Javier geschenkte Corona-Bier und sagen Danke:

Gracias Javier!

Im Restaurant läuft ununterbrochen „Coffee Music“ auf einem Bildschirm:

Die Mautstationen in Ecuador sind für Fahrräder etwas schwieriger zu befahren als in Kolumbien:

Sonntag 22.9.24 – (100) – Tabacundo – Quito (2.850 m ü. d. M.)

1.563 Höhenmeter – neuer Rekord

Gesamt: 6.076,73 km

An unserem 100. Radfahrtag radeln wir um halb neun bei Regen los, nachdem wir das Hotelfrühstück mitgenommen haben. Es ist so frisch, dass wir jeder zwei Jacken, eine Mütze und Handschuhe anziehen. Heute steht nach etwa 16 Kilometern die Überquerung des Äquators (und somit der Übergang vom gerade begonnenen Herbst zum gerade beginnenden Frühling 😉 ) an.

In Tabacundo und auch noch danach kommen uns einige bunt geschmückte Umzugswagen entgegen. Anscheinend verpassen wir heute einen Umzug, wir finden aber nicht heraus, was gefeiert wird.

Ab kurz vor 16 gefahrenen Kilometern fahren wir extra langsam (den Berg herunter!), gucken irgendwann bei Maps, sind noch nicht weit genug, fahren also weiter ganz langsam. Dann wird der Mirador El Pisque sichtbar, was bedeutet, dass wir die Nulllinie schon passiert haben müssen. Wir lassen das Tandem am Aussichtspunkt stehen und gehen offenen Auges zurück. Und entdecken am Bordstein eine winzig kleine Markierung. So können wir wenigstens Bilder am Äquator machen.

Wir fahren noch einige Kilometer weiter bergab, können aber kaum einmal schnell fahren, es ist viel zu kurvig. Mehrmals halten wir an: in Etappen ziehen wir beide Jacken, Mütze und Handschuhe aus, aber auch zum Abkühlen der Bremsen und heute wohl auch erstmalig des Hydrauliköls der Bremsen. Es scheinen sich bei der Abfahrt erste Dampfbläschen in der Bremsleitung der Vorderradbremse gebildet zu haben, denn der Bremshebelweg hat sich deutlich verlängert und die Bremsleistung hat nachgelassen. Nach dem Abkühlpause ist aber wieder alles normal.

Und dann beginnt der Wiederaufstieg! Und der hat es in sich! Auch andere Radfahrer ohne Gepäck müssen immer wieder am Straßenrand pausieren. Wir nutzen ein Café für eine Einkehrpause mit Kaffee (und einem Crèpe), werden dort aber wieder sofort von stechenden Viechern angegriffen.

Die Straße ist heute am Sonntag nicht besonders voll und auch in gutem Zustand. Dafür ist es oft ziemlich steil, auch über längere Abschnitte, und von der (kargen) Natur sehen wir immer nur zwischendurch etwas: an vielen Stellen sind die Hänge zubetoniert, und wir sehen nur grau. So besiedelt gestern die Strecke war, so unbesiedelt ist sie heute.

Inzwischen ist es auch richtig warm und trocken, wenn auch der Himmel bedeckt bleibt. Wir kämpfen uns hoch. Ab kurz hinter dem Abzweig zum Flughafen Quito fahren zwei Radfahrer vor uns mehr oder weniger im selben Tempo wie wir – und das ohne Gepäck. An einer Mautstation will Jutta die Toilette nutzen, und dort haben die beiden ebenfalls gehalten, so dass wir ins Gespräch kommen. Sie können uns sagen, dass bis Calderon, wo wir ein Hotel anvisiert haben, noch steile Stellen kommen, es dann aber flacher wird. Und sie geben uns Tipps, welche Straße(n) wir in Quito sicher fahren können, ob nun heute – falls wir doch noch in die Stadt weiterfahren – oder sonst übermorgen, wenn wir sie wieder verlassen wollen. Obwohl es nur noch fünf Kilometer bis Calderon sind, will einer von uns hier noch nicht entscheiden, was wir machen, denn so langsam kommt er an seine Leistungsgrenze.

Auf diesem Stück hält ein Autofahrer vor uns und winkt uns anzuhalten. Beim Sprechen rutschen ihm ein paar Deutsche Worte raus, und er erzählt, dass er vor 50 Jahren in Göttingen an der Uni war, sein Deutsch aber ziemlich vergessen hat. Wir unterhalten uns und machen Bilder.

Die Stunde, die wir bis zu dem (Zwischen-)Ziel in Calderon brauchen, ist wie erwartet noch hart. Es ist nach zwei, als wir dort sind, und diese Vorstadt von Quito lädt uns nicht gerade zum Verweilen ein. Wir wollen eine Pause machen und dann entscheiden, ob wir uns ein Weiterfahren noch zutrauen. In einer Querstraße soll es einige Eiscafés geben – wir biegen dorthin ab. Das erste existiert nicht mehr, das zweite ist ein Stand in einem Supermarkt, da können wir das Tandem nicht abstellen. Letztendlich gehen wir in ein KFC und bestellen am Terminal zwei Sundae-Eis. Die Kreditkarte wird belastet, es kommt aber kein Bon. Erst, als Viktor noch einmal bar bezahlt, bekommen wir unsere Stärkung ausgehändigt. Mal schauen, ob das Geld wirklich wieder zurückgebucht wird, wie behauptet.

Jedenfalls sind wir uns jetzt einig, dass wir noch ins Zentrum weiterfahren, wo wir für morgen früh schon eine Tour gebucht haben. Das Hotel hier in Calderon scheint sowieso eher ein Stundenhotel zu sein, und dieser Ort ist so wenig einladend.

Wir reservieren vom KFC aus ein Hotel in der Nähe des Ausgangspunktes unserer morgigen Tour und machen uns auf den Weg:

Quito will bei der Stadteinfahrt offensichtlich unseren Willen brechen.

Diese erste große (blaue = sehr langsam gefahrene) Schleife umfährt noch einen Berg, und es geht weiterhin stramm bergauf. Zum Glück ist Sonntag und nicht viel Verkehr. Die Straße ist teilweise vierspurig und wenig befahren, aber einige Busse überholen uns trotzdem auf der ganz rechten Spur mit gefühlten 20 Centimetern Abstand, oft mit offener Einstiegstüre, die nochmal ein paar Zentimerter näher an uns heranreicht. Bei einer besonders engen Situation entfährt Viktor trotz akuter Atemlosigkeit ein gebrülltes „Arschloch“, das natürlich außer weiterer Atemloskeit keinen Effekt haben kann, es sei denn der Fahrer hat zufällig in Göttingen studiert.

Die genannten Busse tragen übrigens häufig das „EURO4“-Siegel am Heck, also genau dort, wo sie auch die riesigen schwarzen Dieselrußwolken in unser Gesicht blasen. Seitdem wir im Großraum Quito unterwegs sind, riecht es eigentlich ständig sehr stark nach Autoabgasen und Dieselruß. Wir vermuten irgendeine Inversionswetterlage, die den Großstadt-Abgas-Duft einfach nicht abziehen lässt.

Die letzte (blaue, also langsam gefahrene) Gerade nach Quito hinauf zieht sich nochmal ewig hin. Am Ende der schnurgerade Strecke sieht man am Horizont …. NICHTS … nur den bedeckten Himmel … keine Häuser, keine weiteren Berge, rein Garnichts. Es sieht aus als müssten wir einfach ewig weiter direkt in die Wolken fahren, um dort dann unserem Schöpfer zu begegenen. Zum Glück beginnt dann hinter der letzten Kuppe aber doch die lange, leicht abschüssige Einfahrt nach Quito (rot-orange = schnell gefahren).

Für die gut 16 km von der letzten Pause in Calderon bis zum Hotel brauchen wir noch einmal zwei Stunden und kommen erst um halb sechs am Hotel an. Dabei ist die Nord-Süd-Strecke dann wirklich überraschend angenehm, auf der „Rio Amazonas“-Straße gibt es die ganze Zeit einen abgetrennten Radweg, es ist flach und sogar begrünt. Wir werden auf dem letzten Teil der Strecke von einem älteren Radfahrer begleitet, der auch schon in Peru und Kolumbien unterwegs war. Es scheint so als wolle er sicherstellen, dass wir auch gut ankommen, bevor es dunkel wird. Als wir am Hotel unser Tandem ins Parkhaus stellen können, verabschiedet er sich auch recht schnell und ohne dass wir seinen Namen erfahren.

Das Hotel David ist von der Straße erst kaum zu sehen, es liegt weiter hinten und ist nur über viele Stufen erreichbar. Das Tandem kann aber unten in die Garage, und wir müssen dann sogar im Hotel noch in den vierten Stock. Da es schon nach halb sechs ist und die wenigen Restaurants hier schon um sechs oder sieben zu schließen scheinen, wollen wir das Abendessen noch vor dem Duschen erledigen, und stehen trotzdem vor verschlossenen Türen. Die Nachfrage in einem Supermarkt ergibt eine geöffnete Churrasquería in der Nähe, und so landen wir zwischen Einheimischen und bekommen zeitlich sehr stark versetzt unser Essen. Jutta hat aber auch eine Spanische Tortilla bestellt, die den neuen Koch zunächst überfordert. Stunden später gelingt sie dann doch und schmeckt auch :-).

Im Hotel wird noch geduscht, aber nach kurzer Zeit am Laptop geht es ins Bett, zumal Quito angekündigt hat, dass von 22 bis 6 Uhr der Strom abgeschaltet wird, so erzählten es uns jedenfalls die beiden Radfahrer and der Mautstation.

Woche 24 (9.9.24 – 15.9.24) – Popayán – Pasto

Montag 9.9.24 – Popayán (Planungstag)

Der Tag in Popayán beginnt mit einem Frühstück mit Sauerteigbrötchen im Hotelrestaurant „La Pizzara“. Es gibt seit Langem einmal wieder schwarzen Tee und auf Wunsch sogar einen Schuss Milch für Jutta dazu! Heute abend werden wir vermutlich hier essen, denn wir legen kurzfristig einen Planungstag ein, weil wir vielleicht von hier (Popayán, 1.737m) mit dem Bus weiterfahren wollen, da die Strecke von hier über Pasto (2.467 m) bis zur Grenzstadt Ipiales (2.900 m) einer unserer Kandidaten für eine weitere Busfahrt wäre. Es gibt viele Höhenmeter zu bewältigen und die Unterkünfte auf der Strecke sind rar. Mit dem Tandem werden wir neun Tage für die Strecke benötigen und täglich um die 1.000 Höhenmeter bergauf fahren. Zwischendurch geht es natürlich immer wieder heftig bergab, aber mehr als 1.000 Höhenmeter schaffen wir auf Dauer täglich nicht. Da müssen wir uns unserer eigenen körperlichen Fähigkeiten nun mal bewusst sein.

Nach dem Frühstück gehen wir deshalb erst einmal zum hiesigen Busbahnhof, um uns über die Möglichkeiten mitgenommen zu werden zu erkundigen. Auf dem Weg dorthin fragt Viktor in diversen Apotheken nach möglicher Blutdruckmessung, da die Smartwatch wieder mit dem Kalibrieren fällig ist. Die Apotheken schicken uns weiter, in einem Ärztehaus kommt die Dame zum Messen erst um 10 Uhr. Aber die Mini-Apotheke (mehr so ein Stand) im Busbahnhof stellt ihr Blutdruckmessgerät zur Verfügung, und Jutta misst dreimal Viktors Blutdruck. Wieder 30 Tage Ruhe!

Im Bahnhof gibt es zwei Busunternehmen mit ausreichend großen Bussen, die in die erwünschte Richtung fahren. Das eine fährt stündlich und sieht gar keine Probleme, sowohl hier als auch auf der Strecke mit dem Tandem mitgenommen zu werden. Das andere fährt hauptsächlich nachts, tagsüber nur zweimal mit großen Bussen, und würde uns entweder von hier oder von Pasto mitnehmen. Gut, das behalten wir zunächst einmal im Kopf.

Wenn wir Mitte Dezember in Santiago de Chile sein wollen, werden wir auf jeden Fall noch Busstrecken einbauen müssen, denn die erste grobe Kalkulation ergibt heute eine Ankunft am 10. Januar, wenn wir die ganze Strecke mit dem Fahrrad fahren und keine längeren Pausen einlegen (und die Technik mitspielt).

Schon von Anfang an waren die 1.300 Kilometer durch die Atacamawüste im Süden Perus und Norden Chiles ein Kandidat für eine Bus(teil)strecke. Damit könnten wir z.B. zwei bis drei Wochen „einsparen“. Wir wollen auf jeden Fall genug Zeit in Lima haben, um z.B. Machu Picchu zu besuchen und dort Zeit mit einer befreundeten Familie verbringen zu können. In Lima soll auch das Tandem nochmal in die Werkstatt und einen Komplettservice durchlaufen. Deshalb kalkulieren wir für Lima zwei Wochen ein.

Nach mehreren Stunden Planung mit Google und Komoot sowie auf Papier-Untersetzern aus dem Restaurant von gestern Abend (auch Papier wiegt schließlich etwas und wir haben keines dabei) steht unsere Entscheidung, in den nächsten Tagen erstmal mit dem Tandem weiterzufahren und von Tag zu Tag zu entscheiden, ob wir in einen Bus steigen, der bis nach Ipiales mehr oder weniger die gleiche Strecke auf der Panamericana fährt.

Für 16 Uhr haben wir uns spontan noch für eine „Free walking tour“ durch die Altstadt angemeldet. Vor der Kathedralbasilika Mariä Himmelfahrt (Catedral Basílica Nuestra Señora de la Asunción) treffen wir ein belgisches Ehepaar und eine belgische Einzelreisende sowie den ersten Guide (XXX), der etwas hektisch wirkt und auf seine Kollegin wartet. Er ist eigentlich nur der Übersetzer – sagt er jedenfalls. Während der Tour übernimmt er dann aber doch eine Hauptrolle und lässt die Kollegin kaum zu Wort kommen. Ihr Englisch ist zugegebenermaßen schlechter als seines, welches aber auch oft nur mit Mühe verständlich ist. Die sprachlichen Schwächen machen die beiden aber locker mit ihrem Elan und ihrer Freundlichkeit wett.

Wir erfahren, dass Popayán auch die „weiße Stadt“ genannt wird und die vierte Stadt in Kolumbien war (nach Santa Marta, Cartagena und Cali), von der aus das Land während der Kolonialzeit lange Zeit regiert wurde. In dieser Stadt wurden die meisten späteren Präsidenten von Kolumbien geboren, insgesamt 14. In einer Straße stehen gleich 5 Geburtshäuser kolumbianischer Präsidenten. Das Wetter in Popayán nennen unsere Guides „bipolar“, da es mehrfach am Tag zwischen sonnig und regnerisch wechseln kann. Nach dem „ewigen Frühling“ in Medellin und dem „ewigen Sommer“ in Cali ist das ja mal etwas ganz Anderes. Am Rande von Popayán steht eine vor-kolumbianische, indigene Pyramide, der „Morro de Tulcán„, die unsere Guides zeitlich nicht so ganz einordnen konnten, jedenfalls seien sie „älter als die Kolonialzeit“ 🙂 .

Die Passionsprozessionen in Popayán zählen seit 2009 zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe. Alexander von Humbold war mehrfach hier und hat die Region bis ins heutige Ecuador erkundet. Der Uhren-Turm, Torre del Reloj, wird auch „Nase von Popayán“ (Nariz de Popayán) genannt. Die Uhr hat nur einen Stundenzeiger, denn die Zeit läuft hier einfach langsamer. Der Uhrenbauer wurde angeblich hingerichtet, weil er sich weigerte, die römische Vier im Ziffernblatt zu korrigieren.

Wir geraten auch heute in eine Prozession, weil gestern der Geburtstag von Maria war (gestern aber die Stadt vom Gastronomie-Festival in Beschlag genommen wurde). Die „Marching-Band-Musik“ ist so ganz etwas anderes als die vielen Salsa- oder anderen Rhythmen.

Wir lernen auch etwas über Sandflöhe, die es hier in der Stadt gab, die heute aber nur noch auf dem Land Probleme machen. Einer Legende nach ist ein Freund von Miguel de Cervantes befallen gewesen, hat diesen in Spanien besucht und ist dort gestorben. Cervantes hat dessen Kleidung übernommen, sich dadurch angesteckt und durch die halluzinogene Wirkung der Gifte sei ihm dann die Geschichte von Don Quichote eingefallen.

2020 im Corona-Lockdown hat das Gastronomie-Festival nicht auf den Straßen stattgefunden. Statt dessen haben die Menschen in ihren Häusern gekocht. Das Plakat aus dem Jahr sieht so aus:

Die Tour dauert gute zwei Stunden, und es bleiben uns danach nur noch das Abendessen, Update des Blogs und Schlafengehen. Morgen haben wir viele Höhenmeter aber wenige Streckenkilometer zu bewältigen. Daher werden wir noch im Hotel frühstücken und nicht ganz so zeitig losfahren, denn hier in den Bergen wird es am Nachmittag auch nicht mehr ganz so heiß und an unserem Zielort Rosas soll es nichts Sehenswertes geben. Allzu früh wollen wir deshalb auch nicht ankommen.

Dienstag 10.9.24 – (091) – Popayán – Rosas

1.077 m bergauf

Gesamt: 5.610,32 km

Da wir heute nicht sehr viele Kilometer, nur viele Höhenmeter fahren müssen, nehmen wir noch das Hotelfrühstück (mit dem schwarzen Tee 🙂 ) mit, heben noch einmal bei Davivienda Geld ab und fahren dann um halb acht los. Wir nehmen den Weg, den uns ein Einheimischer rät, weil dort weniger Verkehr sein soll und kommen auch ganz gut aus der Stadt raus.

Direkt hinter Popayán wird die Straßenqualität sehr viel schlechter als sonst auf unsere bisherigen Strecke durch Kolumbien. Wahrscheinlich haben wir die guten Straßen zu oft gelobt… . Jedenfalls gibt es Schlaglöcher, zeitweise eine größere Abbruchkante im Asphalt zum Seitenstreifen, teilweise gar keinen solchen. Wir fahren irgendwann mit dem Vorderrad über ein Blech, das hochgeschleudert wird und fast Viktors Unterschenkel trifft bevor es unter den Hinterrreifen gerät, und befürchten schon platte Reifen vorne und hinten. Es scheint aber noch einmal alles gut zu gehen!

Wir bewegen uns heute die ganze Zeit zwischen 1.350 und 1.950 Metern über dem Meeresspiegel. Die Blicke sind super schön, neben dem ganzen grün blühen gerade viele Bäume in gelb, rosa, orange, violett, rot – man könnte ständig anhalten.

Da Timbío nach nur 15 Kilometern die einzige Stadt auf unserer Route ist, halten wir dort in einer Panaderia. Neben Viktors Buñuelos probieren wir heute mal einen vom Konditor selbstgemachten Brombeerjoghurt (lecker – ähnelt der „Quajada“ in Spanien) und lassen uns alle anderen Dinge in der Vitrine ebenfalls erklären.

An der Straße stehen heute immer wieder Schilder mit Vereda – Namen (teilweise VRDA. abgekürzt), bei denen wo wir uns fragen, was das sein könnte. An einem Hang erklären uns zwei Schwestern, bei denen wir halten, dass dieses alles kleine Orte bzw. Dörfer oder Gehöfte sind (nur ein paar Häuser). Bei GoogleMaps kann man sie nicht finden, so klein sind sie, aber hier in den Bergen gibt es offenbar zahlreiche.

Bei den beiden Frauen trinken wir einen frisch gepressten Orangensaft und einmal Borojo in Orangensaft, ohne zu wissen, was dies ist. Die bräunliche Paste riecht säuerlich, wird dann mit Honig und O-Saft per Hand gemixt (man kann es auch mit Milch mischen) und schmeckt ebenfalls etwas sauer. Das Trinken solcher Getränke am Straßenrand birgt ja immer ein gewisses Risiko für die Darmflora …

Wie an sehr vielen Häusern hier am Hang wird auch dieser Verkaufsstand (alle verkaufen O-Saft) von einem Regierungsprogramm für Frauen gefördert, alle haben die gleichen Schilder, und dass wir genau hier halten, ist Zufall – wir wollen gerade Fotos machen.

Die letzten knapp 14 km gehen erst sechs km bergab, „unten“ über einen Fluss, und dann sechs km auf der anderen Seite bergauf, alles schön in Serpentinen, so dass wir beim Abwärtsfahren die Bremsen ziemlich strapazieren müssen. Eigentlich wollen wir vor dem Aufstieg noch einmal Pause machen, es ergibt sich aber nichts, und so landen wir nach etwa einem Drittel (und nur fünf km vor dem Ziel) im Restaurante Rancho Grande, wo wir eine ganze Weile bleiben, um nicht so früh in Rosas anzukommen.

Vor dem Rancho Grande werden wir von zwei Taxifahrern aus Pasto angesprochen, die dort Pause machen und sich scheinbar verabredet haben. Sie bestaunen das Tandem und wünschen uns – wie fast alle Kolumbianer – beim Abschied Gottes Segen für unsere Reise („Que Dios les bendiga“).

Die restlichen vier Kilometer Steigung gehören dann nochmal zu den heftigeren Streckenabschnitten. An einer Stelle wird es bei 11 bis 12 Prozent Steigung wieder sehr knapp. Viktor ächtzt, das Tandem auch … wir müssen gleich absteigen und schieben … und da springt plötzlich ein Mann am Straßenrand von seinem Sitzplatz auf einer Mauer auf und schiebt uns mit aller Kraft die 10 bis 20 Meter über die steilste Stelle bergauf während wir heftig weiterstrampeln. Sensationell! 🙂 Und wir können nicht einmal stehenbleiben und uns bedanken, weil wir hier nie wieder aus dem Stand anfahren könnten. Es muss also eine gerufenes „Muchas Gracias“ und ein hochgereckter Daumen reichen.

Insgesamt sind die über 1.000 Höhenmeter heute erstaunlich gut zu bewältigen. Vielleicht liegt das ja auch am gestrigen Ruhetag. Jedenfalls gibt es uns Hoffnung, dass wir die nächsten 13 Tage auf der vermutlich 14-tägigen Andendurchquerung nach Quito auch schaffen können.

In Rosas finden wir relativ schnell das „John Burger“, dessen Besitzer uns über die VIBICO-WhatsApp-Gruppe eine Unterkunft angeboten hatte, falls unser Hotel nicht reagieren sollte. Es ist aber noch geschlossen. Das Hotel Casa Grande ist nur weitere 80 Meter entfernt und schnell gefunden. Gestern hatte die Betreiberin per WhatsApp reagiert, allerdings erst, nachdem Viktor einen WhatsApp-Anruf unter der Telefonnummer versucht hatte. Sie steht sogar zufälligerweise gerade in der Tür als wir ankommen und begrüßt uns freundlich. Das Hotel ist erstaunlich groß und gut in Schuss (die Bilder bei Google ließen eigentlich ganz anderes befürchten), modern ausgestattet, hat ein halbwegs funktionierendes WLAN (zumindest zeitweise) und wir dürfen unser Tandem im Erdgeschoss in ein ungenutztes Zimmer stellen. Nur warmes Wasser hat es nicht … und hier in den Bergen ist das kalte Wasser unter der Dusche auch wirklich wieder richtig kalt. Erfrischend eben 😉

Nach dem Duschen machen wir einen kleinen Stadtrundgang, der schnell beendet ist. Aber wir haben eine Panaderia für morgen früh gefunden, die um 6 Uhr öffnet und auch gekühlte Getränke verkauft. Hierher verirren sich scheinbar selten Touristen. Wir werden in den Straßen angestarrt, ein paar Schülerinnen sprechen uns an und wir unterhalten uns ein wenig darüber, welche Sprachen wir sprechen und wohin wir weiterreisen. In einem kleinen Laden kaufen wir noch ein neues USB-Ladegerät, da das Billigteil aus Mexiko bereits seinen Geist aufgegeben hat. Dann müssen wir zurück ins Hotel, denn die Wirkung des Straßenrandgetränkes setzt bei Viktor ein. Na ja, bis morgen früh dürfe sich das hoffentlich wieder einrenken.

Abendessen gibt es bei John Burger, der sich standhaft weigert, dafür von uns Geld anzunehmen. Wir unterhalten uns über die vielen Sprachen der Welt, die vielen verschieden Varianten und Akzente der spanischen Sprache und über das Reisen. John ist mit Leib und Seele Koch, musste sich aber damit abfinden, dass in Rosas nur die traditionelle Küche funktionert. Als er mal Garbanzos guisados a la madrileña anbot, musste er am Ende alles selbst essen. Viktor nennt ihm den Deutschen Spruch „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“ (Lo que el paisano no conoce, no lo come) und es gibt ein kräftiges Kopfnicken als Reaktion. John träumt davon, für ein Jahr mit der Familie in einem Küchenwagen durch Südamerika zu reisen und die Tour unterwegs mit seinen Kochkünsten zu finanzieren. Aber dazu müsste er das Familienauto verkaufen und den Sohn für ein „verlorenes“ Jahr aus der Schule nehmen. Viktor widerspricht und sagt, dass das doch eher ein „gewonnenes“ Jahr wäre. John ist aber in Rosas auch ehrenamtlich sehr aktiv (Theatergruppe, Tanzgruppe, usw.) und würde wohl sehr vermisst. Zum Abschied zeigt Viktor auf das Auto und ruft nochmal hinüber „Verkaufen!“.

Mittwoch 11.9.24 – (092) – Rosas – Mojarras

912 m bergauf

Gesamt: 5.693,75 km

Als wir morgens um fünf aufstehen, hat Rosas kein fließend Wasser. Zähneputzen geht gerade noch mit unseren Resten an Trinkwasser, mehr ist nicht möglich. Um kurz vor sechs hat das Haus unten immerhin schon ausreichend Druck und wir bekommen einen Topf mit Wasser zum Toilettespülen. Die Panaderia am Ort hat schon geöffnet, so dass wir schnell frühstücken (und die Toilette nutzen) und uns dann auf den Weg machen.

Es geht heute sehr viel bergab (in Summe gute 1.900 m), und so geht es auch los. Dummerweise ist erstens die Straßenqualität nicht gut und zweitens die Abfahrt teilweise so steil, dass wir alle ca. 2 bis 3 km die Bremsen abkühlen lassen müssen. Dafür ist die Aussicht toll, und wir machen viele Fotos. Es ist hier in der Höhe ziemlich kühl heute morgen, das wird sich im Laufe des Tages radikal ändern.

Wir haben uns an einer Stelle explizit für eine Streckenführung entschieden, die 60 Höhenmeter weniger Steigung haben soll als die alternative Strecke (auf nur ein paar wenigen Kilometern). Den Abzweig dorthin gibt es aber nicht mehr – es gab einen Erdrutsch, und seit ca. sechs Monaten führt eine neue Straße steil runter, über eine Brücke und dann wieder steil rauf.

Wir wollen in El Bordo, der einzigen Stadt auf der Strecke, Pause machen, haben uns aber nicht bewusst gemacht, dass es gute 40 km bis dorthin sind und es auch ziemlich viel bergauf geht. Hinter jeder Haarnadelkurve vermuten wir den Ort vergeblich, aber nach knappen zweieinhalb Stunden sind wir dort. Als links eine „Bakery“ erscheint (keine Panaderia) halten wir dort. Jutta sucht sich ein „salziges“ Brötchen aus, dass zwar überhaupt nicht salzig, aber immerhin nicht süß ist wie sonst fast alle Brote hier. Viktor nimmt Chicharrón (ein Gebäck, das wegen seiner Form so heißt, nicht etwa, weil es aus gegrilltem Schweinebauch wäre) und flüssigen Ananasjoghurt, außerdem probieren wir endlich einmal Vive100%, einen Energie-Drink für den hier überall kräftig geworben wird.

Um nicht so früh an der Tankstelle anzukommen, bei der wir heute zu übernachten geplant haben, halten wir danach noch am zentralen Platz und in einer Heladeria an einem kleineren Platz etwas weiter. Als Jutta dort zum Abschluss noch die Toilette nutzen will, ist auch hier das Wasser gerade ausgefallen. Auf Nachfrage heisst es, dass sei nicht üblich, aber es gäbe wohl einen Rohrbruch, und die betroffene Gegend sei groß.

Um zwölf fahren wir weiter, erst noch weitere 300 m bergab, danach angeblich mehr oder weniger auf einer (niedrigen) Höhe. Wir landen praktisch in der Savanne: es ist kaum noch grün zu sehen, total trocken und sehr heiß – ganz anders als der ganze Vormittag in den höhergelegenen Gegenden. Als wir in „El Estrecho“ noch etwas trinken und den Wasservorrat auffüllen wollen, erfahren wir, dass es aktuell 38°C warm ist und wir wohl auf unserer morgigen Strecke nach El Remolino mit 40°C rechnen müssen. Das sind ja Aussichten wie in Mexico! Wasser hat der gute Mann nur in fester Form aus dem Tiefkühler, das würde aber bei der Hitze sehr schnell tauen, sagt er. Nichts da, mehrere Stunden später (längst im Hotel) ist immer noch ein Eiskegel in der Flasche, man kann immer wieder ein paar Schlücke trinken.

Hinter El Estrecho geht es über die Zwei-Flüsse-Brücke „Puente Galindez“, hinter der uns auf den letzten 15 Kilometern nochmal überraschend viele Steigungen und Abfahrten erwarten, mit denen wir gar nicht mehr gerechnet haben und die uns deshalb ein wenig zermürben, auch wegen der hohen Temperaturen und der trockenen Luft. Tja, so ist das, wenn man auf einer Etappe viele Höhenmeter bergab fährt, da gehen die Steigungen ganz am Ende der Etappe quasi im Grundrauschen unter. Der Maßstab einer Grafik ist eben immer ganz entscheidend.

Gesamte Tagesetappe
Die letzten 15 Kilometer

Am Straßenrand stehen hier immer wieder Schilder „Se vende Mazamorra“, eine Mais-Süßspeise, die für die Gegend des Valle Cauca typisch ist:

Auf dem letzten Kilometer vor dem Hotel an der Terpel-Tankstelle (die genau beim Kilometerstein „Null“ des heutigen Panamericana-Abschnittes liegt) werden uns nochmal 9% Steigung serviert, die wir mit Ach und Krach fahrend (und einer von uns fluchend) bewältigen können.

Das Hotel Mojarras ist unsere dritte Erfahrung mit Lastwagenfahrer-Hotels, aber die heutige ist schon ein ganzes Stücke besser als die erste. Das Zimmer ist deutlich größer als die 6 m² beim vorletzten Mal, es hat sogar eine funktionierende Klimanlage, mit dem Hotel-Logo bestickte, sauber aussehende Handtücher und auch WLAN ist vorhanden, wenn auch eher instabil. Das Duschwasser ist immerhin lauwarm, aber die Sache mit dem Duschkopf … na ja … Ihr kennt das ja schon. 🙂

Zum Abendessen gibt es im Hotelrestaurant frischen Tilapia, denn die Essensangebote ohne Fleisch beschränken sich hier auf Hähnchen 😉 und auf diesen Fisch. Jutta schlägt den Tilapia sogar vor, rechnet aber wohl eher mit einem Filet. Die beiden Fischportionen darf dann doch Viktor komplett verzehren, denn eine von uns mag es nicht, wenn das Essen den hungrigen Gast so vorwurfsvoll anschaut.

Und natürlich machen die ankommenden Lastwagen bis spät in den Abend vor unserer Zimmertüre einen Höllenlärm, denn wenn die hier den Rückwärtsgang einlegen, geht bei fast allen Fahrzeugen ein Feuerwerk von Alarmtönen los, die man sich in Deutschland wirklich nicht vorstellen kann. Wir werden davon in den Schlaf „musiziert“.

Donnerstag 12.9.24 – (093) – Mojarras – El Remolino

798 m bergauf

Gesamt: 5.731,62 km

Wir haben den Duschkopf morgens beim Zähneputzen gefunden!

Das Restaurant an der Tankstelle öffnet um zwanzig vor sieben und wir müssen dieses abwarten, da auf der Strecke heute rein gar nichts liegt, wo man frühstücken könnte. Das Tandem ist aber schon fertig bepackt und von vor dem Zimmer, wo es die Nacht verbracht hat, weggeschoben. Auf unsere Nachfrage nach „Café con leche“ gibt es die Antwort, sie hätten nur „Tinto“, aber auf Wunsch bringt er eine Tasse heißes Wasser für Jutta für Tee. Am Nachbartisch sitzen einige Herren, bestellen Kaffee und Milch und bekommen einen Becher Milch zum Teilen. Manchmal scheint uns, dass wir anders behandelt werden als Einheimische. Jutta fragt am Nachbartisch nach einem Schuss Milch, und so kommen wir ein wenig ins Gespräch. Bevor sie weiterfahren, bekommen wir etwas Typisches aus der Region Nariño geschenkt, irgendwas „Süßes“ und „Weiches“ mit „Mani“ (Erdnüsse). Viktor möchte es lieber nicht in die Lenkertasche stecken, weil er Bedenken hat, dass etwas auslaufen könnte, bei der heute zu erwartenden Hitze von bis zu 40 Grad Celsius.

Gegen halb acht sitzen wir auf dem Rad und beginnen die heutige Berg- und Talfahrt, es geht kaum eben vorwärts. Die Straße ist wieder besser, und voll ist sie hier auch nicht, teilweise ist es richtig still. Allerdings hören wir nicht einmal Vögel zwitschern, denen wahrscheinlich auch zu heiß ist. Zwischendurch liegen oft abgestürzte Steine auf dem Seitenstreifen – hier gibt es wohl viele Steinschläge und Erdrutsche.

Die Natur ist recht karg, „schön“ kann man es hier nicht nennen, aber „reizvoll“ dann doch. Je weiter wir fahren, umso mehr Kakteen wachsen rechts und links. Irgendwann sehen wir etwas auf der Bergkuppe gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses im Tal. Zunächst denken wir an ein Kloster (man erkennt auf jeden Fall eine Kirche), als wir aber wirklich gegenüber halten und Viktor sogar Netz hat, entpuppt es sich als die Stadt „El Rosario“, die dort oben auf dem Berg liegt.

Wir überqueren kurz vor Ende der Etappe den Rio Mayo, einen Zufluss zum Rio Patía, in dessen Tal wir seit zwei Tagen auf der Panamericana unterwegs sind, und überqueren damit die Grenze zu unserem letzten „Departamento“ Nariño, dem Grenzgebiet zu Equador, das als noch unsicherer gilt als Cauca, Nach einem letzten steilem Anstieg kommen wir schon gegen elf Uhr in El Remolino an. Es gibt kein Café, aber eine Heladeria, wo wir uns Banana-Splits bestellen, die wir auf die Spende von Gabi und Peter genießen. Vielen Dank, Ihr Beiden!

Danke Gabi und Peter!

Gestern Abend haben wir ein Zimmer im „Wellness Hotel“ Valery reserviert, nachdem das erste angefragte Hotel kein Zimmer mehr für uns hatte. Als wir dort mittags um zwölf erscheinen, wird uns gesagt, dass der Pool heute geschlossen ist und wir bitte mit dem Wasser sparsam sein sollen. Falls das Wasser ausgehen würde, sollen wir an die Nummer von gestern schreiben, und es müsste dann wieder aufgefüllt werden. Das Zimmer hat AC und Ventilator, aber wieder keine Klobrille und die Dusche ist ein weißes Kunststoffrohr mit Kurvenverbindungsstück nach unten. Wellness halt! Und es kommt kein Tropfen Wasser aus dem Hahn! Zum dritten Mal innerhalb von zwei Tagen. Und das bei dieser Hitze! Es dauert ca. zwei Stunden, ehe sie den Tank wieder aufgefüllt haben. Das W-LAN erreicht man nur, wenn man mit dem Gerät an die Fensterscheibe geht. Und wir hatten jetzt schon die letzten zwei Tage Probleme damit. Müssen wir uns wirklich jetzt schon an Patagonien gewöhnen und auf wöchentliche Blog-Einträge umstellen?

Die Polizeistation hier im Ort ist zur Straße hin mit gestapelten Sandsäcken gesichert, und Radfahrer, die kürzlich hier übernachtet haben, haben erlebt, wie nachts eine Autobombe explodiert ist. Wir sind hier in einem von der Straße zurückgesetzen Gebäude untergebracht und verlassen das Zimmer wohl lieber nicht im Dunkeln.

Also machen wir uns am Nachmittag zu einem kleinen „Stadtrundgang“ auf und essen früh bei einer Heladeria plus Comidas Rapidas erstaunlich gute Burritos. Nach der Rückkehr entdecken wir eine Termiteninvasion in unserem Bad und vereinzelte auf dem Bett.

Freitag 13.9.24 – (094) – El Remolino – La Roca

1.159 m bergauf

Gesamt: 5.762,59 km

Wir werden hier im Hinterhof-Hotel sehr früh von sehr viel Hahnengeschrei geweckt. Da es auf der Strecke wenig Versorgungsmöglichkeiten geben wird, wollen wir noch hier frühstücken. Das Hotel bietet ab 6:30 Uhr etwas an, wir probieren vorher eine Panaderia, die aber keine Heißgetränke hat, also gibt es Instant-Milchkaffee und zwei Frühstücke (obwohl eigentlich nur eines bestellt war) aus dem Hotel plus Brötchen aus der Panaderia.

Der Nachtportier setzt sich zu uns und fragt uns aus. Später auf der Strecke überholt er uns zweimal mit dem Moped (und muss uns dazwischen auch entgegen gekommen sein), spricht uns beide Male an, und wir haben schon Sorgen, dass er etwas von uns will. Es passiert aber nichts! Zu viel Misstrauen?

Es geht wenige Kilometer abwärts, dann aber mehr als 20 Kilometer in Folge aufwärts. Die Natur ist weiterhin sehr trocken und felsig, also eher karg. Wir kämpfen uns die Straße hoch, nach neun Kilometern machen wir an einer (geschlossenen) Billardbar eine Pause – es gibt nichts, aber einen Billardtisch, schon seltsam. Etwa fünf Kilometer weiter (bei einem Schnitt von sieben Stundenkilometern dauern die) fahren wir durch einen kleinen Ort mit einer Mini-Tienda. Dort gibt es immerhin gekühlte Getränke und die restlichen frittierten Bananen vom Frühstück, die wir eingepackt hatten. Noch zwei Kilometer weiter gibt es eine Tankstelle, auf deren Schild etwas von Kaffee steht. Wir halten schon wieder, aber bei der Frage nach Kaffee erhalten wir als Antwort, dass die gute Frau diesen extra für uns machen müsste (hier im dünnbesiedelten ländlichen Gebiet ist man noch nicht so kundenorientiert…) und so trinken wir noch einmal etwas Kaltes und nutzen wenigstens die Toiletten.

Als wir das Julio Caesar Hotel passieren, haben wir fast das Höhenmaximum erreicht und im Kopf, dass wir dorthin zurück müssen, falls es unsere anvisierte Unterkunft nicht (mehr) geben sollte. Bei Google Maps ist zwar ein Eintrag, aber ohne weitere Informationen, und damit haben wir schon schlechte Erfahrungen gemacht. Auf unsere Nachfrage bestätigt man uns aber, dass es die Unterkunft „La Roca“ noch gibt.

Wir überqueren also noch das Höhenmaximum des Tages (ohne Schild mit Höhenangabe – hier gibt es anscheinend zu viele Pässe) und radeln die letzten Kilometer bergab bis zu einer Spitzkehre, in der es innen zwei Verkaufsstände und einen Reifenservice und außen zwei größere Häuser gibt: La Roca. In dem einen Gebäude sind unten Duschen und Toiletten (für LKW-Fahrer), oben leben wohl Menschen, das andere Gebäude ist unten ein Laden und ein Restaurant, oben sind ein paar Hotelzimmer.

Um ca. 12 Uhr mittags fragt Viktor erst im Laden nach einer Übernachtungsmöglichkeit, wird aber zum Verkaufsstand gegenüber geschickt. Die Dame dort hätte ein Zimmer frei, allerdings ist noch keines geputzt. Wir setzen uns in das Restaurant und bestellen Kaffee. Milch gibt es nicht, aber „Avena“ (Hafer-Milch-Mischung) haben sie, das wir dann dazu kaufen. Anschließend warten wir ein wenig, bestellen noch ein Mittagessen ohne Suppe (die es hier immer dazu gibt), warten noch ein wenig, essen noch ein Eis. Inzwischen ist es 14 Uhr, und Viktor geht noch einmal fragen, ob das Zimmer eventuell jetzt fertig ist. Nein, natürlich nicht, wir hätten schließlich nicht zugesagt, dass wir es nehmen! Okay, das Reinigen/Fertigmachen geht daraufhin recht schnell und wir bekommen ein Zimmer für 30.000 Pesos (knapp 7,50€), der Niedrigrekord! Es gibt kein W-LAN (und Viktors eSIM-Netz von MAYA hat hier nur 3G-Abdeckung), nur ein Handtuch (auf die Frage nach einem zweiten gibt es ein klares „Nein“), keinen Zimmerschlüssel, aber wir haben eine Toilette mit allem (Brille und Deckel!). Und Termiten im Zimmer, auch auf dem vorhandenen Tisch. Das Dach ist Wellblech einfach draufgelegt, so dass wir mit allem möglichen Getier rechnen müssen, das durch die Öffnungen hereinkommt.

Wir verbringen den Nachmittag also völlig analog – nicht einmal Podcast-Hören klappt – gucken uns den Sonnenuntergang in den Bergen an, essen noch zu Abend in dem Restaurant und halten uns dann im Fast-Dunkel im Zimmer auf. Hier fliegen so viele stechende Insekten, die wir nicht anziehen wollen. Wir beide haben heute schon viele Stiche bekommen, Jutta hat einen komischen am Mittelfinger, der das Fingerglied und die angrenzenden Seiten des Ring- und des Zeigefingers ziemlich schmerzen lässt. Mal schauen, was daraus wohl wird.

Das Schlafen gestaltet sich hier recht schwierig, da praktisch die ganze Nacht Lastwagen und Busse durch diese Straßenschleife fahren, die solch einen Lärm machen, als führen sie durch unser Zimmer. Manche halten auch, fahren piepend rückwärts oder rangieren lärmend. Da waren die drei Nächte an Tankstellen bislang sehr viel weniger schlimm.

Samstag 14.9.24 – (095) – La Roca – Chachagüi

980 m bergauf

Gesamt: 5.788,50 km

Wir haben für heute wieder eine kurze Etappe geplant, denn es geht nach einer Abfahrt von ca. 6 Kilometern wieder den ganzen Tag nur bergauf. Komoot zeigt dabei teilweise Steigungen von 30% an, die wir uns auf der Panamericana nicht erklären können (und auch nicht glauben wollen). Eine Rückfrage in der VIBICO-WhatsApp-Gruppe ergibt, dass die Steigungen hart, aber fahrbar seien. 30% wäre für uns bergauf nicht einmal mehr schiebbar.

Da auch heute die Verpflegungsmöglichkeiten begrenzt sein sollen, frühstücken wir in dem kleinen Laden in La Roca zwei Kaffee mit Milch (aus einer dazugekauften kleinen Milchtüte, die Viktor dann noch leertrinken muss) und abgepackte Brötchen mit unserer eigenen Marmelade und Schokocreme. Dann starten wir auf die Abfahrt, die uns gleich durch einen 210 m langen Tunnel führt, der spärlich beleuchtet ist und keinen Seitenstreifen hat. Zum Glück ist wenig Verkehr unterwegs und wir werden weder überholt noch kommt uns gerade Gegenverkehr entgegen.

ActionCam Video hier einfügen

Es ist heute morgen noch relativ kühl (geschätzte 15° C), und so schaffen wir die Abfahrt ohne Abkühlpause für unsere Bremsen. Mittlerweile haben wir das Intervallbremsen weiter optimiert. Wir fahren insgesamt langsamer bergab und bremsen häufiger, aber kürzer. Am Ende der Abfahrt fahren wir über den Rio Juanambu und beginnen den stundenlangen Aufstieg. Wir bemerken schon gleich am Anfang, dass die wenigen in Google aufgeführten Tankstellen und Läden entlang der Strecke geschlossen sind oder gar nicht existieren. Wir haben uns aber gestern Abend sowieso mit Getränken eingedeckt, die uns notfalls durch den kurzen Tag bringen.

Es ist Samstag, also Wochenende, und so kommen uns schon bald die ersten Radfahrer aus Chachagüi entgegengerollt. Wenn es nicht gerade allzu steil ist, heben wir kurz die Hände zum Gruß. Die Strecke scheint eine beliebte Trainingsstrecke zu sein. Wir kämpfen uns mit 7 km/h hinauf, an manchen Stellen geht es direkt neben der Leitplanke steil bergab in den Abgrund, an vielen Stellen ist die Leitplanke stark beschädigt oder fehlt ganz. Viktor mit seiner Höhenangst schaut einfach nicht hin. Bei dem langsamen Tempo muss er sowieso voll konzentriert auf die Straße schauen, denn das Ausweichen bei einem Schlagloch oder Metallteil auf der Straße ist ein ziemlicher Balance-Akt. Dafür genießt Jutta immer mal wieder den Blick in den Abgrund, denn ansonsten sind eigentlich rechts und links nur steile Felswände zu sehen. Bis auf einige Stellen natürlich, an denen sich großartige Panoramablicke eröffnen, die zu einer Pause einladen.

Irgendwann kommt von hinten der erste Radfahrer, der unten an der Brücke umgedreht ist und nun den Aufstieg nach Chachagüi hinauffährt. Er fährt länger neben uns her und fragt uns nach dem Tandem und unserer Route. Für Viktor sind solche Treffen und Gespräche gleichzeitig Ablenkung und Motivation. Man kommt zwar vom Reden stärker außer Atem, aber gleichzeitig lenkt es irgendwie von der Anstrengung ab. Der Radfahrer heißt Hugo und schreibt sich bei einer Selfie- und Fotopause noch die Marke unseres Tandems (HASE-Bikes) auf, denn seine Frau macht mit ihm keine Ausfahrten, und Viktor hat ihn wohl überzeugt, dass so ein Stufentandem eine tolle Sache ist. Alsbald kommt von hinten ein weitere Radfahrer an, der uns einholt, und uns bittet, ob wir ein gemeinsames Foto machen können. Auch er heißt zu unserer Überraschung Hugo. Wir erreichen zu viert den zweiten Tunnel des Tages, den wir gemeinsam durchfahren.

Und hier löst sich dann auch das Rätsel um die 30% Steigung auf. Komoot scheint bei der Berechnung der Steigung fälschlicherweise die Höhenlinien des Gebirges zu verwenden und nicht die tatsächliche Neigung der Straße.

Hinter dem Tunnel müssen wir eine Pause einlegen während die anderen weiterfahren, nicht ohne uns mitzuteilen, dass es ab hier nicht mehr ganz so steil ist. Na ja … je müder die Beine werden, desto steiler fühlt sich die Strecke an … wir bemerken keine deutliche Änderung und unser Tempo bleibt bei 7 bis 8 km/h.

Kurz vor Chachagüi halten wir an einer Tankstelle, die komplett einsam und verlassen daliegt. Die Toiletten verschlossen, es gibt keine Verpflegungsmöglichkeit, denn das eigentlich vorhandene Restaurant ist trotz gedeckter Tische verschlossen. Wir setzen uns ein wenig in den Schatten und essen ein paar Brotsticks aus unserer Verpflegung bevor wir weiterfahren. Kurz vor der Weiterfahrt um 10:35 Uhr sehen wir noch, wie das Tankstellenrestaurant geöffnet wird. Nun ja, Öffnungszeiten stehen hier in Kolumbien nur selten irgendwo dran. Man fragt halt danach und erhält dann eine ungefähre Zeitangabe, häufig mit der ergänzenden Information, ab wann geöffnet sei und ab wann (deutlich später!) man dann tatsächlich auch einen Kaffee bekommen könnte.

Einige Kilometer weiter kommen wir an den Flughafen von Chachagüi, wo wir eine Kaffeepause einlegen wollen. Auf dem kurzen Stück werden wir von zwei weiteren Radfahrern überholt, die uns ansprechen. Arturo erkennt uns, weil er uns in dem Facebook- und Instagram-Video von Conozcamos con Tello gesehen hatte. Dieser Tello scheint recht viele Follower zu haben. Wir haben zig „Bendiciones“ (Segnungen) für unseren weiteren Weg auf Facebook erhalten und sogar eine Einladung zum Abendessen an der Grenze von Ecuador nach Peru, die wir erst in eingen Wochen erreichen werden. Arturo bietet uns sofort an, uns morgen mit nach Pasto zu nehmen, als er hört, dass wir mit dem Bus liebäugeln. Er hat ein Wochenendhaus hier in Chachagüi, lebt aber in Pasto und transportiert sein Mountainbike morgen mit dem Pickup-Truck zurück nach Pasto. Wir tauschen Telefonnummern aus, und er holt uns am Nachmittag sogar nochmal am (etwas abseits gelegenenen) Hotel ab und fährt mit uns in den Ortskern, damit wir den auf jeden Fall noch kennenlernen können.

Der zweite Radfahrer verrät uns seinen Namen nicht, will uns aber unbedingt zu frischgepresstem Orangensaft einladen. Gegenüber vom Café, in dem wir Pause machen wollen, gibt er uns einen aus, trinkt selber nichts und fährt nach einem Selfie sofort weiter. Er meint, er würde uns später im Ort schon wiederfinden, was ihm aber nicht glückt. Beim Orangensaft unterhalten wir uns mit vier Motorrad-Polizisten, die wir kurz vorher noch beim Durchsuchen eines Lastwagens an der Straße gesehen haben. Dort hatten sie gerade irgendwelche Möbel von der Ladefläche eines LKW auf die Straße gestellt und waren dabei, sie wieder einzuladen. Die Polizisten machen auch gerade Pause am Saftstand, und wir kommen natürlich ins Gespräch über die Sicherheitslage. Sie sind überzeugt, dass wir auf der Strecke bis zur Grenze auf der Panamericana absolut sicher sind. Im Nachbar-Departamento Cauca seien die Guerillas noch teilweise aktiv (siehe oben die Autobombe in El Remolino vor zwei Monaten), aber hier in Nariño sei alles sicher. Die Lastwagenkontrolle war nach ihren Aussagen eine Drogen- und Waffenkontrolle. Na ja, wie uns gerade auffällt, lag El Remolino ja schon im Departamento Nariño.

Wie fast überall auf unserer Route sind die Menschen (und auch die Polizisten) der Meinung, dass die Gefahr vor allen Dingen von Flüchtlingen aus Venezuela ausginge, die seien nämlich überwiegend „Ladrones“ (Diebe). Das würde in Ecuador noch viel schlimmer werden, denn dort würden die Flüchtlinge aus Venezuela geduldet, was sie ja regelrecht anziehe. Ach da sind sie ja wieder mal, die „Pull-Faktoren“. Viktors Kommentar „Wo es viel Armut gibt, gibt es viel Diebstahl“ (Donde hay much probreza, hay mucho robo) greift nur einer der vier Kollegen auf und wiederholt ihn in halbwegs zustimmendem Tonfall (oder war das Wunschdenken?).

Noch ein paar Kilometer weiter checken wir in das Hotel „La Gran Estancia“ ein, können noch den Pool nutzen und finden im Rezeptionisten „Jose“ einen weiteren neuen Freund (nach eigener Aussage!), denn er ist auch Moutainbiker, unser Alter und findet unsere Tour toll.

Am frühen Nachmittag liegen Rauchschwaden über dem Hotel, die etwas besorgniserregend sind. Auf einem Berg ganz in der Nähe (drei km entfernt) ist ein Waldbrand ausgebrochen, den wir später mit Arturo aus dem Zentrum von Chachagüi deutlich sehen können. Sogar die Flammen sind erkennbar. Auch Arturo muss uns unbedingt noch einen ausgeben und so nehmen wir gemeinsam an einem Stand noch Granizado, Cholado und Raspado zu uns.

Das Abendessen gibt es heute im Hotelrestaurant, denn wir müssen dringend zwei Tage Blog schreiben, was hiermit gegen 22:30 Uhr vollbracht ist.

Sonntag 15.9.24 – (096) – Chachagüi – Pasto

1.144 m bergauf

Gesamt: 5.817,25 km

Nachts um 4 Uhr werden wir von lauter Musik auf dem Hotelgelände wach. Sie kommt aus den gegenüberliegenden Hütten, die man komplett anmieten kann. Mehrfach hört sie plötzlich auf, geht aber kurz darauf weiter. Das hält uns beide vom Weiterschlafen ab. Da unsere Tour heute wieder nicht lang und das Frühstück inbegriffen ist, sind wir die ersten im Restaurant (um 7:30 Uhr, wohlgemerkt, gleich bei Öffnung). Der Waldbrand hat seine Spuren in Form von Ascheregen im Pool hinterlassen, es riecht aber nicht mehr ganz so stark wie gestern.

Es wird ein langer und anstrengender Tag. Die Strecke hat extrem steile Anstiege (13 und 14%), auf denen wir zweimal schieben müssen – das erste Mal seit langer Zeit. Wir erzielen einen neuen Langsamkeitsrekord und sind bei Ankunft am frühen Nachmittag ziemlich kaputt. Wir hatten uns fest vorgenommen, niemals an zwei aufeinanderfolgenden Tagen über 1.000 Höhenmeter zu fahren. Nun sind es schon vier Tage in Folge. Das geht in dieser Gegend einfach nicht anders. Und morgen kommen nochmal 700 Meter dazu. Aber danach werden wir wohl wieder einmal zur Entlastung in einen Bus steigen.

Heute ist Sonntag, und so treffen wir unterwegs wieder mehrere Mountainbiker. Ein entgegenkommender sagt uns, es wären noch weitere acht Kilometer Steigung, aber nach sechs käme ein Saftstand (Jugos) am Rand zum Pausieren. Für diese sechs Kilometer benötigen wir mehr als eine Stunde, auch, weil wir mehrfach pausieren müssen. An einer Brücke halten auch zwei andere Radfahrer (einer heißt Rodrigo), die uns sagen, es wird demnächst flacher. Das stimmt leider nicht, denn erst später kommen unsere beiden Schiebestellen.

Selbstauslöser-Bild mit ersten Radlern

Als wir am Saftstand ankommen und einen O-Saft zum Teilen bestellen, halten zwei andere Mountainbike-Fahrer ebenfalls dort an, und als wir zahlen wollen, ist auch unser Orangensaft schon bezahlt. Schon wieder werden wir also zu einem Orangensaft eingeladen! Wir erwähnen, dass wir in den letzten Tagen schon mehrfach eingeladen wurden. „Hier kommen so wenige Deutsche her, da muss man die Gelegenheit nutzen“ ist die Begründung. Der Sohn von dem einen Mountainbiker kommt kurz darauf schiebend am Stand an. Wir sind also nicht die Einzigen, denen es hier zu steil zum Fahren ist.

Einladung zum O-Saft – Vielen Dank an Lizardo und Freddy

Um kurz nach zwölf halten wir am Zielpunkt von Komoot, das wieder einmal nicht die auf die Hoteladresse aktualisierte Version an den Garmin geschickt hat, sondern das Stadtzentrum als Ziel hat. Zum Hotel sind es noch ein bis zwei Kilometer weiter. Da es aber spät genug und ziemlich kalt ist, kehren wir im Café Guajaquil ein. Die Espresso-Maschine ist nicht in Benutzung, aber Viktor bekommt endlich einmal einen Tamal zum Essen.

Im Café hängen mehrere Plakate des Karnevals von Pasto, der immer Anfang Januar stattfindet und seit 2009 zum Weltkulturerbe zählt. Er trägt den Namen „Carnaval de Blancos y Negros“ (Karneval von Schwarzen und Weißen) und zieht jedes Jahr viele Touristen an. Wir haben auf dem Weg in die Stadt schon einige Gruppen gesehen, die eine Art Umzug mit Musik, Tanz und Stelzenläufern einüben.

Im Hotel duschen wir schnell und machen uns dann auf den Weg zur Sammeltaxi-Station. Diese ist zwar nah dran, aber wir müssen mehrfach nach dem Weg fragen. Die Mini-Busse stehen einfach so am Straßenrand und fahren los, wenn sie voll besetzt sind. Notfalls auch noch auf Extra-Hockern auf dem Boden. Wir wollen zur Laguna de la Cocha, die uns unterwegs sehr ans Herz gelegt wurde. An diesem Gletschersee ist es auf 2.680 m Höhe relativ kühl und der Ort ist irgendwie eine Mischung aus Venedig und der Schweiz. Die Holzhäuser haben einen entfernt vertrauten Stil, die angebotenen Souvernirs und einige Kleidungsstücke kommen uns teilweise „alpin“ vor. Durch den Ort fahren auf Kanälen kleine Boote, mit denen man auf die Lagune hinausfahren kann. Einige fahren bis zur Insel „La Carota“, auf der sich ein Naturschutzgebiet (Santuario de Flora y Fauna) befindet. Wir wollen keine Lancha nehmen, und ohne rauszufahren ist es gar nicht so leicht, einen Blick auf das auf Bildern immer türkisfarbene Wasser zu bekommen. Am Ende des Weges kann man gegen ein geringes Entgeld auf eine schwimmende Aussichtsplattform und dort immerhin auf den See sehen, dessen Wasser heute eher dunkel (wie die Nordsee) aussieht. In einem der Holzhäuser wärmen wir uns bei einem Kaffee auf, bevor wir wieder in ein Colectivo steigen, um zurück nach Pasto zu fahren.

Bei der Rückkehr werden wir von Arturo abgeholt, der uns gestern schon Chachagüi gezeigt hat, und der uns heute noch etwas von Pasto zeigen möchte. Der Abend wird länger als erwartet, wir gehen noch gemeinsam essen und er besteht darauf, dass wir sein Haus und seine Frau kennenlernen. Die eine Tochter ist schwer psychisch krank, und sie haben Hoffnung, dass Jutta ihnen Tipps geben kann (weil sie denken, dass in Deutschland die Forschung weiter fortgeschritten ist). Das müsse doch Gottes Fügung sein, dass wir uns begegnet sind.

Panorama von Brücke

Woche 23 (2.9.24 – 8.9.24) – Neira – Popayán

Montag 2.9.24 – (085) – Neira – Cartago

Gesamt: 5.237,75 km

Wir stehen in Etappen auf, weil wir uns zu zweit in diesem Mini-Zimmer nicht bewegen können. Im 24 Stunden geöffneten Miniladen können wir Getränke kaufen, und das Restaurant macht uns einen Kaffee mit Milch – so sagen sie, schmecken tut das dickflüssige Etwas weder nach Kaffee noch nach Milch (ist aber serviert in einer Schale wie in Frankreich). Wir stellen uns an den Rand des Parkplatzes, um den Sonnenaufgang anzuschauen ( 😉 ) und schütten die Schalen aus.

Die Tour heute Richtung La Virginia geht entweder über einen sehr hohen Pass oder durch einen Tunnel, bei dem wir ja noch unsicher sind, ob man als Radfahrer dort hindurchfahren darf bzw. kann, denn erlaubt ist es wohl nicht. Die Stokerin überzeugt den Captain, erst einmal bis zur Tunneleinfahrt zu fahren – gegebenenfalls stellen wir uns dumm.

Während der Frühstückspause spielen zwei Katzen mit den Zugbändern unserer Radtaschen und mit unserem Glücksbringer und sind nur schwer davon abzuhalten, sie zu zerfransen. Bei der Weiterfahrt wird uns, je näher wir an den Tunnel kommen, von überholenden Radfahrern und Autofahrern gesagt, dass wir dort nicht durchfahren können. An der Mautstation kurz davor überholt uns wieder ein Radfahrer, von dem wir denken, dass er den Tunnel nehmen wird, und passieren deshalb kurz hinter ihm ebenfalls die Mautstation. Da kommt uns ein Pick-Up entgegen und hält uns an: Fahrräder sind im Tunnel verboten, weil man sich beim Radfahren so stark anstrengt, dass man sich mit den Autoabgasen vergiften würde. Wir versuchen noch, so zu tun, als wären wir ein Moped, aber wir dürfen nicht weiter. Der andere Radfahrer nimmt auch den Weg über den Pass, der erst hinter der Mautstation irgendwo abgeht.

Die Menschen an der Mautstation sagen uns, wir können von einem Auto mitgenommen werden, und der Security-Mann bietet uns an, für uns eines zu finden – das hat er angeblich auch schon für andere gemacht. Und siehe da: nicht einmal 30 Minuten nach unserer Ankunft dort, laden wir das Tandem und alle Taschen bei Luis hinten auf die Ladefläche seines Pick-Ups, auf der auch schon sein eigenes Rad steht. Viktor ist so begeistert von der kolumbianischen Hilfsbereitschaft, dass er zum Abschied noch ein lautes „Viva Colombia!“ zur Security und zu den Mitarbeitern der Mautstation hinüberruft. Wir hören lautes kollektives Lachen von hinten, als wir in den Pick-up einsteigen.

Ein paar Minuten später lässt uns Luis hinter dem Tunnel auch schon wieder raus. Er erklärt, wenn dieser Tunnel für Radfahrer geöffnet würde, wäre er am Wochenende verstopft von den vielen Radelnden, die dort Selfies machen würden – er versteht das Verbot also.

Als wir das Tandem wieder packen, stellt Viktor fest, dass seine Trinkflasche nicht mehr da ist, weiss aber nicht, ob sie noch an der Mautstation steht oder in Luis‘ Auto im Fußraum liegt. Jutta wollte ihre Flasche schon nach Deutschland schicken, weil sie sie nicht nutzt (sie trinkt nur Wasser und das aus dem Camelbak), also wird Viktor ab jetzt diese Flasche nutzen.

Dann geht es erst einmal eine schöne Abfahrt hinunter. Das „neue“ Tal ist sehr viel breiter als das gestern, rechts und links sind Wiesen und Felder (Zuckerrohr), die Berge relativ weit entfernt. Wir fahren in Fließrichtung des Flusses, der ein Zufluss zum Rio Cauca ist. Daher geht es eine zeitlang bergab. Wir machen eine Trinkpause an einem Restaurant, bestellen einen Krug Limonade ungesüßt/natürlich und bekommen zwei Liter Tamarindo-Getränk. Ist „Limonada natural“ wirklich so schwer zu verstehen? Die Dame dort empfiehlt uns einen Abstecher nach Viterbo, weil das doch sehr schön sei. Wir haben gerade beschlossen, nicht nur bis La Virginia zu fahren, sondern bis Cartago, weil wir so gut in der Zeit liegen, machen aber trotzdem noch diesen Abstecher. An der Abzweigung dorthin wird uns bestätigt, dass es dort mehrere (!) Eiscafés geben soll, das möchten wir ausnutzen. Die Allee bis zum Ort ist wirklich schön, alte Baumstümpfe sind dort von einem Künstler gestaltet worden. Es gibt unter Anderem eine Jungfrau Maria und einen Jesus zu bewundern. Das erste Eiscafé gibt es nicht mehr, das zweite und dritte sind heute noch nicht geöffnet, aber das vierte (und letzte) serviert uns zwei Banana-Split. Dafür sagen wir heute Juttas Cousine Angela vielen Dank für die Spende!

Danke schön, liebe Angela!
Bei der Ausfahrt gefilmt

Viktor nimmt übrigens das Angebot an, das Eis inklusive Frischkäse (eine Art Mozarella) zu bekommen – Jutta lässt den lieber weg. Ist mal etwas Anderes und muss nicht unbedingt wiederholt werden. Um Punkt zwölf fahren wir dort wieder los und geraten damit genau in die Mittagshitze. Und es geht ziemlich bergauf. Mit der Banana-Split-Stärkung klappt es aber ganz gut!

In Viterbo machen wir am Zentralplatz noch ein Foto und dann geht es zurück auf die Hauptstraße Richtung „Cali“ und „Cartago“. Kurz vor der nächsten Ortschaft wird Viktor von irgendeinem Insekt am linken Mittelfinger gestochen (was ist denn los in letzter Zeit?). Es schmerzt nur kurz und heftig, schwillt aber nicht an. In einem kleinen Laden darf er seine Hand für ein ein paar Minuten in die Eiswürfel-Truhe halten.

Ab „La Virginia“, unserem ursprünglich geplanten Etappenziel, geht es nochmal ordentlich steil bergauf. Wir benötigen 1,5 Stunden für die circa 10 Kilometer, unter anderem auch deshalb, weil wir einem jungen Motorradfahrer helfen, der sich bei einem misslungenen Überholvorgang offenbar verschaltet und derartig Gas gibt, dass seine Kette reißt und kurz vor uns auf der Straße liegen bleibt. Wir halten an, Jutta steigt ab und versucht die Kette von der Straße zu ziehen, bevor weitere Lastwagen drüberrollen. Aber die Kette ist so heiß, dass sie sie fallenlassen muss. Mit einem Stock vom Straßenrand versucht sie es nochmal. Dabei wird es plötzlich richtig lebensgefährlich, denn auf der Gegenfahrbahn befindet sich ein Lastwagen mitten im Überholvorgang und rast auf Jutta zu. Sie hat nur nach links geschaut und geprüft, ob unsere Fahrbahn frei ist, aber mit einem überholenden Lastwagen aus der Gegenrichtung auf unserer Straßenseite hat sie nicht gerechnet. Viktor kann noch rechtzeitig „Vorsicht!“ rufen und es geht alles gerade nochmal gut. Die Motorradkette ist sowieso hinüber und lässt sich mit Bordmitteln nicht reparieren. Der junge Motorradfahrer entscheidet sich, die lange Steigung zu nutzen und nach La Virginia bergab zurückzurollen, um dort eine Werkstatt zu finden. Wir verabschieden uns und fahren weiter bergauf. Kurze Zeit später überholt uns ein Motorrad-Doppel in uns schon beaknnter, typischer Haltung. Das kaputte Motorrad wird von einem anderen Motorrad geschoben, indem der rechte Fuß ausgestreckt und irgendwo am kaputten Motorrad abgestützt wird. Haarsträubend aber pragmatisch.

Am Ende der langen Steigung braucht der Captain nochmal eine Pause. Es gibt eine schnelle Cola, danach zwei „Granizados de Café“ und ein Stück Apfelsinenkuchen, dessen Teig sehr stark an unseren „Familien-Zitronenkuchen“ erinnert. Den kann man sicher auch mal mit Apfelsine statt Zitrone ausprobieren.

Zum Abschluss des Tages gibt es nochmal eine rasende Abfahrt nach Cartago ohne enge Kurven, bei der wir ein Motorrad überholen und vermutlich unseren bisherigen Geschwindigkeitsrekord brechen (64,9 km/h).

Wir checken für unsere Verhältnisse recht spät im Hotel Golden Cartago ein, denn es war in langer Tag mit wieder über 1.000 Höhenmetern. Wir spüren unsere Knie, gehen keinen Schritt mehr vor die Türe und essen im Hotelrestaurant in der obersten Etage zu Abend. Dort gibt es an den Wänden interessante Neon-Anmachsprüche, die wir hier mal für die Spanischsprachigen unkommentiert stehen lassen.

Dienstag 3.9.24 – (086) – Cartago – Tuluá

Gesamt: 5.330,91 km

Das Hotel hat uns zwei Sandwiches und Säfte an der Rezeption hinterlegt, da es um sechs Uhr noch kein Frühstück gibt, was uns aber zusteht. Sehr nett! Vor dem Losfahren checkt Viktor den Lenker, der gestern nicht mehr gerade war, und versucht die Ursache für das Verschieben herauszubekommen. Außerdem wird die Lenkertasche neuerdings vom Lenker eingeklemmt, was das Lenken erschwert. Beide Ursachen werden morgens noch nicht geklärt.

Draußen auf der Straße ist um sechs schon eine laute Demonstration im Gang: Motorräder und PKW schleichen hupend durch die Querstraße des Hotels – der Parkplatzwächter kann uns den Grund nicht nennen. Wir tippen aber darauf, dass die angekündigte Steuererhöhung auf LKW-Treibstoff der Grund sein könnte. Vor den Mopeds und Autos blockieren nämlich auch wahrscheinlich LKW die Straße, weshalb niemand anderes durchkommt.

Der Start geht zunächst durch Cartago, bis wir die Stadt verlassen haben, aber es fährt sich erstaunlich gut für innerstädtisch. Zwischen Cartago und Zaragoza gibt es einen zweispurigen Fahrradweg. Zunächst sind wir begeistert, aber schnell ernüchtert: der Weg ist sowohl holperig (im Gegensatz zur glatten Straße) als auch von zu Fuss Gehenden bevölkert, die auch nach Klingeln nicht zur Seite gehen. Wir wechseln also wieder auf den Seitenstreifen der Straße.

Es fällt auf, dass uns sehr, sehr viele Rennradfahrer in größeren Gruppen auf der Gegenfahrbahn entgegenkommen. Es sieht fast wie ein Rennen aus, ist aber keines. Einige wenige überholen uns auch, und zwei von denen fahren eine Weile mit uns zusammen, um uns auszufragen und uns noch Tipps zu geben. Zum Beispiel empfehlen sie uns, morgen in Buga (nicht heute in Bugalagrande!) die Basilica zu besichtigen.

Die erste Pause machen wir nach ca. 30 km in La Victoria. Dafür müssen wir von der 25 abfahren und eine sehr schlechte Straße nutzen, bis sie nach ein paar Kilometern besser wird und in den Ort führt. Wir fahren in Richtung der Kirche – dort wird es sicherlich einen Kaffee geben. Die Kirche ist sehr modern, fällt uns auf, und in der Panaderia daneben bestellen wir zwei Milchkaffee. Was wir bekommen: aus Instantpulver angerührte „Plörre“, obwohl es dort eine echte historische Kaffeemaschine gibt, die sogar mit Dampf Milchschaum erzeugen kann. Die Verkäuferin erklärt uns, dass die Kunden diesen Instant-Milchkaffee bevorzugen und bringt zum Vergleich eine Tasse mit dem echten Kaffee mit Milch. Der ist so, wie er sein sollte! Sie erklärt, dass man beim Bestellen von Röstkaffee (Café Quemado) mit Milch sprechen sollte und zudem erwähnen sollte, dass es kein Kaffee aus Instantpulver sein soll. Sie erklärt uns auch, dass das schlechte Straßenstück an der Einfahrt zur Stadt nur existiert, weil die Bürgermeister nicht einsehen, sie aus dem städtischen Haushalt zu erneuern. Sie sind der Meinung, das wäre eine Aufgabe Kolumbiens, da es sich um die Abfahrt einer Nationalstraße handelt. Also die gleichen Zuständigkeitsprobleme wie zuhause …

Auf der anderen Flussseite ist hier La Union, wo der Nationalpark der Weintrauben liegt – hier ist also wohl eine Weingegend. Die Straße heraus aus La Victoria in Richtung Süden ist glücklicherweise sehr viel besser.

Für die nächste Pause gucken wir uns Zarzal aus, weil danach sehr lange nichts mehr kommt, wo man Pause machen und Getränke auffüllen kann. In Zarzal wollen wir entscheiden, wir weit wir heute überhaupt fahren werden. Zarzal liegt gleich an der 25, ist also ohne Umweg erreichbar, und wir finden wieder nahe der Kirche ein Örtchen, wo wir Milchshakes aus Milch und Eiscreme (Malteadas) trinken können, die sehr nett zurecht gemacht sind:

Wir beschließen, heute bis Tuluá zu fahren, da wir keine größeren Höhen zu bewältigen haben und es immer noch ziemlich früh ist. Vor dem Weiterfahren checken wir noch einmal, warum die Lenkertasche so blöd eingeklemmt ist – verzieht sich der Rahmen, oder ist gar etwas gebrochen? Ganz einfach, nur bislang unbemerkt: der Schnellspanner am Stockersitz ist locker, und die Rückenlehne hat sich nach hinten bewegt. Gestern in den Steigungen hat sich Jutta so in den Sitz gepresst, dass die Lehne nach hinten gedrückt wurde und jetzt die Tasche am Lenker einklemmt. Wir richten den Sitz wieder aus und ziehen den Schnellspanner fest an! Eines der beiden Probleme ist also gelöst. Die verstellte Spur bei der Lenkung bleibt aber zunächst noch ein Rätsel.

Am Ortsausgang von Zarzal steht ein riesiges Schild: „La tierra que endulza a Colombia“ – hier lebt man wohl hauptsächlich vom Zuckerrohranbau.

Weiter geht es durch das weite Tal zwischen vielen Zuckerrohrplantagen. Immer wieder stehen Schilder am Rand, dass man achtgeben muss auf die querenden Zuckerrohr-Züge, obwohl hier nirgendwo Schienen verlaufen. Irgendwann kommt uns auf der Gegenfahrbahn ein solcher „Zug“ entgegen: Ein LKW mit noch drei weiteren angehängten Hängern. Als uns einer überholt, erwischt Jutta ihn nur noch von hinten, aber auf einem Feld sehen wir welche, wie sie beladen werden.

In Andalucia machen wir noch eine dritte Pause. Es sind zwar nur noch gut zehn weitere Kilometer, aber es ist immernoch erst 13 Uhr und zu früh, um im Hotel anzukommen. Wir wollen uns ein Eiscafé suchen, finden aber kein geöffnetes. Jutta will zunächst im Ara-Supermarkt neue Getränke kaufen, und als sie zurückkommt zum Platz, ist Viktor im Gespräch mit Julio Rocas, einem Mountainbiker aus der Gegend, der einige Tipps zu den weiteren Etappen in Richtung Ecuador geben kann, sowie Sehenswürdigkeiten (z.B. die „Schweiz Südamerikas“ in der Nähe von Pasto an der „Laguna de la Cocha“) empfiehlt. Im Endeffekt lassen wir das mit der weiteren Suche, trinken in der Panaderia am Platz einen Kaffee und brechen für den Endspurt auf. Bei der Ausfahrt aus Andalucia lernen wir noch, dass dieses die Hauptstadt der Gelatine ist. An nur einem Tag: Weintrauben, Zuckerrohr und Gelatine – das hat doch was!

Auf der kurzen Strecke nach Tuluá werden wir wieder gefilmt, diesmal von Javier Tello:

Er ist Touristenführer – macht mit denen Fahrten im „Willy“, mit dem er auch hier gerade unterwegs ist. Dessen Bedeutung für Kolumbien haben wir ja gerade gestern kennengelernt. Wir reden ein bisschen, und als wir weiterfahren, filmt er noch einmal. Und dann passiert es: Bevor er uns von hinten mit dem „Willy“ überholt, stehen wir schon wieder. Platter Vorderreifen bei Kilometer 88, nur fünf Kilometer vor dem Ziel! Wir wechseln also nach längerer Zeit (letztes Mal war in Panama) einmal wieder den Schlauch. Das Loch ist schon wieder auf der Felgenseite, also innen, aber wir finden keine Ursache, die Felge ist völlig o.K. – ein weiterer „Snakebite“ also.

Kurz vor Tuluá sehen wir noch eine weitere Demonstration gegen die geplanten Steuererhöhungen bei Treibstoffen. Lastwagen sperren die Gegenfahrbahn der Nationalstraße, auf der wir unterwegs sind. Wir kommen aber problemlos in die Stadt.

Und irgendwo heute, wir wissen nicht mehr genau wann, fliegen zwei ziemlich große Aras an uns vorbei. Die haben wir hier schon überall vermutet, aber im Gegensatz zu Costa Rica haben wir in Kolumbien bislang keine gesehen, nur gehört.

Um Punkt 15 Uhr checken wir im Hotel ein, das direkt an einer der sehr zahlreichen Brücken über den Tuluá-Fluss liegt. Wir flicken den Schlauch, erholen uns ein bisschen, finden online keine gute Lösung für das Abendessen und gehen irgendwann einfach los in eine Straße, in der es viele Restaurants geben soll. Von den gelisteten gibt es viele nicht mehr – wir landen in einem vegetarischen Restaurant.

Abends hat Viktor Nachricht von dem Sportfotografen, der an der „Alto de Minas“ alle Vorbeikommenden fotografiert und dann seine Visitenkarte zugesteckt hat. Er schenkt uns die hochaufgelösten Bilder von uns. Und da gerade heute Viktor gesagt hat, er würde doch gar nicht jammern, wenn es bergauf geht, als es um die Weiterfahrt in die Anden ging, die ja demnächst anstehen, teilen wir zwei von den Bildern hier. Viktor kommt aus dem Lachkrampf gar nicht mehr heraus. Es war eine wirklich steile Stelle, an der diese Bilder enstanden sind, muss man dazusagen:

Morgen werden wir um halb sieben das Frühstück hier noch mitnehmen, beschließen wir noch vor dem Zubettgehen.

Mittwoch 4.9.24 – (087) – Tuluá – Palmira

Gesamt: 5.404,81 km

Wir entscheiden uns, heute morgen bis in den Wallfahrtsort „Buga“ durchzufahren und deshalb bereits morgens im Hotel zu frühstücken. Wir stehen also später auf als sonst (5:30 Uhr), packen das Tandem und frühstücken um 6:30 Uhr mit Kaffee, Arepas, Rührei und Cornflakes mit Milch. Der Rezeptionist ist – wie schon gestern – sehr interessiert an unserem Tandem und unserer Tour. Er zeigt Viktor auch sein eigenes Fahrrad, bei dem er eine Scheibenbremse nachrüsten möchte. Zum Abschied erhät er einen unserer Aufkleber und liest vielleicht ab und zu mal hier mit.

Wir verlassen Tuluá in Richtung Süden, bis wir wieder auf die Nationalstraße 25 treffen, die uns zügig ohne nenneswertes Auf und Ab nach Buga führt. Innerorts sind die Straßen leider in weniger gutem Zustand. Wir müssen relativ viel Slalom fahren, um den Schlaglöchern auszuweichen. Hinzu kommen noch Doppel-„Reductores“, deren Abstand ziemlich genau dem Abstand zwischen Vorder- und Hinterrad unseres Tandems entspricht. Das Überfahren dieser Dinger ist daher doppelt unangenehm und muss mit dem vollgepackten Tandem besonders langsam erfolgen. In Buga machen wir eine kurze Kaffeepause, bevor wir zur Basilika fahren. Dort läuft gerade ein Gottesdienst, als wir kurz (leise und ohne zu stören) hineingehen. Das ist hier stündlich der Fall … Warten lohnt sich also nicht. In der Predigt werden gerade die Straßenblockaden der Lastwagenfahrer und die Demonstrationen gegen die geplanten Steuererhöhungen auf Diesel angesprochen. Es wird dafür gebetet, dass keine Steuererhöhungen kommen, weil dies die Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe treiben würde.

Als wir wieder herauskommen haben sich einige Polizistern um unser Tandem versammelt. Wir beantworten einige ihrer Fragen (Was ist das für ein Fahrrad? Woher? Wohin? Wie lange schon? Wie lange noch?) und fragen, ob wir das Tandem noch 10 Minuten hier stehen lassen können, um einen Blick ins Museum gegenüber zu werfen. Sie stimmen zu und passen sogar auf das gute Stück auf, bis wir wieder aus dem Museum kommen. Im Museum erfahren wir einiges über die Wunder, die sich hier ereignet haben sollen und die den Ort zum Wallfahrtsort gemacht haben. Das wichtigste Wunder war eine „wachsende“ Jesusfigur an einem Kreuz, das von einer indigenen Frau im Fluss gefunden wurde. Im Museum hängen tausende von Danksagungen und hinterlassene Gaben und Geschenke von Menschen, die hier wundersam geheilt wurden.

Bevor wir uns wieder auf den Weg machen, bedanken wir uns bei den Polizisten und erhalten noch einige gute Wünsche für unsere weitere Reise. Und – wie so oft in Kolumbien – ein „Danke, dass Sie unser schönes Land besuchen“. Wir beobachten noch kurz die Malerarbeiten an der Fassade, die aus der Ferne wie eine geklinkerte Fassade in Norddeutschland aussieht, tatsächlich ist alles aufgemalt und auch die weißen „Fugen“ werden händisch mit einem Pinsel aufgebracht.

Die weitere Fahrt führt weiterhin durch Zuckerrohrfelder. Immer wieder sehen wir die Gespanne auf der Straße, die hier „Tren Cañero“ heißen. Und sie wirbeln ordentlich Staub auf.

In „El Cerrito“ wollen wir eine Eispause machen, doch bevor wir den zentralen Platz erreichen erleben wir den zweiten Plattfuß in zwei Tagen, diesmal am Hinterrad. Es ist wieder ein innenliegender „Snakebite“. Eine Kontrolle der Felge unter dem Felgenband ergibt, dass hier noch alles in Ordnung ist. So ein „Snakebite“ entsteht an Schlaglöchern, wenn der Schlauch so stark zusammengedrückt wird, dass er innen an der Felge eingeklemmt wird. Eigentlich wäre hier ein höherer Reifendruck die Lösung, dann kann der Schlauch nicht so stark zusammengedrückt werden. Aber ein hoher Reifendruck ist ja seit unseren Felgenbrüchen Tabu. Wir wollen weiterhin bei 3 bar Reifendruck bleiben, aber geben in den nächsten Tagen vielleicht nochmal 0,1 bar oder 0,2 bar hinzu. Und wir werden wohl häufiger prüfen müssen, ob der Reifendruck noch hoch genug ist.

Die eigentlich geplante Pause machen wir danach am zentralen Platz. Viktor möchte unbedingt wieder eine Malteada trinken – dafür suchen wir ein Eiskaffee. Auf dem Platz sind mehrere kleine Stände – einer hat Eis. Jutta sucht sich eine Kugel Erdnusseis aus, und als nach einer ganzen Weile die Bestellung ausgeliefert wird, bekommt sie eine Waffel mit rotem Fruchteis in die Hand gedrückt. Das muss Viktor dann noch zusätzlich zur Arequipe-Malteada essen, und die Kugeln hier sind ziemlich groß. Diese Stärkung reicht auf jeden Fall bis zum Ziel. Es sind auch nur noch 20 Kilometer.

Diese ziehen sich dann aber noch etwas, denn wir müssen mehrfach am Rand anhalten. Irgendwas stimmt mit dem Tandem nicht. Die Lenkung hat sich schon wieder verstellt und muss gerichtet werden. Bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass die Klemmung für die Teleskop-Funktion unter Juttas Sitz nicht fest genug sitzt. Jutta hat mit der Kraft ihrer Oberschenkel und dem kräftigen Abstützen an der Rückenlehne doch tatsächlich das Tandem weiter auseinandergezogen. Zwar nur ein paar Millimeter, aber das wirkt sich bei der Lenkung mit mehreren Winkelgraden aus.

Wir überprüfen alle zugehörigen Schrauben auf einen Bruch (alles o.K.!) und ziehen sie dann ordentlich fest. Schauen wir mal, wer ab jetzt stärker ist, Klemmschraube oder Jutta. ;-). Außerdem müssen wir beide Reifen schon wieder aufpumpen, der Druck ist seit gestern (vorne) bzw. seit El Cerrito (hinten) wieder gesunken. Auch das sollten wir im Auge behalten!

In Palmitas stehen wir wieder einmal verwirrt am von Komoot angegebenen Zielort – kein Hotel in Sicht. Aber selbst, wenn wir die Adresse von Booking.com bei google maps suchen, stehen wir richtig. Während Viktor schnell eine Cola braucht, geht Jutta auf die Suche und findet in der kleinen Nebenstraße das nach hinten versetzte, sehr nette Boutique – Hotel.

Nach dem Einchecken wird das Tandem nochmal auf den Kopf gestellt und der gesamte Rahmen auf Brüche abgesucht. Irgendwie fuhr es sich heute sehr „schwammig“ und Viktor hat den Eindruck, dass es auch bei korrekt eingestellter Lenkung leicht nach links zog. Auch Jutta meint, das Fahrgefühl sei irgendwie anders. Wir finden aber weder am Rahmen noch an der Federung irgendwelche weiteren Probleme. Auch alle Schrauben scheinen noch vorhanden und ordentlich festgezogen zu sein.

Zum Getränkekauf und Abendessen gehen wir die Hauptstraße runter Richtung Zentrum. Getränke sind schnell gekauft, aber ein (geöffnetes) Restaurant, dass nicht nur Fleisch verkauft, finden wir nicht. Also gibt es heute – sehr preiswert – in einer Panaderia mit Kartoffeln bzw. Banane/Käse gefüllte Teigtaschen.

Donnerstag 5.9.24 – (088) – Palmira – Cali

Gesamt: 5.442,38 km

Bevor wir das Frühstück im Hotel nutzen, packen wir bereits das Tandem und pumpen die Reifen nochmal auf 3 bar auf. Uns ist nicht ganz klar, warum der Reifendruck unter 3 bar gefallen ist, aber wir wollen ihn jetzt häufiger kontrollieren, um weitere Snakebite-Plattfüße zu vermeiden.

Wir fahren heute nur eine kurze Strecke bis Cali, gemeinsam mit gefühlten Tausenden von Mopeds. Wir sind richtig schnell unterwegs (Schnitt über 20 km/h), bis an der Einfahrt zur Stadt plötzlich gar nichts mehr geht. Der Lastwagenfahrer-Streik schlägt zu. An einer Brücke schlagen uns moderne Wegelagerer vor, eine Böschung herunterzufahren, denn ganz vorne käme man definitiv nicht weiter. Sie haben eine Art Rampe gebaut und versuchen, bei jedem Moped abzukassieren. Wir bleiben auf der Nationalstraße und schieben das Tandem an (und zwischen) den Lastwagen vorbei bis nach ganz vorne. Dort werden wir von Lastwagenfahrern durchgewunken und man hilft uns sogar das vollbepackte Tandem auf einen erhöhten Mittelstreifen zu heben.

Danach geht es quer durch die Stadt in den südlichen Stadtbezirk „El Ingenio“, wo wir uns im Hotel Amber einquartiert haben, um bei der Weiterfahrt die Stadt schnell wieder verlassen zu können, ohne im Verkehr stecken zu bleiben.

An einer Brücke werden wir vor einer roten Ampel von einer Gruppe Fahrrad-Aktivisten angesprochen, die gerade eine Demonstration für die Wiederherstellung eines kürzlich an dieser Stelle zurückgebauten Radwegs beendet haben. Am kommenden Wochenende ist „Dia del Aire“ (Tag der Luft) und der soll genutzt werden, um Lobby-Arbeit für dieses verlorene kurze Stück Radweg zu machen. Viktor wird für Social Media interviewt und erklärt, warum eine gute Luftqualität uns Radelnden so wichtig ist. Wir haben keine Ahnung, wer das vielleicht wann und wo posten wird. Wir bleiben relativ lange an der Kreuzung stehen und beantworten viele Fragen. Viktors Garmin-Uhr erkennt aufgrund des Stillstands an einer Kreuzung offenbar einen Notfall, fängt an wie wild zu vibrieren und zeigt an, dass jetzt eine Notfall-Nachricht an unseren Sohn Julius gesendet wird. Gerade noch rechtzeitig kann dieser Vorgang abgebrochen werden. Jutta kriegt noc einen kleinen Werbezettel in die hand gedrückt, den wir tatsächlich am Folgetag nutzen.

Foto flyer

Bis genau zu dieser Kreuzung ist die Straße noch sehr leer, weil keine Autos am LKW-Sreik vorbeikommen, aber als wir dann auf eine kilometerlange Straße Richtung Süden abbiegen, landen wir in einem riesigen Freiluft-Markt, der vor den Geschäften am Straßenrand auf der Straße aufgebaut ist. Der Verkehr dazwischen ist fast zum Stillstand verdammt, trotzdem fahren hier viele Autos. Es geht sehr zäh vorwärts, bis der Markt endet und sich die ganze Umgebung ändert. Auf dieser einen langen Straße durchqueren wir wohl mehrere Viertel, die sich ziemlich deutlich unterscheiden.

Vor zehn Uhr kommen wir am Hotel an, dürfen das Tandem in die Tiefgarage stellen, können aber noch in kein Zimmer. Das Hotelrestaurant – Café hat (im Gegensatz zu vielen anderen, die geschlossen waren bzw. sind) geöffnet, und wir trinken einen Kaffee. Am Nachbartisch sitzt ein Herr und spricht uns auf Niederländisch an – wir erkennen es erst gar nicht. Er kommt aus Aruba, erzählt er, und dass dort neben Papiamento auch Niederländisch Amtssprache ist. Das ist aber auch schon der gesamte Austausch.

Da es hier in Cali (über 2 Mio. Einwohner) keine Bahnen gibt und eine Busfahrt ins Zentrum recht kompliziert und langwierig wäre, lassen wir uns von einem (gelben) Taxi ins Zentrum fahren – Jutta noch in den Radfahrklamotten, Viktor hat sich in der Tiefgarage umgezogen. Der Taxifahrer empfiehlt uns das Barrio (Stadtviertel) Granada, und wir laufen ein bisschen dort herum auf der Suche nach der historischen Schönheit und kolonialer Architektur. Mittags teilen wir uns einen leckeren Vorspeisenteller bei El Sirio, einem Syrischen Restaurant. Anschließend geht es langsam zum Archäologischen Museum, dem Treffpunkt für eine „Free Walking Tour“, die wir für 15 Uhr gebucht haben. Dort wollen wir um die Ecke noch etwas trinken, finden eine schöne grüne Oase in einem Innenhof, allerdings sind die zwei Bedienungen des Cafés sehr, sehr unmotiviert. Um die Bestellung kümmern wir uns irgendwann an der Theke (auf der sie lustlos ihren Kopf in die verschränkten Arme gelegt hat) selbst, und beim Bezahlen bekommt die junge Dame auch die 10% Trinkgeld nicht hin. Sie wundert sich nicht im geringsten, dass das Trinkgeld bei ihr den zu zahlenden Betrag mehr als verdoppelt hat, als sie diesen eintippt.

Am Museum treffen wir dann auf unseren Guide Lem und auf nur eine weitere Teilnehmerin – eine in Griechenland lebende Belgierin. Wir haben also quasi eine private Tour! Mit Lem gehen wir kurz ins Goldmuseum, wo er uns die vier Epochen der in dieser Gegend lebenden Bevölkerung erklärt. Des Weiteren erfahren wir, dass die Kirche „La Ermita“ den Turm nach Vorlage des Turm des Ulmer Münsters und den Rest nach Vorlage des Kölner Doms hat. Sie war ein Geschenk Deutschlands, da „wir“ uns im 1. Weltkrieg junge Kolumbianische Soldaten ausgeliehen haben, quasi als Dankeschön. Er erzählt uns von zwei weiteren Dingen, die Deutschland Cali geschenkt hat, aber sie fallen uns schon nach der Tour nicht mehr ein. Wir glauben, es war das Kupferdach eines Gebäudes, aber wir wissen nicht mehr welches.

Das Teatro Jorge Isaacs verfügt über die weltweit zweitgrößte Akustik-Box über der Bühne, die zur Verstärkung der Lautstärke von Sprache und Gesang ohne Mikrofon und Verstärker dient. Sie überragt das Gebäude und ist auch von außen gut erkennbar.

Akustik-Box auf dem Gebäude des Theaters

An der Plazoleta Jairo Varela erklärt er uns, dass die dort aufgestellten „Trompeten“ das Wort „Niche“ darstellen, zur Würdigung dieser wichtigen Kolumbianischen Musikgruppe. Aus allen vier Trompeten schallt 24 Stunden täglich deren Musik, im Inneren stehen thematisch sortiert die Liedtexte, und Lem zeigt uns dort auch kurz, wie man Salsa tanzt.

Außerdem ist der ganze Platz ein „Kunstwerk“: auf dem Boden sind sieben farbige Bahnen dargestellt, die für die sieben Flüsse stehen, die durch die Stadt fließen. Eine Überdachung ist so geformt, dass sie den Wind darstellt, der hier jeden Tag ab 15/15:30 Uhr vom Pazifik ankommt und die Stadt zuverlässig wiederkehrend täglich abkühlt. Und da der Pazifik „gleich hinter dem Berg“ beginnt, ist auch er im Platz mit verarbeitet.

Die Lage Calis, links der Pazifik, rechts die Andenkette, ganz rechts das „Valle de Cauca“ mit Cali. Der kühlende Seewind schafft es am Nachmittag zuverlässig über die Bergkuppe und kühlt das Tal und damit auch Cali.

Wir gehen hinunter in die pazifische Tiefe des Platzes, und Lem erklärt uns sehr sangesfreudig, wie die Salsa entstanden ist und weshalb Cali heute die Hauptstadt des Salsa ist.

Pazifische Tiefe des Platzes

Hier in Cali entstand erstmals eine rhythmisch beschleunigte Mischung verschiedener afrokaribischer, lateinamerikanischer und jazziger Tanzmusik, unter anderem auch dadurch, dass Schallplatten mit 45 RPM abgespielt wurden statt mit 33 RPM. Das erste Konzert einer amerikanischen Band wurde fast zum Flop, weil das Publikum die Musik nur in der beschleunigten Fassung kannte und nicht so langsam tanzen wollte, wie die Band sie spielte. Im multikulturellen „melting pot“ von New York entwickelte sich das Ganze dann in den 70iger Jahren immer weiter. Zum Begriff Salsa (korrekt übersetzt: Soße) gibt uns Lem diese Story zum Besten, die man auch auf Wikipedia findet:

Wie der Begriff „Salsa“ entstand

Seit der Coronazeit, als auch hier alle Clubs geschlossen blieben, findet hier jeden Freitag abend ein öffentliches Salsatanzen auf der Straße statt.

Wir lernen von Lem noch, dass es hier keine richtigen Hochhäuser gibt – außer weiter draußen in den Bergen – weil die Stadt Cali um eine Militärbasis herum gewachsen ist und die Flieger sonst nicht starten und landen könnten. Und – eine weitere Parallele zu Wangerooge (die erste ist der abendlich aufkommende Wind) – es gibt hier eine Männerstraße und eine Frauenstraße (Damenpfad und Herrenpfad auf der Insel Wangerooge), die beide zum Rio Cali führen. Als früher die Menschen im Fluss gebadet haben, waren dies die Zuwege zum Damen- und Herrenbad.

Nach der Tour fahren wir mit einem Taxi zurück zum Hotel, checken erst einmal ein, kämpfen ein wenig mit dem W-LAN (der gute Mann an der Rezeption gibt uns nacheinander zwei Passwörter für Netzwerke, die wir im Zimmer gar nicht empfangen – wir haben einen TP-LINK-Router im Zimmer und ein eigenes Netz, erfahren wir am nächsten Morgen von seiner Kollegin) und essen im Hotelrestaurant. Auch hier ist die Bedienung nicht wirklich arbeitswillig, fällt uns auf…

Freitag 6.9.24 – Cali (Ruhetag)

Wir sind um 9 Uhr am Boulevard del Rio zu einer Cali Bike Tour angemeldet, weshalb wir nach dem Frühstück mit einem Taxi dorthin fahren. Vor der „Pizzicleta“ ist Treffpunkt, und dort treffen wir auf Edwin, einen der Fahrradaktivisten von gestern. Wir bekommen angepasste Leihfahrräder und warten noch ein wenig auf Alejandro, den zweiten Aktivisten, der auf dem Hinweg einen Platten flicken muss.

Als wir komplett sind, sprechen wir ein wenig unsere Wünsche und damit die Route ab, und es geht los.

Wir fahren zum „Parque de los Gatos“ und zum „Parque del Perro“, besichtigen ein kleines Essigmuseum, in dem wir Türkisches Soda probieren (mit Estragon, Fruchtessig und Sprudelwasser) und erfahren, dass die Betreiber von Menschen aus der Nähe von Wiesbaden gelernt haben, wie man Fruchtessige und Cidres macht und dass der Bioreaktor, mit dem sie in den Bergen über Cali den Essig herstellen, von einer Firma aus Bad Honnef stammt (Cetotec). Die sind weltweit Marktführer, und die Fernwartung und Prozessüberwachung findet täglich online statt – es musste nach der Inbetriebnahme noch nie ein Techniker von dort nach Kolumbien kommen, das geht alles auch so.

Die Runde ist viel größer als per pedes möglich, und so können wir durch drei verschiedene Barrios fahren, die zu den ältesten gehören und wo noch viele Häuser im Kolonialstil erhalten sind: San Antonio, San Fernando und San Juan Bosco. Wir halten auch kurz an der ältesten Druckerei „La Linterna“ mit Druckmaschinen aus dem 19. Jahrhundert.

Nach der Tour sitzen wir noch recht lange mit Edwin und Alejandro beim Kaffee zusammen und sprechen über Fahrrad-Aktivismus, Mobilitäts- und Umweltpoltik und das potentielle „Vorbild“ Deutschland und Europa, auf das sie immer wieder zu sprechen kommen. Leider müssen wir sie dabei ein wenig enttäuschen, als wir die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland beschreiben, die aufzeigen, dass eine grüne Regierungsbeteiligung in manchen Bereichen sogar zum Gegenteil dessen führen kann, was man eigentlich erreichen wollte. Positives „Storytelling“ – also der Fokus auf „Was gibt es zu gewinnen“, statt „Was wollen wir dir wegnehmen“ ist dabei wohl das A und O. Und Cali hat da Einiges zu bieten, denn die Promenade auf der heute jeden Freitag Salsa getanzt wird (und auf der Rad- und Fußverkehr gleichermaßen erlaubt sind), war bis vor wenigen Jahren noch eine vielbefahrene Straße, die heute in einem Tunnel verläuft. Ein echter Gewinn an Lebensqualität.

Wir fahren nochmal für ein paar Stunden zurück ins Hotel, um alles für die morgige Weiterfahrt vorzubereiten und noch am Blog zu schreiben. Dann geht es am späten Nachmittag ein letztes Mal ins Zentrum. Wir essen in einem Restaurant am Boulevard del Rio am Cali-Ufer zu Abend und schauen uns dann das Treiben auf dem Boulevard an. Es wird weniger getanzt als wir erwartet hatten, aber diese Stimmung ist schon etwas ganz Besonderes.

Samstag 7.9.24 – (089) – Cali – El Hogar

1.483 Meter bergauf!

Gesamt: 5.528,65 km

Bei noch relativ frischem Wetter (der starke Wind von gestern hat die Luft gut abgekühlt) radeln wir um sechs Uhr los. Obwohl wir das Hotel extra im Süden der Stadt gebucht haben, sind es noch elf weitere Kilometer bis zur Stadtgrenze, und anschließend folgt sofort Jamundí. Die 25 ist für einen Samstagmorgen um kurz nach sechs sehr, sehr voll – wo wollen die alle hin? – und als dann die letzte Siedlung vorbei ist, wird es schlagartig leerer.

An einer Terpel-Tankstelle mit Mini-Altoque frühstücken wir besser als erwartet. Die junge Bedienung reist sehr gern nach Ecuador, und am liebsten an die Küste. Drei Herren, die sich das Tandem anschauen, warnen uns ein bisschen vor der heute beginnenden Gegend, dem Departamento Cauca, da sich dort noch Drogenkartelle Kämpfe liefern. Wir müssen aber dort durch, um nach Ecuador zu kommen. Ist diese Gegend jetzt weniger gefährlich als z.B. die Küste in Ecuador? Wir wissen es (noch) nicht!

Weiter geht es bis Santander de Quilichao, das wir als erste Übernachtungsmöglichkeit geplant haben, wo wir aber schon vor neun Uhr ankommen und nur in einer Panaderia Panamericana Pause machen. Es läuft heute so gut, da wollen wir noch ein bisschen weiterkommen. So geht es frisch in die erste Steigung, direkt hinter dem Ort beginnen die kräftigeren Anstiege in Richtung Popayan, Pasto und Ecuador.

Richtig genießen kann man die Natur hier nicht, es ist zu viel Blech auf der Straße, und es staubt und stinkt zeitweise auch ziemlich stark. Mondomo haben wir als nächste Übernachtungsmöglichkeit eingeplant, es ist allerdings auch hier noch nicht einmal 12 Uhr mittags, als wir ankommen und der Ort bietet nichts, was uns dort den ganzen Nachmittag halten würde. Wir bestellen uns also nur ein „Almuerzo“ (Mittagessen) aus Hähnchen mit Reis, das wir uns brüderlich teilen – Viktor das Hähnhcen, Jutta den Reis – und fahren also nochmal weiter, auch wenn es sehr viel bergauf geht. 12 Kilometer weiter, in Pescado, gibt es das nächste Hotel. Das können wir noch schaffen.

Im Ort Pescado geniessen wir erst einmal zwei Banana-Split an einem Stand. Dieses Mal nicht als Motivation, sondern als Belohnung für die überwundene Steigung. Dafür sagen wir vielen Dank an Britta und Stefan für die Spende!

Danke an Britta und Stefan! Mit richtig viel Obst diesmal!

Wir fahren noch die 200 Meter, die es laut Google bis zum Hotel sind. Dort sagt man uns aber, es läge noch eine Abfahrt weiter, der PIN bei Google ist mal wieder nicht richtig gesetzt. Dort angekommen, stehen am Tor zwei Handynummern – man soll per WhatsApp reservieren. Eh eine Antwort kommt, sind wir schon die Auffahrt hoch. Dort ist außer einem Pferd leider niemand, aber wir sehen draußen Wäsche hängen. Dummerweise schickt der Betreiber dann eine negative Antwort, sie haben kein Zimmer frei! Inzwischen ist es fast 15 Uhr, und wir haben eigentlich genug, sind fast so weit, dort auf dem Grundstück zu zelten. Aber der Betreiber schreibt auch, dass es acht Kilometer weiter ein Hotel an einer Petromil-Tankstelle gibt. Google sagt zwar zwölf Kilometer, aber irgendwo dort müsste es dann ja hoffentlich liegen.

Wir ringen uns durch, auch diese Strecke noch zu bewältigen (war es also am Ende doch ein Motivationseis!). Alle Höhenmeter, die wir heute schaffen, brauchen wir morgen nicht mehr zu fahren! Und es sind nicht nur die Steigungen – hier wird heute an der ganzen Panamericana-Strecke immer wieder gearbeitet, mit Baustellen-Stoppschildern und einspuriger Verkehrsführung, so dass wir alle paar Kilometer wieder stehenbleiben müssen, bis unsere Richtung freigegeben wird und wir durch die Baustelle fahren können. Natürlich haben wir auch noch ständig im Kopf, dass wir unbedingt im Hellen ankommen müssen, wegen der angespannten Sicherheitslage im Departamento Cauca. Und dunkel wird es hier in Äquatornähe nun mal bereits bereits um kurz nach sechs Uhr. Wenn das nächste Hotel kein Zimmer frei hat, haben wir ein kleines Problem, wir hoffen aber, dass man uns dann vielleicht hinter dem Hotel zelten lässt.

Verschiedene befragte LKW-Fahrer geben immer wieder andere Antworten, wie weit es noch ist – Viktor ist schon ganz empört, dass sie anscheinend ahnungslos sind und vor lauter Hilfsbereitschaft einfach irgendeine zufällige Kilometerzahl als Antwort geben – aber irgendwann erscheint hinter einer Kurve die ersehnte Petromil-Tankstelle. Um viertel vor fünf, nach fast elf Stunden, 86 Kilometern und 1.483 Höhenmetern bergauf (der nächste Rekord nach nur einer Woche) checken wir für weniger als 10€ im Hotel ein. Nach einer (warmen!!) Dusche (wenn auch wieder mal ohne Duschkopf) gibt es hier dann auch noch ein ganz gutes Abendessen, anschließend beenden wir den Tag im heißen, hellhörigen Zimmer ohne Klimaanlage. Die Betreiberin hätte uns übrigens nicht hier zelten lassen, wenn sie kein Zimmer mehr frei gehabt hätten. Aber das Ehepaar, das das Restaurant betreibt, hat ein Haus in der Nähe und hätte uns das Zelten dort erlaubt.

Sonntag 8.9.24 – (090) – El Hogar – Popayán

702,9 Meter bergauf

Gesamt: 5.569,29 km

Die Restaurant-Betreiberin Yulieth hat gestern abend gesagt, sie würde gerne einmal auf dem Tandem fahren, und so dreht Viktor heute früh zwei Runden mit ihr als Stokerin (Teleskopstange bis zur eins ‚reingeschoben) auf dem Tankstellenplatz:

Leider mussten wir den Ton herausschneiden, da im Hintergrund an der Tankstelle laut das Radio lief und dadurch ein Musikfetzen mit aufgezeichnet wurde. Die Anwälte der Abmahnindustrie, für Viktor die schwärzesten aller schwarzen Schafe unter den Rechtsanwälten, mag das nun mal gar nicht. Youtube zeigt deshalb leider eine Fehlermeldung an und Ihr könnt das fröhliche Lachen von Yulieth jetzt nicht hören:

Gesperrtes Video mit Ton (auf Handys scheinbar sichtbar, deshalb noch einmal als Screenshot)

Als Gegenleistung bekommen wir von Ruben und ihr einen kostenlosen Kaffee mit Milch (und Zucker) aus dem Kaffeeanbau ihrer Familie in den Bergen. Ihr Vater ist zudem auch noch Imker – wie Viktor :-). Um halb sieben verlassen wir die Petromil-Tankstelle und begeben uns auf die Fahrt über die sieben Berge (zu den sieben Zwergen – nein – nach Popayán).

Höhenprofil des heutigen Tages

In einer der ersten Steigungen überholt uns ein Auto, das Seitenfenster auf der Beifahrerseite ist geöffnet und knapp vor uns fliegt eine Glasflasche haarscharf an Juttas Gesicht vorbei auf die Straße und zerschellt in tausend Scherben. Unfassbar! Auf den nächsten Kilometern sehen wir immer wieder Smirnoff-Wodka-Glasflaschen im Graben liegen, teils zerschellt, teils noch heile. Wir vermuten, dass hier jemand jeden Morgen auf die gleiche Art seine Altglas entsorgt.

Auf den ersten Abfahrten ist es noch recht kühl, das ändert sich aber schnell. Heute, am Sonntag, sind auch hier viele andere Radfahrende unterwegs. In den Abfahrten überholen wir sie, in den Steigungen fahren sie uns davon.

Auch die Baustelle geht heute noch weiter. Zwischen Santander de Quilichao und Popayán wird anscheinend eine neue Straße mit wesentlich weniger steilen Steigungen gebaut, es entstehen viele neue Brücken. Spart dann irgendwann Zeit und Treibstoffe, denn die vielen mehrachsigen LKW hier haben mindestens so zu kämpfen wie wir und blasen uns ihre schwarzen Diesel-Abgaswolken ins Gesicht. Leider ragen nur wenige LKW-Auspuffrohre vertikal in die Luft, was für uns auf dem Fahrrad deutlich angenehmer ist.

Die sieben Berge sind heute alle auf relativ hohem Niveau, und so haben wir viele schöne Aussichten. In Piendamo, wo ursprünglich die heutige Übernachtung geplant war, wollen wir frühstücken, und fahren in den Ort hinein. Dort sind alle Läden geschlossen, und die ganze Hauptstraße liegt recht verschlafen da, bis wir am Busterminal ankommen. Dort tobt das Leben, es wird laut gerufen, und die Panaderia dort hat glücklicherweise geöffnet. Wir kaufen heute mal ein kleines Brot und beschmieren es mit unserer seit Wochen nicht benutzen Marmelade bzw. Haselnusscreme. Dabei hören wir von draußen ständig unseren heutigen Zielort, den ein Buseinweiser weist den Fahrgästen den Weg zum richtigen Bus nach Popayán;

Wohin geht es heute?

Weiter geht es, immer schön rauf und runter. Das Schalten in der Talsohle am Ende einer Abfahrt ist manches Mal – trotz Rohloff-Schaltung, mit der man mehrere Gänge überspringen kann – gar nicht so einfach, da es so schnell wieder heftig steil wird. Eine weitere Pause machen wir relativ kurz vor Popayán. Dort pausieren auch gerade mehrere Wohnmobilreisende, mit denen wir uns angeregt austauschen. Auf beiden Wohnmobilen prangt jetzt unser Aufkleber.

Bei der Einfahrt in die Stadt werden Jutta von einem überholenden Rennradfahrer Ritz-Cracker und eine Banane als Geschenk zur Stärkung gereicht, kurz darauf bleiben er und ein anderer stehen, um uns auszufragen und Bilder zu machen.

In Popayán halten wir erst vor dem falschen Hotel, sind 130 Meter zu weit gefahren. Eine knappe Stunde später (aber immer noch vor 12 Uhr) sind wir am richtigen Hotel. In der ganzen Innenstadt ist heute der letzte Tag eines Gastronomie-Festivals, und sehr viele der Einbahnstraßen sind gesperrt. Das Handy hat kein Netz, findet nicht einmal den aktuellen Standort, und so kreisen wir schiebend durch die Straßen, bis wir endlich am richtigen Hotel sind, an dem wir schon bei der Einfahrt in die Altstadt vorbeigekommen waren, ohne es jedoch zu bemerken. Sehr zentral und schön, und wir wollen heute unsere Knochen und Muskeln ausruhen und die Weiterfahrt durch die Anden planen.

Nachmittags merken wir, dass die Planung nicht sehr leicht von der Hand geht, da die Berge bis zur Grenze nach Ecuador jetzt so steil werden, dass wir, wenn wir bei unseren max. 1000 Höhenmetern täglich bleiben wollen, alle 20 bis 30 Kilometer übernachten müssen. Deshalb beschließen wir, auch hier noch eine Nacht dranzuhängen, um morgen weiter suchen zu können und alternativ auch am Busbahnhof fragen zu können, wir eine Busalternative aussähe.

Zum Abendessen sucht Viktor eine Pizzaria mit Sauerteigpizza aus, die gleich hier sein soll. Am Frontdesk der Herr erklärt uns den Weg, der uns irgendwie zu weit vorkommt, aber wir essen dort sehr leckere Pasta (mit Salat vorneweg) und die Menschen dort sind wirklich nett und hilfsbereit. Als wir später im Hotel noch zwei Wasserflaschen kaufen, ist auf diesen das Etikett der gesuchten Sauerteig-Pizzeria – es handelt sich um das Hotelrestaurant! Da ist der Mitarbeiter wohl nicht richtig geschult …

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