Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 46 (10.2.25 – 16.2.25) – auf See – Puerto Natales

Montag 10.2.25 – Nähe Volcan Corcovado bis Canal Pulluche kurz vor der offenen See (Navimag-Fähre Esperanza)

Wir wollen schon gegen 6:30 Uhr aufstehen, um den Sonnenaufgang um 7 Uhr an Deck erleben zu können, stellen aber keinen Wecker, denn wir wollen in der Achter-Kabine niemanden vorzeitig wecken. Jutta wacht sowieso immer früh auf und auch heute ist sie um 6:00 Uhr aufstehbereit. Gegen 6:30 Uhr tun wir das dann auch und gehen nach unten in den Speise- und Aufenthaltsraum, in dem sich praktisch alles an Bord abspielt, was mit den Passagieren zu tun hat. Draußen ist es nicht nur dunkel, sondern auch sehr bedeckt, so dass wir einen Sonnenaufgang heute sicher nicht zu sehen bekommen, jedenfalls keinen, bei dem man die Sonne am Horizont sieht. Außerdem beginnen wir kurz nach Sonnenaufgang mit der Fahrt über den Golf von Corcovado, der zum offenen Meer hin keine schützenden Inseln besitzt. Entsprechend stärker wird der Wind und die Wellen werden von Minute zu Minute größer.

Um 8:00 beginnt das Frühstück und schon beim Schlangestehen schwanken die Passagiere bedenklich hin und her. Wir müssen uns an den Tischen festhalten, bei einem der ersten 20 Passagiere rutscht das Tablett während einer größeren Welle vom Tisch und das gesamte Frühstück verteilt sich auf dem Boden. Der Supervisor und ein weiterer Helfer fegen und wischen alles auf und das übrige Personal verteilt zusätzlich zum Essen nun auch Gummi-Matten, die unter die Tabletts gelegt werden können, damit sie nicht mehr von Tisch rutschen können. Jetzt rutschen nur noch die Teller und Tassen auf den Tabletts hin und her, fallen aber zumindest nicht gleich vom Tisch, allerdings schwappen gut gefüllte Tassen und Saftgläser jetzt halt über. Die Ausstattung und die Auswahl beim Frühstück sind – anders als befürchtet -wesentlich besser als im Hotel Ibis in Puerto Montt.

Nach dem Frühstück bleiben wir noch lange mit Hanne (mit der Viktor sich schon vor dem Checkin-Hotel unterhielt) und Thomas, frisch verrenteten Deutschen vom Bodensee (er Anästhesist und Hobbyförster) und der jungen Lisa (aus dem Allgäu) sitzen und unterhalten uns, hören um 10:30 Uhr den Vortrag über das Schiff und die Highlights der Strecke, gehen bei trockenem Wetter zwischendurch nach draußen und sehen einige Wale aus der Entfernung. Diese lassen sich aber nicht bestimmen, weil sie sehr weit entfernt sind. Wir sehen ihren „Soplo“ (Blas) und erkennen einen Rücken ohne Rückenflosse (es sind also keine Schwertwale bzw. Orcas), aber mehr kann man nicht erkennen. Auch für Fotos mit dem Handy sind sie zu weit entfernt. Eine Weile puzzeln wir am gemeinschaftlichen Puzzle mit.

Mittagessen gibt es von 12 bis 13 Uhr, und da die See gerade sehr ruhig ist, wackelt oder rutscht jetzt nichts. Um 14 Uhr sind wir in einer Gruppe von 25 Personen an der Reihe, die Kommandobrücke zu besuchen. Der geräumige Raum ist schon sehr interessant, und da sich niemand outet, der oder die Älteste der Gruppe zu sein, darf eine junge Deutsche den grünen Knopf – die Hupe – drücken. Der Kapitän teilt uns nochmal mit, dass wir in der kommenden Nacht zehnfach schlimmere Bedingungen erwarten sollen, als wir sie heute beim Frühstück hatten. Eine Spanierin fragt besorgt, ob er damit zehnfach höhere Wellen meint. Der Kapitän präzisiert daraufhin, dass das Ganze nur 10-mal länger dauern wird.

Um 17:30 Uhr schließt sich Jutta der Yoga-Gruppe im Sportraum der Mannschaft an und dehnt nach dem ständigen Radfahren einmal wieder alle möglichen anderen Bänder und Gelenke.

Beim Abendessen und danach unterhalten wir uns mit Peter und Anne aus den U.S.A. (Kalifornien?), die sehr viel reisen und gerade auf der Suche nach einer neuen Heimat sind. Wegen der zweiten Amtszeit von Donald Trump wollen sie die U.S.A. verlassen. Potenzielle Länder scheinen Spanien, Portugal, Italien, Kroatien und Griechenland zu sein.

Ab 21 Uhr findet ein Karaoke-Abend statt. Dieser läuft etwas langsam an, entwickelt sich aber im Laufe der Zeit. Wir sitzen in einer größeren deutschsprachigen Gruppe an einem Tisch in einer Ecke des Speisesaales, haben schon vor dem Karaoke richtig Spaß und unterhalten uns bestens. Es werden Reise-Erfahrungen und Reisepläne ausgetauscht, aber auch viel von zuhause erzählt und darüber geredet, warum man gerade auf dieser Tour oder eben auf dieser Fähre ist. Wir sind überzeugt, dass hier ein paar längere Bekanntschaften oder gar Freundschaften beginnen.
Von „uns“ Deutschen trauen sich Benedikt (ein Lehrer und echter Kletterfreak) mit Piano Man (Billy Joel), Max (ebenfalls Kletterer – und Zimmermann) mit Griechischer Wein (Udo Jürgens) und Sophie (eine der drei Medizinerinnen) mit Perfekte Welle (Juli) ans Mikrofon und werden von dem Anderen stimmlich unterstützt – und das, obwohl wir alle nicht wirklich Karaoke-Freunde zu sein scheinen.

Später erhalten wir auf Nachfrage alle tolle Profi-Spuckbeutel, da es ab etwa Mitternacht auf die hohe See geht. So manche(r) nimmt auch schon Reisetabletten. Thomas und Hanne haben sogar Ondansetron und Lorazepam dabei…

Gegen 23:00 Uhr gehen wir alle gut gelaunt aber mit ordentlichem Respekt vor der bevorstehenden Nacht in unsere Kabinen.

Dienstag 11.2.25 – Offene See bis kurz vor der Angostura Inglesa (Navimag-Fähre Esperanza)

Die Nacht ist tatsächlich sehr unruhig, aber weniger schlimm als erwartet und wir bleiben vor der Seekrankheit bewahrt. Viktor schläft recht gut durch, aber Jutta kann lange nicht einschlafen, weil es nicht nur schaukelt, sondern auch ziemlich laut ist, wenn der Bug mit einem heftigen Schlag aufs Wasser aufschlägt. Als sie aber endlich einschläft geht das Schlafen sehr gut, und das erste Mal ohne jegliche Übelkeit. Genauso geht es auch vielen anderen diese Nacht, wie wir beim Frühstück um 8:00 Uhr erfahren, bei dem nur wenige (z.B. Hanne) nicht auftauchen und lieber liegenbleiben.

Nach dem Frühstück werden alle Fahrgäste überraschend im Speisesaal zusammengerufen. und wir erfahren, dass wir einen Tag später in Puerto Natales eintreffen werden als ursprünglich geplant. Wir sind in der Nacht wegen des Gegenwindes nicht schnell genug vorangekommen und werden eine Engstelle, die „Angostura Inglesa“, durch die man nur bei Tag navigieren kann, nicht mehr rechtzeitig erreichen. Wir werden also vor der Einfahrt in den „Canal Messier“ stehenbleiben und auf den Tagesanbruch warten müssen.

Wir sitzen nach dem Frühstück wieder an einem deutschsprachigen Tisch zusammen und unterhalten uns unter anderem über das Wahlhelfer-Dasein und die nervige Bürokratie, die wir in unseren unterschiedlichen Jobs in Deutschland erleben.

Währenddessen entwickelt sich ein hektisches Treiben an der „Rezeption“ hinten im Speisesaal, denn dort gibt es einen Computer, mit dem wir online unsere Hotelreservierungen und Tourbuchungen stornieren oder ändern können. Einige wollen auch eine kurze Nachricht an die Familien absetzen, damit sich keiner Sorgen macht, wenn sie einen Tag länger als geplant nichts von uns hören. Wir erhalten die Wartenummer 9 und sind irgendwann am späten Vormittag an der Reihe.

Wir wollen unser Hotel und eine Tour in den Nationalpark „Torres del Paine“ umbuchen. Unser Login bei Booking.com ist jedoch mit einer Zweifaktor-Authentifizierung gesichert. Also wird uns nach dem Login-Versuch angezeigt, dass wir nun bitte die sechsstelliger PIN eingeben sollen, die uns gerade aufs Handy geschickt wurde. Tja, irgendwie doof, wenn Du kein Netz hast. Zum Glück kennen die Mitarbeiterinnen das Problem schon und wissen, dass man mit der Reservierungsnummer aus der Bestätigungs-E-Mail und der darin angegeben PIN ebenfalls eine Buchungsänderung vornehmen kann. Das klappt dann auch tadellos. Für die Umbuchung unserer Tour müssen wir aber auf einen Link in der Bestätigungs-E-Mail klicken. Der Login in den Webmailer von IONOS gestaltet sich dann doch etwas schwierig, denn auf Anraten von Julius hat Viktor sich ein sehr sicheres Passwort für seinen Mailaccount zugelegt, 39 Zeichen lang, mit vielen Sonderzeichen. Und nun finde mal auf einer spanischen Tastatur auf Anhieb alle Sonderzeichen. Es klappt aber tatsächlich gleich beim ersten Versuch und wir können auch unsere Tour um einen Tag verschieben. Ein Login bei WhatsApp klappt auf dem Laptop hingegen nicht, denn dazu muss man mit dem Handy einen QR-Code einscannen, um sich zu authentifizieren – und richtig – dazu muss das Handy natürlich online sein. Also loggt sich Viktor bei Facebook ein und bittet Barbie in einem Beitrag darum, eine kurze Nachricht an die WhatsApp-Familiengruppe zu senden, damit sich keiner sorgt.

Das Gemeinschaftspuzzle wurde gestern Abend offenbar noch fertiggestellt, in das Logbuch auf der Packung wurden 10 Stunden als benötigte Zeit eingetragen. Viktor fragt an der Rezeption, ob es noch ein zweites Puzzle gäbe, und tatsächlich erhalten wir eine Schachtel mit einem 2.000-Teile-Puzzle, das nochmal deutlich schwieriger wirkt als das von gestern. Eine Engländerin erkennt die Burg von Bodiam. Die Teile sind fast nur blau oder braun.

Da wir ja mit allen unseren Geräten offline sind, probiert Viktor mal wieder die Motorola-Satelliten-Kommunikation aus, um den Checkin für die automatisch erstellte Karte auf der Blog-Homepage über Satellit zu senden. Leider funktioniert das Ganze mal wieder nicht. Der Motorola-Defy-Sender&Empfänger soll einen möglichst großen Abstand von hohen Gebäuden, Bergen und großen Metallstrukturen haben. Das stellt sich auf einer großen Metall-Fähre im patagonischen Fjord als relativ schwierig heraus. Unser Fazit zu dem Motorola-Teil: Rausgeschmissenes Geld – immer wenn wir es unterwegs hätten benutzen wollen, hat es nicht funktioniert.

Am späten Nachmittag wird die Geschwindigkeit gedrosselt, und schließlich bleiben wir fast stehen (es wird gemunkelt, dass es noch 5 km/h vorwärts geht).

Nach dem Abendessen sitzen wir nochmal mit Hanne und den drei Medizinerinnen (im November gerade fertig geworden und vor der ersten Stelle auf großer Reise) aus Würzburg zusammen und unterhalten uns angeregt über alles mögliche. Auch unsere Aufkleber mit der Blog-Adresse wechseln wieder die Seiten.

Ab 21 Uhr wird statt des eigentlich geplanten Bingo-Abends der Film ”Canoeing Living Memory” gezeigt, der von einer National Geographic Expedition im Jahr 2022 handelt, die zur Unterstützung Indigene der Kaweskar und der Yaganes mit dabeihatte. Leider sind die englischen Untertitel ziemlich klein in weißer Schrift geschrieben, so dass Jutta mehr die Bilder als die Sprache mitbekommt. Heute gehen wir anschließend schon in die Koje, um ein wenig Schlaf nachzuholen.

Mittwoch, 12.2.2025 – Angostura Inglesa bis Canal Sarmiento (Navimag-Fähre Esperanza)

Wir lassen uns vom Wecker um 5:45 Uhr wecken, da wir den Sonnenaufgang anschauen wollen. Die Fähre bewegt sich immer noch kaum, und draußen ist es gerade noch so dunkel, dass man nur schwarz sieht. Ganz, ganz langsam kommen die Silhuetten der Berge ins Blickfeld, aber je heller es wird, umso nebeliger ist es und man sieht leider keine Sonne aufgehen.

Um kurz vor acht erreichen wir eine Stelle, an der zwei Schiffswracks übereinander auf einem Unterwassergipfel liegen. Die ”Cotopaxi” ist 1889 hier innerhalb von 10 Minuten gesunken und der Kapitän ist als Held in die Geschichte eingegangen, weil kein Passagier bei dem Untergang starb. 1964 wollte ein Kapitän die ”Capitán Leonidas” hier absichtlich versenken. Das Frachtschiff hatte eine Ladung Zucker aus Brasilien nach Valparíso geladen, diesen aber bereits unter der Hand in Uruguay verkauft. Der Kapitän wollte nun zusätzlich die Versicherungssumme für Schiff und Ladung abkassieren. Aber das Schiff blieb auf der Cotopaxi liegen und ragt heute noch aus dem Wasser. Bei der Inspektion des Schiffs fiel dann natürlich das Fehlen des Zuckers auf und der Versicherungsbetrug platzte.

Um neun Uhr erreichen wir die engste Stelle des Tages, die ”Angostura Inglesa”, an der auf einer kleinen Insel neben der Fahrrinne eine Marienstatue (Stella Maris) steht. Wir werden auf dem Bug vorgewarnt, dass der Kapitän bei der Vorbeifahrt das Schiffshorn betätigen wird. Hier sind schon sehr viele Mobiltelefone und Fotoapparate ins Wasser gefallen, weil sich die Passagiere erschreckt haben. Heute ist das Dank der Warnung aber nicht der Fall.

Kurz nach dem Frühstück sichten wir erst Delfine, die teilweise ganz dicht neben der Fähre mit uns mitschwimmen. Als etwas später die Durchsage kommt, dass Orcas auf der rechten Bordseite zu sehen seien, hat sich Viktor gerade frisch rasiert und seine Zahnbürste steckt noch im Mund. Trotzdem schafft er es noch rechtzeitig zum Bug, um den Blas mehrerer Orcas zu sehen und mit dem Handy zu filmen (allerdings auf der linken Seite).

Auf der Weiterfahrt in Richtung Puerto Edén macht sich auf dem Bug unter den Passagieren plötzlich Unruhe breit. Es kommt regelrecht zu kleinen Jubelszenen, und die Leute starren auf ihre Mobiltelefone … wir haben Mobilfunknetz, das aus Puerto Edén bis zu uns herüberreicht! Unser Handy mit der Maya-eSIM-Karte hat aber natürlich keinen Empfang und wir können daher weiter der Entschleunigung und dem ”Digital Detox” fröhnen.

Gegen halb zehn Uhr erreichen wir Puerto Edén, ein kleiner Fischerort (der einzige in dieser Gegend) mit nur 100 Einwohnern und ankern in der Bucht. Dieser Ort wird von unserem Schiff mit allem versorgt, was sie nicht selbst anbauen, jagen oder herstellen können. Es steigt eine ganze Anzahl Passagiere hier aus, unter anderem eine Mutter mit zwei Kindern, die wohl hier wohnen und zwei Handwerker, die Arbeiten an der Kirche ausführen werden. 19 Passagiere und ihr Gepäck werden mit einem Boot herangebracht und die hintere Laderampe wird heruntergefahren, um sie an Bord zu nehmen und die anderen Passagiere aussteigen zu lassen. Es sind insgesamt zehn teilweise sehr kleine Boote, die neben den Passagieren und Lebensmitteln auch Styropor, Holzbalken, Latten, eine Holzplatte von der Fähre in das Dorf transportieren. Wir ankern dort mindestens eine Stunde.

Um 14:30 Uhr soll es endlich auf die Führung in den Maschinenraum gehen. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, denn es müssen Helme und Ohrenstöpsel getragen werden. Als wir alle mit Helm auf dem Kopf bereitstehen heißt es plötzlich ”Kommando zurück” … wir fahren jetzt doch erstmal durch den ”Paso del Abismo”, einer der schönsten Engstellen auf dieser Schiffsreise. Das Schiffshorn kommt dabei zweifach zum Einsatz und hallt als Echo an den Wänden der Schlucht wider. Das Baby an Bord erschrickt sich wieder mächtig und fängt an zu weinen. An der rechten Steilwand sind alle paar hundert Meter Wasserfälle zu sehen. Viktor nimmt kurze Videos auf und schießt ein Foto nach dem anderen. Aber eigentlich ist das sinnlos, denn den wahren Eindruck können diese Bilder sowieso nicht vermitteln. Und das Ganze sieht so irreal schön aus, dass wahrscheinlich jeder Betrachter denken wird, die Bilder stammen aus Photoshop oder von einer KI.

Danach geht es dann in Vierergruppen in den Maschinenraum. Viktor, Thomas und Benedikt haben sich auf eine Liste eingetragen. Martin aus der deutschen Gruppe hat es zu spät mitbekommen, aber mit einem Trick schafft Benedikt es, einen Platz mit einem Fahrgast der  zweiten Gruppe zu tauschen und Martin in unsere Vierergruppe hineinzuschmuggeln. Im Maschinenraum sehen wir einen 9-Zylinder-Diesel in Aktion, der vom Schweizer Hersteller Wärtsilä stammt, bei dem Thomas’ Neffe gearbeitet und an den Einspritzpumpen mitentwickelt hat. Die Männerrunde kehrt mit leuchtenden Augen von der Tour zurück und Viktor sagt scherzhaft: ”Vergesst die schönen Landschaften … das war das Highlight der Schiffsreise!”

Kurz vor 17:00 Uhr passieren wir eine Stelle, an der wir mehrere größere Eisbrocken im Wasser schwimmen sehen. Vor der Bergkette ist in größerer Entfernung im Wasser eine eigenartige weiße Linie zu erkennen, die in der Sonne leuchtet. Diese stellt sich schnell als Eiswand eines Gletschers heraus. Wir betrachten sie durch verschiedene Ferngläser und Fernrohre und machen mit aufgesetzten Mobiltelefonen sogar einige halbwegs gelungene Fotos vom Gletscher-Ende. Unsere Schätzungen variieren zwischen 5 und 15 Metern Höhe. Auf die Entfernung ist das schwer zu schätzen, aber wir sind glücklich, einen der Gletscher des ”Southern Patagonian Icefield” (Campo de Hielo Sur) gesichtet zu haben. Das ist bei den wechselnden Wetterbedingungen keine Selbstverständlichkeit.

Um 17.30 Uhr ist Jutta wieder beim Yoga angemeldet, mit einigen der anderen Deutschen (und anderen). Als wir uns sammeln, wird gesagt, dass es heute nach draußen geht. Dabei ist es heute viel kälter und windiger als vorgestern. Wir nehmen die Matten aus dem Sportraum und gehen auf das Vorderdeck. Und dann wird bei Wind und Kälte, mit immer wegwehenden Matten, aber einem atemberaubenden Blick Yoga gemacht. Im Anschluss gehen alle sofort zum Heißwasserbehälter und machen sich Kaffee oder Tee. Und Jutta geht sich heiß duschen. Viktor spielt derweil das Keltis-Kartenspiel mit Martin und Tanja. Das dritte Spiel gewinnt Viktor sogar.

Beim Abendesssen finden alle einen Umschlag für Trinkgelder für das Service – Personal auf dem Tablett. Nach dem Essen wird vom Personal einem französischen Paar zum 30. Hochzeitstag und einer Schweizerin zu ihrem 60. Geburtstag gratuliert. Und eigentlich wären wir inzwischen ja schon wieder an Land …

Da wir noch so viele Argentische Pesos haben, tauschen Lisa, Martin und Tanja bei uns Euros gegen Pesos, weil deren Reisen noch nach Argentinien gehen und wir immer noch viel zu viel Argentinische Pesos haben, die wir gar nicht mehr vollständig ausgeben können.

Der Abend endet mit Bingo im Speisesaal. Zu gewinnen gibt es Landkarten und Navimag-Fahnen. Eine Niederländerin, die ihr Essenstablett immer auf den fünf Fingern einer erhobenen Hand transportiert, gewinnt eine vom Kapitän signierte Fahne. Wir rätseln, was wohl ihr normaler Job sein könnte.

Donnerstag, 13.2.2025 – Canal Sarmiento bis Puerto Natales (Navimag-Fähre Esperanza)

Jutta steht früh auf, aber es gibt heute wieder keinen sehenswerten Sonnenaufgang. Also bleibt der Weckversuch bei Viktor eher zaghaft und er schläft bis zur Frühstückzeit um 8 Uhr durch.

Heute gibt es die letzten ”Highlights” der Route. Bei Sonnenaufgang sind wir am ”Paso Farquhar” und fahren dann durch den ”Canal Unión” bis zum südlichsten Punkt unserer Route, den ”Paso Sobenes”. Von dort geht es wieder nordwärts, bis wir die engste Stelle der gesamten Fahrt erreichen, die ”Angostura White”, an der rechts und links des Schiffes noch jeweils 17 Meter Abstand zum Ufer verbleiben. Wieder fließt überall an den Berghängen Wasser aus den Schneefeldern und Gletschern und wir sehen viele kleine Wasseerfälle.

Nach der Durchfahrt der Engstelle frischt der Wind merklich auf und wir lernen von Thomas den Begriff ”fliegendes Wasser”, das entsteht, wenn die Wellenkämme vom Wind abgerissen werden und als Gischt horizontal vor den Wellen herfliegen. Wenn man hier ins Wasser fällt, kann man trotz Schwimmweste an diesem Wasser ”ertrinken”, weil man das fliegende Wasser einatmet, wenn man den Kopf nicht vom Wind abwendet.

Am ”Deutschen Tisch” (zu zwölft) unterhalten wir uns unter anderem auch über das Wäschewaschen unterwegs. Da wir die Waschmittel-Blätter von „Sea to Summit“ in den ganzen Monaten nicht wirklich gebraucht haben, schenken wir sie jetzt den Medizinerinnen, damit sie damit eventuell ihre fleckigen Klamotten wieder sauberer bekommen 😉.

Um 12 Uhr gibt es ein letztes Mal Mittagessen, vorher sollen die Zimmer geräumt werden, das große Gepäck draußen gesammelt bzw. in die Autos gebracht werden. Nach dem Essen müssen alle ihre Schlüsselkarten abgeben – richtig mit Durchstreichen der Namen zur Kontrolle.

Gegen 15:30 Uhr – eigentlich ist das Anlegemanöver für diese Zeit geplant – taucht am Horizont Puerto Natales auf. Freudig erregt versammeln sich viele Fahrgäste auf dem Vorderdeck am Bug, um diesem zuzuschauen. Es dauert noch ein bisschen, aber dann fährt unser Schiff am Ufer entlang, wir sehen verschiedene Anlegestellen, an denen das Schiff vorbeifährt … dann sind wir auch schon schnell am Rand von Puerto Natales … und fahren vorbei! Alle schauen sich mehr oder weniger verwundert und fragend an, denn die Anlegestelle soll zwei Blöcke von der Ortsmitte entfernt sein. Die Einen vermuten, der Kapitän sei am Ruder eingeschlafen, Andere vermuten unbezahlte Hafengebühren. Tatsächlich stellt sich der starke Wind als Ursache heraus. Das Anlegemanöver ist bei diesem starken Wind nicht machbar, das Schiff würde vom Wind an Land gedrückt und könnte beschädigt werden oder die Hafenanlagen beschädigen. Wir müssen auf ein Nachlassen des Windes warten.

Wir hören, wie der Anker herabgelassen wird, und bald dreht sich des Schiff in den Wind und beginnt zu ”schwojen”, ein neues Wort, das wir heute von Thomas lernen. Es bedeutet, dass das Schiff an der Ankerkette in Windrichtung langsam hin und her schwingt. In dem Zuge machen wir die anderen auch noch mit den Worten ”begeiden” und ”sitt” bekannt, die im Deutschen Sprachgebrauch fehlen, die es aber noch nicht in den Duden geschafft haben.

Und dann beginnt das lange und völlig informationslose Warten. Auf so einem Schiff hat nur einer das Sagen und das ist der Kapitän. Der scheint sich für seine einsame Entscheidung sehr viel Zeit zu lassen und die gesamte restliche Crew auch nicht über seine Gedankenspiele zu informieren. Jedenfalls sagen alle Crewmitglieder auf Nachfrage immer wieder, dass sie auch keine Ahnung hätten, wie es jetzt weitergeht. Selbst der Supervisor, der für die Information der Passagiere zuständig ist, sagt lediglich, dass es zum Abendessen um 19:00 (mittlerweile dringen die ersten Kochgerüche aus der Küche herüber in den Speisesaal) weitere Informationen vom Kapitän persönlich geben soll.

Die meisten Passagiere haben mittlerweile wieder Mobilfunknetz, nur unser Handy scheint endgültig ”incommunicado”, denn wir haben vergessen die EMEI rechtzeitig in Chile anzumelden. Nach 30 Tagen werden Handies hier gesperrt, wenn sie nicht angemeldet wurden. Über Hotspots von Thomas und Lisa erfahren wir per Facebook – Messenger von Bekannten aus unserer Nachbarstadt Lehnitz (Heiner und Petra), die heute Abend in Puerto Natales an Bord der Esperanza gehen wollen und die wir eigentlich zum Kaffee oder Abendessen treffen wollten, dass ihr Boarding auf den nächsten Morgen 9:00 verschoben wurde.

Um 21:15 Uhr (!!) , also viel später als das Abendessen, bekommen wir von Alexia (nicht vom Supervisor oder vom Kapitän) die Information, dass alle noch eine weitere Nacht an Bord bleiben müssen. Um Mitternacht soll der erste Anlegeversuch starten, falls dieser misslingt, um drei Uhr in der Früh der nächste. Um sechs soll es Frühstück geben, und um sieben dürfen dann alle von Bord. Diejenigen mit Autos können ihre Autoschlüssel abgeben, dann werden sie schon nachts an Land gefahren, oder sie werden nach dem Anlegen geweckt und können selber fahren. Unsere Schlüsselkarten können bzw. müssen wir uns wieder an der Rezeption abholen.

Die nächste Viertelstunde nehmen alle ihre Gepäckstücke und beziehen die Zimmer wieder – ein richtiges Déjà vu – und setzen sich dann wieder in den Essensraum, um eventuell noch einmal einen Karaoke-Abend zu beginnen. Die Crew macht da aber nicht mehr mit, und so wird einfach noch weiter geredet – zum Glück ist es so eine nette Truppe, dass wir genug zu erzählen haben.

Um 23 Uhr wird der Motor gestartet, die Fähre beginnt sich fortzubewegen. Was ist das? Es ist noch noch nicht Mitternacht. Und tatsächlich legen wir jetzt an der Kaimauer an. Es lag wohl nicht an einer Entscheidung unseres Kapitäns, sondern am Hafenmeister von Puerto Natales, dass wir so lange warten mussten. Trotzdem dürfen wir jetzt noch einmal mit Urs und Ruth aus der Schweiz und Benedikt und Max in unserer Kabine Nr.625 übernachten.

Freitag, 14.2.2025 – Puerto Natales

Nach einem frühen Frühstück können wir nach 15 Stunden ”vor Ort” und fünf statt drei Nächten auf der Esperanza das Schiff verlassen. Der Abschied nicht nur von der Deutschen Truppe ist herzlich, auch die Familie mit dem Einjährigen Kind, die mit der US-Amerikanischen Austauschfamilie des Mannes und deren Nachbarn auf dieser Fahrt waren, verabschiedet sich noch total herzlich von uns, nicht ohne uns Gottes Segen zu wünschen.

Nachdem wir die Kette unseres Tandems wieder gerichtet haben, die beim Verspannen an Bord wohl abgefallen war, können wir losfahren und wollen zunächst schauen, ob wir nicht Heiner und Petra aus Lehnitz noch irgendwo treffen können. Im WIFI eines Hotels liest Viktor die frische Nachricht, dass sie in der Nähe im Café Darwin frühstücken. Wir schieben dorthin und verbringen eine nette Zeit des Austauschs, bevor die beiden gegen halb neun zum Einchecken aufbrechen müssen.

Wir fahren zu unserm Hostal Don Guillermo, wo wir auch sofort ins Zimmer können, weil wir ja eigentlich schon gestern kommen wollten. Die Dame an der Rezeption war zum Deutschlernen in einem Dorf in Sachsen-Anhalt und fährt auch immer wieder mal dorthin, daher spricht sie mit uns Deutsch. Uns steht auch ein Frühstück zu, aber Jutta ist plötzlich ziemlich übel inklusive Kopfschmerzen. Die Mitarbeiterin sagt sofort, das sei die Landkrankheit. Jetzt war Jutta in den viereinhalb Tagen auf der Fähre nicht seekrank, aber hier an Land landkrank, das soll mal jemand verstehen. Sie legt sich ins Bett, muss sich tatsächlich zweimal übergeben. Nach drei bis vier Stunden wird es besser, und gegen Mittag gehen wir dann beide eine Runde durch Puerto Natales.

Im Café Dulce Chulada machen wir eine Kaffeepause und gehen zum Busterminal für weitere Informationen über eine mögliche Weiterreise im Bus, denn in den nächsten Tagen soll es noch höhere Windgeschwindigkeiten bis 90 km/h geben. Wir laufen an der Promanade entlang bis zu den „Amores de Viento“ (wir lieben den Wind gerade nicht so sehr) und sehen die Esperanza immer noch am Kai liegen. Die große Fähre wirkt in diesem beschaulichen Ort ziemlich überdimensioniert. Im Ortszentrum treffen wir auf zwei der Schweizer vom Schiff.

Im Zimmer macht Viktor ein Nickerchen, während Jutta beginnt, die letzten Tage im Blog abzuarbeiten. Zum Abendessen gehen wir ins „Entre Pampa y Mar“, wo wir auf zwei Niederländer von der Esperanza treffen, mit denen wir uns einen Tisch teilen (die Zweiertische sind heute knapp und die Bedienung freut sich). Sie ist diejenige, die das Tablett immer so toll balanciert hat. Jetzt erfahren wir, dass sie diese mehrmonatige Reise machen kann, weil sie danach das Café de Pilaren in Alkmaar übernimmt, in dem sie schon lange arbeitet, und die Vorbesitzer sie förmlich aufgefordert haben, voher noch ordentlich zu reisen. Daher dieses professionelle Balancieren des Tabletts an Bord.

Hinterher müssen wir uns etwas Proviant für morgen besorgen und stehen sehr lange im Supermarkt an – blöde Zeit zum Einkaufen. Unsere Nachfrage beim Hostal, ob wir eine Nacht verlängern könnten, wird verneint, also werden wir noch in ein anderes Hostal ziehen. Der Abend bis zur Veröffentlichung der neuen Woche im Blog – immerhin ist schon Freitag – wird noch lang, obwohl wir morgen früh um sieben schon für eine Tour in den Nationalpark „Torres del Paine“ abgeholt werden.

Samstag 15.2.25 – Puerto Natales – Nationalpark Torres del Paine Tour

Für heute haben wir eine typische Touristen-Tagestour in den Nationalpark Torres del Paine gebucht. Alle Highlights werden an einem Tag mit einem Kleinbus abgefahren, Aussichtspunkt nach Aussichtspunkt, aber immerhin mit einer Stunde Wanderung um die Mittagszeit.

Zwischen 7:00 und 7:45 Uhr sollen wir an unserem Hostal abgeholt werden. Kurz vor sieben gehen wir hinunter, um die vorbestellten „boxed lunch“ (Frühstücks-Papiertüten zum Mitnehmen) am Küchentresen abzuholen und pünktlich abfahrbereit zu sein. Wir fragen die Mitarbeiterin, wo die Frühstückspakete denn sind und erhalten zur Antwort, dass die alle heute morgen auf dem Tresen bereitstanden. Na super! Die große Reisegruppe, die Jutta vor einer Stunde hat abfahren hören, hat offenbar unsere Tüten gleich mit eingepackt. Die Mitarbeiterin sagt zwar, das könne doch nicht sein, denn es hätte unsere Zimmernummer 21 draufgestanden, aber im selben Atemzug sagt sie, dass so etwas letzte Woche schon einmal passiert sei.
Sie bietet uns an, noch schnell zu frühstücken, denn sie hat kein zusätzliches Brot mehr übrig, um uns neue Tüten mit einem Sandwich zu packen. Da wir noch keinen Hunger haben, machen wir uns ein Toastbrot-Sandwich und packen es in eine Tüte, die sie uns schnell mit Apfelsine, Joghurt, einem leeren Coffee-To-Go-Becher mit Nescafe-Tütchen sowie ein paar Knabbereien und Süßigkeiten füllt.

Um 7:30 kommt unsere Fremdenführerin zur Hoteltüre herein und begleitet uns zum Kleinbus. Wir haben mal wieder Pech und sind die Letzten, die abgeholt werden. Also sind nur noch Sitze ganz hinten frei, in der einzigen Reihe mit vier Sitzen nebeneinander. Viktor sitzt trotz allen Gewichtsverlustes mit der rechten Po-Backe auf dem Hebel für das Zurückkippen der Rückenlehne, der aus unerfindlichem Grund zwischen den Sitzen hervorragt. Es fühlt sich an als versuche jemand, das rechte Hüftgelenk mit einem Meißel aus der Gelenkschale zu hebeln. Und das soll jetzt 11 bis 12 Stunden so gehen?

Schon die ersten paar Kilometer auf relativ gerader Strecke lassen erahnen, dass das heute nicht wirklich gutgehen kann. Der Fahrer fährt mit einem Affenzahn, schaltet und bremst extrem ruppig, nutzt in den Kurven die volle Fahrbahnbreite inklusive Gegenspur und weicht den großen Schlaglöchern auf der Straße immer wieder durch heftiges Zickzack-Fahren aus. Der heftige Seitenwind nötigt ihn außerdem immer wieder zu heftigem Gegenlenken, was die ganz Sache nicht besser macht.

Es dauert keine halbe Stunde und Jutta zückt die erste Spucktüte. Darauf waren wir heute echt nicht vorbereitet. Viktor schafft es mühsam mit einem starren Blick auf den Horizont oder die Berge links und rechts der Strecke, den eigenen Mageninhalt unter Kontrolle zu halten.

Am ersten Aussichtspunkt, an dem wir anhalten, fragt Viktor bei unserer Guide Nathalie nach, ob sie Tüten für Reiseübelkeit dabeihabe, was diese bejaht. Später stellt sich leider heraus, dass fast jede dieser Tüten ein Loch hat, weil sie diese etwas grobmotorisch von einer Rolle abreißt und nach hinten reicht. Zum Glück sind wir mittlerweile Spuckprofis und unterziehen jede Tüte vor der Benutzung durch kurzes Aufblasen einer sorgfältigen Qualitätskontrolle.

Am zweiten Aussichtspunkt spricht Viktor beim Aussteigen unsere Guide und den Fahrer an, ob wir denn schon sehr spät dran seien, oder warum wir so rasen müssten. Der Fahrer reagiert stinksauer, erzählt etwas von 30 Jahren Berufserfahrung und davon, dass er noch nie einen Strafzettel bekommen habe und sich immer an die Tempolimits halte. Sie hätten schließlich einen Fahrtenschreiber an Bord und das würde strikt kontrolliert. Viktor versucht noch zu erklären, dass wir normalerweise mit dem Rad reisen und er für uns „rapidissimo“ (sehr schnell) fahre, aber der Fahrer bleibt beleidigt.
Tja, so unterschiedlich können eben die Definitionen eines „guten Fahrers“ im Personentransport aussehen. Nicht der Komfort der Fahrgäste, sondern die maximal mögliche Geschwindigkeit sind für diesen Fahrer das Maß aller Dinge. Immerhin sagt er aber zu, dass er versuchen wird, das Tempo etwas zu drosseln.

Erstaunlicherweise haben die anderen Fahrgäste kaum Probleme mit dieser Fahrweise, obwohl es Touristen aus Asien und U.S.A. sind, also auch nicht unbedingt an so einen Fahrstil gewöhnt sein dürften. Wir scheinen tatsächlich empfindlicher zu sein als der Rest an Bord. Nach dem dritten Halt und weiteren gefüllten Spucktüten wird Jutta von einem amerikanischen Paar ein Platz weiter vorne im Bus angeboten, den sie dankend annimmt. Auch die von einem anderen amerikanischen Paar gereichte Kau-Tablette (mit Himbeergeschmack) gegen Reiseübelkeit nimmt sie an (und ein). Wenige Minuten später hat die Tablette den Magen jedoch schon wieder verlassen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Teufelskreis schon längst in vollem Gange und nicht mehr aufzuhalten. Jeder Tropfen Wasser und jede Nahrung (denn Jutta hat richtig Hunger … eine Nahrungsmittelvergiftung, Erkrankung oder Infektion ist also sehr unwahrscheinlich), die sie in den Pausen zwischen den Fahrstrecken aufnimmt, landet kurze Zeit später während der nächsten Fahrstrecke im Spuckbeutel.

Nach dem nächsten Halt zieht das amerikanische Paar aus Sacramento freiwillig in die letzte Reihe um (der Mann nennt es scherzhaft die „coach class“ und bedankt sich freundlich 😉 ) und Viktor setzt sich vorne neben Jutta, um beim Anreichen, Halten und Verstauen der Tüten zu helfen. Denn zu allem Unglück muss man im Nationalpark Torres del Paine sämtlichen Müll wieder mitnehmen. Es gibt keine Mülleimer, in denen man irgendwas entsorgen kann. So müssen wir also die Tüten in der freien Natur an den Haltepunkten leeren und dann benutzt in unsere Coffee-ToGo-Becher stopfen.

Es wird ein absolut unvergesslicher Tag. Denn wer kann schon von sich behaupten, einen der schönsten, farbenprächtigsten, kompletten Regenbögen seines Lebens gesehen zu haben, während er eine Spucktüte hielt bzw. füllte? Gute Fotos sind aus nachvollziehbarem Grund heute eher Mangelware, der Regenbogen ist ein Bild, das lediglich in unseren Gehirnwindungen gespeichert bleibt. Eigentlich nur in Viktors – Jutta sieht auf den Autofahrten gar nichts, nur bei den Zwischenhalten mit Aussteigen.

Ein paar Dinge sind dann heute aber doch noch im Gedächtnis geblieben:

Tourstationen: Lago Sarmiento, Laguna Amarga, Pehoé Camping, Salto Grande Wasserfälle, Salto Chico Wasserfälle, Lago Grey (südliches patagonischen Eisfeld), Milodon Höhle

Der Torres del Paine ist nach drei turmhohen, nah beieinander stehenden Bergen benannt, den „Türmen des Blaus“ (Torres = Türme, Paine = Blau in einer der lokalen indigenen Sprachen). Sie sind auf diesem Foto in der Mitte zu sehen.

Hinten mittig die „Torres del Paine“, vorne Wasserfälle

Christina Calderon, last Speaker of Yahgan language

Sociedad Explotadora de Tierra del Fuego committed genocide on the Selk’nam indigenous people (with the permission of the Chilean government). The Selk’nam had no concept of ownership and started hunting and eating the sheep, as their original source of food, the Guanacos, were displaced by the large sheep herds.

Die „Laguna Amarga“ (Bittere Lagune) hat keinen Zufluss oder Abfluss und speist sich nur vom Regenwasser. Das Wasser enthält eine hohe Konzentration an Kalziumkarbonat und ist daher sehr alkalisch (pH10). Wir dürfen „nur gucken, aber nicht anfassen), also nicht bis ans Ufer gehen.

Wie auf den Videos zu sehen ist, ist es den ganzen Tag extrem windig. Unsere Guide warnt uns immer wieder und fordert uns auf, vorsichtig zu sein, da die Windböen von bis zu 90 km/h uns umwerfen oder über die Kante eines Aussichtspunktes blasen könnte. In den nächsten paar Tagen soll der Wind weiterhin so stark bleiben. In uns reift die Entscheidung, uns das Radfahren bei diesen Bedingungen lieber nicht anzutun. Ab 30 km/h Windgeschwindigkeit gilt das Radfahren als schwierig, aber 35 km/h bereits als gefährlich. Windböen von 90 km/h sind auf dem Rad richtig gefährlich.

Abends gehen wir bei Ñandú essen. Viktor probiert Guanaco-Fleisch, das wirklich gut schmeckt, ähnlich wie Rindfleisch, aber mit einem leichten Wildgeschmack, der nicht so extrem ist wie z.B. beim Reh.

Sonntag 16.2.25 – Puerto Natales

Nach dem Frühstück packen wir unsere acht Radtaschen wieder „richtig“, als würden wir weiterradeln, nachdem wir für die Fährfahrt auf der Esperanza ja alles umgepackt hatten – so finden wir uns besser zurecht. Gegen zehn Uhr checken wir aus, dürfen aber die Taschen und das Tandem vor Ort lassen.

Bei leichtem Regen und – natürlich – Wind wollen wir noch ein wenig Puerto Natales angucken und eventuell ins Historische Museum gehen. Auf dem Weg zur Promenade kommen wir am Bus Sur-Büro vorbei und kaufen uns Tickets für eine Busfahrt nach Ushuaia für den morgigen Tag. Die Strecke wollten wir ursprünglich ja radeln, aber es gibt keine Möglichkeiten zum Übernachten (abgesehen vom Zelten) und der starke Wind in der eher kargen Landschaft kann uns auch nicht wirklich überzeugen, also haben wir beschlossen, dass die Fährfahrt mit der Esperanza eigentlich auch ein toller Abschluss unserer Tour gewesen sein könnte. Jetzt fahren wir mit dem Bus und überlegen, unten in Ushuaia vielleicht noch ein wenig ohne Gepäck radzufahren, die letzten Wochen aber eher noch sehenswerte Sachen anzuschauen (z.B. Pinguine, Gletscher, Buenos Aires) statt Kilometer auf dem Tandem zu machen.

Dann laufen wir die Promande entlang, häufig begleitet von drei Straßenhunden, die wir schon kennen, und die fast selbstmörderisch viele Autos anspringen und anbellen. Wir beobachten einen sehr lange bestehenden, sich ständig ändernden Regenbogen, Schwarzhalsschwäne und andere Vögel, besuchen die Skulptur „El Mano“ und das Denkmal „Monumento al Milodón“ und gehen danach noch einmal ins Darwin-Café zum Aufwärmen.

Regenbogen-Panorama

Das Museum hat dummerweise sonntags geschlossen, es öffnet sogar erst am Dienstag wieder, die Chance, es zu besuchen, haben wir leider verpasst. Weil wir noch einen kleinen Aufkleber für unser Tandem kaufen wollen, klappern wir ein paar Souvenier-Läden ab (finden aber nur viel zu große Sticker). Bevor wir im Hostal Nathalie, genau neben dem Don Guillermo, einchecken gehen, machen wir noch eine Kaffeepause im Angelica’s und Jutta will noch ein paar Getränke für heute und die morgige Busfahrt besorgen. Im Unimarc-Supermarkt sind die Regale ziemlich leer, sie warten wahrscheinlich auf die nächste Fähre, denn bis auf Salat und andere schnell wachsende Gemüse, die hier in Gewächshäusern angebaut werden, werden alle Lebensmittel aus der Hauptstadtregion hierher transportiert, und das sind ca. 3000 Kilometer (und in Chile nicht durchgängig durch Straßen verbunden). Wir sind hier bzw. weiter nördlich schon an Apotheken vorbeigekommen, an denen steht, dass sie nur die Bewohner versorgen, keine Touristen. Die bekommen wahrscheinlich auch nicht so häufig Nachschub…

In einigen Straßen im Ort gibt es sehr nette Mülleimer, von denen wir ein paar festgehalten haben:

Wir checken ein und bringen unsere Taschen von nebenan in unser neues Zimmer. Das Tandem kann bis morgen am alten Platz gegenüber stehen bleiben. Den weiteren Nachmittag verbringen wir schreibend und planend im sehr hellhörigen Hostal. Viktor hat noch einen WhatsApp-Videocall mit Mutter und Schwester.

Wir buchen danach über AirBnB eine Unterkunft in Ushuaia. Aus irgendeinem Grund wäre diese über Viktors Mobiltelefon-Profil viel teurer geworden als bei Errichtung eines neuen AirBnB-Profils auf dem Laptop. Also machen wir das und werden durch eine WebCam-Identifizierung gezwungen, die ziemlich lange dauert. Wir nehmen mehrmals die Vorderseite des Personalausweises auf, dann die Rückseite (beides ständig zu unscharf und zu schlecht ausgeleuchtet, denn unser Zimmer ist ziemlich dunkel), danach dann noch ein Selfie. Aber irgendwann ist die Buchung durch und wir haben relativ günstig eine Unterkunft in Ushuaia gefunden.

Zum Abendessen laufen wir noch einmal durch die Straßen und bleiben schließlich beim Koreanischen Restaurant „La W“ hängen, das nicht nur koreanisches Essen anbietet, sondern auch Guanaco und Vegetarisches. Der Quinoa-Tabouleh-Salat ist auf jeden Fall nachahmenswert – einfach Quinoa statt Bulgur, sonst alles gleich – und Viktors Guanaco-Burger ist ebenfalls sehr gut.
Wir rätseln während des Essens, wie denn noch die Besatzung des Segelbootes zwischen Panamá und Cartagena heißt und kommen nicht drauf. In unserem Blog finden wir nur den Schiffsnamen (Sophia), den des Hundes (Arya) und den des Kapitäns (André). Immerhin ein Name der Dreiercrew! Das kommt davon, wenn man nicht alles aufschreibt…

Wir recherchieren noch ein wenig, wie wir das Tandem per Flieger nach Buenos Aires bekommen, da die Argentinische Fluggesellschaft auf Inlandsflügen anscheinend nur 23 kg erlaubt und wir beim Hinflug ja schon Probleme hatten, die bei Lufthansa erlaubten 32 kg einzuhalten.

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  1. Kathrin

    Da worded mir selbst beim Lesen schlecht….
    Liebe Grüße

  2. Monika Joost-Liebich

    Oh Mann Jutta. Da hast Du ja ’ne schlimme Zeit gehabt. Tut mir sehr leid.
    Über das Metodòn habe ich vor kurzem einen Bericht in Terra X gesehen. Das frühzeitluche Faultier soll wirklich diese Größe gehabt haben. Es wurden entsprechende Knochen gefunden.
    Ich wünsche Euch eine spuckfreie Weiterfahrt und gute Heimreise.
    Liebe Grüße aus HN von der Alten Moni

  3. Aileen

    Ich finde es erstaunlich und bewundernswert, dass du dir nach solchen Strapazen und in diesem Zustand noch ein Lächeln abringen konntest, Jutta. Schön, dass ihr immerhin mit ein paar netten Ausblicken und Erscheinungen belohnt wurdet.
    Eure „sichtlich froh“-Fotos machen richtig gute Laune und es ist toll, dass ihr auf der Esperanza Begegnungen hattet, die euch euer weiteres Leben begleiten werden. Genau so etwas macht das Leben wertvoll 😍
    Liebe Grüße und eine schöne, restliche Zeit!
    Aileen

  4. Petra

    Ohje, das tut mir auch leid Jutta. Wir haben diese Tour in Torres del Peine 3-4 Tage vorher gemacht, da hattest du/ ihr wirklich Pech. Auch die Engpässe in Natales Geschäften müssen da wohl ganz aktuell gewesen sein.
    Es ist total interessant, eure Erfahrungen an den selben Orten zu lesen. Vielen Dank

  5. Petra

    Die Hunde in Argentinien sind wirklich krass drauf. Wir haben sogar öfter erlebt, dass sie versuchen, ins Auto oder in die Beine von Motorradfahrern zu beißen. Uns haben in Ushuaia mal 3 Hunde in einer abgelegenen Straße attackiert, so dass wir umdrehen mussten.

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