Mit dem Stufentandem unterwegs in den Amerikas

Woche 35 (25.11.24 – 1.12.24) Salar de Uyuni – Salta

Montag 25.11.24 – Uyuni – La Quiaca (Argentinien)

Nach einem sehr schönen Frühstücksbuffet ist unser Tandem schon wie von Geisterhand hinten auf einen Pick-Up geladen. Wir haben zu viertel nach acht einen Transport nach Uyuni bestellt, und obwohl es erst acht ist, hat der Taxifahrer schon ganz eifrig die Fahrt vorbereitet. Wir lassen uns mit dem Auto fahren, weil wir den blöden Weg von gestern nicht noch einmal fahren wollen, und weil wir schon um zehn Uhr den Bus nach Villazon nehmen wollen. Eine weitere Nachtfahrt mit wening bzw. gar keinem Schlaf wollen wir uns lieber ersparen und der zweite Bus des Tages nach Villazon fährt erst um 20:00 Uhr und kommt um 3:00 Uhr morgens an. Der Fahrer des Pick-Up hält in Uyuni noch am Büro von Todo Turismo, wo wir unsere restlichen Taschen einladen, und bringt uns dann zum Busterminal, genau an die Haltebucht, in der unser Bus halten wird.

Wir kaufen uns zwei Tickets und haben noch eine Stunde bis zur Abfahrt. Etwa fünf Minuten vor der geplanten Zeit kommt der Italienische Bikepacker von gestern und will den gleichen Bus nehmen. Heute fragen wir ihn dann auch nach seinem Namen: Matteo. Der Bus ist immer noch nicht da, aber immerhin kommt er um kurz nach zehn. Matteos Rad kann mit dem nur leichten Gepäck komplett in den Gepäckraum (und später noch woanders hin…). Auch unser Tandem und die Taschen werden gut verstaut, und wir müssen nicht einmal etwas zahlen.

Dann beginnt die Fahrt im sehr stickigen, heißen Bus. Die Lüftung funktioniert leider gar nicht, von einer Klimaanlage ganz zu schweigen. Es geht durch beeindruckende Landschaften, über viele Pässe oberhalb von 4.000m Höhe. Laut einem Verkehrsschild sollen in der Gegend Emus herumlaufen, aber leider sehen wir nichts in der Richtung. Die Ankunftszeit in Villazon soll 15 Uhr sein, aber während der Fahrt merken wir schon, dass das wohl nichts wird. Schließlich sind wir um 15:15 Uhr in Tupiza, ca. 100km vor Villazon. Dort wird uns gesagt, wir müssten jetzt in einen kleinen Van umsteigen – der Bus führe nicht weiter. So war es nicht geplant, aber unser Busfahrer ist krank – er sieht auch sehr schlecht aus – die bläulich-grünen Lippen könnten an Sauerstoffmangel liegen oder an den vielen Kokablättern. Jedenfalls gibt keinen Ersatzfahrer. Wir können wahrscheinlich froh sein, dass wir heile bis hierher gekommen sind.

Wir sind hin- und hergerissen, ob wir wirklich das Tandem oben auf dem Dach des Vans transportieren wollen, aber als das Rad von Matteo (inklusive dem Gepäck) oben drauf steht, lässt auch Viktor sich überzeugen. Letzten Endes sind beide Räder aneinandergelehnt, und dazwischen liegen noch einige unserer Radtaschen. Alles wird festgezurrt, und los geht es. Der Van ist brechend voll, ganz vorne neben dem Fahrer sitzen der kleine Sohn und seine Frau. Wir sitzen direkt dahinter und können sehen, wie der Sohn den Vater immer wieder ablenkt (bis er irgendwann einschläft … also zum Glück der Sohn 😉 ), und wie der Fahrer, der schon beim Losfahren eine dicke Backe hat, sich alle paar Minuten neue Kokablätter in den Mund schiebt. So richtig glücklich sind wir mit dieser Art des Transportes nicht, aber es sind ja nur noch 100 km.

Kurz vor Villazon jammert der Fahrer, dass sein Tank fast leer ist – er schafft es noch, fährt aber nicht bis zum Busbahnhof. Irgendwo am Straßenrand, schon nahe der Grenze nach Argentinien, werden wir rausgelassen. Mit dem Gepäck auf dem Dach ist tatsächlich alles gut gegangen.

Matteo schließt sich uns für den Grenzübergang an. Bei der Bolivianischen Migration bekommen wir keinen Ausreisestempel, nur ein Stück Papier. Bei den Argentiniern dauert es etwas länger. Juttas Grenzbeamter hat seine Backentasche auch voll mit Kokablättern – wahrscheinlich muss er schon sehr, sehr lange arbeiten, sehr eifrig scheint er trotzdem nicht. Aber auch hier bekommen wir keinen Stempel – unsere Einreise ist nur digital aufgenommen. Wir haben 90 Tage, aber nichts, was unser Einreisedatum nachweist, das ist etwas dumm. Matteo kann einfach an der Gepäckkontrolle weiterfahren, wir müssen unsere gerade erst festgemachten Taschen alle durch ein Röntgengerät laufen lassen und anschließend noch einmal aufs Rad packen.

Nach insgesamt nur ca. zwei km Fahrt sind wir am Hotel in La Quiaca angekommen. Der Preis des Hotels liegt hier in Argentinien wieder im vierstelligen Bereich (mehrere 1.000 Pesos), das hatten wir schon länger nicht mehr. Auch die Steckdosen sehen ganz fremd aus, mit diagonal stehenden Schlitzen. Wir bekommen an der Rezeption einen Adapter und einen Elektroladen genannt. Auch, wenn alle immer sagen, man solle hier in Argentinien auf dem Schwarzmarkt Dollar in Pesos tauschen, wollen wir den ehrlichen Weg versuchen und Geld am Automaten abheben. Bei strömendem Regen laufen wir zu einer Bank und bekommen nach vielen Versuchen mit höheren Beträgen nur 50.000 Pesos (ca. 50€) ausgespuckt, und das für über 10.000 Pesos Gebühr (über 20 %). Okay, das machen wir heute einmal, um Dinge zahlen zu können, aber das ist keine Lösung für die Zeit hier in Argentinien.

Wir gehen in ein von Viktor gesichtetes Restaurant um die Ecke. Die Bedienung sagt, dass die Chefin und Köchin in zehn Minuten wiederkäme, sie selber noch neu sei und nicht kochen würde. Während wir warten, bekommen wir mit, dass sie auf die mindestens drei Kinder der Chefin aufpassen muss, während sie im Restaurant die Stellung hält und ziemlich sauer ist. Sie fragt dann auch doch, was wir möchten, und geht selber in die Küche. Viktor bekommt eine Pizza, Jutta eine Kartoffeltortilla. Jutta muss ziemlich viel Schinken aus ihrem Essen heraussuchen, aber dann schmeckt es einigermaßen. Viktor sagt kurz vor Beendigung der Pizza: „Wenn der Teig kalt wird, schmeckt er noch schlechter“. Und, dass die Oliven ganz gut waren. Na ja, die richtige Köchin war ja nicht da, sie kommt aber gut gelaunt und von der Bedienung und den Kindern herbeigesehnt um 21 Uhr ins Restaurant marschiert.

Der Regen hat aufgehört, und wir gehen noch zum Elektroladen. Dort sehen wir, dass das angebotene Ladegerät ziemlich so aussieht, als würde es in unsere Schuko-Steckdosen passen. Wir kaufen erst einmal nichts und graben den Deutschen Stecker wieder aus. Den haben wir zwar in Peru mal ganz kurz benutzt (ganz im Norden), sonst aber noch gar nicht, aber er passt tatsächlich in die hiesigen Steckdosen. Wahrscheinlich passen in diese Steckdosen ganz viele verschiedene Stecker. Und wir kommen mit unseren Geräten auch hier zurecht.

Dienstag 26.11.24 – (124) – La Quiaca – Abra Pampa

Gesamt: 7.599,87 km

Morgens vor dem Frühstück telefonieren wir mit unserem Sohn Julius: im seit Langem laufenden Prozess gegen Viktor und ihn wegen Urheberrechtsverletzung (ein BitTorrent-Unfall) ist Viktor entgegen aller Erwartungen, selbst der des eigenen Anwalts, tatsächlich freigesprochen worden. Und das Urteil ist so formuliert, das auch eine Folgeklage gegen Julius wenig Erfolg versprechend ist. Das ist eine sehr gute Nachricht am frühen Morgen (und in Deutschland ist es nur noch vier Stunden später – kaum zu glauben!). Seit gestern sind wir in der Argentinischen Zeitzone, die sich offenbar an Buenos Aires orientiert.

Wir frühstücken gleichzeitig mit einigen Motorradreisenden aus Brasilien, die uns u.a. Tipps zum Geldwechseln geben können. Als wir das Tandem beladen, kommt Matteo gerade vorbei, um sich zu verabschieden: er will schnell Richtung Süden und heute schon den nächsten Bus nehmen. Vielleicht kann er uns dann berichten, ob man hier wirklich das Rad immer in einen Karton packen muss, oder ob es auch ohne geht.

Zuerst fahren wir zur einzigen Sehenswürdigkeit von La Quiaca: dem „Cartel La Quiaca“: wir sind hier im nördlichsten Ort von Argentinien und Ushuaia ist der südlichste, und deshalb gibt es hier diese Tafel. Unser Hotel bietet auch Pässe für die Ruta 40 an, die hier beginnt und nicht ganz bis Ushuaia geht. Viele Reisende (Auto, Moto, Rad) kaufen sich so einen und lassen sich in den Städten auf der Strecke Stempel geben. Wir haben uns diesen Pass gespart. Nach einem Supermarktbesuch fahren wir dann richtig los, es ist schon fast halb zehn.

Die heutige Strecke führt ohne auch nur einmal abzubiegen auf ziemlich gerader Strecke Richtung Süden. Es gibt keinen Seitenstreifen. Der ist aber auch nicht nötig, denn der Verkehr hält sich sehr in Grenzen. Meistens ist vor oder hinter uns kein motorisiertes Fahrzeug zu sehen, und nur manchmal sind es mehrere auf einmal.

Noch ziemlich zu Anfang hält uns ein Motorradfahrer aus Peru an: Daniel, genannt xx. Er ist aus Arequipa, seinerzeit auf die Deutsche Schule gegangen und war zum Schüleraustausch einmal in Osnabrück. Heute morgen ist er aus Abra Pampa gekommen, und er erzählt von seinem Hotel dort. Außerdem macht er uns mit der App xxx bekannt, mit der man leicht Routen berechnen lassen kann, und bei der man auch Karteninformationen hat, wenn das Handy offline ist. Unsere Maya-eSIM scheint hier nicht zu funktionieren, daher ist dieser Tipp sicher ganz hilfreich.

Die Landschaft variiert nicht sehr, aber rechts und links weiden viele Lamas und weniger Schafe, und auf beiden Seiten in der Ferne ziehen sich Bergketten entlang – wir fahren auf einer Hochebene – es gefällt uns ganz gut. Allerdings kommen wir auf den fast 75 Kilometern nur durch zwei winzige Ortschaften (Pumahuasi und Puesto del Marquez), in denen es weder Einkehrmöglichkeiten noch Läden gibt. In beiden Orten gibt es aber Sitzplätze im Schatten, und wir haben uns heute im Supermarkt wieder mit Snacks eingedeckt.

Unterwegs sind die Kilometerschilder am Straßenrand gerade die 19-Hunderter. Wir halten bei 1965, Viktors Jahrgang, und machen ein Foto. Später wollen wir eine Gruß an Viktors Mutter fotografieren, verpassen aber irgendwie die 1940 (oder fehlte das Schild?). So machen wir also ein Bild bei 1939 und senden einen Gruß an Maria-Luisa, aber natürlich auch an Günter, Hille und Thom.

In Abra Pampa finden wir ein Eisschild an einer Tür und wollen uns ein Eis gönnen, bevor wir uns eine Unterkunft suchen. Eiscafé kann man das hier nicht nennen, hinter einem kleinen „Verkaufstisch“ ist alles dunkel, und wir können nicht sehen, woher die Dame das Kugeleis holt – es dauert ziemlich lange, bevor sie erst die eine Waffel, dann die zweite zu uns herausbringt.

Einen Block weiter befindet sich das Hotel, in dem Daniel gestern war, und wir checken jetzt auch dort ein. Die Zimmertür bleibt nur geschlossen, wenn man zweimal abschließt, aber wir haben heißes Wasser, gutes WIFI und der Besitzer ist bereit, uns US-Dollar zu einem akzeptable Kurs (1:1.000) in Argentinische Pesos umzutauschen.

Den weiteren Nachmittag nutzen wir für den Blog und weitere Aufarbeitungen. Während wir um Zimmer am Blog schreiben wird es draußen kurzzeitig richtig stürmisch, man hört ein paar Donner und … der Strom fällt aus. Der kommt auch bis 21:00 nicht zurück, so dass wir in der Dämmerung in einem Restaurant am nahegelegenen Bus-Terminal essen und im Stockdunkeln Getränke für morgen kaufen, bevor wir uns im dunklen Hotelzimmer ins Bett begeben.

Irgendwann nachts kommt der Strom wieder – von draußen strahlt ein Flutlicht durch die halb geöffnete Gardine – aber es sind nicht alle elektronischen Geräte aufgeladen (der Garmin z.B. nicht).

Mittwoch 27.11.24 – (125) – Abra Pampa – Humahuaca

Gesamt: 7.685,56 km

Das hätte heute unser perfekter Radfahrtag werden können, wenn nicht unsere Schutzengel ganze Arbeit hätten leisten müssen. Aber von Anfang an:

Wir gehen um sieben im Hotel frühstücken und bekommen, obwohl wir auf die Frage Kaffee oder Tee mit „Tee“ geantwortet haben, Kaffee serviert. Immerhin richtigen, weder aus Pulver noch aus Konzentrat. Um acht machen wir uns auf die über 80 km lange Strecke. Die ersten gut 25 km geht es stetig etwas bergauf, es geht aber so gemächlich hoch (Gänge 5 – 9 der 14-Gang-Schaltung) und die Landschaft ist so schön, dass es uns ganz gut aus den Beinen geht – trotz der Höhe.

Kurz nach dem höchsten Punkt der heutigen Strecke (3.780 m) liegt links der Ort Tres Cruzes. Es soll tatsächlich eine Art Cafeteria dort geben, wird uns auf Nachfrage bei der Polizei an der Straße gesagt, also fahren wir ab. Neben der Kirche gibt es eine Hospedaje mit einer Tafel davor, die auf Sandwiches und anderes hinweist. Wir haben Glück, und bekommen neben Sandwiches und Kaffee auch noch Tipps von der Besitzerin Rosa sowie einen Blick aus dem oberen Zimmer (fast ein Mirador). Letzte Nacht hatte sie zwei Franzosen als Gäste, von denen immer einer Rad fährt, der andere läuft. Sie sind heute ebenfalls nach Humahuaca unterwegs – vielleicht sehen wir sie ja nachher.

Aus dem Café sendet Viktor noch eine Nachricht an die WhatsApp Gruppe „Cycling South America“, denn wir sind wirklich froh, dass wir den Ratschlag von Paul Bergmann (Pedalen-Paul), einem der Aktivposten in der Gruppe (wohnt übrigens in Berlin) angenommen haben, und nun hier im Norden Argentiniens unterwegs sind.

Pauls Anwort

Hier im Ort werden große Kunststoffflaschen weiter verwendet als Grundstücksumrandungen und als Schutz für Neuanpflanzungen – etwas skurril.

Nach ausgiebiger Pause dort haben wir noch weitere 56 km ohne jegliche Ortschaft vor uns – Rosa spricht aber von einer Art Kiosk auf etwa halber Strecke, wo man etwas zu Trinken kaufen könne.

Größtenteils leicht oder auch steiler bergab kommen wir sehr gut voran und staunen immer wieder über die verschiedenen Felsen auf der linken Seite – rechts ist weiter Pampa mit weidenden Lamas. Nach einer drei Kilometer langen Steigung nach gut halber verbleibender Strecke kommt am Rand eine rote Hütte, und wir vermuten den angekündigten Kiosk. Es stehen auch schon zwei Motorräder dort. In der Hütte scheint jemand zu wohnen, aber wir unterhalten uns ganz nett mit den beiden Argentinischen Motorradfahren, bevor wir weiterfahren.

Als nach einigen Kilometern links wieder ein Gebäude erscheint, neben dem wir Tische und Stühle zu erkennen meinen, erwarten wir dort diesen ominösen Kiosk. Aus der Nähe sehen wir zwar, dass dort keine Menschenssele ist, aber wir wollen uns trotzdem dort in den Schatten setzen. Und obwohl Viktor die ganze Zeit immer in den kleinen Rückspiegel geguckt hat und ihn heute immer wieder in die richtige Position drehen musste, weil der starke Fahrtwind ihn in den Abfahrten umgeschwenkt hat – diesmal guckt er nicht hinein. Und obwohl so wenig Verkehr ist – jetzt gerade kommt ein Auto von hinten, das man wegen des Windes nicht hören kann.

Wir schwenken nach links rüber genau im Moment, in dem der Autofahrer nach links fährt, um uns zu überholen. Der Fahrer reagiert ganz schnell und erwischt nur die vordere Spitze des Tandems. Wir kippen weder um noch bekommen wir irgendetwas an unseren Körpern ab. Selbst Juttas Fuß ist in der richtigen Position, dass er nicht einmal gestreift wird, obwohl die Pedalkurbel und das Kettenblatt vorne ziemlich verbogen sind, und die Schuhe mit den Cleats ja fest mit den Pedalen verbunden sind. Da müssen unsere Schutzengel eingegriffen haben – es hätte so viel mehr passieren können!

Trotzdem bricht für uns zunächst einmal die Welt zusammen – wir sehen schon das Ende unserer Tour. Erst durch das Sichten der geringer als erwarteten Schäden kommt ganz langsam die Gewissheit, dass es weitergehen kann. Wir haben zwar kein Ersatzkettenblatt für die Stokerkette mehr (das haben wir wohl zurückgeschickt…), aber das etwas größere für den Captain scheint erst einmal zu funktionieren, auch wenn es natürlich etwas eiert wegen der verbogenen Pedalkurbel.

Der Autofahrer ist übrigens ziemlich schnell wieder aufgebrochen, ohne Telfonnummern auszutauschen (Versicherung?) und auch nicht bereit, aus dem nächsten Ort Hilfe zu schicken, die uns einsammelt. Wir können zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass wir weiterfahren können.

Genau das tun wir aber schon eine gute Dreiviertelstunde nach dem Unfall. Es sind noch knapp 25 km, immer noch viel bergab, und wir wollen versuchen, wie es klappt. Da die Stokerkette nicht abspringt, kann Jutta sogar weiterhin in die Landschaft schauen, die jetzt hier viele Säulenkakteen zu bieten hat.

In Humahuaca suchen wir erst unser Hostal, wo wir das Tandem in das Wohnzimmer der Besitzerfamilie stellen dürfen. Viktor bemerkt, dass seine Trinkflasche nicht mehr da ist und vermutet, sie am Unfallort vergessen zu haben, nachdem er sie dort noch einmal aufgefüllt hat. Er lässt sich von einem Taxi dorthin zurückfahren – leider vergeblich! Jetzt ist auch „Juttas“ Flasche weg, nachdem „Viktors“ ja schon bei der Tunneldurchquerung verlorengegangen war.

In der Ferreteria Lucas kaufen wir nach 18 Uhr (da machen die Läden hier wieder auf) Unterlegscheiben, mit denen Viktor das Eiern beheben möchte, und gehen anschließend im Restaurant Pachamanka Abendessen. Dieses entpuppt sich als außergewöhnlich gute Wahl, was nach dem Nachmittag heute sehr gut tut. Während des Essens beginnt ein heftiges Gewitter (gestern hatten sie hier das erste Mal einen kleinen Tornado). In den Straßen fließt das Wasser.

Wir bleiben ziemlich lange, aber irgendwann müssen wir aufbrechen. Es sind nur drei Blöcke zu laufen. Zuerst gelingt es uns trockenen Fußes, auch wenn wir dafür immer ein Stück in die Querstraße laufen müssen, um über eine schmale Stelle des „Flusses“ springen zu können. Die Straße und Kreuzung vor unserem Hostal ist allerdings komplett überschwemmt, so dass dann doch Schuhe und Socken durchnässt sind. Mal schauen, ob sie bis morgen trocknen.

Mit den Unterlegscheiben lässt sich am Eiern des Kettenblattes leider nichts optimieren. Es bleibt also erstmal bei der behelfsmäßigen Reparatur vom Nachmittag.

Donnerstag 28.11.24 – (126) – Humahuaca – Purmamarca

Gesamt: 7.756,39 km

Das hätte heute unser perfekter Radfahrtag werden können, wenn nicht …

Das Frühstück im Hostal gibt es erst ab acht, also können wir etwas länger schlafen und dann ein liebevoll zubereitetes Frühstück genießen. Leider sind die gestern Abend nassgewordenen Kleidungsstücke und v.a. Schuhe nicht über Nacht getrocknet. Jutta muss nasse Socken und nasse Schuhe anziehen, Viktors nasse Sandalen hängen wir hinten am Tandem an unser Gepäck.

Auf der immer noch sehr pfützenreichen Straße packen wir alles ans Tandem und fahren gegen neun Uhr los – zunächst ein wenig den Weg von gestern durch Humahuaca zurück, in der Hoffnung, die hiesige Sehenswürdigkeit (die Serrania de Hornocal) noch zu erhaschen. Leider spielen die Lichtverhältnisse da nicht mit und wir sehen nur Dunst.

Das ist tatsächlich gar nicht schlimm, auf der heutigen Strecke fahren wir stundenlang an farbigen Felsen vorbei – man könnte alle paar Minuten für ein Foto anhalten. Die Gegend ist wirklich atemberaubend schön und hat es am dritten Tag bereits unter Viktors Top 3 unserer Tour geschafft (Costa Rica, Kolumbien, Argentinien).

Leider wird der Autoverkehr immer stärker, je weiter wir in den Süden kommen, und es gibt weiterhin keinen befestigten Seitenstreifen. Manchmal wird es etwas heikel, wenn gerade Fahrzeuge von hinten und vorne gleichzeitig an uns vorbeifahren müssen. Aber Viktor schaut heute besonders häufig in den Rückspiegel, gerade wenn Lastwagen-Gegenverkehr auf uns zukommt, denn dann könnte es von hinten knapp werden, wenn Lastwagen oder Busse keine Lust haben, hinter uns abzubremsen.

An einem sehr nett aussehenden Café am Straßenrand fahren wir heute tatsächlich einmal vorbei, da wir erst etwas über elf km gefahren sind und wissen, dass noch weitere Einkehr-Möglichkeiten kommen (deshalb auch der zunehmende Verkehr 😉 ). Nach knapp 30 km halten wir an einem sehr schönen Hotel in Huacalera und bekommen Milchkaffee und Applecrumble zu Europäischen Preisen. Jutta legt ihre immer noch sehr nassen Socken und Schuhe draußen in die Sonne und kann sie nach der Stunde Pause trocken wieder anziehen.

Und ab hier beginnt dann schon der stärkste Wind, den wir auf dieser Tour bisher hatten: ein heftiger Gegenwind an der Nordseeküste ist nichts gegen den Wind hier und heute, auch wenn dieser wohl nichts gegen den Wind in Patagonien ist, der uns auch noch erwartet. Selbst in den Abfahrten müssen wir kräftig in die Pedale treten – rollen lassen funktioniert nicht. Das Tal ist immer enger geworden, und der Venturi-Effekt schlägt zu. Ohne diesen Gegenwind wäre der Tag wirklich perfekt!

In Tilcara kommen wir an einem Bahnhof vorbei, an dem ein ziemlich neuer, zwei Wagen langer Personenzug steht. Am Bahnübergang können wir lesen, dass die Strecke bis nach Volcan geht, das wären knapp 42 Kilometer. Aber es ist (außer der Bahn nach Machu Piccu und Metro oder Straßenbahnen) der erste Personenzug, den wir sehen. Und später sehen wir sogar zwei Züge in Fahrt.

An der heutigen Strecke gibt es überhaupt keine Viehhaltung, es ist eher Ackerbau-Gebiet – und auch der erste Wein ist dabei. Und statt Lamas und Schafen sind es heute (weit weniger) Esel und Pferde, die wir passieren.

Am Mirador El Monolito in Maimara, der auf der linken Straßenseite liegt, halten wir heute am rechten Straßenrand und gehen zu Fuß über die Straße. Sicher ist sicher! Oben ist es sehr, sehr stürmisch, aber wir setzen uns kurz zum Pausieren. Einen Monolithen gibt es hier gar nicht, die Gemeinde hat den Aussichtspunkt einfach so genannt, erzählt uns der Herr eines Souvenierstandes dort. Trotzdem ist die Aussicht sehr schön – nach uns hält sogar ein Van mit Touristen mit einem Guide.

Um nach Purmamarca zu kommen, müssen wir von der Nationalstraße 9 (in der Schlucht des Rio Grande) gute dreieinhalb Kilometer in die Schlucht des Flusses Purmamarca fahren – es geht stetig bergauf, aber dafür ist der Wind fast verschwunden. Im Ort halten wir erst an einem Aussichtspunkt (sieben Farben), danach noch zu einem Kaffee, bevor wir zum Hotel fahren, das direkt an den Felsen liegt.

Nach Dusche und kurzer Pause laufen wir noch zum Mirador Cerro El Porito, sparen uns aber die 45-Minuten pro Weg dauernde Wanderung zu einem weiteren Aussichtspunkt. Stattdessen gehen wir zeitig essen und können danach in aller Ruhe am Blog schreiben, ein Hotel in Santiago de Chile buchen (an das Hase-Bikes unsere Ersatzteile schicken kann), die morgige Tour planen etc..

Der Hotelbetreiber schaut Viktor bei der Kettenpflege am Tandem zu und sie kommen ins Gespräch. Die großen Autotransporter, die uns heute auf der relativ kleinen Straße aus Pumamarca entgegen kamen, kommen aus Chile aus einem Überseehafen und fahren nach Paraguay. Es sind meistens Japanische oder Chinesische Fahrzeuge, die in Argentinien aufgrund von Strafzöllen extrem teuer sind. Die großen Europäischen und Amerikanischen Hersteller (VW, Renault, Peugeot, Fiat, Ford) haben eigene Fabriken in Argentinien und sind von diesen Zöllen nicht betroffen. Wir hatten uns schon gewundert, dass wir seit der Argentinischen Grenze so viele Europäische Fahrzeuge auf der Straße sehen. Jetzt haben wir die Erklärung.

Freitag 29.11.24 – (127) – Purmamarca – San Salvador de Jujuy

Gesamt: 7.820,93 km

Das hätte heute unser perfekter Radfahrtag werden können, wenn nicht …

Wir frühstücken mit Butter-Weihnachtsplätzchen und anderen Kleinigkeiten und dürfen uns zwei Bananen für die Fahrt mitnehmen. An HASE-Bikes schicken wir heute morgen noch die Adresse unseres Hotels, das wir für den 24.12. bis 28.12. in Santiago de Chile gebucht haben. Ein neuer Kurbelsatz inklusive Kettenrad soll per DHL-Express dort hingeschickt werden. Bis dahin muss unsere provisorische Reparatur durchhalten.
Als wir losfahren wollen, werden wir von anderen Hotelgästen angesprochen (Elena und Susana aus Buenes Aires). Während wir mit ihnen reden, gesellen sich noch weitere Gäste dazu, und schon haben mehrere Argentinier aus Interesse an unserer Tour und dem einzigartigen Tandem den Link zu diesem Blog.

Es geht nicht nur die ersten gut dreieinhalb Kilometer zurück zur Ruta 9 bergab. Auch im weiteren Verlauf fahren wir von etwa 2.300 m.ü.N.N. auf etwa 1.300 m.ü.N.N. herunter. Und da wir früh genug unterwegs sind, ist der Gegenwind noch nicht so stark.

Gleich zu Beginn auf der RN9 sehen wir an einem Käsestand einen Bikepacker (César), der mit seinem Husky (Tulia) im Anhänger unterwegs nach Ushuaia ist. Während wir uns kurz austauschen, wird Jutta von Tulia besprungen und beleckt – eine gänzlich andere Erfahrung als die vielen bellenden und uns verfolgenden Hunde. Die beiden haben heute das gleiche Ziel wie wir und wir sind gespannt, ob wir uns unterwegs wieder treffen. Da aber jeder sein eigenes Tempo fährt, fahren wir lieber getrennt voneinander weiter.

Es geht weiterhin sowohl am Rio Grande als auch an der Bahnstrecke entlang, vorbei an vielen farbigen Felsformationen. Nach 20 km sind wir in Volcan und haben nicht das Gefühl, schon eine Pause zu brauchen, aber dann liegt der nagelneue Bahnhof inklusive Café/Restaurant am Straßenrand, und wir können nicht widerstehen, da wir ja auch in Tilcara schon diesen Personenzug bewundert haben. Heute lernen wir noch, dass es sich bei dieser Strecke um den zweiten Solarzug der Welt, den ersten der Amerikas handelt, und dass der Betrieb erst im Juni diesen Jahres aufgenommen wurde.

Als wir weiterfahren, geht es eine Weile ziemlich aufwärts und wir sind froh, die frühe Pause gemacht zu haben. Wir haben uns beide das Höhenprofil von heute vorher nicht angeschaut und sind danach völlig überrascht von der über zehn Kilometer langen Abfahrt in schönen langgezogenen Serpentinen. Und während der Abfahrt hält sich auch der Verkehr gerade in Grenzen. Es ist herrlich, der Fahrtwind bläst uns um die Ohren, und wir können uns großenteils rollen lassen.

Und hatten wir vor der Abfahrt noch Felsen und karge Vegetation ringsum uns, so sind wir jetzt wie in einer anderen Welt: hier in der „neuen“ Höhe ist alles saftig grün, richtig saftiges Gras, Wälder, fast wie am Amazonas. Plötzlich hören wir auch wieder Grillen, Frösche und etliche Vögel. So ein schneller Wechsel mit einem langsamen Verkehrmittel, wie es ein Fahrrad ist, das ist schon der Wahnsinn!

Nach ca. 50 gefahrenen Kilometern erreichen wir die erste Shell-Tankstelle in Argentinien – wir haben uns in den letzten Tagen etwas gewundert, überhaupt keine Tankstellen an der Nationalstraße zu sehen – und wir halten noch einmal an, um uns ein Eis am Stiel zu gönnen. Und diese Pause wird dann leider sehr lang und ist der Grund, warum der Radfahrtag doch nicht so perfekt ist: schon zum zweiten Mal heute können wir nicht mit der Kreditkarte bezahlen, und jetzt findet Viktor im Mail-Postfach auch den Grund. Unsere gebührenfreie Haupt-Kreditkarte ist gesperrt worden. Viktor ruft die DKB-Hotline an und erfährt, dass es eine „Massensperrung“ gegeben hat und eine neue Karte an unsere Heimatadresse geschickt wird. Massensperrungen passieren ganz automatisch immer dann, wenn ein Händler ein Datenleck meldet, bei dem die Kreditkarten-Daten in falsche Hände geraten sein könnten. Wir müssen also irgendwo mal mit der Kreditkarte gezahlt haben, wo jetzt ein Datenleck entdeckt wurde.

Die neue Kreditkarte nutzt uns jedoch wenig, wenn sie nach Hohen Neuendorf geschickt wird. Um einen Versand nach Südamerika zu organisieren, verbringen wir fast 60 Minuten in Warteschleifen (und warten tausende „kurze Augenblicke“ bei wundervoller Warteschleifen-Musik), bevor wir gefrustet aufgeben. Es gibt zwar Notfallkarten, die per Kurier an Reisende geschickt werden, bei denen aber die kontaktlose NFC-Funktion und der Chip nicht aktiviert sind. Nur der Magnetstreifen funktioniert für Kartenzahlungen und eine Bargeldabhebung am Automaten ist ebenfalls nicht möglich. Ja super! Warum nicht gleich ausschließlich die alte „Ritsch-Ratsch-Technik“ nutzen?

Als wir Nachmittags im Hotel dann nochmals mit der DKB-Hotline telefonieren, entspannt sich die Situation zum Glück schon wieder deutlich. Denn die neue Karte landet zwar per Post in Hohen Neuendorf, oder aber auch in Hannover (per aktivem Nachsendeantrag – der Mitarbeiter kann uns partout nicht sagen, ob auf dem Briefumschlag „Nicht Nachsenden“ steht 🙁 ), aber in der DKB-App ist die Karte tatsächlich schon freigeschaltet und kann in ApplePay und GooglePay übernommen werden. Das heißt, wir können schon am gleichen Abend über diesen Umweg mit der neuen Karte bezahlen, obwohl wir sie noch gar nicht physisch in Händen halten. Nur überall da, wo der dreistellige CVC-Sicherheits-Code benötigt wird (z.B. im Profil bei Booking.com), da kommen wir nicht weiter und müssen eine andere Kreditkarte hinterlegen, bei der wir höhere Auslands-Gebühren zahlen müssen.

Die letzten Kilometer des Tages bleiben wir auf der Ruta 9 (RN9), obwohl Komoot die Planung auf diesem Teil nicht zugelassen hat. Die Straße ist ab hier in San Pablo de Reyes als Autobahn deklariert, wir sind aber nicht die einzigen Radfahrer, und sie ist sowohl zweispurig als auch mit einem (recht sauberem) Seitenstreifen ausgestattet. Ohne uns zu verfahren kommen wir ins Stadtzentrum von S.S. de Jujuy und finden um Punkt 14 Uhr unser Hotel.

Das Zimmer ist riesig (mit hohen Decken), und wir können das Tandem darin unterstellen.

Nach dem Duschen brechen wir recht schnell wieder auf: wir wollen das erste Mal Bargeld über Western Union (WU) besorgen und einen Fahrradladen finden, der eventuell unsere verbogenen Fahrrad-Teile wieder richten kann. Die Idee ist sogar, sie so zu „richten“, dass sie das Eiern aus der verbogenen Pedalkurbel korrigieren können.

Wir experimentieren seit ein paar Tagen (eigentlich nur als Option B) mit der Western Union App, da sie von vielen Bikepackern in Argentinien empfohlen wird, um halbwegs kostengünstig an Bargeld zu kommen. Die Geldautomaten kassieren hier ja 20% Gebühr (und mehr) und spucken nur kleinste Geldmengen aus. Bei Western Union überweist man einen Geldbetrag und erhält dafür innerhalb weniger Minuten einen Code, mit dem man das Geld an jeder WU-Stelle ausgezahlt bekommt. Allerdings muss dafür genug Bargeld in der WU-Stelle vorrätig sein, was in ländlichen Gebieten ein großes Problem sein kann, denn Teilsummen werden von WU nicht ausgezahlt. Die dritte oder vierte WU-Stelle in der Stadt sagt uns, wir könnten in einer Stunde wiederkommen, dann hätten sie genug Bargeld für uns zusammen. In der Zwischenzeit gehen wir Kaffee trinken und suchen einen Radladen auf. Dieser bietet keine Reparaturen an, gibt uns aber einen Tipp für eine Werkstatt – und einen Tipp, wie wir morgen am Besten über Radwege aus der Stadt herausfahren können. Wir gehen zwar noch zu der Werkstatt, und der Besitzer meint auch, er könne das Gewünschte machen, am Ende vertagen wir das Ganze dann aber auf eine andere Stadt, weil es inzwischen schon Abend wird.

Zurück in der WU-Stelle müssen wir feststellen, dass wir bei der Überweisung an Western Union einen entscheidenden Fehler gemacht haben. Wir haben den Haken bei „Sofortüberweisung“ nicht gesetzt. Nun wartet Western Union auf den Eingang des Geldes und wir können mit unserem Code nichts anfangen. Vermutlich dauert es jetzt bis Montag … und da werden wir wieder in eher ländlichen Gebieten unterwegs sein. Nun denn … da werden wir wohl weiter unsere Not-Dollar-Reserven auf dem Schwarzmarkt umtauschen müssen.

Nach etwas Zeit im Hotel brechen wir gegen acht zum Essen im Vegetarischen Restaurant auf, das um acht Uhr öffnen soll. Die Köchin kommt aber erst „so zwischen acht und halb neun“ – es wird am Ende kurz nach halb neun. Das Essen ist aber gut, und wir sitzen trotz abendlichem Regen draußen trocken unter einem Vordach und fühlen uns fast wie in Berlin im Sommer.

Samstag 30.11.24 – (128) – San Salvador de Jujuy – Salta

Gesamt: 7.920,01 km 1399m bergauf

Der abendliche Regen hat sich gestern zu einem Starkregen entwickelt, der die gesamte Nacht andauert. Auch morgens beim Aufstehen kommt es noch nass runter. Und das, wo wir heute knappe 100 km mit vielen Höhenmetern vor uns haben. Das kann ja heiter werden! Wird es auch – also das Wetter …

Um acht sitzen wir im Sattel – Jutta mit Regenhose und Schuh-Überziehern, Viktor ohne jegliche Regenkleidung. Der Regen hört kurz nach dem Losfahren komplett auf. Dank der Wegbescheibung des Herrn aus dem Fahrradladen gestern, fahren wir auf einem Radweg am Fluss entlang und von dort auf einem weiteren Radweg aus der Stadt heraus. Auf dem noch fehlenden Stück bis zur RN9 fahren kaum Autos, also können wir über den Stadtverkehr in San Salvador de Jujuy wirklich nicht klagen (höchstens über die Straßenqualität 😉 ). Geht also auch!

Am Ende des ersten Viertels der heutigen Etappe hat Jutta plötzlich folgendes Lied im Kopf: „Dort, wo die Wogen branden – schreiend die Möwe zieht, – singen aus fernen Landen – Wellen ihr rauschend Lie – ie – ie – ied. Ameland ……“. Da dieses Lied aus früheren Kinderferienlagern seit über 35 Jahren nicht mehr in ihrer Erinnerung war, muss das Unterbewusstsein diese flache, grüne Gegend mit schreienden Vögeln irgendwie mit Ameland assoziiert und dieses Lied ausgegraben haben. Schon lustig!

Nach 28 km sind wir in El Carmen und halten nach einer Pausenmöglichkeit Ausschau. Gegenüber von der Touristen-Information entdecken wir ein sehr nettes Café, dessen Besitzer uns noch einmal bestätigt, dass es im weiteren Verlauf der RN9 bis La Caldera (nach 45 km mit sehr viel Steigung) überhaupt nichts gibt zum Pausieren. Na toll!

Nach El Carmen beginnt erst eine gut zehn Kilometer lange Steigung mit kurzer anschließender Abfahrt und danach ein in Serpentinen aufwärts gehender Anstieg bis etwa km 60. Durch den Starkregen fließt sehr viel Wasser von den höheren in tiefere Lagen, auch quer über die Straße. Teilweise sind es reißende „Flüsse“, durch die wir mit dem Tandem fahren müssen. Wenigstens werden die Felgen dabei vom Salz aus dem Salar freigewaschen, und Viktor wäscht auch seine Schuhe an einer solchen Stelle.

Die RN9 ist viel schmaler und weniger befahren, als von uns erwartet. Busse und LKW dürfen sie nicht benutzen, und das macht sich ganz schön bemerkbar. Sie schlängelt sich durch sehr dichten, feuchten, grünen Wald, mit tiefhängenden Wolken oben drüber. Wir hören viel Vögel, Frösche und Kröten, Grillenzirpen und andere nicht identifizierbare Tiergeräusche. Es fühlt sich ein bisschen so an wie in Costa Rica oder am Amazonas, auch, wenn es hier kein tropischer Regenwald mehr sein kann.

Viele Auto- oder Motorradfahrer winken uns grüßend zu, und trotz der schmalen Straße werden wir nicht eng überholt. Und die Natur ist wieder einmal so schön, dass die Fahrt trotz der Länge und der vielen Steigungen wirklich Spass macht und gar nicht lange genug dauern kann. An der Grenze von der Provinz Jujuy zur Provinz Salta gibt es einen Picknick-Platz zum Pausieren. Dort breitet sich zwar gerade eine Familie aus, aber wir bleiben trotzdem stehen und machen die Pause am Straßenrand nahe einer Pfütze mit Kaulquappen.

Auf dem Weg nach La Caldera hält ein Autofahrer am Straßenrand und filmt uns. Wir halten an, unterhalten uns ein wenig mit Walter und bitten ihn, uns sein Video per WhatsApp zu schicken. Er rät uns zu einer Pause in La Caldera mit Besuch der Christo-Figur.

In La Caldera fahren wir über die Brücke in den Ort, da Walter erzählt hat, wie schön es dort sei und dass es auch ein Café gäbe. Wir folgen dem Wegweiser zu einem Café, irren aber eher durch den Ort, ohne etwas zu finden. Das gesuchte Café ist geschlossen, wir setzen uns an den Straßenrand vor einer Tienda und werden angesprochen: das Paar aus Pamplona, das wir vorgestern am Mirador in Purmamarca getroffen haben, hat uns heute schon mit dem Auto überholt (und gewunken) und ist jetzt ebenfalls gerade in La Caldera. Möglicherweise sehen wir uns heute Abend nochmal in Salta.

Von La Caldera geht es fast nur noch bergab, und dann fahren wir ziemlich lange durch die Stadt Salta – teilweise auf der Autobahn mit Fahrradverbot – bevor es ins Zentrum und in Richtung unseres Hotels geht. Wir legen uns für den Fall, dass wir von der Polizei angehalten werden, schon mal die Argumentation zurecht: „Wir sind kein Fahrrad, wir sind ein Motorrad.“
Viele Beobachter halten unsere Rohloff-Gangschaltung im Hinterrad für einen Motor – sie können einfach nicht glauben, dass wir ohne elektrische Unterstützung unterwegs sind – da soll uns die Polizei doch mal nachweisen, dass das kein Motor ist 😉 .

Bei der Einfahrt in die Stadt Salta stellen wir wieder fest, das die Straßen in den Ortschaften immer schlechter sind als die Verbindungssstraßen zwischen den Orten. Viktor formuliert daraufhin erstmals seine Gesetze zur Straßenqualität:

Makowski’sche Gesetze der Straßenqualität

  1. Gesetz der Straßenqualität

Unabhängig von Gesellschaftssystem und Staatsform haben Straßen innerorts grundsätzlich eine schlechtere Qualität als die Verbindungssstraßen zwischen den Orten.

  1. Gesetz der Straßenqualität

An den Übergängen von innerörtlichen Straßen zu Verbindungsstraßen an Ortsrändern ist die Qualität aufgrund von Zuständigkeitsunstimmigkeiten besonders schlecht.

Das Hotel Colonial liegt direkt am Platz des 9. Juli, ist 1943 eröffnet worden, und wir müssen für das Abstellen des Tandems im benachbarten Parkhaus knappe 16€ bezahlen (für zwei Nächte). Kostenfrei hätten wir es eine ziemlich steile Treppe hochtragen und dann woanders ein paar Stufen wieder runtertragen müssen, da nehmen wir dann doch den Parkplatz. Dummerweise sind die Steckdosen hier im Hotel wohl auch schon älter: es ist das erste Mal in Argentinien, dass unsere Stecker nicht passen, da es nur drei Schlitze sind. Da müssen wir wohl Adapter kaufen gehen.

Am Ende ist es ein rundum gelungener Radfahr-Tag, der Regen hat morgens pünktlich für uns aufgehört, wir haben 99 km mit über 1.300 Höhenmetern recht locker geschafft, die Strecke war einmalig schön und abwechslungsreich mit ein paar ungewöhnlichen Herausforderungen wie den Wasserfurten, wir hatten unterwegs ein paar nette Begegnungen. Radlerherz, was willst Du mehr?

Nach dem Duschen ist es schon fast halb sechs, und wir bringen erst einmal unsere Wäsche in eine Wäscherei. Auf dem Weg dorthin finden wir einen Radladen mit Werkstatt, der bereit ist, das verbogene Kettenblatt und die Schutzscheibe zu richten, also fährt Viktor im Anschluss mit dem Tandem dorthin, und sie bekommen es mit viel Feingefühl so hingebogen, dass vorne jetzt wieder das richtige (alte) Kettenblatt eingebaut ist.

Zum Abendessen gehen wir „nur“ in eine Pulperia hier am Platz (dort gibt es keinen Tintenfisch – überhaupt keinen Fisch – aber alles andere). Inzwischen sind die Wege und Straßen richtig voll, überall wollen Kinder etwas verkaufen, es wird Musik gespielt und Weihnachtseinkäufe werden getätigt.

Sonntag 1.12.24 – Salta

Wir haben einen Ruhetag in Salta und wollen gerne die Stadt mit einer Walking-Tour kennenlernen. Leider werden diese sonntags gar nicht angeboten – auch auf Anfrage nach einer „persönlichen“ klappt es nicht. Statt dessen versuchen wir es nach dem Frühstück auf eigene Faust mit Hilfe einer Tourbeschreibung auf einer Internet-Seite. Diese schickt uns von einem Museum zum nächsten. Das einzige, das wir uns anschauen wollen (das MAAM) öffnet erst um 11 Uhr, alle anderen laufen wir nur ab. Und wir wollen weder Souvenirs kaufen noch Empanadas essen – das sind ebenfalls Stationen bei dieser vorgeschlagenen Tour.

Bevor wir dann in das Museo de Arqueología de Alta Montaña gehen, machen wir im Van Gogh-Café eine Kaffeepause. Das Museum ist fokussiert auf den Fund von drei Kindermumien, die 1999 oben auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden wurden. Es wird immer eines der drei Kinder in einer Kältekapsel gezeigt – heute ist es der Junge.

Dieses Museum ist wirklich faszinierend und vollständig auf das Thema der Opferungen in großer Höhe (so nahe wie möglich am Sonnengott Inti) durch die Inka fokussiert und auf die Konservierung der Mumien, die hier ausgestellt werden. Man kann sich natürlich mit Recht fragen, ob die öffentliche Zurschaustellung dieser menschlichen Überreste richtig ist, denn eine Zustimmung durch diese Individuen konnte ja nicht erfolgen, aber hier wird ganz offensichtlich mit einem gewissen Erfolg versucht, das mit dem größtmöglichen Respekt vor der Inka-Kultur und den jungen Opfern zu tun.

Empfehlung: Untertitel einschalten und Automatische Übersetzung in Deine Sprache wählen!

Weitere interessante Videos aus der Ausstellungfinden sich hier: https://www.youtube.com/@maammuseodearqueologiadeal1314

Anschließend gehen wir einen längeren Weg (in ziemlicher Hitze) zur Talstation der Seilbahn zum San Bernado. Ganz anders als in Medellin oder La Paz geht diese Seilbahn nicht über Wohngebiete oder zu Wohngebieten, sondern einen grünen Berg hoch. Oben ist eine gute Aussicht, ein künstlicher Wasserfall, ein Restaurant, ein Souvenir- und ein Weinladen und sogar Sportgeräte. Am Besten ist eigentlich, dass am Nachbarberg gerade drei Paraglider starten und sich wir Condore in der guten Thermik hochschrauben. Dann fahren wir mit der schon älteren Gondel Schweizer Bauart wieder nach unten.

Da wir in einer größeren Stadt sind, wollen wir jetzt versuchen, ein Eiscafé mit Banana-Split zu finden. Auf der Strecke zurück in die Innenstadt liegen einige Heladerias, aber keine bietet das Gewünschte an. Ein Eis der Sorte Banana-Split (Bananengeschmack mit Dulce de Leche) reicht uns nicht… Schon wieder an unserem Platz des 9. Juli angekommen probieren wir als Letztes das Lucciano’s Eiscafé, aber auch dort ist es unbekannt. Argentinien scheint diesen Klassiker nicht zu kennen – als erstes Land unserer Reise (obwohl wir glauben, es in Honduras gar nicht probiert zu haben). Sie portionieren hier das Eis nicht in Kugeln, sondern streichen es in Becher, wie seinerzeit Eis-Hennig in Berlin – auf so eines lassen wir uns heute von der Familie Rühle einladen. Vielen Dank dafür!

Leckeres Eis dank Familie Rühle!

Inzwischen ist es späterer Nachmittag, und wir setzen uns mit dem Laptop in den Salon des Hotels, denn: nachdem wir über unser WhatsApp-Gruppen und andere Kontakte zu Radreisenden (auch von Paul Bergmann bzw. Pedalen-Paul, s.o.) mehrfach den Tipp erhalten haben, dass es auf der Ruta 40 landschaftlich viel schöner ist und man sich Cafayate keinesfalls entgehen lassen sollte, planen wir die Route bis Mendoza nochmal um. So sollten wir außerdem mit weniger Verkehr zu kämpfen haben und die Strecke ist sogar ein Stückchen kürzer. Allerdings könnte es bedeuten, dass wir ab und zu mal im Zelt übernachten müssen.

Abends gehen wir in die Balcarce Straße in der Gegend des Alten Bahnhofs, wo es viele Peñas gibt. Wir schauen uns noch den heutigen Bahnhof von Salta an, an dem Werbung für den Tren de las Nubes steht, an dem aber expliziet nur Arbeiter und Studierende in den Zug steigen dürfen… Dann gehen wir im 802 sehr gut Abendessen – Viktor bestellt ein 400g Stück Rind!

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  1. Antje Enseleit

    Das ist ja gerade noch mal gut gegangen.
    Ich danke euren Schutzengeln und wünsche euch, das eine Weiterfahrt klappt.
    Hoffentlich findet sich noch eine Möglichkeit der Reparatur.
    Alles Gute aus Hohen Neuendorf.

    • Liebe Antje, glücklicherweise können wir fast normal fahren und haben den Versand der Ersatzteile schon organisiert bekommen. Es ist ein Wunder, dass uns nichts passiert ist. Und Du werde jetzt endlich einmal wieder gesund! Liebe Grüße

  2. Andy Dean

    Sorry to hear about the accident and the irresponsible driver who took off as of nothing had happened. Lucky that Jutta’s foot wasn’t hit.
    I saw an accident in India that was “resolved “ with a fight right there at the accident sight.

  3. Aileen

    Eine Apothekentüte mit Tandem drauf – herrlich! Wenn das mal kein Zeichen ist… 😄

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